Kapitel 19
Eine Woche später sitze ich wieder bei Alan im Wohnzimmer und wir schauen gemeinsam Fernseher. Meine Eltern sind heute Katharina besuchen gefahren und ich habe mit der Ausrede, dass ich lieber mit Alan ausreiten würde darauf verzichtet. Der Tag war schön. Ich durfte auf einem Tinkerpony namens Lucy reiten, während Alan auf Armageddon, einer hellen und energischen Fuchsstute geritten ist. Trotzdem fehlt mir etwas. Jonah. Wir haben uns immer noch nicht vertragen, da er einfach nicht auf meine Nachrichten antwortet und meine Anrufe ignoriert. Licorne ohne ihn ist einfach nicht Licorne.
Gerade laufen Nachrichten. ,,Massenmörder in der Kleinstadt Licorne zurück. Die Polizei ermittelt, ob es sich bei dem Mörder um denselben wie vor einigen Jahren handelt.", sagt die Nachrichtensprecherin und ich horche auf. Sofort bin ich hellwach. Hier in Licorne soll es einen Massenmörder geben? So ein Mist! Ich bin mir ganz sicher, dass es sich dabei nicht einfach um eine Person handelt, die sich am morden vergnügt, sondern dass das Problem tiefgründiger ist. Sicher bekämpfen sich bereits die beiden Seiten der Magie und der Krieg steht direkt vor der Tür. Ich hätte nie gedacht, dass es so schnell geht. Es ist doch noch nicht einmal so lange her, dass ich von meiner Magie herausgefunden habe und jetzt kommt es anscheinend gleich zum vorhergesagten Krieg. Und ich kann etwas dagegen tun. Ich muss etwas dagegen tun.
,,Scheiße, hoffentlich ist uns dann nicht schon wieder die Presse am Hals. Normale Menschen sollten Licorne verlassen, dann hätte niemand davon mitbekommen!", schimpft Alan neben mir. Normale Großväter regen sich über verlorene Fußballspiele oder so auf und nicht über Morde in der eigenen Stadt. Ich bin nicht der Meinung nach, dass normale Menschen Licorne verlassen sollte, sondern eher, dass es nur solche geben sollte. Keine Meerjungfrauen, keine Feen und schon gar keine Hexen oder Werwölfe. Ich muss die Magie vernichten!
Als ich am Abend nach dem Duschen alleine im Bad bin, verwandele ich mich. Ich schaue mich in meiner Gestalt im Spiegel an und strecke ihr die Zunge raus. Eigentlich mag ich sie ja, doch wenn man bedenkt, wie viel Schaden die Magie in der Welt anrichtet, kann sie gar nichts Gutes sein. Noch kurz bewundere ich meine langen Haare, welche auf einmal gelockt sind, wenn ich mich verwandele, dann gehe ich über das Unsichtbare wieder in meine Menschengestalt zurück. Irgendwie komme ich mir jetzt längst nicht mehr so schön, etwas blass und ein wenig zerrupfter vor. Ach was, mit einem Kleid und Lockenstab könnte ich auch ohne verwandeln so aussehen, denke ich und verlasse zügig das Bad, um nicht mehr in den Spiegel schauen zu müssen.
Am Abend bekomme ich einen Anruf von Romina. ,,Hast du es schon gesehen?", fragt sie und ich weiß sofort, dass sie damit den angeblichen Massenmörder in Licorne meint. ,,Ja.", sage ich, ,,wir müssen was dagegen tun." Ich hoffe, ich klinge mehr oder weniger selbstsicher und nicht so erschöpft, wie ich wirklich bin. ,,Du musst dich wieder mit Jonah vertragen, wir müssen nach Neuburg und diese Scheiße so schnell es geht stoppen. Emi, ich kann nicht zusehen, wie Menschen sterben, weil wir gerade streiten. Wir müssen das verhindern. Es tut mir so leid, dass ich Jo provoziert habe." Habe ich da ein Schluchzen gehört? Weint sie? Angeblich scheint sie die Sache doch mehr mitzunehmen, als ich gedacht habe.
,,Hast du schon darüber nachgedacht ohne ihn nach Neuburg zu fahren?", frage ich, weil dieser Gedanke mir einfach nicht aus dem Kopf geht. Klar, es ist scheiße es ohne Jonah zu machen, doch wenn es die Welt rettet. Romina gibt zu: ,,Ich war schon ohne euch beide da. Bin zwei Stunden rumspaziert, nichts gefunden." ,,Warst du an dem Ort, den du in deiner Vision gesehen hast?", frage ich neugierig. ,,Ja.", sagt sie, ,,ich denke wir müssen da zusammen hin. In meiner Vision habe ich auch schließlich Jonah vor dem Schloss gesehen und nicht dich oder mich. Vertrag dich mit ihm. Verhindere einen Krieg."
Diese Worte jagen mir eine Gänsehaut über den Rücken. ,,Mache ich.", bringe ich mit Tränen im Gesicht hervor. ,,Du musst dir irgendetwas ausdenken. Entschuldige dich für mich." ,,Okay, mache ich. Tschüss.", schluchze ich mehr, als dass ich es sage. ,,Tschüss.", verabschiedet sich auch Romina.
