Kapitel 25
Wie Eis zersplittert der Himmel, hinterlässt eine wabernde Finsternis. Der Riss breitet sich immer weiter aus. Zuerst nur blitzartige Linien, bröckeln die Löcher immer größer. Ich spüre wie Askyell sein Mana kanalisiert. Will zu ihm laufen. Mich sicher fühlen. Aber ich bin wie gelähmt. Meine Beine wollen mir einfach nicht gehorchen.
Ununterbrochen starre ich nach oben. Spüre diese dunkle Kraft. Gesichtslose kriechen über den Rand des schwarzen Lochs, lassen sich einfach fallen. Landen direkt vor uns auf der Plattform. „Askyell", zischt Colette, „du kümmerst dich um die rechten, ich übernehme die linke Seite!" Ich schlucke, will ihr erklären, dass sie keine Ahnung hat, was hier gerade passiert. Dass sie keine Chance hat. Aber der Ausdruck in ihren Augen lässt mich innehalten.
Sie wirft die langen blonden Haare mit einer streichenden Bewegung nach hinten und löst ein kleines, goldenes Band von ihrem Handgelenk. Es ist so zierlich, dass es mir vorher gar nicht aufgefallen ist. Jedoch erkenne ich sofort, um was es sich handelt: Ein Kraftschlüssel. Ein Artefakt zum Versiegeln von Magie, eine Fessel für Zauberer. Niemand trägt so etwas freiwillig.
Colette lässt die Wörter in einer mir fremden Sprache niederprasseln. Schwarze Symbole leuchten um sie herum auf. Ich zittere, kann nicht fassen, was ich da gerade sehe. Sie ist ein Dämon! Runen leuchten auf ihrer Haut, zehren von ihrem Mana. Das hat die Gräfin also mit dem Armband verborgen! Askyell steht plötzlich neben mir. Das Amulett des Großmagiers baumelt vor seiner Brust. Was für eine Kombination! Eine Dämonin in Engelsgestalt und ein Blutmagie nutzender Großmagier! Die Welt versinkt im Chaos.
Ich mache einen Schritt rückwärts. Spüre die kühle Wand im Rücken. Der schrille Schrei der Gesichtslosen kündigt ihren Angriff an. Ich fühle mich wie in einem Zombiefilm gefangen. Habe mich noch immer nicht an ihren Anblick gewöhnt. Spüre die Verzweiflung. Ich bin so nutzlos. Mit einer einzigen Handbewegung fegt Askyell den ersten Schwall an Dämonen einfach von der Plattform. Ich atme auf. Habe schon fast vergessen, dass er nun mächtiger ist, keine richtige Bedrohung mehr von den Gesichtslosen ausgeht.
Das dunkle Mana hinter dem Riss scheint zu toben. Unaufhaltsam breitet er sich weiter aus, während splitternd neue entstehen. Wer auch immer diese Magie wirkt, er hat nicht vor aufzugeben. Was will er? Gibt es überhaupt jemanden dahinter? Wieder ertönt der schrille Schrei aus dem nicht vorhandenen Mund der Dämonen. Das Geräusch zerreißt mir das Herz. Ich sacke auf die Knie, keuche. Sofort errichtet sich eine Barriere um mich herum – Askyells Magie. Die Wut färbt sein Mana, lässt es sprudeln.
Plötzlich brechen die Betonplatten auseinander. Mit angehaltenem Atem starre ich auf die sich erhebenden, finsteren Kreaturen. Die weißen Körper sind sperlich mit schwarzen Bandagen umhüllt. Die zwei Meter hohen Gestalten wirken deformiert, ihre Gliedmaßen viel zu langgezogen. Goldene Symbole erstrecken sich über ihre Haut, ein goldenes Halsband als Zeichen für ihre Gefangenschaft. Sie sind Colettes Diener.
Mit schwankenden Schritten rasen sie plötzlich blitzschnell nach vorne. Stürzen sich auf die ersten Gesichtslosen. Ihre Bandagen umwickeln die Körper der Feinde. Die weißen Münder geben den Blick auf die schwarze Fäulnis der Mumien frei. Blut spritzt. Ich zucke zusammen, drehe mich weg. Aber das Bild hat sich bereits tief in mein Gedächtnis eingeprägt: Dieser Mund, der sich erbarmungslos in den Hälsen der Gesichtslosen festgebissen hat. Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal Mitleid mit diesen Dämonen haben würde. Aber sie bluten. Sie bluten in derselben Farbe. Ich schaudere, darf darüber nicht weiter nachdenken. Aber diese Grausamkeit. Gut oder Böse?
Ich kauere mich zusammen und presse die Hände auf die Ohren. Doch das widerliche Knacken dringt trotzdem zu mir durch. Ich zähle die Sekunden. Die Magie explodiert unaufhaltsam, löscht Stück für Stück die Armee der Gesichtslosen aus. Plötzlich flammt pechschwarzes Mana auf. Ein tiefes Brüllen geht mir durch Mark und Bein. Ruckartig springe ich auf.
Mit Erschrecken starre ich in den Himmel. Klaue für Klaue umfasst den Rand des fünf Meter großen Risses. Ein riesiges gelbes Auge funkelt in der Mitte. „Askyell", flüstert Colette, „egal was passiert, löse nicht diese Dimension auf!" Was hat das zu bedeuten?
„Hatte ich auch nicht vor!", presst der Großmagier zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Irgendetwas stimmt hier nicht. Askyells Mana wirbelt unkontrolliert in seinem Körper.
„Askyell?", fragt Colette verunsichert. Der Großmagier ist ganz starr. Hustet plötzlich Blut. Die Barriere bricht zusammen. Askyell sinkt auf die Knie. Ringt nach Luft. Ich renne zu ihm, während Colettes Krieger die Gesichtslosen auf Abstand halten. Ich lasse mein Mana in seinen Körper fließen, versuche seine Energieströme zu beruhigen. Was ist das? Er krampft am ganzen Körper.
