Kapitel 44
Als hätten die Mauern des Anwesens plötzlich vergessen, wie sie ihre Last tragen müssen, stürzt das Haus des Großmagiers unter der bebenden Aura des Dämon Larox in sich zusammen. In meinen Ohren hallt noch immer mein eigener Schrei. Aus meiner Hand rieseln die Überbleibsel von Ms. Doll, während ich mich einer absoluten Übermacht gegenübersehe. Und die gesamte Aufmerksamkeit des Dämons ruht auf mir – diejenige, die gerade noch die Magie des Großmagiers kanalisiert hat. Ich kann nicht atmen. Die Finsternis kriecht über den zersplitterten Marmorboden. Die Fangarme schnellen vor. Mit einem ohrenbetäubenden Lärm krachen sie durch die porösen Reste des Mauerwerks. Mir bleibt nichts anderes mehr übrig, als mich gegen den Aufprall zu rüsten. Die Augen zu schließen.
Und mein Herz setzt aus, weiß es als erstes. Das elektrisierende Gefühl von sich entladender Essenz, als das magische Schild unter der Wucht standhält. Nicht meine Schutzmagie.
Ich wage es nicht die Lider zu öffnen. Habe viel zu große Angst vor einer möglichen Enttäuschung. Und obwohl mich sein Mana einschließt, mir Wärme spendet, kann ich nicht aufhören zu zittern.
Das Brüllen des Dämons dringt nur dumpf an mein Ohr. Die Geräusche werden überdeckt von dem Rauschen in meinem Kopf. Druckwelle um Druckwelle fegt über die schützende Barriere. Sie wird schwächer. Das Mana des Großmagiers fließt aus meinem Körper, wird von der Gestalt direkt vor mir angezogen. Zurück zu seinem Herrn. Und endlich traue ich mich die Augen zu öffnen.
Wie in ein gleißendes Licht getaucht hebt sich Askyell von der alles verschlingenden Dunkelheit ab. Das silberne Haar hängt ihm wieder in dünnen Strähnen über die Ohren. Der petrolfarbene Frack mit den silbernen Details erinnert an einen Winterwald. Unter dem Stoff brodelt es. Ich spüre die blinde Wut des Großmagiers. Den Zorn, der sein Mana unkontrolliert aufsaugt.
Stille legt sich über die Ruine des einst so gemütlichen Anwesens. Der Dämon starrt Askyell einfach nur an, scheint abzuwarten oder ist vielleicht auch nur durch etwas abgelenkt, was meiner Wahrnehmung entgeht. Verschwindet. Das ist unsere Chance! Wir müssen hier weg! Wir müssen den anderen helfen. Mit pochendem Herzen springe ich auf und greife nach dem Arm des Großmagiers. Er ist so in seinem Wahn, dass er die Berührung nicht einmal bemerkt.
"Askyell?", frage ich zaghaft. Keine Reaktion. Ununterbrochen starrt er auf den Fleck, wo sich bis vor einem Augenblick noch Larox befand. "Askyell!", wiederhole ich eindringlicher. Seine Muskeln sind bis zum Zerreißen angespannt. Das Gesicht zu einer Grimasse des Zorns verzogen. Ich zucke zurück. Taumle, falle. Beruhig dich! Ich schüttle die Angst ab, die mich zu übermannen droht. Sende Askyell die Bilder aus meinem Kopf. Die Schreie der Ratsmitglieder. All das Blut. Unsere Familie. Und er versteht. Gott sei Dank, er versteht! Seine Magie bekommt eine andere Farbe, hüllt mich stärker ein.
Einen Wimpernschlag später bin ich zurück in dem Versammlungsraum des Rats der Magier. Werde sofort erschlagen von dem fauligen Gestank, den widerlichen Geräuschen von zerberstenden Leibern. Die Schlacht wütet in vollem Gange. Blitze zerschlagen die Reihen von Gesichtslosen. Unweit von mir entfernt, labt sich eine Gruppe von Dämonen an der Essenz eines ohnmächtigen Magiers. Ich muss ihm helfen! Stolpere über Trümmer. Eine astrale Wand stoppt mich. Mit rauschendem Puls drehe ich mich zurück zu Askyell. Reglos steht er einfach nur da inmitten der leblosen Körper. Seine grauen Augen sind in dunkle Schatten gehüllt. Die Haare scheinen von einem leichten Wind erfasst. Die Luft erzittert von seiner Macht. Und der Großmagier explodiert.
Wie eine Feuerwalze verschlingt sein Mana all die Dunkelheit. Die Gesichtslosen versuchen durch die Risse zu flüchten, doch Askyells Macht spannt sich wie ein Käfig über das gesamte Schlachtfeld. Lässt die blassen Körper lichterloh brennen. Schreie hallen von den Mauern wider. Der Großmagier vernichtet alles, bis nichts mehr von diesen Kreaturen übrigbleibt. Selbst die Asche der verbrannten Körper wird fortgeschleudert. Und er will mehr.
Das Feuer weicht einem violetten Nebel. Greift um sich. Das Gift lässt die Gesichtslosen aus den leeren Augenhöhlen und Ohren bluten. Lässt sie krampfend am Boden zappeln. Und er will mehr.
