Kapitel 29
Aus dem Augenwinkel folge ich den Konturen seines Gesichtes. Präge mir jedes Detail ein. Die Worte von Lady Chastain hallen durch meinen Kopf. Askyell - ein Mörder? Ich erinnere mich an den Todestag seiner Eltern. Die Verzweiflung in seinem Blick.
Niemals hätte ich ihn verdächtigt. Dabei hat er keine Skrupel davor ein Leben zu beenden. Der Zweck heiligt die Mittel – ja, auch Askyell handelt, nein, lebt nach diesem Motto. Aber im Prinzip funktioniert doch so unsere gesamte Gesellschaft, oder?
Helden erledigen ihre Feinde. Töten sie. Nehmen niemanden einfach nur gefangen. Nein. Ob man als Mörder oder Held gefeiert wird, ist allein davon abhängig, wer unsere Taten beurteilt.
„Cat?" Askyell sieht mich mit gerunzelter Stirn an. Ich habe ihm wie immer nicht zugehört. Er schüttelt schmunzelnd den Kopf. „Das wird sich nie ändern, oder?" Ich zucke mit den Schultern. „Ach was solls", Askyell winkt ab, „eigentlich kann ich es mir auch sparen dir zu sagen, wie du dich benehmen sollst. Du machst sowieso, was du willst."
„Genau." Sofort fixieren mich seine stahlgrauen Augen. Analysieren jede kleinste Mimik. Mein Ton ist deutlich schroffer als gewollt. Er schluckt. Ich atme tief durch, hake mich bei ihm unter. Ich will nicht schon wieder mit ihm streiten.
Der Fahrstuhl hält und wir schreiten über einen dunkelblauen Teppich mit silbernem Muster. Wieder ein anderer Eingang zu dem Rat der Magier. Andächtig schleiche ich neben dem stolzen Großmagier zwischen den steinernen Rängen hindurch. Sie sind leer.
Askyell entzündet die Kerzen, während sich gleichzeitig sein Mana in dem gesamten Versammlungsraum ausbreitet. Was hat er vor? Dann führt er mich über eine kleine Treppe zur Loge und wir nehmen unsere üblichen Plätze ein.
„Warum ist niemand hier?"
„Wir sind zu früh."
„Und dann machst du mir so einen Stress?" Verärgert erinnere ich mich an den ungeduldigen Askyell, der genervt in der Eingangshalle auf und ab läuft, während Lady Chastain meine letzte Locke formvollendet.
Das Rascheln meines nachtblauen Kleides mit den silbernen Perlen unterstreicht mein energisches Übereinanderschlagen der Beine, indes ich dem Großmagier einen missbilligen Blick zuwerfe. „Sonst bevorzugst du doch immer den dramatischen Auftritt?" Trotz seiner Maske weiß ich, dass er eine Augenbraue hebt und sein spitzbübisches Lächeln trägt.
„Hättest du mir vorhin zugehört, dann würdest du jetzt den Grund kennen." Ich schmolle, doch mein Herz schlägt sofort schneller, als sich die Pforten öffnen und die Ratsmitglieder in den Saal strömen. Unnachgiebig dringt Askyells Magie in jeden einzelnen ein. Niemand scheint überrascht. Sie alle lassen es geschehen.
Während ich einige bekannte Masken erblicke, suche ich nach Mr. Warden. Vergebens. Er macht sich in letzter Zeit ziemlich rar. Als sie die Türen schließen, versteift sich Askyell. Was ist los? Ich sehe wie seine Augen über die Ränge fliegen. Sucht er jemanden? Sollte Mr. Warden hier sein? Ist ihm etwas passiert? Oder geht es um jemand vollkommen anderen?
Dann dröhnt die tiefe Stimme des Großmagiers in unser aller Köpfe. „Werte Ratsmitglieder, ich danke euch für euer Beiwohnen dieser Sondersitzung, für eure Kooperation in diesen schwierigen Zeiten und für eure Treue. Aber bevor wir die jüngsten Ereignisse thematisieren, möchte ich meine Anteilnahme zu dem Ableben des Ratsmitgliedes Mr. Johnson bekunden." Askyell schließt die Augen.
Ich bin fassungslos. Dieser Name lässt mir noch immer das Blut in den Adern gefrieren. Und trotzdem rührt Askyells Gelassenheit gegenüber dem von ihm begangenen Mord in mir Verachtung. Nach einer Schweigeminute fährt der Großmagier fort. Erläutert die Zusammenhänge zwischen der dunklen Magie und den Anomalien, beschreibt sogar das dämonische Auge.
