Kapitel 11
,,Siebenundzwanzig, achtundzwanzig, neunundzwanzig, dreißig", höre ich, als ich wieder zu Bewusstsein komme und dann legt sich ein anderer Mund auf meinen und bläst Luft hinein. Nach drei mal Pusten, legen sich Hände auf meine Brust. Ich werde gerade wiederbelebt! Und die Person, die das versucht hat, hat es auch geschafft. Schnell schlage ich meine Augen auf und blicke in die dunkelbraunen Augen eines kleinen Jungen. Als er merkt, dass ich wach bin, weicht er ängstlich von mir zurück. Wir mustern uns genauer. Er hat schwarze Haare und eine leicht braune Haut.
,,Was ist passiert? Hast du das gesehen? Wer war die helle Gestalt? Wie hast du mich gefunden? Hast du auch Magie?", überflute ich plötzlich den Jungen mit Fragen. Respekt, dass er mich wiederbelebt hat. Er sieht ziemlich jung aus. Ich schätze ihn auf neun oder so. ,,Ich war die helle Gestalt. Keine Angst, ich weiß was du bist. Ich bin sowas wie deine Gegenseite.", antwortet er auf meine Fragen, welche aber irgendwie immer noch nicht beantwortet sind, weil ich nicht checke was für eine Gegenseite er meint. Als ich nachfrage, erklärt er: ,,Du bist die gute Königin der Magie, ich bin sowas wie die böse."
Warte was? Ich dachte nur Mädchen und Frauen können Königinnen oder Prinzessinnen sein. Das vor mir ist doch ein Junge, oder? Zumindest sieht er männlich aus. Auf meinen verwirrten Blick hin erzählt er: ,,Es ist etwas unmögliches geschehen. Anstatt tausend Jahren, sind nur ungefähr zehn vergangen, bis es neue Königinnen gab. Und eine davon ist halt noch irgendwie männlich." Er grinst mich an. Anscheinend scheint er das Ganze mit der Magie auch sehr cool zu finden. Ich bin gerade einfach überfordert. Nie hätte ich erwartet, dass die Königin der bösen Magie ein kleiner Junge ist.
,,Hast du den Werwolf ganz allein getötet? Und wo sind wir jetzt überhaupt?", hake ich weiter nach. ,,Ja, ich habe ihn getötet. War gar nicht so schwer. Wieso bist du ausgebrannt?" Ausbrennen nennt man es, wenn die Magie leer ist. Ich erinnere mich, wie auch mein Vater mir das gesagt hat. ,,Ich habe erst vor ein paar Tagen überhaupt von Magie erfahren.", vertraue ich dem Jungen an. Dabei habe ich doch ein ganz kleines Bedenken, denn er ist ja eigentlich böse. Sollte er mich nicht umbringen? Aber irgendetwas in mir sagt, dass ich ihm vertrauen kann und schließlich hätte er mich dann auch nicht wiederbelebt.
,,Ach du scheiße. Du kommst also gar nicht aus Licorne.", schließt der Junge aus dem, was ich eben gesagt habe. ,,Ja und deshalb weiß ich ja jetzt auch nicht wo wir sind.", komme ich wieder auf eine meiner vorherigen Fragen zurück. ,,Alles gut, ich kann dir helfen. Ich wohne schon immer hier.", sagt der Junge und Erleichterung fällt über mich. Er berichtet noch: ,,Ich habe dich ein paar Gassen weitergeschleift, nicht dass weitere Feinde kommen. Einen Heiler haben wir in Licorne leider nicht mehr, nachdem erst Maximiliane und dann Milan beschlossen haben ebenfalls Licorne zu verlassen." ,,Mein Vater und meine Tante.", sage ich lächelnd. ,,Echt?!", fragt der Junge überrascht. Anscheinend ist meine Verwandtschaft hier berühmt. ,,Ja. Eine Frage noch, wo hast du Wiederbeleben gelernt?" ,,Bei meinem Onkel, er sagt, man soll immer auf alles vorbereitet sein." ,,Das stimmt."
