Kapitel 18
„Siehst du das?", flüstere ich andächtig. Askyell starrt auf den mit Säulen gezäumten Höhleneingang. Durch die wirkende Magie kann die Zeit ihm nichts anhaben. Der Marmor erstrahlt immer noch in einem reinen Weiß mit goldenen Verzierungen. Boden und Wände sind übersät mit grün leuchtenden Runen. Ein Ritualkreis bindet einen Hüter an diesen Ort.
„Das muss es sein!" Askyell macht einen Schritt Richtung Eingang und der Hüter hebt sofort seine Lanze.
„Stopp!", rufe ich ihm zu. Irritiert sieht der Großmagier mich an. „Du provozierst den Wächter." Askyells Augenbrauen wandern nach oben. Ich sehe ihm seine Ungeduld an. Gleichzeitig scheint er neugierig.
„Was siehst du?", fragt er mich, streckt mir eine helfende Hand entgegen. Ich humple zu ihm. Während er einen Blick auf mein Bein wirft, beschreibe ich ihm die Szene.
Bei dem Hüter handelt es sich um eine drei Meter hohe humane Gestalt mit ausladendem Bauch. Fast schon wie ein Sumoringer. Doch der Kopf ähnelt dem eines Stieres mit vier Hörnern. An seinen Ohren funkelt goldener Schmuck. Dazu trägt er lediglich einen Wickelrock aus rotem Brokat. Die braune Haut ist übersäht mit weißen Symbolen. Spannt über den muskulösen Armen. Er richtet seinen Speer auf uns. Diese überdimensionale Waffe kanalisiert das Mana der Umgebung. Ein funkelnder Rubin ist in den Stab eingearbeitet. Die gleiche Farbe wie die Augen des magischen Wesens. Ich schaudere. So einen mächtigen Hüter habe ich noch nie gesehen. Askyells Grinsen nach zu Urteil, würde er den Wächter nur zu gerne herausfordern. Männer.
Ich verdrehe die Augen. „Du willst nicht wirklich kämpfen?"
„Andere Vorschläge?"
„Um Einlass bitten? Schließlich hat Miss Gão dich doch hierhergeführt." Askyell zieht nur wieder eine Augenbraue hoch. Das scheint in letzter Zeit seine Lieblingsreaktion auf Vorschläge meinerseits zu sein. Dann streicht er sich verlegen über das Kinn.
„Und wir machen wir das?" Ich schaue ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
„Du hast noch nie mit einem Wächter gesprochen?" Er schüttelt den Kopf. Sieht mich fast schon beleidigt an.
„Du kennst doch mein Handicap!"
„Ja, schon. Aber es schockiert mich trotzdem, dass du all die Dinge, die für mich alltäglich sind, noch nie gemacht hast!" Er brummt nur. „Gut, ich erkläre es dir. Zunächst müssen wir dem Hüter unseren Respekt zollen. Schließlich sind das meist Geister, die bereits Millionen von Jahren alt sind."
„Und wie machen wir das?"
„Normalerweise eine entsprechende Opfergabe. Aber ich kenne diese Art von Wächtern nicht. Also weiß ich nicht, was wir ihm anbieten sollten."
„Was ist denn so üblich?"
„Gold, Blut oder Lebensmittel. Aber bevor du jetzt dein Portemonnaie zückst, sollten wir zuerst herausfinden, was er will. Ansonsten versteht er es als Beleidigung und greift uns an."
„Womit wir dann wieder bei meinem Plan wären." Ich seufze und werfe die Hände über den Kopf.
„Warum willst du nur immer mit dem Kopf durch die Wand?" Er zuckt nur mit den Schultern. „Also bevor du uns umbringst, versuche ich zunächst mehr herauszufinden. Hier sollten irgendwo Hinweise versteckt sein. Beweg du dich einfach nicht."
„Zu Befehl."
Grinsend verfolgen mich seine Augen, während ich versuche die Runen zu entziffern. Leider ist ostasiatische Magiekunde nicht gerade meine Stärke. Ich präge mir einige Symbole ein und zeichne sie mit dem Finger in den Staub. „Weißt du, was das bedeutet?" Askyell legt den Kopf schräg. Korrigiert einige Striche.
„So?", fragt er. Ich nicke. Gedankenversunken läuft er auf und ab. Bleibt plötzlich stehen. „Ich brauche mehr Schriftzeichen. Ansonsten kann ich es nicht übersetzen. Aber ich glaube, ich habe so etwas Ähnliches schon einmal gesehen." Also mache ich mich daran, das sich wiederholende Muster abzupausen.
