Kapitel 42
Zwölf Mitglieder. Mit uns insgesamt 17 Magier.
"Das reicht niemals", bemerkt Mr. Warden seufzend.
"Jeff, mach dich lieber nützlich und massier mir die Beine", stöhnt Lady Chastain, die sich theatralisch auf einem der Ränge rekelt. Ich weiß nicht, was mich mehr verstört. Die Tatsache, dass sie ihren Schwiegersohn dazu auffordert oder das Jeff mit einer Zigarette im Mundwinkel ihrem Befehl wirklich nachkommt. Und so sehe ich zu, wie Mr. Warden ihr die Waden lockert.
"Daran gewöhnt man sich nie." Ich nicke Colette verständnisvoll zu. Manchmal vergesse ich, wie bizarr diese Familie eigentlich ist. "Willst du Askyell wirklich zurückholen? Ich meine, noch kannst du vor denen fliehen", witzelt die Gräfin. Ich schmunzle, frage mich, warum die Stimmung so ausgelassen erscheint.
Als könnte Ms. Gao meine Gedanken lesen, flüstert sie: "Die Ruhe vor dem Sturm." Dabei beobachtet sie ihren Großvater, der fein säuberlich die Runen in die Mitte des Versammlungsraumes prägt. Leuchtend flackern die Symbole spiralförmig um den alten Mann. Zarte Linien verbinden sie, folgen dabei scheinbar keinem Schema. Als würde das Chaos regieren – ein Zeichen der schwarzen Magie.
Aufmerksam folgen auch die anderen Ratsmitglieder jeder seiner Bewegungen. Ich spüre ihre innere Unruhe. Jede Sekunde, die verstreicht, wird mit einem Zucken kommentiert. Zu warten, während draußen der Kampf tobt, gleicht reiner Folter. Nur zu gut kann ich sie verstehen, doch gerade müssen wir das Beste daraus machen.
Ich habe Arvis damit beauftragt einen Fluchtplan auszuarbeiten. Auch wenn Mr. Warden diese Aufgabe nur mit einem Kopfschütteln bewertet hat. Natürlich weiß ich selbst, dass wenn etwas schief geht, wir wahrscheinlich gar nicht mehr dazu in der Lage sind zu entkommen. Aber die rothaarige Frau hatte akribisch den Versammlungsraum unter die Lupe genommen und alles bis ins kleinste Detail analysiert. Und nichts gefunden. Keinen Ausweg. Kein Schlupfloch. Wir sind gefangen.
Ich merke, wie bei diesen Gedanken sich meine Muskulatur verkrampft. Ich mir das Tigerauge fast in die Handfläche bohre. Beruhig dich. Panik hilft dir jetzt auch nicht weiter. Mit geschlossenen Augen lasse ich die Schultern kreisen. Versuche mich zu entspannen. Es bringt nichts jetzt den Kopf zu verlieren. Also wende ich mich wieder den schönen Frauen vor mir zu. Colette hält Ms. Gaos Hand in ihrer und kreist sachte mit einem Finger über die Handinnenfläche.
Unser Plan ist riskant. Sie wissen, dass sie sterben könnten. Und trotzdem sind sie hier. Gemeinsam. Mir schmerzt mein Herz. Ich wünsche mir, dass ich hätte noch so viel machen können. Meine Mutter noch einmal umarmen. Die Stimme meines Vaters hören. Ich weiß noch immer nicht, ob er überhaupt noch lebt.
Und da ist es. Lord Gao spürt es zuerst. Nur der kleine Windhauch einer Veränderung. Mein Herz setzt aus. Und dann kreischt der Boden zu unseren Füßen, während die Erde bebt. Eine unsichtbare Macht reißt Steine auseinander. Züngelnde Schatten greifen um sich. Ich bin wie erstarrt, während Stimmen lauter werden.
Werde plötzlich nach hinten gezerrt. Stolpere Colette hinterher, die meinen Arm fest umklammert hält. In meinem Kopf dröhnt der Tinnitus. Ich habe das Gefühl, dass ich keine Luft bekomme. Verstehe nicht, was sie schreien. Mein Verstand erfasst die Worte nicht.
Magie brennt um mich herum. Ich versuche Colettes Gesicht scharf zu stellen, doch meine Augen fokussieren die Tür in ihrem Rücken. Die Tür, die aus den Angeln gehoben wird. Die Tür, wo nur noch ein schwarzes Loch klafft, aus der unzählige Gesichtslose strömen. Es ist zu spät. Wir haben versagt. Ich habe versagt! Eine Ohrfeige. Erschrocken halte ich mir die Wange. "Reiß dich zusammen", zischt Colette, während sich bereits ihre dämonische Gestalt manifestiert.
"Lauf!" Ein Befehl und ich renne, während mir die Tränen in die Augenwinkel steigen. "Askyell!", schreie ich in meinen Gedanken. Ein hoffnungsloser Versuch den Großmagier zu beschwören. Ms. Gao verteidigt unser Fluchtportal. Der Schlüssel steckt bereits, ich muss ihn nur noch umdrehen und würde mich wieder in den sicheren Wänden des Anwesens befinden.
