Kapitel 41
Nervös knete ich den kleinen Stein. Schwanke zwischen Frieren und Schwitzen während die anderen so gelassen wirken. Immer wieder gehe ich die Worte stumm durch. Verhaspel mich. So ein Mist!
„Alles in Ordnung?" Colette hat ihre Hand beruhigend auf meinen Rücken gelegt. Nein, nichts ist gut, aber ich ringe mir ein gequältes Lächeln ab. „Du musst das nicht tun. Das weißt du, oder?" Ich nicke. Natürlich weiß ich das. Aber ich sehe die Erwartung in ihren Augen. Die Erwartung an mich selbst. Ich werde die Ratsversammlung nicht als kleine Artefaktspezialistin, sondern als die Stellvertreterin des Großmagiers betreten. Als Askyells Verlobte. Ich werde ihnen beweisen, dass ich mehr bin. Wenn ich doch nur nicht so schrecklich nervös wäre!
Knarzend dreht sich der goldene Schlüssel im Schloss der unscheinbaren Tür zur Besenkammer. Wir hätten wenigstens die aufwendig mit Ornamenten gestaltete Eingangstür als Reiseportal nehmen können. So wirkt es einfach nur grotesk. Atme.
Ich rufe mich zur Ordnung und streiche sanft über die reich verzierte Maske. Das Porzellangesicht mit den schwarzen Lippen und der Narrenkrone. Die bimmelnden Glöckchen. Mir schießt ein Bild in den Kopf: Askyells schelmisches Grinsen mit dem Spott in seinen Augen. Vorsichtig, als würde ich diese Erinnerung nicht zerbrechen wollen, setze ich die Maske auf. Die kühle Oberfläche hat etwas Beruhigendes an sich.
Dann schwingt die Tür auf. Die Finsternis wird nur durch den spärlichen Schein einiger Kerzen durchbrochen. Ein letztes Mal mustere ich die anderen. Alle tragen wir schwarze Eleganz. Keine Rüschen, keine Steine. Einfache Schlichtheit im Anbetracht des Chaos um uns herum. Ich atme tief ein und versuche meinen Puls zur Ruhe zu zwingen. Lord Gao nickt mir kaum merklich zu und ich weiß, dass es kein Zurück mehr gibt.
Während das Klackern unserer Absätze durch den Raum hallt, würdige ich die leeren Ränge keines Blickes. Steuere unbeirrt auf mein Ziel zu: das Podest mit dem vertrauten Thronpaar. Sanft streiche ich über die Lehne des leerbleibenden Stuhls. Ich ignoriere das Ziehen in meinem Magen. Doch die Worte dringen ungehindert in meine Gedanken. Monster. Mörder. Totgeburt, füge ich zitternd hinzu. Ich versuche immer noch das Gesagte zu verarbeiten. Zu verstehen, wie es sich für sie anfühlt. Zugesehen zu haben, als Askyells Macht immer größer wurde. Die Gefahr, die jeder erkannte, nur seine Eltern nicht akzeptieren wollten. Unweigerlich erinnere ich mich an die Momente, in denen ich mich vor dem Großmagier gefürchtet habe. Die Kälte in seinen Augen. Aber Askyell ist so viel mehr.
Das sind wir beide. Und es liegt an mir es der Welt zu sagen, zu zeigen. Denn endlich kenne ich den Inhalt der Bücher. Eigentlich total offensichtlich. Sie beherbergen das Ritual, welches Lord Berggren genutzt hat um das uralte Wesen „Larox" zu beschwören. Ein Dämon, der sich von Mana ernährt. Die Gestalt beschrieben als ein allesdurchdringendes Auge. Das Wesen, dessen Magie Askyell das Leben ermöglicht hat. Das Wesen, welches uns auf dem Eifelturm fast umgebracht hätte.
Nachdenklich lasse ich das Tigerauge zwischen meinen Fingern hin und her wandern. Der Schlüssel zu den Büchern. Das fehlende Puzzleteil um ihren Inhalt zu entziffern. Deswegen haben Lady Chastain und Mr. Warden nichts gefunden. Und mir wäre es auch fast entgangen, wenn ich dieses zarte Zupfen an meiner Essenz nicht gespürt hätte, als ich den kleinen Stein in der Hand hielt und mit der anderen das Buch berührte.
Langsam frage ich mich, ob Lord Berggren weiß, dass ich mich an den kleinen Stein festklammere. Ob er bewusst zugelassen hat, dass ich das fehlende dritte Buch in seinem Arbeitszimmer finde. Ob er verzweifelt einen Weg sucht doch noch das Schicksal seines Sohnes und der ganzen Welt abzuwenden.