Natürlich lässt er einige Details weg - erwähnt nicht die Suche nach dem Amulett oder seine Niederlage. Trotzdem bin ich überrascht, wie offen und ehrlich er spricht und wie positiv seine Ausführungen von den anwesenden Ratsmitgliedern aufgenommen werden.
Endlich erkenne ich die Strukturen von Askyells Mana: ein Offenbarungszauber. Gleichzeitig bin ich schockiert. Auch wenn er nicht lügt, dürfte der Großmagier normalerweise nicht in der Lage sein, so gezielt Informationen zurückzuhalten. Ziemlich zügig zeichnet sich seine Strategie ab. Er befragt systematisch einzelne Ratsmitglieder, doch keiner kann ihm weitere Informationen liefern. Es ist zum Haare raufen!
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Frustriert lasse ich mich auf das kühle Leder des Autositzes fallen. Askyell nimmt stöhnend die Maske ab und reibt sich über die kraus gezogene Stirn.
„Was für ein Reinfall!", bemerke ich.
„Wem sagst du das!", erwidert er kopfschüttelnd.
„Aber wo war Mr. Warden?"
„Keine Ahnung."
Damit scheint für den Großmagier das Gespräch beendet zu sein. Finster starrt er nach draußen, lässt mit seiner linken Hand zwei Kugeln in der Luft kreisen.
„Was beschäftigt dich?" Seine Augenbrauen rücken noch ein Stück enger zusammen. Offenbar will er mir darauf keine Antwort geben. Aber dieses Mal lasse ich mich nicht so einfach von ihm abwimmeln.
„Meinst du, dass Mr. Warden hinter allem steckt?" Meine Provokation scheint den gewünschten Erfolg zu erzielen.
„Hast du den Verstand verloren?" Seine Augen blitzen. Sein Mana brodelt beängstigend. Ich erwidere seinen starren Blick, weiche nicht zurück. Gerade wegen seiner heftigen Reaktion erkenne ich die Sorge dahinter.
Schlucke. Der nächste Schritt fällt mir nicht leicht. Behutsam lege ich meine Hand auf seine und flüstere: „Du kannst mir vertrauen. Mit mir über sowas sprechen." Sofort zieht er seine Hand zurück. Die Kälte in seinen Augen lässt mich zittern. Ohne noch einmal darauf einzugehen wendet er sich von mir ab.
Ich bin stink sauer. Und vielleicht auch ein wenig enttäuscht. So viel zum Thema "er mag mich"! Schweigend verstreichen die Minuten. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir das kleine Anwesen. Mit einem Schwung fliegen die Autotüren auf. Gerade will Askyell wie eine beleidigte Leberwurst vorweg stampfen, da stürme ich los. Das kann er schön vergessen! Ich habe ihn vielleicht provoziert, aber er hat wie immer wie ein Idiot reagiert!
Wie eine Gewitterwolke fege ich durch die Eingangshalle, lasse eine verblüffte Lady Chastain links liegen. Knalle mit der Zimmertür und feuere lautstark die High Heels in die Ecke. Zufrieden stelle ich fest, dass Askyell mir nicht gefolgt ist, sondern sich im Wohnzimmer niedergelassen hat.
Plötzlich erröte ich. Erst jetzt, beim Anblick der Sofagarnitur, wird mir die Ironie bewusst. Ich habe den Großmagier aus seinen eigenen Räumen vertrieben. Aber das hat er verdient! Schließlich hat er mich hier ja auch einfach ohne groß zu fragen einquartiert.
Mit Mühe und Not befreie ich mich aus meinem Kleid und schlüpfe in meine geliebte Jogginghose. Dazu den überdimensionalen Schlabberpullover. Ich sehe schon Lady Chastains entsetzen Blick vor mir, aber da muss sie durch. Mit einem nassen Lappen reinige ich mir das Gesicht, fahre mit den Fingern durch die Haare und flechte sie zu zwei Zöpfen. Dann trage ich noch schön dick eine Feuchtigkeitscreme auf und freue mich darüber, dass alles an mir förmlich schreit: „Behalte die Pfoten bei dir!"
Zu guter Letzt fische ich die flauschigen Socken mit Katzenmuster aus der untersten Schublade. Sie klemmt ein wenig beim Schließen und ich bemerke den kleinen Stein. Fasziniert hebe ich ihn auf. Drehe ihn hin und her, lasse das Licht verschiedene Muster zeichnen. Ein Tigerauge! Ich kenne diesen Edelstein, seine Wirkung. Aber woher zum Teufel kommt er? Ich erinnere mich, dass ich ihn fest umklammert hielt, als ich aufgewacht bin. Nachdenklich verstaue ich den Stein in meiner Hosentasche. Ich muss wohl oder übel Askyell danach fragen.
