Kapitel 3
Ja, ich will. Ich krieche aus meinem Bett raus und schaue mich in meinem dunklen Zimmer um. Nur irgendwie ist der Mond heute Nacht so dünn, dass ich nicht einmal meine Hand vor Augen sehen kann. Das Zimmerlicht anmachen ist wahrscheinlich keine schlaue Idee, also suche ich zunächst mit der Helligkeit meines Handys nach meiner Campingtaschenlampe. Man kann sie auf verschiedene Helligkeitsstufen einstellen, also ist sie perfekt geeignet.
Nach einiger Zeit habe ich die Taschenlampe gefunden und suche mit ihrem Licht ein paar Sachen, wie Geld und Wechselklamotten zusammen, die ich in meinen großen Rucksack packe, mit dem ich normalerweise zur Schule gehe. Als ich damit fertig bin, warte ich noch bis mein Handy und meine Powerbank bis hundert Prozent geladen haben und dann stecke ich auch diese beiden Dinge ein.
Als ich den Rucksack geschultert habe, atme ich tief durch. Ich bin immer noch am überlegen, dass ich einfach hier bleiben sollte, doch nein, ich habe mich jetzt schon entschieden zu gehen und endlich das Geheimnis meiner Eltern zu lüften. Als ich meine Hand an den Türgriff lege, beginnt mein Herz immer schneller zu pochen. Ich bin ziemlich aufgeregt.
Langsam drücke ich ihn auf und trete aus meinem Zimmer heraus. Wie meine Eltern morgen wohl reagieren werden, wenn sie das leere Bett entdecken? Hoffentlich werden sie sich nicht allzu große Sorgen machen. Es wäre schon blöd, wenn mich die Polizei findet, bevor ich auch nur in Licorne angekommen bin. Deshalb sollte ich keinesfalls zögern und mich einfach beeilen.
Bedächtig laufe ich durch das Haus und setze dabei vorsichtig einen Schritt vor den anderen. Auf gar keinen Fall darf ich zu laut sein und meine Eltern wecken. Sie würden tausende Fragen haben und außerdem ist jetzt erwischt werden wahrscheinlich schlimmer, als erst später in Licorne gefunden zu werden. Dadurch dass ich weg sein werde, werden mich meine Eltern wenigstens vermissen und dann froh darüber sein, dass ich wieder da bin. Jedoch wenn sie jetzt aus ihrem Schlafzimmer kommen, bin ich im Arsch.
Ich versuche gleichmäßig und leise zu atmen und nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich mich endlich bis vor zu dem Eingang geschlichen. Ich ziehe meine Schuhe an, öffne die Tür, gehe raus und schließe sie wieder so leise wie möglich.
Draußen schaue ich mich um. Es ist alles ziemlich dunkel und es sind nur Umrisse unserer Pferdekoppel und unserer Nachbarshäuser zu erkennen. Trotz meiner Angst vor Dunkelheit stapfe ich los. Jetzt oder nie. Endlich habe ich die Chance dazu, herauszufinden was es mit Licorne auf sich hat.
Kurz überlege ich mit dem Fahrrad zu fahren, doch dieses ist leider abgeschlossen und ich werde jetzt ganz sicher nicht in unser Haus zurückkehren, nur um den Schlüssel zu holen. Also laufe ich zu Fuß weiter. In circa einer dreiviertel Stunde werde ich da sein, wenn ich schnell laufe. Die ganze Zeit über habe ich Herzrasen und schaue mich alle zwei Sekunden um, weil ich Angst habe, verfolgt zu werden. Hier mitten in der Nacht könnte mir sonst was passieren. Zudem fühle ich mich unheimlich alleine. Alle Menschen schlafen jetzt vermutlich. Nur ich laufe hier durch die Straßen.
Als ich endlich den Bahnhof erblicke, zeigt mein Handy 01.33 Uhr. Es ist ziemlich spät und ich habe länger gebraucht als erwartet. Das Ding ist, dass der Weg hier hin erst der Anfang der ganzen Sache war, es dauert noch eine Weile bis ich bei Alan ankomme. Im Bahnhof schaue ich mich unsicher um. In einer Ecke sitzen ein paar Männer, vermutlich Junkies, von denen ich mich auf jeden Fall fernhalten sollte. Auf einer Bank sitzt ein junges Pärchen, vor dem ein Kinderwagen steht. Wenn diese in die selbe Richtung müssen wie ich, was ich so ziemlich hoffe, werde ich in deren Nähe bleiben, um sicherer zu sein. Der Mann würde sicher einschreiten, falls irgendein Penner beginnt mich anzubaggern.