„Bringt euch in Sicherheit", zischt er eindringlich. Reflexartig schüttle ich mit dem Kopf. Hilfesuchend wandern meine Augen umher, erfassen Colette. Ihre Augen blitzen vor Wut und Entschlossenheit.
„Cathalea, ich brauche deine Hilfe."
„Nein", stöhnt Askyell, „das schaffst du nicht! Verschwindet einfach!"
Er schreit auf, krümmt sich vor einem unsichtbaren Schmerz. Mit einer unglaublichen Wucht wird mein Mana aus seinem Körper geschleudert, die Verbindung gekappt. Panisch versuche ich erneut in ihn einzudringen. Ein stechender Schmerz durchzuckt mich, fast wie ein elektrischer Schlag. „Cat!", beschwört Colette mich eindringlich. Reiß dich zusammen! Du kannst ihm nicht helfen. Das Ding greift ihn irgendwie direkt an. Ich richte mich auf, fokussiere das gelbe Auge. Weitere Klauen greifen über den Rand, als würde sich dieses Monster immer stärker in unsere Dimension kämpfen.
„Was kann ich tun?" Colette murmelt etwas. Ein schwarz leuchtender Ring mit wabernden Runen zeichnet sich auf dem Boden vor ihr ab.
„Knie dich da hin!" Ich tue wie mir befohlen. Meine Härchen stellen sich auf, die Luft knistert, mein Puls rauscht in den Ohren. Dämonische Magie umzüngelt mich wie lodernde Flammen. Eine blitzende Klinge vor mir reflektiert das uns verspottende Licht der Sonne. Zitternd nehme ich den Athame entgegen. „Vertrau mir!" Ihre Augen funkeln mich flehend an. Ich schlucke, nicke.
Mit ruhiger Stimme flüstert Colette: „Ramm ihn dir mit voller Kraft in den Magen." Mit angehaltenem Atem starre ich auf die sich schlängelnde Klinge, den mit schwarzen Edelsteinen besetzten Griff. Der Unheil beschwörende Totenschädel. Wenn dir jemand sagt, dass du dich selbst erstechen sollst für Menschen, die du erst vor einigen Wochen kennengelernt hast, würdest du es machen? Mein Blick huscht zu dem kreidebleichen Askyell. Seine Brust hebt sich nur noch schwach. Die Augen sind Blutunterlaufen.
„Jetzt!", ruft Colette. Ich zögere keine Sekunde. So viel leichter als geglaubt, durchdringt die Klinge meine Haut, den Magen, direkt in das Zentrum meiner Energie. Der Schmerz kommt leicht versetzt. Ich sacke in mir zusammen. Starre auf meine Hände, die zitternd immer noch den Griff umfasst halten. Mein gesamter Körper steht in Flammen. Kraftlos falle ich zur Seite, atme rasselnd.
Die tänzelnden Schatten ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich dreh den Kopf. Colette hat sich verändert. Blutrote Schwingen breiten sich aus. Ein weißes Geweih thront auf ihrem Haupt. Die einst blauen Augen sind schwarzen Löchern gewichen. Und trotzdem ist sie wunderschön. Ein wunderschöner Engel mit Teufelshörnern.
Ihre Lippen bewegen sich und ein blutrotes Portaltor öffnet sich hinter ihr. Mit verschwommener Sicht versuche ich die Umrisse zuzuordnen. Eine vier Meter hohe Gestalt tritt in unsere Welt. Menschlich und gleichzeitig wie ein Tier. Der tobende Minotaur lässt sein kehliges Brüllen erklingen. Die pechschwarze Haut umspannt den muskulösen Körper. Vier massive Hörner krönen den Kopf des Bullen. Goldener Schmuck zieren Schnauze und Ohren. Um die Hufe herum wirbelt ein stechender Nebel, hinterlassen verätzte Abdrücke auf den Betonplatten. In seiner rechten Hand führt er ein goldenes Zepter. Auf der Spitze leuchtet ein schwarzer Turmalin mit goldenen Adern.
Flügelschläge - Colette erhebt sich. Sie ist nur ein schwarzer Schatten vor der strahlenden Sonne. Ich höre nichts, kann mich nicht mehr bewegen. Spüre nur noch die Tränen, wie sie langsam an meinem Gesicht entlangrinnen. Atme ich überhaupt noch? Ein tiefschwarzer Ball am Himmel taucht plötzlich alles in Finsternis. Frisst die Farben. Frist alle Umrisse. Und dann ist dort ein gleißendes Licht. Regenbogenfarben explodieren. Die Dimension zerreißt.
Wieder ein blauer Himmel. Keine Risse mehr um uns herum. Ich liege auf dem von Sonnenstrahlen erwärmten Beton. Starre in die entsetzten Gesichter der Menschen. Sehe wie sie schreien, aber in meinen Ohren ist nur das beruhigende Rauschen zu hören. Wir sind zurück. Ich bäume mich noch ein letztes Mal auf. Dann erschlafft mein Körper. Müde schließe ich die Augen. Haben wir es geschafft?
800 Reads! Ich bin unglaublich glücklich. Vielen Dank für eure Unterstützung! Wie ihr vielleicht schon gemerkt habt, ist diesen Mittwoch kein neues Kapitel gekommen. Da es zur Zeit auf der Arbeit sehr stressig ist, werde ich vorerst nur noch am Sonntag ein neues Kapitel hochladen. Ich möchte nicht, dass aus Zeitgründen die Qualität leidet. Ich hoffe auf euer Verständnis!
Liebe Grüße!
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