Dabei rutschen mir immer wieder meine braunen Locken nach vorne, bleiben an meinem verschwitzten Gesicht kleben. Plötzlich spüre ich wie Askyells kühle Hände meine Haare zurücknehmen, sein warmer Atem streift meinen Nacken. Ich bekomme sofort Gänsehaut. Spüre wie meine Wangen sich rot färben. „Cathalea", flüstert er. Mein Herz setzt aus. „Du solltest im Hotel dringend duschen." Er blockt meinen Ellenbogen lachend ab.
„Hast du einen Sonnenstich oder was?", frage ich wütend, „Wir sind hier schließlich nicht zum Spaß!"
„Jaja." Er verdreht die Augen und verschränkt die langen Beine zu einem ordentlichen Schneidersitz. „Es ist Ewigkeiten her, dass ich mal etwas anderes als Schreibtischarbeit erledige. Wegen meinem Handicap hat Mr. Warden sonst sowas für mich erledigt. Ich bin wenn, nur zum Kämpfen ausgerückt. Aber ich muss gestehen, diese Abwechslung ist mir wirklich sehr willkommen." Ich nicke nur. Natürlich verstehe ich, was er meint, aber es wäre wirklich gut, wenn er seine Euphorie besser unter Kontrolle hätte.
Der Hüter schnaubt bedrohlich. Unsere Anwesenheit reizt ihn. „Fertig!", verkünde ich. Askyell kommt wieder zu mir und versucht aus den Symbolen schlau zu werden. Ich schweige, will nicht seine Konzentration stören. „Cat."
„Ja?"
„Geh hinter mich." Ich frage erst gar nicht nach, spüre nur wie er sein Mana bündelt. Viel zu viel Essenz wirbelt um ihn. Seine Macht ist so pulsierend, dass sich die Luft um ihn dreht. Der Hüter brüllt. Richtet die Lanze auf Askyell. Ich gehe in Deckung und bete, dass der Großmagier einen Plan hat. „Position?", ruft er mir zu.
„Direkt vorm Eingang!"
Dann schleudert er seine Magie wie zischende Blitze auf den Wächter. Entsetzt stelle ich fest, dass die Lanze sein Mana aufsaugt und in dem Rubin sammelt. „Askyell! Stopp!", brülle ich ihn an. Aber es ist zu spät. Der Rubin breitet sich über die Klinge und den Stab aus. Wandert immer weiter in Richtung Hände des magischen Geschöpfes. Dessen Essenz nährt sich von der Magie. Wird immer stärker. Die ganze Umgebung lädt sich auf. Meine Haare sind wie elektrisiert. Ich zittere unkontrolliert. Askyell setzt noch einen oben drauf. Löst noch mehr Mana. Kauernd versuche ich die aufeinanderprallenden Mächte auseinanderzuhalten.
Plötzlich leuchten die Augen des Hüters. Die Essenz bricht ab. Beide sacken zu Boden. Askyell atmet schwer. Der Wächter fällt in einen tiefen Schlaf. Das Tor ist freigegeben. Wir dürfen passieren. Ich krieche zu dem Großmagier.
„Was ist denn in dich gefahren?", schnauze ich ihn an. Er lehnt sich erschöpft gegen mich.
„Ich habe lediglich die Opfergabe dargeboten." Er hustet kurz, fügt dann noch hinzu: „Mana." Von so einer Ehrerbietung habe ich noch nie gehört. „
Du hast dich vollkommen verausgabt."
„Wohl eine Absicherung, dass nur ich hier reinkomme." Fragend mustere ich sein Gesicht. Er grinst. „Weniger Mana hätte der Mistkerl nicht akzeptiert."
„Du bist doch verrückt." Ungläubig schüttle ich den Kopf und helfe dem Großmagier wieder hoch.
Ich stütze ihn, während wir den Eingang passieren und uns in einem von Menschen geformten Tunnel wiederfinden. Der Boden ist mit schimmernden Steinen gepflastert. Fackeln erhellen den Gang. Wände und Decke sind wie ein unendlich langes Fresko bemalt. Verschiedenfarbige Schlangenwesen scheinen einen nicht endenden Krieg zu bestreiten und im Zentrum der Schlacht: ein grüner Stein.
Vorsichtig tasten wir uns vorwärts. Mein ganzer Körper ist angespannt. Hier lauert es sicher vor Fallen und Askyell kann sich kaum auf den Beinen halten. Super Voraussetzungen für den nächsten Abschnitt! In der Ferne höre ich das melodische Plätschern von Wasser. Die Luft schmeckt salzig.
