Kapitel 2
,,Hallo?! Emi, wo bist du?", ruft jemand früh morgens durchs Haus und ich werde dadurch geweckt. Müde drehe ich mich auf die andere Seite meines Bettes. Bei dem Wecker handelt sich um meine Oma, welche wahrscheinlich zu mir gekommen ist, damit ich nicht mehr ganz so alleine zuhause bin. ,,Hier oben.", rufe ich zurück und schon höre ich wie sich Schritte meinem Zimmer nähern.
Die Tür öffnet sich und fröhlich begrüßt mich meine Oma: ,,Hallo, Maus, hast du gut geschlafen?" Genervt drehe ich mich wieder auf die andere Seite. Ich hasse es, wenn sie mich Maus oder so nennt. Ich bin keine Maus! Und wie peinlich das eigentlich ist. Trotzdem antworte ich: ,,Naja, irgendwie nicht so." Das stimmt, denn ich bin total müde und meine Augen drohen gleich wieder zuzufallen.
,,Oh nein, dann komm mal raus aus dem Bett, ich habe dir frische Pfannkuchen mitgebracht." Das heitert mich natürlich deutlich auf und tatsächlich schäle ich mich aus meiner karierten Decke. Anschließend gehe ich erst einmal kurz ins Bad.
Dort angekommen, schaue ich unglücklich in den Spiegel. Meine langen, dicken, blonden Haare, die ich von meinen Eltern geerbt habe, sind total zerzaust und stehen in großen Bögen von meinem Kopf ab. Unter meinen eisblauen Augen, welche ebenfalls auch meine beiden Elternteile haben, befinden sich tiefe Augenringe, die ich der Entdeckungstour der letzten Nacht zu verdanken habe. Und wenn das nicht schon genug wäre, habe ich drei große Pickel auf der Stirn, die kleinen beachte ich jetzt mal gar nicht so genau.
Ich drücke mir Zahnpasta auf meine Zahnbürste und stecke sie mir in den Mund. Dabei muss ich darüber nachdenken, dass meine Eltern so gleich aussehen. Sie müssen sich anscheinend schon selbst sehr lieben, um mit einer solch ähnlich aussehenden Person zusammen zu kommen. Ich hingegen kann diese eisblauen Augen, welche immer so kalt und unfreundlich wirken, überhaupt nicht leiden. Diese dicken Haare sind auch nicht gerade Wunschkonzert. Zudem, dass Blondinnen immer als dumm und zickig beleidigt werden. Das bin ich auf jeden Fall nicht und ich stelle mich auch sonst jeglichen Vorurteilen entgegen.
Nachdem ich im Bad fertig bin, gehe ich in die Küche, wo meine Oma bereits am Esstisch sitzt und alle möglichen Marmeladen ausgepackt hat. ,,Wo ist die mit Himbeere?", frage ich und meine Oma reicht mir daraufhin lächelnd die erwünschte Marmelade. Sie hat einen großen Garten, in dem viele Früchte, wie Pfirsiche und Aprikosen, und Beeren, wie Himbeeren und Johannisbeeren wachsen, aus denen sie köstliche Obstaufstriche herstellt.
Nachdem ich einige Pfannkuchen verdrückt habe, schlägt Oma vor: ,,Du könntest ja jetzt mit zu uns kommen. Anthony hat die Pferde schon versorgt." Ich stimme glücklich zu: ,,Ja gerne." und wir machen uns auf den Weg. Dadurch, dass sie in der Nähe wohnt, kann man schnell von unserem Haus zu ihrem kommen und umgekehrt. Das ist ziemlich praktisch.
Als wir an unserem Koppelzaun vorbeilaufen, kann ich dort schon Anthony entdecken, welcher gerade dabei ist auszumisten. Er ist bei uns sowas wie ein Stallbursche, weil er alles dafür tut genug Geld zusammenzukriegen, um sein Pferd, Abraxos, hier unterzustellen. Er winkt uns zu und wir winken kurz zurück.
Bei meinen Großeltern angekommen, beginnen wir gleich gemeinsam ein paar Brettspiele zu spielen. Anschließend helfe ich Oma einen Apfelkuchen zu backen. ,,Oma, sag mal, warum darf ich eigentlich nie nach Licorne und Alan sehen?", frage ich in die Stille, als wir gerade dabei sind die Früchte in kleine Stücke zu schneiden, um sie auf dem Teig auszulegen. Sie antwortet mir: ,,Ach Emi, musst du immer so neugierig sein? Wenn du älter bist, erzähle ich dir alles." Wütend frage ich: ,,Wann ist wenn ich älter bin? Wenn ich achtzehn bin oder dreißig, vielleicht vierzig? Und was ist überhaupt immer so geheimnisvoll?" Oma schnauft tief durch: ,,Jetzt beruhige dich mal, das wirst du schon erfahren, wenn die Zeit dafür gekommen ist."
Damit ist das Gespräch beendet, weil ich sie keinesfalls sauer machen will oder so. Außerdem komme ich mir wie ein quengelndes Kleinkind vor. Andererseits ist das aber auch berechtigt. Wer würde denn nicht unbedingt wissen wollen, was das Geheimnis seiner Eltern ist, wenn diese eines haben? Genau: Jeder. Irgendwie habe ich nämlich auch nicht das Gefühl, dass mich dieses Geheimnis genauso enttäuschen wird, wie das kleine Zimmer mit den langweiligen Büchern.