Da ich das erste Mal alleine im Bahnhof bin, habe ich keine Ahnung, wie man sich jetzt sein Ticket holt. Ebenfalls unwissend, ob ich überhaupt legal alleine um diese Uhrzeit Zug fahren darf, entschließe ich mich zu der Familie zu gehen und sie nach Hilfe zu fragen. ,,Hallo.", spreche ich sie an, nachdem ich mich zusammengerissen habe so selbstbewusst wie möglich zu ihnen zu gehen, und die Köpfe des Pärchens drehen sich neugierig zu mir. Der Mann hat braune Haare, braune Augen und einen Bart. Die Frau ist ebenfalls braunhaarig, hat aber blaue Augen. Das Kind der beiden ist mit einer hellroten Decke zugedeckt und schläft. Es schaut ziemlich süß aus.
Die Frau begrüßt mich ebenfalls: ,,Hallo, was machst du denn ganz alleine hier?" Okay, was jetzt? Auf keinen Fall darf ich ihr die Wahrheit erzählen, sonst lande ich gleich wieder zu Hause. Ich lüge also: ,,Meine Eltern sind noch schnell auf dem Klo, ich soll uns schon mal Zugtickets besorgen, habe aber keine Ahnung wo man die überhaupt herkriegt."
Sorgenvoll schaut das Pärchen mich an. Hoffentlich haben sie mir meine Lüge abgenommen. Das haben sie, stellt sich heraus, denn der Mann sagt: ,,Ziemlich unverantwortlich von deinen Eltern ein so junges Kind hier alleine zu lassen." ,,Hm.", murmele ich aus Unwissenheit, was ich jetzt tun soll. Ich hoffe, dass sie mir helfen werden mein Ticket zu kaufen.
Freundlich kommt die Frau wieder zu Wort: ,,Aber wir helfen dir natürlich. Wo soll es denn hingehen?" Erleichterung breitet sich in mir aus. Zum Glück haben sie meine Lüge abgenommen und helfen mir jetzt. ,,Nach Licorne.", antworte ich auf die Frage. ,,Und bei ihnen?", rutscht es mir aus Neugier noch heraus. Scheiße, das hätte ich nicht fragen sollen. Was ist, wenn sie jetzt merken, dass ich alleine hier bin.
Zum Glück kommt es ihnen aber gar nicht komisch vor und die Frau erzählt: ,,Bei uns geht es nach Penzberg, also genau in die andere Richtung." Ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt glücklich oder traurig darüber sein soll. Es wäre schlecht, wenn sie auch nach Licorne müssten, denn dann würden sie ja merken, dass ich hier ohne Eltern bin, aber andererseits will ich nicht ganz alleine sein. Was, wenn mich irgendein komischer Mann anspricht?
Bevor ich mir mehr Gedanken über die Gefahren meiner Aktion machen kann, läuft das Pärchen schon fröhlich plaudernd auf den Automaten zu, wo man sich die Tickets holen kann. Die Frau schiebt den Kinderwagen mit dem friedlich schlafenden Baby vor sich her. Schnell folge ich ihnen.
,,So, zwei Erwachsene und ein Kind, von hier bis nach Licorne Hauptbahnhof.", redet der Mann vor sich hin, während er alles in den Automaten eingibt. Ein bisschen sauer bin ich schon, dass ich mein Geld für zwei unnötige Erwachsenenfahrkarten rausschmeißen muss, aber es lässt sich wohl nichts machen. ,,Oh, der nächste Zug kommt erst um 02.30 Uhr, also in einer Stunde. Deine Eltern haben wahrscheinlich zu sehr rumgetrödelt, denn der letzte ist gerade abgefahren." Mist! Jetzt muss ich hier eine ganze Stunde am Bahnhof warten, nur weil ich vorhin zu langsam gelaufen bin. Trotzdem antworte ich mit einem kurzen ,,okay", um nicht auffällig zu wirken.
Als der Zug der Familie kommt, verabschiede ich mich von ihnen und danke ihnen nochmal für ihre Hilfe. Und ehe ich auch nur einmal blinzeln kann, stehe ich hier alleine am Bahnhof und schaue mich ängstlich um. Was soll ich jetzt nur eine ganze Stunde machen? Mein Handy kann ich nicht nutzen, weil ich sollte den Akku auf jeden Fall für wichtigeres aufsparen. Ich setzte mich auf die Bank, auf der zuvor das Pärchen saß und lege meinen Kopf in meine Hände. Wieso muss ich denn nur so neugierig sein und mich in diese Gefahr begeben haben?
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