Kapitel 43
Askyell
Ohne zu blinzeln starre ich hinauf zu dem kleinen Stück Decke, welches gerade so durch den zerfetzten Stoff des Himmelbetts blitzt. Schwarzer Schimmel sammelt sich dort oben, späht wie ein neugieriges Auge zu mir herab. Ich konzentriere mein gesamtes Sein auf dieses winzige Detail, während mein Atem ruhig und kontrolliert geht. Mein Herz im Takt zu dem gleichmäßigen Heben und Senken meiner Brust schlägt.
Ich spüre jede einzelne Faser meines Körpers. Die Muskeln, sein Gewicht. Führe sanft die Fingerkuppen zusammen. Ich bin bereit. Atme ruhig aus, während ich parallel die Augen schließe und innerlich meine Essenzbahnen entlangfahre. In zarten Fäden sende ich mein Mana hinaus in das Anwesen. Unsichtbar tastet es jede einzelne Struktur ab. Verweilt, arbeitet sich voran bis es jeden Raum erfüllt.
Wo bist du? Vollkommen ungerührt schicke ich diese Frage über mein gesponnenes Netz. Horche auf ein Echo, auf eine Antwort. Nichts. Noch einmal kontrolliere ich, ob mein Handeln unbemerkt bleibt. Keine Regung. Weder von Lord Berggren, noch von einem Gesichtslosen. Nur einer spürt die Veränderung: der lauernde Dämon vor meinem Fenster. Larox. Und mir wird schon wieder schlecht.
Immer dichter rückt er heran. Lässt seine Fangarme über die Scheibe gleiten, während das Glas vibrierend antwortet. Sucht nach mir, dem Monster, welches sich sein Mana zu eigen gemacht hat. Ich sehe wieder Vater vor mir, wie er versucht sich zu erklären. Was für eine Ironie! Mein ganzes Leben lang hatte ich das Gefühl nirgendwo hinzupassen. Und dann das. Es war nie vorgesehen, dass ich lebe. Die Erkenntnis lässt mich immer noch erschaudern. Aber hier bin ich nun.
Doch jetzt ist weder die richtige Zeit, noch der rechte Ort um darüber nachzugrübeln und so schiebe ich eine undurchdringbare Barriere in meinem Kopf vor diese Gedanken. Ich muss mich konzentrieren. Darf keinerlei Emotionen in mein Netz einfließen lassen. Viel zu hoch wäre dann die Gefahr entdeckt zu werden und ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass ich eine zweite Chance bekommen würde.
Und so zieht mein Mana seine Kreise bis es nur noch einer Ahnung entspricht. Ich würde so gerne eine Welle hinausschleudern, muss mich jedoch mit diesem Tropfen an Essenz zufriedengeben. Alles andere würde nur die Aufmerksamkeit auf mich lenken.
Endlich! Mir stockt kurz der Atem, als ich die zögerliche Resonanz spüre. Sofort manifestiert sich eine zarte Verbindung, in der mein gesamtes Sein zu zerfließen droht. Diese Macht, die hungrig nach mir greift. Der Malachit.
Ich unterdrücke den Impuls sofort loszustürmen, ein Portal zu öffnen. Aber ich darf mich dieser Versuchung nicht hingeben. Muss zunächst herausfinden, wie ich das hier noch aufhalten kann. Der Übergang - so hatte mein Vater das geplante Ritual bezeichnet. Eine nette Umschreibung für offenbar das Ende der Welt.
Es ist wie ein leichtes Ziehen in der Magengegend. Ich kann dieses Gefühl nicht genauer erklären, aber ich spüre wie ein Licht nach dem anderen erlischt. Die Magie der Welt immer schwächer wird. Wie nur von einem Schleier getrennt, flüstert sie mir ihre Geheimnisse zu. Meine Welt, die ich zu beschützen geschworen habe. Nur noch ein Trümmerhaufen. Und alles wegen mir, wegen meinem Vater.
Die zu mir wandernde Macht des Amuletts erzählt mir von der Angst und dem Chaos. Ich drohe darin zu ertrinken. In all den Emotionen. In all den Bildern. Und auf meinen Lippen liegt ein Name.
