Kapitel 31
Askyell
Damit habe ich jetzt nicht gerechnet. Natürlich würde irgendetwas schief gehen. Aber so früh – und genau jetzt? Ich bin allein in diesem gottverlassenen Labyrinth aus unzähligen Büchern. Ich habe keine Ahnung was Cathalea gerade erwischt hat. Ich habe keine Ahnung, warum wir diesen Höllentrip überhaupt machen! Das Atmen fällt mir schwer. Zittere am ganzen Leib. Fühle mich in meine Kindheit versetzt. Blind durch die Leere tastend. Scheiße, ich glaube, ich habe eine Panikattacke! Beruhig dich, Askyell. Du warst unzählige Male hier. Du kennst die Zeichen der Finsternis. Du bist kein hilfloses Kind mehr. Und irgendetwas kommt gerade auf dich zu. Beweg dich! Also kämpfe ich mich langsam voran. Noch nie war mir so bewusst, wie sehr ich mich daran gewöhnt habe, nicht mehr allein zu sein. Ich bin wirklich ein erbärmlicher Großmagier.
Cathalea
Vorsichtig erkunde ich meine unmittelbare Umgebung. Ich scheine in einem kleinen Schacht eingeschlossen zu sein. Der kühle Stein fühlt sich feucht an. Ruß zerreibe ich zwischen den Fingern. Ich habe schnell aufgehört nach Askyell zu rufen. Er kann mich ja doch nicht hören. Nein, dieses Mal bin ich ganz auf mich allein gestellt.
Ich versuche mich an einem kleinen Lichtzauber. Das wäre doch gelacht, wenn ich das nicht schaffe! Stumm bewegen sich meine Lippen und über meiner Fingerspitze sammeln sich funkelnde Partikel. Um mich selbst nicht zu blenden, dämme ich das Licht und lasse die Kugel von mir weg schweben. Großer Fehler. Warum muss sowas immer mir passieren?
Rote Augen starren mich an. Aus einem weißen Gesicht mit breitem Maul und schmalen Lippen. Nur zwei Löcher als Nase. Ein Froschgrinsen. Strähnige Haare kleben an der blassen, aufgeschwemmten Haut. Intuitiv lösche ich den Zauber. Das war sicher nur Einbildung!
Denke ich. Dann höre ich ein widerliches Geräusch, wie wenn man ein nasses Schlauchboot über Stein schleift. Sofort spannt sich jeder Muskel meines Körpers an. Und wie durch Teufelskraft, krabble ich mit Lichtgeschwindigkeit rückwärts. Treffe auf eine Abzweigung. Links, weiter. Horche nicht in die Dunkelheit, gönne mir keine Pause. Ende in einer Sackgasse.
Atme! Ich beiße die Zähne zusammen und versuche wieder Herr über meine Lage zu werden. Mit pochendem Herzen taste ich die Steine entlang. Hier muss es einen Weg geben! Stoße auf etwas Weiches. Zischend halte ich die Luft an. Erneut berühre ich dieselbe Stelle. Erneut streiche ich über das gummiartige Gewebe. Da ist etwas, was bis vor kurzem noch nicht da war.
Schützend halte ich mir eine Hand vor das Gesicht, während ich zitternd die andere vorstrecke. Eine ätzende Flüssigkeit tropft auf meine Haut, als zeitgleich der Lichtzauber das unheilvolle Maul eines stark deformierten Gesichtes zeigt. Ein ausgerenkter Kiefer, wie von einer Schlange!
Ich falle rücklings. Ich falle tief. Knalle auf den Boden. Mein Kopf droht zu zerspringen. Ich werde geblendet von der wütenden Magie und dann kehrt Stille ein. Eins. Zwei. Das Pochen wird schwächer. „Steht auf, wir müssen hier weg!" Schockiert und gleichzeitig erleichtert starre ich zu Mr. Warden nach oben. Seine Stirn ist von tiefen Furchen gezeichnet.
Ich komme auf die Füße und versuche meine Gedanken zu ordnen. Die Angst sitzt immer noch tief. Ich kann nicht aufhören zu zittern. Mr. Warden spricht einen Zauber, der meine Muskeln entkrampfen lässt, mir wieder Raum zum Atmen gibt. Er sieht mich mitleidig an, fragt aber erst gar nicht, wie ich da reingeraten bin. Ich hätte ihm darauf sowieso keine Antwort geben können.