Mein lautes Magenknurren und der phänomenale Duft der Kochkünste von Ms. Doll erinnern mich an das bevorstehende Abendessen. Etwas weniger gereizt schlurfe ich nach unten. Setze mich auf meinen üblichen Platz. Auch das noch! Sofort versuche ich eine andere Erklärung, als das Offensichtliche zu finden: Es ist nur für zwei Personen gedeckt. Ich bete. Die Tür öffnet sich. Askyell steuert die Stirnseite an. Beinahe vergeht mir der Appetit, doch beim Anblick des dampfenden Gulaschs hebt sich meine Laune ins Unermessliche. Solange er mich in Ruhe essen lässt, bin ich glücklich.
Askyell räuspert sich. Nein! Warum nur? „Schmeckt es dir?"
„Hm mh." Stille.
Er nippt an seinem Rotwein, faltet die langen Finger ineinander. „Ms. Doll hat sich wirklich selbst übertroffen." Ich riskiere einen kurzen Blick. Fehler. Er sieht mich erwartungsvoll an. Gott, sag irgendwas, damit er Ruhe gibt!
„Ja, es ist wirklich gut." Offenbar scheint er mit dieser Aussage noch nicht zufrieden zu sein, daher füge ich hinzu: „Fast schon wie von meiner Oma." Sein Mundwinkel zuckt. Ich habe eine dunkle Vorahnung und beäuge nun misstrauisch das Essen.
Plötzlich facht Askyells Mana auf. Er holt ein kleines, fein säuberlich mit rotem Büttenpapier verziertes Päckchen aus seiner Meta-Truhe hervor. Wie in Zeitlupe verfolge ich, wie der Großmagier das Geschenk zu mir herüberschiebt. Und das einzige, was mir einfällt zu sagen, ist: „Ich habe nicht Geburtstag."
„Ich weiß, aber ich brauche wohl keinen Anlass um meiner Verlobten eine Freude zu machen." Meiner Verlobten! Ich möchte ihn erwürgen. Denkt er ein Bisschen Süßholzraspeln stimmt mich gnädig? Am liebsten würde ich ihm das Päckchen an den Kopf werfen, doch die Neugier siegt.
Ich schiebe meinen Teller beiseite und öffne die Satinschleife. Hat er sicher nicht selbst eingepackt. Zum Vorschein kommt eine Schneekugel mit dem Thema "Weihnachten in Berlin". „Gefällt sie dir? Da du ja nun leider nicht nach Hause kannst, dachte ich, ich bringe dir ein Stückchen Berlin her." Ich liebe sie.
„Sehe ich für dich aus wie ein Kind?", keife ich. Askyell wird ganz bleich. Oh Gott und dieser süße Bär! „Denkst du mit einem Spielzeug hältst du mich bei Laune?" Sie passt perfekt in meine Sammlung! Der Mund des Großmagiers klappt fassungslos auf und zu. Energisch stehe ich auf.
„Wenn sie dir so wenig gefällt, dann nehme ich sie zurück", verkündet Askyell bockig.
„Vergiss es! Geschenkt ist geschenkt. Erinnert mich wenigstens immer daran, dass du mich nicht nur wie ein Kind bevormundest, sondern offenbar auch für eins hältst!" Ich verschwinde mit der kostbaren Kugel nach oben. Woher weiß er, dass ich sowas mag? Bestimmt hat meine Mutter mal wieder zu viel geplaudert! Erst das Gulasch, dann das. Das kann doch kein Zufall sein!
Nachdenklich beobachte ich das Herabrieseln der kleinen Schneeflocken. Er macht es mir wirklich immer schwerer, ihn nicht zu mögen. Erleichtert spüre ich, wie sich Askyells Präsenz entfernt. Wenn er um diese Uhrzeit das Haus verlässt, kommt er nie vor dem Frühstück nach Hause. Sehr gut. Erschöpft lasse ich mich auf das Bett fallen. Dieses riesige Bett. Ganz für mich allein!
Endlich geht es weiter! Wegen dem Umzug konnte ich leider nichts hochladen. Aber nun werden wieder regelmäßig neue Kapitel erscheinen. Bin gespannt, wie ihr die aktuelle Entwicklung findet. Liebe Grüße!
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