Kapitel 11
Unruhig rutsche ich auf meinem Platz im Jet hin und her. Askyell sitzt mir gegenüber, starrt aus dem Fenster, in seiner Linken hält er das zweite Glas Whiskey. Er wirkt gelassen, aber Alkohol schon am Vormittag? In meinem Kopf kreisen die Worte von Mr. Warden. Ich solle ihn anrufen, wenn Askyell Probleme macht oder wir Hilfe brauchen. Warum - wollte er mir nicht sagen, nur, dass ich den Großmagier im Auge behalten soll. Das wirft definitiv kein gutes Licht auf die kommenden Tage.
Ich räuspere mich. "Also, erzählst du mir jetzt, was los ist?" Nachdenklich mustert er mich. Nippt noch einmal an seinem Glas und platziert es dann in Reichweite auf dem kleinen Glastisch zwischen uns. Neugierig beobachte ich, wie er aus der Innentasche seines Jacketts eine kleine silberne Dose hervorholt. Er zückt eine Zigarette. Ich spüre sein Mana kurz aufleuchten und er nimmt genüsslich den ersten Zug. Irgendwie ist es ein Schock. Ich selbst habe zwar auch ein oder zwei Jahre lang geraucht, aber vernünftiger Weise dann doch wieder aufgehört. Zigaretten passen einfach nicht in mein Bild von ihm. Und gleichzeitig wirkt diese Geste, wie er sie hält, intuitiv und selbstverständlich.
„Wo soll ich anfangen?" Die Frage überrumpelt mich. Ja, wo fängt man eigentlich in diesem Chaos an? Ich lasse meinen Blick durch den Flieger schweifen. Das moderne Ambiente steht in einem harten Kontrast zu der doch recht altmodischen Einrichtung seines Hauses. Ein riesiger Bildschirm erstreckt sich über eine Wand. Minibar, blankpolierter Fußboden und eingesetzte Deckenleuchten. Die weiße Couch ist sichelförmig gebogen. Ich fange mit der wohl einfachsten Frage an: „Wo ist das Original? Also das Amulett der Heilung." Er scheint geistig komplett abwesend zu sein. Ich beobachte wie er die Augen geschlossen hält. Wenn er nicht gelegentlich an der Zigarette ziehen würde, könnte man meinen, dass er schläft. Endlich seufzt Askyell.
„Du hast die Wahl des Großmagiers verfolgt?"
„Klar!" Wer tut das auch nicht? Es ist DAS Event in der magischen Welt! Die Wahl eines Großmagiers erfolgt immer nur nach dem Ableben, dem Zurücktreten oder einer Anzweiflung des Würdenträgers. Wobei letzteres seit 1000 Jahren nicht mehr vorgekommen ist. Wahrscheinlich auch, weil eine Anzweiflung wohl niemals öffentlich bekannt werden würde. Da Askyell nichts weiter sagt, füge ich hinzu: „Großmagier Gão ist wieder von seinem Amt zurückgetreten. Aber er ist ja auch schon ziemlich alt."
Askyell nickt, inhaliert den Tabak und lässt ihn in kleinen Wölkchen aufsteigen. „Richtig. Die Wahlen liefen, das Orakel sprach und ich bekam den Titel. Aber zur Übergabezeremonie ist Gão nie aufgetaucht." Mir klappt die Kinnlade herunter.
„Aber das heißt ja, du bist gar nicht Großmagier!" Er verzieht die Mundwinkel zu einem traurigen Lächeln.
„Wirklich? Das macht für dich den Großmagier aus? Nicht die Wahl, nicht die Ernennung durch das Orakel, sondern das Amulett?"
„Nicht wirklich, aber im Gesetz steht, dass der Amulett-Träger Großmagier ist."
„Da hast du recht. Und jetzt weißt du auch, warum ich eine Fälschung trage."
„Und wo ist jetzt das Original?"
„Keine Ahnung, ich hoffe du kannst mir das bald sagen."
Er grinst schief. Ich kriege bei so viel Verantwortung gleich wieder schwitzige Hände. Um nicht weiter drüber nachzudenken zu müssen, frage ich: „Wir fliegen nach China?"
„Gão ist wie vom Erdboden verschluckt. Ihn zu finden, hat oberste Priorität."
Ich nicke, versuche mir einen Reim aus dem ganzen zu machen. „Also hat ihn niemand mehr gesehen seitdem er zurückgetreten ist?"
„Zumindest gibt es keiner zu. Und ohne das Orakel hätte ich meinen Titel nie bekommen. Die meisten Ratsmitglieder haben gegen mich gestimmt. Unter Beachtung dieser Tatsache und der Frage, wer den ehemaligen Großmagier versteckt halten könnte, verstehst du sicher die Anfeindung mit den meisten Ratsmitgliedern."