Askyell lebt. Und bei diesem Gedanken wird mir immer noch warm ums Herz. Vielleicht hat er uns alle verraten. Aber vielleicht ist er auch nur eine Schachfigur in diesem Chaos. Gefangen in einem ungewollten Schicksal auf der falschen Seite. Das Monster hat ihn angegriffen. Vielleicht kein richtiger Beweis für seine Unschuld, aber er hat mich immer beschützt. Ich erinnere mich an die Abscheu in seinen Augen, als er mich fragte, ob ich ihn für einen Mörder halte. Nein, er würde die Menschheit nicht zu Grunde richten.
„Cat, was denkst du?" Ich zucke bei meinem Namen zusammen. „Wie bitte?", frage ich irritiert. Trotz der Masken erkenne ich die fassungslosen Gesichter. Selbst in diesem Moment habe ich es geschafft in meinen Gedanken abzudriften. Peinlich.
Lord Gao fängt sich als erstes und wiederholt: „Es ist niemand hier." Ich nicke, schlucke die Unsicherheit herunter. Sie müssen kommen. Wir brauchen sie. „Vielleicht sollten wir wieder ins Anwesen zurückkehren. Hier ist es nicht mehr sicher", ergänzt Mr. Warden. Da alle Blicke auf mich gerichtet sind, erkenne ich, dass die Entscheidung von mir abhängt. Aber wir können nicht weg.
„Sie werden kommen", erwidere ich mit fester Stimme.
Warten. Aus Sekunden werden Minuten. Aus Minuten wird eine Stunde. Die Luft knistert vor Anspannung. Colette tigert wie eine eingesperrte Wildkatze umher, während Yang die Augen geschlossen hält, so als würde sie schlafen. Gleichzeitig brüten Gao, Lady Chastain und Mr. Warden über einer Karte. Suchen eine alternative Lösung. Aber die gibt es nicht.
Mein Mana durchströmt den gesamten Raum, tastet nach einem Fremdkörper, einem Hinweis darauf, dass wir nicht mehr alleine sind. Sei es Ratsmitglied oder Dämon. Und da ist es: ein kurzes Aufflackern. Ich halte die Luft an, unfähig mich zu bewegen. Aus der Finsternis tritt ein Kuttenträger mit einer Bärenmaske. Ich möchte weinen. Einer. Wenigstens einer ist gekommen!
Ohne ein Wort zu sagen nimmt er Platz. Die Augenlider geschlossen, schenkt er uns keine Beachtung. Ich will etwas sagen, doch Lord Gao hält mich zurück. Und dann spüre ich es auch. Einer nach dem anderen taucht auf. Die Ränge füllen sich. Nicht jeder Platz wird besetzt, aber sie kommen. Sie kommen wirklich! Ich würde am liebsten jubeln! „Freu dich nicht zu früh, Mädchen", ertönt Lord Gaos Stimme in meinem Kopf, „nur weil sie hier sind, heißt es nicht, dass sie kämpfen werden." Ich schlucke. Er hat Recht. Aber sie wären Narren, wenn sie unsere letzte Chance verspielen würden. Ein gemeinsames Ritual. Geballte Magie. Nur so können wir Askyell aus der anderen Dimension retten.
Ich bin überrascht wie ein Raum voller Menschen so still sein kann, dass ich mein eigenes Blut rauschen höre. Stumm zähle ich die Sekunden. Seit etwa fünf Minuten ist kein weiteres Ratsmitglied aufgetaucht. Meine Augen fliegen über die Ränge hinweg. Werden sie reichen?
Und dann gibt mir der Altgroßmagier das Zeichen. Keine Zeit mehr für Fragen. Ich konzentriere mich, atme tief ein und wieder aus. Erhebe mich fast schon anmutig. Ich bin selbst überrascht wie ruhig ich bin, während es doch eigentlich in mir toben sollte. Jede Bewegung sitzt. Einstudiert mit Lady Chastain, wie eine Choreographie.
„Hiermit eröffne ich die einberufene Sondersitzung des Rates der Magier. Ich danke im Namen des Großmagiers für euer Erscheinen." Mit einer eleganten Handbewegung weise ich auf Lord Gao. „Im Anbetracht der Umstände erweist Altgroßmagier Gao uns die Ehre der heutigen Sitzung beizuwohnen und uns mit seinem Wissen in diesen schwierigen Zeiten zu unterstützen."
„Was soll der Mist? Wir sind im Krieg. Während wir hier eurem Geschwafel zuhören, sterben gerade Unzählige da draußen!" Ich erstarre. Bin unfähig noch etwas zu sagen. Erkenne sie sofort. Es ist die Frau, die bei meiner ersten Ratssitzung Askyell Untätigkeit vorgeworfen hatte. Ihre klaren Augen fixieren mich. „Aber davon wisst ihr ja nichts. Ihr habt euch ja schließlich schön in dem Haus des Großmagiers versteckt!"