Stopp! Was ist wenn diese irgendetwas damit zu tun haben? Vielleicht sind das irgendwelche Codes und meine Eltern sind Geheimagenten. Das wäre ja so cool! Aber ob es sowas in Deutschland überhaupt gibt? Wenn schon, dann sicherlich nur so langweilige Version davon. Ich darf mir auf keinen Fall wieder zu große Hoffnungen machen mit meinen absurden Gedanken, denn umso enttäuschter werde ich dann sein.
Kurz nachdem der Kuchen fertig ist und meine Oma außerdem noch etwas gekocht hat, kommt Onkel Ronny vorbei. Er hat keine Freundin und weil alleine leben sehr langweilig ist, besucht er oft Oma oder uns. Nach dem Essen machen wir einen Spaziergang, schauen einen Film und spielen noch mehr Brettspiele. Es wird immer später und später. ,,Willst du heute vielleicht bei uns übernachten?", fragt mich Oma als mein Onkel gefahren ist und ich entscheide mich dafür. Hier werde ich sicher besser schlafen können als alleine zu Hause. Zwar komme ich mir ein bisschen kindisch vor, aber egal, besser als diese Angst vor Einbrechern.
Am nächsten Tag verschwinde ich gleich nach dem Frühstück nach Hause. Gerade als ich fünf Minuten da bin, geht auch schon die Haustür auf und meine Eltern kommen hinein. Glücklich laufe ich zu ihnen und wir begrüßen uns. Sie fangen an zu erzählen, wie es in Licorne war und was sie gemacht haben. Ich höre aber nur mit haben Ohr zu, denn ich will jetzt einfach wissen, wieso sie mich nie mitnehmen. Jetzt sofort! ,,Warum habt ihr mich nicht mitgenommen?", platzen mir meine wütenden Gedanken heraus, aber als Antwort kriege ich nur wieder das Gleiche wie immer.
,,Das interessiert mich nicht! Ich will nach Licorne und Alan sehen! Wenn ihr mich nicht mitnimmt, dann gehe ich alleine!", schreie ich, dabei komplett kontrolliert durch meine Wut. Mama versucht mich zu beruhigen: ,,Emi, du weißt, dass das nicht geht." Sie will mich am Arm festhalten, doch ich stoße sie ab und renne aufgebracht durch die Tür. Dabei höre ich noch wie Papa zu Mama, als sie mir nachrennen wollte, Folgendes sagt: ,,Lass sie. Sie geht reiten und kommt dann wieder wie immer ganz lieb zurück."
Ein Scheiß werde ich zurückkommen, wobei das mit dem Reiten stimmt. Es ärgert mich so enorm, dass meine Eltern mich so gut kennen. Ich will einfach nach Licorne! Ich schnappe mir schnell das Halfter meines Pferdes Manolito, gehe auf die Koppel und hole ihn. Nachdem ich ihn innerhalb weniger Minuten geputzt und aufgezäumt habe, schwinge ich mich in den Sattel. Ich reite den Feldweg entlang und bin dabei ziemlich unglücklich und innerlich abwesend. Das ist bei Manolito zum Glück nicht so schlimm, weil er sehr entspannt ist.
Bei der Galoppstrecke angekommen, treibe ich meinen Wallach an und wir fallen in einen schnellen Galopp. Der Wind saust mir durch die Haare, weil wir so schnell sind und das gibt mir ein unbeschreibliches Gefühl. Es ist einfach wunderschön und fühlt sich nach Freiheit und Sommer an. Ich muss grinsen vor Glücksgefühl.
Als ich Manolito wieder zum Schritt durchpariert habe, wird mir einiges klar: Ich gehe einfach alleine nach Licorne. Ich bin schon vierzehn. Es kann doch nicht so schwer sein, sich in irgendeinen Zug zu setzten und einfach loszufahren. Schließlich werde ich dort ja auch nicht komplett alleine sein, sondern zu Alan gehen. Wie ich seine Adresse rausfinden will, ist mir jetzt noch im Unklaren, aber ich werde das schon hinkriegen.
Auf dem Rücken meines Knabstruppers schmiede ich Pläne für meine Reise. Es wird mir klar, dass ich auf jeden Fall nach Licorne aufbrechen sollte, um das Geheimnis endlich zu lüften. Ich bin genial!
Wieder zuhause angekommen stelle ich Manolito in den Stall und umarme ihn fest zum Abschied. Wer weiß, wie lange ich vorhabe in Licorne zu bleiben. Nach ein paar Leckerlies und Streicheleinheiten mache ich mich auf den Weg zu meinem zweiten Pferd. Es handelt sich um ein braunes Shetlandpony namens Aika, welches ich zu meinem dritten Geburtstag bekommen habe. Auf ihr kann ich leider nicht mehr reiten, weil ich zu groß und zu schwer für sie bin, aber dafür habe ich ja schließlich Manolito. Auch Aika bekommt sämtliche Schmuseeinheiten.
Danach gehe ich ins Haus. Während dem Abendessen vertrage ich mich wieder mit meinen Eltern. Aber wenn die von meinen Plänen wüssten! Sie werden sicher sauer sein, aber egal, mir ist es gerade im Moment wichtiger alle Geheimnisse zu lüften, auch wenn das vielleicht egoistisch und naiv ist.
In meinem Bett warte ich bis Mama uns Papa schlafen gehen, danach habe ich vor ein paar Sachen zu packen und dann tatsächlich loszuziehen. Mein Herz pocht vor Aufregung immer schneller. Jetzt könnte ich noch jede Zeit den Plan aufgeben und einfach einschlafen. Will ich wirklich alleine mitten in der Nacht nach Licorne fahren?
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