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Mit präzisen Griffen flechte ich das glänzende Haar meiner Schwester, während sie mich durch unser Spiegelbild zufrieden anlächelt. Dann fasst sie nach meiner Hand, streicht mir sanft über die Haut. "Es ist so schön dich wieder bei uns zu haben, Ask." Ich erwidere ihren Blick und stecke noch ein paar lose Haarsträhnen mit perlenbesetzten Haarnadeln fest. Zufrieden hüpft Kaya von dem reich verzierten Stuhl und tritt vor einen bodentiefen Spiegel. Während sie sich dreht, flattern ihre Röcke.
"Wie sehe ich aus?" Ich mustere ihre zierliche Gestalt von oben bis unten. Ignoriere das Blut an ihren Händen.
"Wunderschön. Wie eine Mondprinzessin." Kaya strahlt über beide Ohren und macht einen tiefen Knicks. Ich verbeuge mich meinerseits und streiche über den bestickten Besatz meines Fracks. "Ich glaube, Vater hat bei mir ein wenig übertrieben."
Kaya legt den Kopf schräg und sofort lösen sich wieder einzelne schwarze Locken.
"Finde ich nicht. Nur deine grauen Haare sind gewöhnungsbedürftig. Schlimmer als bei Papa." Über diesen Vergleich muss ich grinsen und meine Eitelkeit versetzt mir einen Stich. Als hätte Kaya meine Gedanken gelesen fügt sie hinzu: "Aber du kannst es tragen."
Sie streckt mir ihre Hand hin. Ich unterdrücke meinen Widerwillen und umfasse die eiskalten Finger. Die Abscheu hilft mir, die Distanz zu wahren. Erinnert mich daran, dass dieses Mädchen nur ein Abbild meiner Schwester ist. Der Charakter einer Achtjährigen in dem Körper einer heranwachsenden – Vaters bizarres Konstrukt.
Und so schreiten wir durch den dunklen Flur in einer Dimension, wo es niemals Tag sein wird. Ich spüre wie die Melancholie wieder nach mir greift, sich in meinen Gedanken ein Nest baut. Wo noch vor kurzem Seelenfrieden herrschte, tobt wieder der Sturm.
"Worüber denkst du nach Ask?"
"Nichts bestimmtes."
"Über diese Frau?" Ich stolpere beinahe. Muss mich zusammenreißen, dass mein Mana nicht anschwillt, nicht die Verbindung zum Malachit auffliegt. "Du hast sie gern, richtig? Warum fragst du Vater nicht, ob wir sie mitnehmen können?"
Weil sie mich dann hassen würde. Weil sie niemals einfach so gehen würde. Weil ich kämpfen will. Aber stattdessen lüge ich: "Wozu, ich will doch bei euch sein." Kaya nickt, als wäre das natürlich eine vollkommen plausible Erklärung. Wir biegen ab in einen Seitenflur und da steht er: Lord Berggren. Seine Miene verrät nichts. Die Hände in den Hosentaschen versteckt.
"Ihr habt euch ganz schön Zeit gelassen."
"Ask musste mir bei meiner Frisur helfen", trällert Kaya fröhlich als Antwort, während ich mich zu einem offenen Lächeln zwinge. Ich spüre wie mein Vater in meinem Blick die Abneigung sucht. Aber über seinen Augen liegt ein grauer Schimmer. Er ist wirklich alt geworden und sieht offenbar nur noch das, was er sehen will: seinen liebenden, dankbaren Sohn. Also lege ich ihm meine Hand auf den Rücken und sage: "Wir sollten Mutter nicht länger warten lassen." Und er stellt keine Fragen mehr.
Während Kaya sich von allen Gemälden und Skulpturen in den düsteren Gängen verabschiedet, folge ich schweigend meinem Vater. Immer weiter hinab zum Kellergewölbe. Wie klischeehaft! Aber somit wird alles einfacher und ich frage mich, ob das noch Zufall ist. Das vor uns aufragende, finstere Mauerwerk wird nur spärlich durch flackernde Kerzen beleuchtet. Es eröffnet sich eine ausladende Halle. Die Wände enden in einer eindrucksvollen Kuppel, durch deren Mitte ein schmaler Mondschein hinab auf einen Altar fällt. Das Licht bricht sich auf der funkelnden Oberfläche des Malachits. Also kein Zufall.
Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen, denn offenbar hat mein Vater die Verbindung noch immer nicht bemerkt. Oder er unterschätzt mich gewaltig. Aber mir soll es recht sein. Ich bin vorbereitet.
Hinter dem kunstvoll aus Stein geschlagenen Opfertisch steht meine Mutter. Wie immer dasselbe Lächeln, welches nie ihre Augen zu erreichen scheint. In ihren Händen hält sie einen zierlosen Athame, der ebenso wie ihr Kleid durch ein schlichtes Schwarz besticht. Eine reine Klinge aus Finsternis.
Vorsichtig nimmt mein Vater ihn entgegen. Will sich umdrehen, doch meine Mutter hält ihm am Arm zurück. Ich sehe wie ihre Lippen sich bewegen und mein Vater ihr als Antwort einen Kuss auf die Stirn drückt. Ich merke wie der Kloß in meinem Hals größer wird. Vielleicht bin ich doch nicht bereit. Und vielleicht werde ich es auch nie sein. Aber es gibt kein Zurück mehr, keine zweite Chance und es geht um so viel mehr als nur um mich.
Während Lord Berggren ein ledergebundenes Buch aufschlägt, gesellt sich meine Mutter zu uns. Sie streicht sanft über die Wange meiner Schwester. Dann nimmt sie meine Hand, während sich ihre Augen auf den Rücken meines Vaters richten. Wie er mit fließenden Bewegungen ein Muster aus Runen auf den Boden zeichnet. Ich frage mich, an welchen Ort er zu flüchten versucht, dass sogar er mit der Macht des Malachits noch zusätzlich die Kraft von magischen Symbolen benötigt.
Durch das sanfte Drücken meiner Finger lenkt meine Mutter meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. "Bist du bereit?" Eine seltsame Frage, aber ohne genau zu wissen, was sie meint, nicke ich. "Weißt du, ich habe dich beobachtet." Schlagartig versteife ich mich. "Wenn du Klavier gespielt hast. Wenn du getrunken hast. Wenn du heimlich bei Jeff auf dem Dach geraucht hast." Ich bekomme keine Luft mehr. Aber sie lächelt mich an, als wäre nichts. "Schau nur, was aus dir geworden ist! Wir sind so stolz auf dich." Ihre Worte sind nur noch ein Flüstern. Ich unterdrücke die Tränen, weiß nicht wohin mit mir. Möchte schreien.
Ein letztes Mal drückt sie meine Hand. Dann geht sie auf meinen Vater zu. Ich will nach ihr greifen. Wenigstens noch einmal sie berühren. Warum muss es so verdammt schwer sein? Ich kann sie nicht länger ansehen, ohne wahnsinnig zu werden. Also drehe ich mich zu Kaya um. Ausdruckslos starrt sie vor sich hin. Zaghaft berühre ich ihre Schulter. Keine Reaktion. Und dann trifft mich die Erkenntnis.
Wie in Zeitlupe schaue ich zurück zu meinen Eltern. Mein Instinkt schreit mir zu, wegzusehen. Aber ich bin wie gelähmt. Und dann geht alles blitzschnell. Ein dumpfes Geräusch, als Metall Haut und Fleisch durchsticht. Ein erstickender Laut aus der Kehle meines Vaters. Blut. Überall Blut. "Askyell, schnell!" Die Stimme meiner Mutter. Der Ausdruck in ihren Augen und die Lippen die die Worte formen: "Diese Bürde trage ich für dich."
Während ihr Körper in sich zusammenzufallen droht, das Gemäuer ächzt, die Dimension zerbricht, greife ich fast schon unentschlossen nach meinem Amulett. Das elektrisierende Gefühl durchfährt meinen Körper, als die Macht in seiner ganzen Stärke auf mich einströmt. Ein letzter Blick zu dem, was noch gerade das Gesicht meiner Mutter trug. Wie eine Wachsfigur zerfließt die Gestalt, doch in meinem Kopf hallt ihre Stimme: "Sie ruft nach dir. Beeil dich!" Und dann höre ich es auch. Cat. Ich schlucke die Galle hinunter und ohne mich noch einmal umzublicken öffne ich das Portal.
So, nachdem Wattpad nach dem ersten Hochladen den Inhalt gelöscht hat, hier versuch Nr. 2! Hoffe euch gefällt es und vielen Dank für die 1.5k Reads! :)
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