Unruhig versuche ich meine Umgebung zu erfassen. Offenbar haben die Bücherregale aufgehört sich zu bewegen. Schwere Kronleuchter hängen tief, schwanken leicht hin und her. Von Lady Chastain und Askyell fehlt jede Spur. „Was ist passiert?", flüstere ich nervös. Ohne auf meine Frage einzugehen, deutet Mr. Warden mir nur, dass ich schweigen und ihm folgen soll.
Ich bin heilfroh nicht mehr alleine zu sein. Meine frühere Vorstellung von abenteuerlichen Schatzjagden erscheint mir plötzlich albern und kindisch. Wie oft habe ich mir vorgestellt die verfluchten Artefakte nicht nur zu entschlüsseln, sondern auch selbst aufzuspüren und zu bergen. Ich wäre wohl beim ersten Versuch gescheitert. Beziehungsweise ums Leben gekommen.
„Ms. Lindgren, trödeln Sie nicht so herum. Das hier ist kein Ausflug in den Freizeitpark!", zischt Mr. Warden zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Irgendwie muss ich schmunzeln. Vielleicht liegt es an dem restlichen Adrenalin oder ich werde langsam verrückt. Aber die strenge Art von Mr. Warden gepaart mit seinen weit hergeholten Vergleichen geben mir Sicherheit.
Kann dieser Mann ein Drahtzieher sein? Würde dieser Mann erst die Eltern seines Neffen ermorden und ihn anschließend bei sich aufnehmen, ihn als Marionette missbrauchen? Obwohl ich immer weiter nach alternativen Lösungen suche, muss ich zugeben, dass der Großmagier als Intrigant deutlich wahrscheinlicher erscheint.
Plötzlich bleibt Mr. Warden stehen. Ich stolpere fast in ihn hinein. Offenbar betreten wir eine andere Abteilung. Ich kann die Inschrift über dem Durchgang jedoch nicht entziffern.
„Hier sollten wir brauchbare Informationen finden können." Ich nicke. „Bleiben Sie in Sichtweite."
„Natürlich." Und dann mache ich mich daran ein schweres Buch nach dem nächsten herauszuziehen, zu durchblättern und gleichzeitig aus dem Augenwinkel Mr. Warden zu beobachten.
Ich glaube, ich habe mir nie die Zeit genommen mir ein wirkliches Bild von Mr. Warden zu machen. Dabei ist mir sein Anblick mittlerweile so vertraut, wie der meiner Tante. Apropos Tante, ich sollte mich dringend mal wieder bei meiner Familie melden. Meine Mutter ist wahrscheinlich stinksauer. Obwohl, wenn ich so über die letzten Tage nachdenke, telefoniert Askyell wahrscheinlich jeden Tag mit ihr. Was zugegebenermaßen meine Situation auch nicht besser macht. Eher schlechter.
„Ms. Lindgren, hören Sie mir überhaupt zu?", fragend sieht Mr. Warden mich an. Meine Aufmerksamkeitsspanne gleicht momentan wirklich einer Eintagsfliege. Liegt sicher noch am "Unfall". Mr. Warden legt den Kopf schräg. Oh je, ich habe ihm immer noch nicht geantwortet!
„Es tut mir leid, was haben Sie noch gleich gesagt?"
„Sie halten das Buch falsch herum oder ist das bei ihren Fähigkeiten egal?"
„Oh", entfährt es mir, während die Hitze in meine Wangen steigt. Nein, es ist nicht egal, aber das jetzt zuzugeben, wäre auch peinlich. Also strecke ich meinen Rücken durch und versuche mich an einem geschäftigen Gesichtsausdruck. „Ich untersuche zunächst die Aura des Buches, so erfahre ich mehr über den Inhalt, als wenn ich die Seiten überfliege." Er nickt, mustert mich noch einmal von oben bis unten und wendet sich anschließend wieder den Inschriften zu.
Puh, Situation erstmal gerettet. Doch dann richtet Mr. Warden wieder das Wort an mich: „Was ich noch sagen wollte, Ms. Lindgren. Ich wollte mich bei Ihnen für mein ungehobeltes Verhalten damals in Berlin entschuldigen. Es war sicher nicht die feine Art Sie förmlich zu verschleppen. Aber Sie wissen ja jetzt, dass mein Neffe gerne mit dem Kopf durch die Wand will und ich muss zugeben, dass ich anfangs nicht ganz konform mit seiner Wahl ging."
„Ist schon gut, wahrscheinlich haben Sie mich damals besser behandelt, als wenn Askyell mich persönlich abgeholt hätte." Er schmunzelt. Und dabei geht mir ein bisschen das Herz auf. Mr. Warden gehört definitiv zu den Guten. Womit wir dann wieder dort wären, wo wir angefangen haben: Askyell als das manifestierte Böse.