Eine Windböe erfasst uns. Bläst zunächst die Haare in den Nacken. Dreht. Meine Locken wirbeln vor meinem Gesicht. „Als würde die Höhle atmen", flüstert Askyell.
„Wirklich, Ghibli?", frage ich belustigt. Er zuckt nur kurz mit den Schultern. Hat aber nicht unrecht. Der gesamte Gang pulsiert nur vor lebender Magie. Wir nähern uns einem grellen Licht. Mein Kopf dröhnt. In meiner Bauchgegend zieht es unangenehm.
„Wir sollten umkehren", flüstere ich.
„Ich will sehen, was da vorne ist." Seine Stimme klingt unglaublich fern. Die grauen Augen sind trübe. Er atmet vollkommen ruhig.
Leise Klänge erfüllen den Gang. Die Luftfeuchtigkeit steigt. Wassertropfen gleiten an den Wänden hinunter. Dampf schlägt uns entgegen. Wir stehen am oberen Ende einer sich windenden Treppe. Erblicken eine riesige Höhle. Durch unzählige Löcher in der Decke dringt ein gleißendes Licht. Wabernde, mit Wasser gefüllte Blasen steigen nach oben. Rankenpflanzen dringen durch die Erde in die Höhle ein. Klettern bis zum Boden. Umschlingen den Brunnen.
Plötzlich realisiere ich, dass die Bilder an den Wänden keine Schlangen, sondern chinesische Drachen darstellen. Ein gigantisches, steinernes Exemplar ragt aus der Quelle empor. Aus dem Maul sprudelt das Wasser, rinnt zwischen den Schuppen an den Gliedmaßen entlang. Zwei ebenso imposante Kriegsfiguren wurden aus den Felsen der Höhle geschlagen. Ihre Köpfe enden knapp unter der Decke. Mit Kampfhaltung richten sie ihre Hellebarden auf den Kopf des Drachen. Magische Flammen umzüngeln die Klingen.
Ich reiße mich von dem dargebotenen Bild los und mustere Askyells Gesicht. Er sieht mich skeptisch an, flüstert: „Mein Gefühl sagt mir, dass wir hier sehr vorsichtig sein sollten." Ich stimme ihm zu. Langsam machen wir uns an den Abstieg. Misstrauisch behalte ich unsere Umgebung im Auge. Auch hier sind die Wände mit den mysteriösen Runen bedeckt. Ihr Leuchten bricht sich an der salzigen Kruste. Die Kristalle wuchern meterhoch über den Boden.
Je näher wir dem Ende der Treppe kommen, umso leichter fühlt sich mein Körper. Meine Haare wabern in der Luft. Ich kann nicht anders, als eine der aufsteigenden Blasen zu berühren. Zunächst umschließt die dünne Membran meinen Finger, nur um dann sofort zu zerplatzen und einen frischen Guss Salzwasser über den Boden zu verteilen.
Von weiter unten sind die Krieger in ihrer traditionellen Rüstung noch viel beeindruckender. Die Kunst, den Faltenwurf, die unterschiedlichen Materialien mit dem Stein nachzuempfinden, ist atemberaubend. Fast so, als würde unter einer dünnen Schicht eine lebende Figur stecken. Über einen wehenden Rock tragen die Männer schwere Rüstungen mit den Gesichtern von Dämonen auf ihren Gürteln. Die Schulterpolster sind wie Drachenköpfe geformt. Die langen Haare fallen als Zopf über die Schulter. Die zarten Gesichtszüge stehen in einem harten Kontrast zu der kämpferischen Mimik.
Ich kann einen Schauder nicht unterdrücken. Konzentriere mich auf das züngelnde Feuer. „Kannst du die Flammen sehen?" Askyell antwortet mir nicht. Er ist ungewöhnlich still. „Alles in Ordnung?" Fragend sehe ich ihn an. Mir stockt der Atem. Seine Augen sprühen vor Verlangen. Ein grünes Licht spiegelt sich in ihnen wider. Ich folge seinem Blick. Ziehe zischend die Luft ein. Um den Hals des Drachen liegt eine goldene Schärpe mit grünem Anhänger. Ein Malachit. Wir haben es gefunden! Das Amulett des Großmagiers.
Und Kapitel 18 ist geschafft :) Ich hoffe es gefällt euch.
Da ich nächste Woche einige Überstunden machen werde, schaffe ich es wahrscheinlich nicht pünktlich am Mittwoch das neue Kapitel hochzuladen. Seht es mir also bitte nach, wenn das nächste Kapitel etwas auf sich warten lässt. Viele Grüße!
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