Wankend weiche ich einem Steinschlag aus. Rolle mich ab, während ich mit weit aufgerissenen Augen Lady Chastains Macht bewundere. Eine Feuerwalze fegt über die Gesichtslosen hinweg. Während zeitgleich ein tobender Sturm von der anderen Seite auf sie zurast. Die Macht von Lady Chastain und Mr. Warden vereint sich zu einem flammenden Tornado. Ich spüre, wie seine Kraft an mir zerrt, mich zu verschlingen droht.
Essenz explodiert. Die Gesichtslosen zerfallen zu Staub, während der Altgroßmagier seine Magie entfesselt. "Askyell!", brülle ich wieder stumm in mich hinein. Fokussiere mich auf diesen unscheinbaren Stein in meiner Hand. Versuche eine Verbindung zu spüren. Doch am Ende erwartet mich nur die Leere. Ich rapple mich auf und laufe weiter in Richtung Ausgang.
Ein ohrenbetäubender Schrei lässt mir das Blut in meinen Adern gefrieren. Das gleißende Licht verbrennt mir beinahe meine Augen. Finsternis zerreißt die Luft. Während tausend Lichtpartikel mir die Sicht verschleiern, sehe ich mich plötzlich einem riesigen Dämon gegenüberstehen. Aus dem verzerrten Gesicht mit der zerdrückten Nase zischt mich eine gespaltene Zunge an. Unwillkürlich weiche ich zurück. Der baumhohe Körper ist von einer schwarzen, gepanzerten Haut überzogen. Aus Löchern quillt gelber, beißend stinkender Schleim. Hände und Füße enden in messerscharfen Krallen. Wenn die Menschen doch nur wüssten, wie sehr ihre Horrorgestalten den echten Dämonen ähneln.
Zitternd sehe ich mit an, wie sich der Arm der Bestie zu einer massiven, organischen Lanze verformt. Mein Schild wird mich nicht retten! Aus Reflex halte ich die Hände schützend vor meinen Körper. Spüre den Windzug. Die Wucht des Aufpralls schleudert mich gegen einen warmen, massiven Körper. Eine wuchtige Axt hat die Lanze abgewehrt. Während der Dämon tobt, weiche ich von Colettes Diener zurück. Flüchte aus der Schusslinie.
Ich zwänge mich zwischen Bänken hindurch. Hinter mir bricht ein Kampf der Giganten aus. Ich habe das Gefühl, dass ich Colettes geflügelte Gestalt über mir spüre. Ungeschickt weiche ich magischen Strömen aus. Komme wieder auf die Beine und renne! Springe über den Schutt. Außer Atem beobachte ich wie sich die Ratsmitglieder wacker schlagen. Nur noch ein bisschen!
Und die Zeit steht still. Alle Geräusche sind verstummt. Nur ein unbekanntes Flüstern dringt in unsere Köpfe. Verspricht. Verführt. Befiehlt. Ich muss nicht hinsehen, um zu wissen, was dort in unserer Mitte erschienen ist. Auf seine Beute lauert. Larox! Wir haben keine Zeit mehr.
Mit voller Wucht werfe ich mich in die Bewegung. Durchbreche die Starre, die mich gefangen hielt. Es ist wie ein Peitschenhieb, ein Antrieb für die Zeit. Die Erde dreht sich weiter, die Kampfgeräusche erfüllen den Raum, der unter der Macht des Feindes erzittert. Wir waren so dumm. Als hätten wir jemals etwas gegen dieses Wesen ausrichten können.
Ich drehe mich nicht um. Das Entsetzen in den Augen von Ms. Gao reicht, um zu wissen, was sich hinter mir abspielt. Die angsterfüllten Schreie. Die Kerzen erlöschen. Finsternis breitet sich aus. Stolpernd komme ich zum Stehen. Ohne einen weiteren Gedanken drehe ich den Schlüssel herum und springe über die Schwelle. Gehe zu Boden, während ich mit dem Fuß die Tür zutrete.
Mein ganzer Körper will verschnaufen. Mein Atem ähnelt nur noch einem Rasseln. Ich will einfach nur liegen bleiben. Aber dafür ist keine Zeit. Also springe ich auf und rase Richtung Küche. "Ms. Doll!", brülle ich aus vollem Halse. Die Haushälterin kommt mir entgegen. Ihre ausdruckslose Miene verrät nichts.
Sie setzt gerade an:" Ja, Ms. Lind...", als ich sie packe. Ihr direkt in die Augen starre. Der Plan muss funktionieren.
Und dann entfessle ich die Macht des Tigerauges. Ich spüre die pulsierende Magie von Askyell. Greife nach ihr. Das Muster manifestiert sich vor mir. Mache es mir zu eigen. Sauge all die Schutzzauber und Verschleierungen auf. Entblöße das Eigentum des Großmagiers. Ich spüre wie die Welt um mich herum zu zerreißen droht. Spüre wie sehr der Dämon diese Macht begehrt. Und dann schleudere ich die Magie hinaus. Gebündelt in einem letzten Schrei: "Askyell!"
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