Kurzes Schweigen tritt zwischen uns und da fällt mir auf, dass ich noch gar nichts über den Jungen weiß. Die ganze Zeit haben wir erstmal die Situation geklärt ohne gegenseitig unsere Namen zu kennen. Ich frage also: ,,Wie heißt du? Ich bin Emiliana." ,,Jonah.", antwortet er, ,,das kommt aus dem hebräischen und bedeutet Taube." Ich nicke. Der Name passt irgendwie zu ihm. Als der Werwolf mich erwischt hat, ist Jonah schnell wie ein Vogel herbeigekommen, um mich zu retten.
Wir unterhalten uns noch ein wenig weiter über eher langweiligere Dinge, als wir gemeinsam durch die Straßen schlendern. Ich erfahre von meinem Gegenüber, dass er elf Jahre alt ist und bald zwölf wird, ich habe mich also ein wenig verschätzt. Dass er Fußball spielt, gerne skatet und zockt, also eigentlich normale Hobbys für einen Jungen seines Alters hat. Dass sein Vater aus Syrien stammt, deshalb die Hautfarbe. Und dass er fast keine Freunde hat und den ganze Tag mit skaten verbringt. Auch ich erzähle ihm kurz zusammengefasst mein ganzes Leben. Dann kommen wir auf das Thema Magie und ich berichte ihm die ganze Geschichte, wie ich rausgefunden habe, was ich bin. Nachdem wir klargestellt haben, dass in der Umgebung niemand ist, verwandeln wir uns. Seine Gestalt ist sowas wie ein Anzug, der die gleichen Farben und Musterungen hat, wie mein Kleid. Zusammen schauen wir aus wie Superhelden.
,,Wir sind schon verbündet, oder?", fragt Jonah sicherheitshalber noch mal nach. ,,Natürlich. So etwas wie Krieg stelle ich mir verrückt vor. Wie konnten unsere Eltern nur ihrer Bestimmung nach gehen?", antworte ich schnell. ,,Das weiß ich auch nicht.", gibt er Schultern zuckend zurück, ,,Hast du eigentlich schon was von der Legende gehört, dass wir die Magie vernichten sollen, um weitere Grausamkeiten, wie die Kriege zu verhindern?" Ich antworte nur mit einem kurzen ,,Ja.", weil ich immer noch nicht so recht weiß, was ich davon halten soll. Einerseits ergibt das alles ja Sinn. Wenn wir die Magie vernichten, können wir ein entspanntes Leben ohne ständige Gefahren führen. Andererseits frage ich mich, ob man so etwas wunderbares wie Magie überhaupt vernichten darf.
Jonah stimmt mir zu, dass es positive und negative Seiten daran gibt und wir wechseln schnell das Thema, um nicht so sehr in pessimistische Gedanken zu geraten. Alles, was mir Noah noch nicht über Magie erzählt hat, erfahre ich jetzt von Jonah. Der kleine Junge ist unheimlich sympathisch, sodass ich noch Stunden hätte mit ihm verbringen können. Doch auf einmal fällt mir wieder ein, dass ich ja um siebzehn Uhr zuhause sein muss. ,,Wie viel Uhr ist es?", frage ich Jonah hektisch, nicht dass sich meine Eltern Sorgen machen. ,,Sechzehn Uhr dreißig, wieso?" Erleichtert atme ich aus und erkläre ihm meine Beunruhigung.
,,Soll ich dich noch nach Hause begleiten?", schlägt Jonah vor. In dem Moment komme ich mir doch ein bisschen dumm vor, dass ich meinen Tag mit jemandem verbracht habe, der ganze drei Jahre jünger ist. Es wäre schrecklich, wenn sich mein Gegenüber noch in mich verliebt oder so. Ich meine, er sieht schon scheiße gut aus, aber er ist elf. Was denke ich da überhaupt? Schnell wechsele ich meine Gedanken. ,,Na klar, ab zu Alan.", meine ich und wir laufen los.
,,Hast du morgen schon etwas vor?", fragt Jonah, als wir vor der Haustür meines Opas stehen. ,,Nein, ich kenne hier niemanden, was soll ich vorhaben?", antworte ich und wir machen ein Treffen um fünfzehn Uhr vor Alans Haus aus. ,,Tschüss.", verabschiede ich mich, als ich an der Tür geklingelt habe und Jonah fährt mit seinem Penny Board, was er plötzlich aus der Innenseite seiner Tasche gezogen hat, davon. Vorher habe ich es gar nicht gesehen. Doch vieles an diesem Jungen ist unscheinbar, denke ich und freue mich auf den morgigen Tag.
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