„Du meinst, sie wissen, dass es zu keiner Übergabe kam?"
„Nicht alle, aber einige bestimmt und mindestens die Hälfte davon will meinen Titel." „Verschwinden deshalb überall Artefaktspezialisten?"
„Vielleicht. Es deutet zumindest darauf hin."
Ein paar Fragen geklärt, unzählige neue kommen hinzu.
Askyell drückt den Überbleibsel seiner Zigarette im Aschenbecher aus und schenkt sich Whiskey nach. „Du trinkst nichts?"
„Bin ganz zufrieden mit meinem Wasser." Er zuckt mit den Achseln. Schweigend mustere ich ihn. Seine sonst so perfekt frisierten Haare fallen ihm strähnig ins Gesicht. Die Haut unter seinen Augen ist gerötet. Der Stoff seines Anzugs stellenweise zerknittert, das Hemd guckt an der rechten Seite aus der Hose. Ich würde fast darauf wetten, dass er unterschiedliche Socken trägt. Was ist nur los mit ihm? Wieder fallen mir Mr. Wardens Worte ein. Hat Askyell Flugangst? Oder hängt es mit den letzten Tagen zusammen?
Die letzten Tage. Ich höre meinen Puls in meinen Ohren rauschen. Das Schwindelgefühl will mich überwältigen. Einfach ignorieren. „Und die Entführung?"
„Ratsmitglied." Seine Stimme ähnelt einem Knurren. „Und ein bescheuertes noch dazu."
Bei seinen Worten zucke ich zusammen. Askyell wirkt gerade unberechenbar. „Und warum das Ganze?"
„Keine Ahnung." Er reibt sich über das Gesicht. „Bevor er sich erklären konnte, habe ich sein erbärmliches Leben beendet."
Ich wäre ihm am liebsten über den Mund gefahren, aber ich weiß, dass ich Askyell gerade nicht reizen sollte. Also frage ich nur: „Meinst du, das war klug?"
„Du jetzt nicht auch noch. Die Strafpredigt von Onkel Jeff hat schon gereicht." Dabei sinkt er tiefer auf die Couch, liegt schon fast und lockert den Knoten seiner Krawatte. Onkel Jeff? Wie viel hat er bereits getrunken? „Ich weiß, dass das nicht gerade wohlüberlegt war, dass uns viele Informationen durch die Lappen gegangen sind und ich wegen Mordes angeklagt werden könnte. Aber ich habe halt nur noch Schwarz gesehen. Und trauen tun die sich das eh nicht. Hinweise habe ich auch nicht zurückgelassen, also alles nur halb so wild." Er spricht mehr zu sich selbst als mit mir. Bin heil froh darüber. Ich beschließe meine Einschätzung erst einmal für mich zu behalten. Was ich an diesem Ort gespürt habe. Diese uralte Magie. „Ich leg mich noch für ein paar Stunden hin, in Ordnung?" Ich nicke. Wie er so dahinschlurft beunruhigt mich. Warum lässt er sich so gehen?
Müde öffne ich die Augen. Ich muss eingeschlafen sein. Vor mir sitzt wieder ein absolut akkurater Askyell. „Du solltest dich umziehen. Wir landen in Kürze." Wieder nicke ich nur, versuche mich zu ordnen und verschwinde im Bad. Ich fühle mich, als hätte eher ich zu tief ins Glas geschaut. Doch ein Blick aus dem Fenster lässt mich munter werden.
Shanghai. Ich kann es immer noch nicht fassen. Meine Füße betreten chinesischen Boden! Mit meinen geringen Einnahmen aus dem Antiquariat hatte ich mir nie Urlaub leisten können. Und nun sehe ich die Straßen dieser Weltstadt an mir vorbei ziehen. Hier steht eine der einflussreichsten Magiergilden. Die hiesige Bibliothek beherbergt die umfangreichste Sammlung über Drachenartefakte. Ich kann es kaum noch erwarten.
„Oh mein Gott!" Von dem Anblick bekomme ich fast Schnappatmung. „Ist das der Oriental Pearl Tower?"
Askyell seufzt. „Ja."
„Das ist der Wahnsinn!" Meine Stimme ist gleich zwei Oktaven höher als sonst. Ich knipse wie ein wildgewordener Paparazzo drauf los, während ich den Ausblick von der Flusspromenade Wàitān förmlich aufsauge.
„Du bist echt peinlich."