Mit langen Schritten tritt er durch die Wolke, zerrt einen sich windenden Körper in die Luft. Sein Hass nährt seine Macht. Mit einem einzigen Ruck reißt er dem Dämon einen Arm ab. Ich schreie, ertrage den Anblick seiner Grausamkeit nicht mehr. Sacke zusammen. Presse mir die Hände auf die Ohren und versuche die Bilder in meinem Kopf loszuwerden.
Mein Puls rast. Mir ist schlecht. Sie sind alle tot. Wegen mir. Die Welt liegt in Trümmern. Wegen mir. Ich bin ein Mörder. Ich bin ein Monster. Noch immer drohen mich die Gefühle zu ersticken - die Ängste der Fallenden, ihre Wut. All die letzten Gedanken im Anblick des Todes. Ich ertrage es nicht länger!
Geschockt halte ich inne, finde zurück in meinen eigenen Körper. Spüre die Verbindung zwischen mir und dem Tigerauge, zwischen den Steinhälften, zwischen Askyell und diesem winzigen Splitter in seiner Hand.
Die Gedanken des Großmagiers, seine Erinnerungen, die Bilder, die ungehindert durch die Macht des Malachits auf ihn einströmen. Wie soll ein Mensch das ertragen? Ich balle die Hände zu Fäusten. Es reicht! Wische ich mir die Tränen weg. Kämpfe mich wieder auf die Füße. Der brausende Sturm von Askyells Mana schleudert mir unzählige Splitter entgegen. Schneiden mir durch das Fleisch. Ich halte mir einen Arm schützend vors Gesicht, während ich mich nur langsam vorwärts gegen den Wind stemmen kann.
Die Stimmen in meinem Kopf werden mit jedem Schritt lauter. Sie dürsten nach Rache. Trauern um Geliebte. Ich rutsche auf dem warmen Blut eines Ratsmitgliedes aus. Ziehe mich über den Boden und erreiche endlich Askyell. Und er bemerkt mich nicht einmal. Das Chaos in meinem Kopf hat sich zu einem einzigen, ohrenbetäubenden, andauernden Klang des Schreckens vereint. Hört auf! Das muss aufhören! Ich will mir die Ohren abreißen, mir mit einem Ruck den Hals durchtrennen. Aber ich darf nicht. Ich muss weiter.
Zähneknirschend stemme ich mich hoch. Schmiege mich erschöpft an den bebenden Rücken meines Großmagiers. Lege ihm sanft die Arme um den Körper. Ich sammle meine letzte Kraft und lasse einen kleiden Faden meiner Magie in sein Netz einfließen. Einen Wunsch.
"Bleib bei mir."
Es wird still. Der Sturm legt sich. Nur noch das leise Klackern der Steine ist zu hören, die der Vibration des Bodens nachgeben. Keiner ist imstande etwas zu sagen und niemand wagt sich umzusehen, wer noch steht. Wer noch ist. Unter meinen Händen spüre ich das wild klopfende Herz von Askyell. Und von einer Sekunde auf die nächste ist die Ruine fort. Seine Wärme fort.
Ich blinzle in Anbetracht des grellen Sonnenlichts. Das Brausen der Wellen erfüllt meine Ohren. Wo sind wir? Endlich haben sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt. Suchend blicke ich mich um, finde Askyell am Rande einer Klippe. Und dann hallt sein Schrei in meinem Kopf. Immer und immer wieder. Er lässt die gesamte Wut raus. Die Trauer, die ihn gefangen hält. Sein Schmerz. Erschöpft weine ich mit ihm. All das Grauen der vergangenen Tage bricht über mich ein. Die Bilder aus dem Fernsehen. Die zerstörten Städte. So viele mussten ihr Leben lassen. Die schrecklichen Momente, die ich durch das Band zum Großmagier miterleben musste. Ich weiß nicht wie viel Zeit vergeht bis Askyell endlich erschöpft zusammensackt.
Jemand legt eine wärmende Decke um meine bebenden Schultern. Mr. Warden. Ein tiefer Schnitt zieht sich über sein Gesicht, über sein rechtes Auge. Ich unterdrücke den Impuls wegzusehen, zolle ihm den Respekt, den er verdient. Lady Chastain humpelt an uns vorbei. Ich beobachte wie das Sonnenlicht und die Brise des Meeres in ihren Haaren spielt. Sie ihren Enkel weinend an sich drückt. Die Freude und die Erleichterung. Dass dieser eine Moment ihr all den Schmerz und das Leid wert ist. Liebe.
Er sieht sie einfach nur an. In seinem Blick liegt so viel Trauer. Die dunklen Schatten um die Augen, die eingefallen Wangen, die zusammengepressten Lippen. Mein Herz verkrampft sich.
Ich liebe ihn.
Meinem Plan nach werden es 48 Kapitel. Also geht es in großen Schritten auf das Ende zu. Ich hoffe, ihr seht mir nach, dass ich deswegen aktuell länger zum Uploaden brauche - für mich ist das Ende einer Geschichte immer am schwersten zu schreiben.
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