Unzufrieden stelle ich den Wälzer weg und greife nach dem nächsten. Arbeit wird mich jetzt ablenken. Aber die Eindrücke sind immer gleich: starke Verzweiflung, Schmerz und eine alles auffressende Wut. Ich befürchte, so komme ich nicht weiter. Die Schrift kann ich auch nicht lesen. Es hilft alles nichts, ich muss eine richtige Analyse vornehmen.
Also lasse ich mich auf den Boden fallen, leere meinen Geist und verschmelze mit der Essenz des Raumes. Die architektonischen Gegebenheiten offenbaren sich zuerst. Unauffindbare Geheimgänge werden förmlich zu weißen Signalfeuern. Sich flüchtende Ratten stechen geradezu heraus aus dem Gesamtbild der Magie. Selbst jede einzelne Spinne wird abgescannt. Nach den Lebewesen tauche ich nun ein in die Welt der kalten Objekte.
Manche Bücher schreien mir sofort entgegen, andere wollen sich am liebsten verkriechen. Hier hat wirklich jedes Buch ein Eigenleben. Und dann ist da noch der Eigenwille der Regale, die sich offenbar frei nach ihrer Laune heraus bewegen oder verweilen. Und damit kommen wir zum eigentlichen Problem: Hier herrscht das absolute Chaos. Nicht ein einziges Buch steht an seinem Platz, geschweige in der richtigen Abteilung.
Also gebe ich mich geschlagen. „Mr. Warden, das wird nichts. Wir brauchen ein konkretes Ziel. Die Bücher wechseln sogar ihre Einbände!", stöhne ich. Und sowas habe ich wirklich noch nie gesehen. Unschlüssig wandert der Blick von Mr. Warden zwischen der aufgeschlagenen Seite und mir hin und her.
„Und was schlagt Ihr nun vor?"
„So wie sich diese Bibliothek verhält, agiert sie nicht erst seit ein paar Tagen. Dieses Eigenleben besteht bestimmt schon für hunderte von Jahren. Großmagier Berggren muss irgendein Artefakt genutzt haben, um die gewünschte Literatur zu finden."
„Also müssen wir hoffen, dass er es irgendwo in der Bibliothek hinterlegt hat."
Ich nicke. „Hoffen wir mal, dass wir Glück haben."
„Finden wir meinen Neffen, vielleicht erinnert er sich an so ein Artefakt."
Habt ihr einen Verdächtigen als Drahtzieher? Würde mich mal interessieren. Zu den gestellten Fragen von RobinChemin wollte ich mich einfach in diesem Rahmen äußer:
Wie lange gibt es die Idee von "Malachit und Tigerauge" schon? :D
Tatsächlich nicht lange XD Es war eine ziemlich spontaner Einfall, den ich auch nur sehr knapp zusammengefasst habe, bevor ich mit dem Schreiben anfing. Ab Kapitel 3 habe ich auch gleich mit dem hochladen angefangen. Der eigentliche, detaillierte Plott kam erst so mit Kapitel 9/10. Normalerweise gehe ich definitiv anders an Geschichten heran.
Wie viele Fantasy-Story-Ansätze geistern so in deinem Speicher rum?
Uff, unzählige. Aktuell schreibe ich parallel an M & T, ein geplanter Einzelband mit dem Namen "Ranya", ein Einzelband mit dem Namen "Hier kommt Tod" und eine Triologie mit dem Namen "Schicksalskinder". Und dann noch welche, die nicht aus dem Fantasy-Genre ("Shouting out loud" und "Another Manga Love Story") stammen. Eine wird davon auch im Anschluss von M & T hier auf Wattpad veröffentlicht und zwei gehen nächstes Jahr an den Verlag, mit hoffentlich positivem Feedback.
Welcher Charakter gefällt dir am besten? :D Und richtest du Charaktere auch nach Menschen aus deinem Umfeld?
Das beantworte ich mal in einem. Ja, ich richte manche Charaktere auch nach Menschen aus meinem Umfeld aus. Aber in M & T fiel das eher flach aus. Ich baue aber immer kleine Eigenschaften in die Charaktere ein, die mir vertraut sind. Da ich seit zig Jahren im Tanzverein bin, können meist meine Protagonisten auch tanzen. XD Mein aktueller Lieblingscharakter ist Colette. Leider hat man von ihr noch nicht so viel gesehen, aber das kommt noch in den nächsten Kapiteln.
Hoffe die Neugierde ist erstmal gestillt. Beantworte aber natürlich gerne weitere Fragen :)
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