„Aber dafür habe ich wenigstens Spaß!" War da etwa ein Grinsen? Unweigerlich schlägt mein Herz schneller. Wie ich das hasse! Aber wenigstens scheint Askyell sich wieder gefangen zu haben.
Ich konzentriere mich auf die vielen bunten Eindrücke. Während sich auf unserer Seite des Huangpu Jiang historische Gebäude aneinanderreihen, zieren die modernen Wolkenkratzer das Panorama gegenüber. Es ist bereits nachts. Unzählige Leuchtreklamen erhellen das Stadtbild, während trotz der späten Stunde Menschenmassen die Straßen überqueren. Der Fahrer rast noch schnell über eine gelbe Ampel und ich komme ins Straucheln. „Setz dich jetzt verdammt noch mal wieder hin!" Peinlich berührt starre ich Askyell an, der grad noch so seinen Arm fest um mein Bein schließen konnte. Sich so weit aus dem Dachfenster des Autos zu lehnen, war schon keine gute Idee gewesen! Sich dafür extra noch auf die Sitzpolster zu stellen, noch weniger.
Ich lasse mich wieder neben ihn fallen und schiebe die Erinnerungen an das Geschehene ganz weit nach hinten in meinem Kopf. Dabei schlage ich die Beine übereinander, nur um es gleich wieder rückgängig zu machen. Dieses Kleid ist einfach viel zu kurz! Moment...Ich spüre wie mir die Röte ins Gesicht schießt und bete einfach, dass Askyell vorhin nicht perfekte Sicht auf mein Höschen hatte. Gott, Erdboden tu dich auf! Wieder verfluche ich Lady Chastain. Sie hat mich in dieses traditionell angehauchte Kleid gesteckt. Auf dem dunkelblauen matten Stoff heben sich seidene Drachen im selben Farbton ab. Es wäre ein schönes Kleid, so mit dem Stehkragen, aber durch seine Länge und die zusätzlichen Seitenschlitze für meinen Geschmack viel zu gewagt. Warum zum Teufel muss ich in so einem Aufzug durch die Gegend laufen? Mein Blick wandert zu den silbernen High-Heels, die unschuldig aus meinem Stoffbeutel hervorlugen. Bei dem Gedanken, mit diesem kurzen Kleid und Stöckelschuhen eine gute Figur machen zu müssen, kriege ich gleich wieder Schweißausbrüche! Und dann auch noch immer diese verfluchten Masken! Als wäre es ohne eingeschränkte Sicht nicht schon schwer genug!
Plötzlich tippt Askyell mir gegen die Stirn.
„Was soll das?"
„Ich wollte nur sicher gehen, dass ich deine Aufmerksamkeit habe."
Wenn Blicke töten könnten, hätte Herr Obergroßmagier jetzt aber ein verdammtes Problem! „Könntest du dich bitte langsam mal wieder einkriegen? Ansonsten muss man ja bei den Stimmungsschwankungen schon fast davon ausgehen, dass dieser Zustand noch ne Woche anhält." Jegliche Farbe weicht mir aus dem Gesicht, nur um knallrot wiederzukommen. Er ist derjenige, der sich im Flieger noch schön die Kante gibt, aber ich soll meine Tage haben? Ich zische: „Willst du sterben?"
Amüsiert zieht er eine Augenbraue hoch. „Versuch's doch." Mein Mund klappt immer wieder auf und zu. Aber leider fällt mir einfach nichts Gescheites ein. Wütend verschränke ich die Arme vor der Brust und murmle: „Und was willst du jetzt...DRAKE?" Ich betone jeden einzelnen Buchstaben und freue mich über die kleinen Zornesfalten auf seiner Stirn. Er legt den Arm um mich, beugt sich zu mir vor. „Liebling", gurrt er, während ich fast an einem Herzinfarkt sterbe! „Stolper nachher nicht." Dann lehnt er sich wieder zurück und genießt offensichtlich seinen Triumpf. Der wortkarge Askyell ist mir definitiv lieber!
Was für eine Farbenpracht! Wir fahren durch Bund Sightseeing Tunnel, welcher zum Fernsehturm führt. Hier sind die Gebäude wirklich schwindelerregend hoch. Der Wagen hält vor einer schicken Lounge. Roter Teppich, Security. Es scheint keine Veranstaltung der magischen Gesellschaft zu sein, bzw. werden offenbar Nichmagische ebenfalls erwartet. Ich bin positiv überrascht, dass mein Kleid bei weitem nicht das kürzeste ist. Trotzdem hake ich mich dankbar bei Askyell ein und bete, diesen Abend irgendwie zu überstehen. Zum Glück scheint es nur ein kleiner Empfang zu sein. Brav lächle ich, bin immer an seiner Seite. Obwohl ich mir liebend gerne die Szenerie aus einigen Metern Entfernung angesehen hätte: die blonde Leuchtkerze zwischen den kleinen, sich immer wieder verbeugenden Männern. Ich kann gar nicht mitzählen, wie viele Visitenkarten wir annehmen und verteilen. Nach einer Stunde verabschieden wir uns. Wieder im Wagen bin ich heilfroh, mich nicht blamiert zu haben. Und auch, dass Askyell nicht auffällig gewesen ist, sondern fast schon handzahm.