Ich liege noch einige Zeit weinend auf meinem Bett und starre in die Luft, bis ich beschließe gleich morgen Früh zu Jonah zu gehen. Jetzt ist es nämlich schon zu spät. Trotzdem kann ich nicht einschlafen. Was soll ich Jonah denn sagen? Ich werde irgendeine Entschuldigung brauchen, doch mir fällt ums verrecken nichts ein. Vielleicht was Materielles? Ich meine Jonah hat mir auch schon ein Skateboard geschenkt. Aber was würde ihm so sehr gefallen, dass er nicht mehr sauer auf mich ist? Ein Skateboard jedenfalls nicht, da kenne ich mich viel zu wenig aus und er hat schon voll viele.
Nach zwei Stunden in denen ich ewig nachgedacht und ganz Google durchforstet habe, fällt mir immer noch nichts ein, wie wir uns denn wieder vertragen können. Ich muss ihm auf jeden Fall die Wahrheit darüber sagen, was ich in dem Moment, als Romina ihn beleidigt hat, gefühlt habe. Das wird mir nicht mal so einfach fallen und außerdem wird er mir sicher nicht durch ein paar Worte verzeihen. Ich brauche einfach mehr.
Als ich am nächsten Tag nach dem Frühstück mit meinem geschenkten Skateboard auf dem Weg zu Jonah bin, weiß ich leider immer noch nicht, was dieses mehr sein soll. An seiner Haustür angekommen, klingele ich einfach mal. Jonahs Mutter macht auf. ,,Hallo.", begrüßt sie mich fröhlich wie normal. ,,Hallo, ist Jonah da?", frage ich. ,,Ja.", antwortet sie mir und schreit in Richtung Zimmer ihres Sohnes: ,,Jonah, Emi ist da!" Keine Antwort. Mein Herz pocht immer schneller. Was soll ich nur tun, damit er mir verzeiht?
Erst nachdem seine Mutter ihn holen musste, steht er vor mir. Er sagt kein Wort. Ich zuerst auch nicht. Doch dann erinnert mich mein hörbar schlagendes Herz daran, dass ich mich unbedingt entschuldigen muss. Es geht nicht nur um einen einfach Streit, ich sage nicht, dass das nicht schon schlimm genug wäre, sondern darum einen ganzen Krieg zu verhindern und mehrere Menschenleben zu retten. Ich reiße mich also zusammen, atme tief ein, räuspere mich und beginne zu sprechen: ,,Jonah, es tut mir so leid. In dem Moment als Romina dich runtergemacht hat, war ich einfach zu feige, um irgendetwas zu sagen. Ich wollte neben ihr cool wirken. Mehr als alles will ich mit dir befreundet sein und natürlich glaube ich dir, dass du zu einem Geburtstag gegangen bist. Ich bin eine schlechte Freundin. Ich hätte auf deiner Seite stehe sollen. Sorry."
Er schaut mich die ganze Zeit verwirrt an und ich fühle mich, als würde er mir bis in die Seele starren. Deshalb fällt es mir schwer überhaupt Wörter herauszubringen. Verzeiht er mir jetzt? Forschend schaue ich in Jonahs Augen. ,,Merkst du eigentlich, dass du gerade wieder nur über dich geredet hast?", fragt er stattdessen und mein Herz rutscht vor Schock dieser Worte in meine Hosentasche. Habe ich das? Scheiße, ist mir nicht einmal aufgefallen. Bin ich möglicherweise selbstverliebt? Oder hat Jonah es einfach falsch verstanden, dass ich ihm nur sagen wollte, was ich gefühlt habe, damit er vielleicht nachvollziehen kann, weshalb ich so gehandelt habe?
,,Würdest du mit mir befreundet sein wollen, wenn ich nicht der König der bösen Magie wäre?", fragt er auf einmal und sieht dabei sehr traurig aus. Jetzt fühlt es sich so an, als wäre ich diejenige, die ihm in die Seele blicken könnte. Nein, wahrscheinlich nicht, denke ich als Antwort auf seine Frage, lüge aber nervös: ,,Ja klar, Jonah." ,,Wieso glaube ich dir das nicht.", zweifelt er, was mich nur noch aufgeregter werden lässt. ,,Keine Ahnung, es stimmt aber. Ich wäre auch so mit dir befreundet. Wir wollen die Magie ja auch vernichten." Damit will ich ein bisschen auf das Thema Krieg hinlenken.
,,Okay.", sagt Jonah, doch er scheint nicht überzeugt. Zwischen uns ist seit dem Streit sowas wie eine Barriere entstanden. ,,Jonah, es geht hier doch auch nicht nur um dich und mich, sondern darum einen verdammten Krieg zu verhindern. Hast du gesehen, was sie im Fernseher gesagt haben.", versuche ich es mit weiteren Argumenten. ,,Ja. Was willst du tun?", fragt er, immer noch gefühlskalt. ,,Neuburg?", erinnere ich. ,,Wann?" Soll ich das als vertragen ansehen? Ist jetzt alles wieder gut, wenn er mit nach Neuburg kommt? ,,Morgen?", schlage ich vor, weil wir heute noch mit meiner Familie an einen Weiher reiten wollten und es komisch rüberkommen würde, wenn ich auf einmal keine Lust mehr habe. ,,Muss deine coole Freundin da nicht feiern?", fragt er gehässig. ,,Ey, sie ist nicht meine coole Freundin. Wieso bist du so gemein? Wir haben uns doch beide entschuldigt.", rege ich mich plötzlich auf. Es kann ja nicht so schwer sein, mir kurz zu verzeihen.
,,Morgen um neun Uhr am Bahnhof. Deine letzte Chance.", sagt Jonah noch und knallt mir dann die Tür vor der Nase zu.
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