Ich zucke bei ihren Worten zusammen. Mr. Warden hatte mich darauf vorbereitet. Ich wusste, dass einzelne Ratsmitglieder mich anfeinden würden. Und dennoch nahm es mir die Kraft zum Atmen. Keine Anschuldigung, dass ich für den Großmagier spreche, sondern, dass ich nicht auf dem Schlachtfeld stand. Sie hat Recht. Ich war nicht da. Habe nicht das Leid gesehen und seit Tagen drehe ich meinen Kopf weg, wenn die Bilder durch die Nachrichten flackern.
Und niemand hat mich auf das vorbereitet, was jetzt kommt. Ihre Maske gleitet wie in Zeitlupe herunter, offenbart ein sommersprossiges Gesicht mit feurigem Haar und stechend grünen Augen. Eine Ohrfeige für die Traditionen des Rates. Ein Grund seine Position zu verlieren. Und dennoch steht keinerlei Reue in ihrem Gesicht geschrieben. Ich halte den Atem an. Weiß, dass ich sie der Sitzung verweisen müsste.
„Mein Name ist Arvis Dromlin. Und ich werde nicht tatenlos zusehen."
„Ignorier sie", zischt Mr. Wardens Stimme in meinem dröhnenden Kopf, „Der Rest sind alteingesessene Magier, denen ihre Stellung mehr bedeutet als alles andere. Wir brauchen viele, nicht nur eine. Auch wenn sie es aus den richtigen Überzeugungen tut." In meinen Ohren rauscht das Blut. Ich spüre die Veränderung der Atmosphäre im Raum. Die Abwertung. Die Genugtuung. Aber dann, eine weitere Maske fällt. Spüre die Erleichterung der Rothaarigen. Das war nicht geplant.
„Ich bin Lord Eron Devas und ich werde nicht tatenlos zusehen."
Lady Chastain drückt meine Hand. Ich habe gar nicht gemerkt, wie sehr ich zittere. Wie meine Beine jeden Moment nachgeben wollen. Ich weiß, was Lord Gao, was sie alle von mir erwarten, aber ich starre noch immer in diese grünen Augen. Die lodernde Flamme. Vielleicht ist sie das – die große Geste aus den Büchern und Filmen. Der Moment, wo man sich entscheiden muss. Entscheiden zwischen dem, was vernünftig ist und dem, was einen ausmacht. Und ich höre die Stimme meiner Mutter sagen: „Du warst noch nie gut darin das zu machen, was man dir sagt." Ich muss grinsen, während meine Augen sich mit Tränen füllen. Vielleicht bin ich eben nur eine Halbhexe. Und vielleicht muss ich gar nicht mehr sein.
Ohne den Blick von Arvis zu nehmen, fahre ich mit meinen Fingern unter den Rand der Maske. Unter dem spöttischen Klingeln von Glocken offenbare ich mein Gesicht und sage: „Mein Name ist Cathalea Lindgren. Und ich werde nicht tatenlos zusehen." Ein Raunen geht durch die Reihen. Sofort spüre ich die Empörung. Die Beschimpfungen prallen an mir ab, während ein Ratsmitglied nach dem anderen sich abwendet. In die Dunkelheit verschwindet. Mr. Warden auf mich einredet. Aber ich bin gefangen in dem Glänzen der Augen derer, die bleiben.
Höre auf mein immer schneller schlagendes Herz. Dann drehe ich mich zu Colette um. Ihre Augen sind weit aufgerissen. Ich spüre ihr Unbehagen. Halte ihr meine Hand hin. Auch sie hat nicht gekämpft. Wurde immer für das, was sie ist, von den lächerlichen Ratsmitgliedern mit Verachtung gestraft. Plötzlich ein Funken. Und ihre Maske löst sich in den Flügelschlägen schwarzer Schmetterlinge auf. Sie grinst. Schaut erst mich an und richtet dann ihre Aufmerksamkeit auf Arvis. „Den Spruch werde ich jetzt nicht sagen", die Gräfin wirft ihr langes blondes Haar zurück, „aber ihr dürft mich Colette nennen."
Erleichtert umfasse ich die Hand meiner Freundin. Und dann fallen die Masken. Ein befreiendes Gefühl. Ja, mit diesen Leuten möchte ich gemeinsam für das Schicksal der Welt kämpfen. Mr. Warden ist der letzte. Er kommentiert die Handlung mit einem eindrucksvollen Seufzen. „Und was nun, Cathalea?"
„Ich habe keine Ahnung, aber wir machen weiter."
So, endlich geht es weiter. Entschuldigt bitte, dass es so lange gedauert hat, aber ich war bis gestern noch so unzufrieden mit dem Kapitel, dass erst heute der Knoten geplatzt ist. Aber nun kann ich es ohne schlechtes Gewissen hochladen :)
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