Hoffnungsvoll wende ich mich an ihn: „Jetzt wo wir schon mal in Shanghai sind und uns sowieso umsehen werden nach dem ehemaligen Großmagier.... wie wäre es mit ein wenig Sightseeing?" „Träum weiter."
Ich schmolle. „Nenn mir einen vernünftigen Grund?"
„Wir wollen keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen."
„Und wir fallen ja so auf unter den anderen Touristen!"
Er tippt sich an den Kopf "Blonde Haare? Europäer? Die umkreisen mich hier schlimmer als Mücken das Licht. Ich kann nicht mal drei Schritte gehen, ohne dass irgendwelche Schulmädchen anfangen zu kreischen. Glaub mir, dass hat rein gar nichts mit Erholung zu tun!" Bei der Vorstellung muss ich mir das Lachen verkneifen, denn Askyell meint das definitiv todernst.
Ich muss mich stark zurückhalten, nicht gleich wieder wie ein Flummi durch die Gegend zu springen, als wir vor einem Luxushotel stehen. Langsam fühle ich mich wirklich wie eine Prinzessin. Als dann auch noch das Wort Penthouse-Suite fällt, möchte ich Askyell fast um den Hals fallen. Aber auch nur fast. Askyell lässt sich in einen Designersessel fallen, der viel zu klein scheint für seine Größe. Ich laufe wie ein aufgeschrecktes Huhn zwischen den Räumen hin und her. Drücke wie wild auf irgendwelche Knöpfe und freue mich wie ein kleines Kind, als ne riesige Leinwand aus der Decke fährt.
„Hast du Hunger?"
„Klar!" Ich hüpfe auf die Couch und mache es mir bequem, während Askyell einmal die ganze Karte des Zimmerservices bestellt. „Wer soll denn das alles essen?", frage ich lachend.
„Tja, das ewige Leid der Krone. Man muss ja die Klischees bedienen." Er macht eine kurze Pause. „Das wird noch etwas dauern, also mach was du willst. Ich gehe jetzt erstmal duschen."
Ich rechne kurz im Kopf die Zeitzone aus und beschließe dann, meine Mutter anzurufen. „Mama, du wirst es nicht glauben, wo ich gerade bin!" Ich schalte auf Videoübertragung und führe meine Mutter durch die Zimmer. Wie in einem Rausch zeige ich ihr die Terrasse mit dem Wahnsinns Ausblick, den Whirlpool und den gigantischen Billardtisch. Wir probieren zig Knöpfe aus, bis ich erschöpft nach ner Viertelstunde wieder auflege. Aber lange kann ich nicht stillsitzen. Es gibt einfach zu viel zu entdecken! Ich beobachte die bunten Fische im Aquarium, zippe durch das schrille Fernsehprogramm und finde die Massagetasten des Sessels.
Dann zieht eine ganze Ansammlung von Knöpfen mit einem kleinen Display an der Wand meine Aufmerksamkeit auf sich. Beleuchtung, Luftfeuchtigkeit, Temperatur. Einfach mal drauf losdrücken. Die Farbe des Lichts ändert sich zu Rosa. Lachend probiere ich weiter herum. Ein mechanisches Geräusch, aber nichts passiert. Komisch. Suchend schaue ich mich im Zimmer um. Alles scheint beim Alten. Bis mir eine Reflektion auf dem blank polierten, golden schimmernden Marmorboden auffällt. Neugierig drehe ich mich um. Halte die Luft an. Da steht er! Den Blick auf mich gerichtet. Nur mit einem Handtuch bedeckt. Im Badezimmer. Und zwischen uns eine transparente Wand. „Ent...schul...digung", stottere ich mit hochrotem Kopf und versuche schockiert, das irgendwie rückgängig zu machen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Askyell mir kopfschüttelnd den Rücken zudreht und sich in Ruhe weiter abtrocknet. Definitiv genug gespielt!
Ich hoffe euch gefällt das neue Kapitel. Langsam lösen sich die ersten Rätsel. Askyell und Cat allein in Shanghai, ob das gut geht? ;)
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