6. Dezember
Schnell komme ich aus der Puste. Das schwere Buch drückt immer und immer wieder gegen meine Hüfte beim Rennen. Unten hat das Chaos noch nicht aufgehört. Was läuft da nur? Ich erreiche die Sprossenleiter und schwinge mich mit solchem Schwung darauf, dass sie beinahe umkippt. Jedoch lasse ich mich nicht aus der Ruhe bringen und beginne mit dem Abstieg in das Ungewisse. Als ich etwa noch fünf Meter vom Boden entfernt bin, rüttelt etwas heftig an der Leiter. Ich wage einen schnellen Blick nach unten und weiss sofort, was Sache ist. Der Grund, warum die Leiter rüttelt, ist ein Angreifer. Er ist in ein rotes Tuch gehüllt und will mich zum Stürzen bringen. Das kenne ich doch! Es sind ein und die selben Angreifer, wie damals auf dem Feld. Anscheinend ist hier wirklich jemand darauf aus, mich zu töten. Aber wieso auch? Welchen Zweck hätte ein Anschlag auf eine Magician? Mein Arm schmerzt von dem Versuch, mich fest zu halten. Um ehrlich zu sein mein ganzer Körper fühlt sich dem Zerreissen nahe an.
Weiter steige ich einige Stufen tiefer und versuche den Angreiffer mit Tritten davon abzuhalten, mich in die Tiefe zu reissen. Vergebens. Er bekommt mein Knöchel zu fassen und reisst mich unsanft zu Boden. Der Aufprall verschlägt mir den Atem und ich bekomme einen Hustanfall. Stöhnend krümme mich am Boden und versuche nicht durchzudrehen. Plötzlich greift mich der Verhüllte erneut an.
Na super!
Aber wozu gibt es hier denn so viele Bücher? Niemand wird sie jemals alle lesen können. Dafür eignen sie sich super, um sie zu werfen!
Mit einem Ruck reisse ich einen besonders dicken Schunken aus dem Regal und schleudere ihn mit aller Kraft meinem Angreiffer entgegen. Diesem fliegt das Buch an den Kopf und er sackt leblos zusammen.
Kurz bekomme ich Panik. Wie viele Leute werde ich in nächster Zeit noch umbringen?
Immerhin fliesst heute noch kein Blut. Womöglich ist mein Angreifer gar nicht tot.
Jetzt aber... Clane! Na super... Bei all dem habe ich ihn völlig vergessen. Die Schreie und anderen Kampfgeräusche, die ich vorhin oben gehört habe, kommen mir wieder in den Sinn und ich sehe Cassaian bereits tot vor mir.
Wie vielen Angreifern musste er standhalten?
Es rumpelt noch einmal kurz und dann wird es still.
Plötzliche Panik steigt in mir hoch. Ich springe auf und renne umher in dieser fremden Stille. Da entdecke ich den Ursprung des Geräusches und der Ruhe.
Auf dem Boden liegen hunderte Bücher verstreut um ein umgekipptes Bücherregal herum. Mitten darin kniet Cassaian Clane, mit einem Schwert an der Kehle.
"Denk daran Clane. Vergiss unsere Abmachung nie. Du hast bereits zu viele Regeln gebrochen." Die Stimme des Typen, der Cassaian bedroht, klingt falsch und zischend.
"Nur gut. Ihr kennt mich. Regeln brechen ist meine Leidenschaft!"
Urplötzlich schlägt Cassaian dem Angreifer das Schwert aus der Hand. Dieser schreit verärgert. Ich will Clane zur Hilfe eilen, doch ich bleibe stocksteif stehen. Noch hat mich niemand bemerkt.
Ich bin gerade zu fasziniert. Fasziniert beobachte ich das Geschehen. Der Angreifer packt sich das Schwert und lässt es niederfahren...
Cassaian rollt sich jedoch zur Seite, springt auf und verpasst dem Typen einen harten Tritt, welcher ihm das Bewusstsein raubt. Von hinten nähert sich ein anderer Verhüllter. Ich denke, Cassaian sieht ihn, doch das tut er nicht.
"Cassaian, Cassaian! Hinter dir!"
Hysterisch kreische ich auf. Meine Starre ist verschwunden. Erschreckt weiten sich Clanes eisblaue Augen. Für einen Moment sieht er mir direkt in die Augen.
Dann geht alles ganz schnell. Cassaian hebt sein Schwert, dreht es gegen sich und lässt es mit der Spitze voran knapp an seinem Körper vorbeisausen. Dadurch wird der Angreifer, welcher seinen Sprint nicht mehr rechtzeitig stopen kann, aufgespiesst. Schwer atmend zieht Cassaian sein Schwert aus dem leblosen Körper und lässt es klappernd fallen. Die Anstrengung ist ihm noch jetzt deutlich im Gesicht anzusehen. Er hat gerade drei Mann davon abgehalten, ihn zu töten. Und das ganz alleine.
Ich würge und krümme mich. Schon wieder. In diesen zwei Tagen habe ich mehr Blut gesehen, als in meiner ganzen Lebenszeit zuvor.
Doch ich versuche den Ekel zu unterdrücken und kämpfe dagegen an.
Das ist schwer, bei dem metallischen Duft nach Blut in der Luft.
"Ohh... Geht es dir gut!" Stürmisch eile ich auf Clane zu. Gerade, als ich ihn nach Wunden untersuchen will, hebt er abwehrend die Hand.
"Bitte. Lass das. Alles in Ordnung. Wirklich. Mir geht's gut." Stirnrunzelnd stemmt er sich auf seinen Knien ab.
"Wirklich? Ich meine gegen wie viele hast du alleine gekämpft. Drei?"
Er nickt nur stumm und schwer atmend.
"Der vierte suchte nach dir. Wie bist du den losgeworden?" Jetzt blickt er vom Boden auf zu mir.
"Ich kann nur sagen, Bücher kann man auch für andere Dinge brauchen, als sie zu lesen. Besonders die ganz dicken." Er lacht nur einwenig vor sich hin. Vielleicht war das nicht der richtige Zeitpunkt für einen Witz.
"Apropos Bücher, hast du 'Infidus'?" Er deutet auf mich.
"Jap." Ich wiederum deute auf meine Jackentasche.
"Und du. Sonst was?"
"Nur ein, zwei Lektüren, die hilfreich sein könnten. Aber jetzt lass uns von hier verschwinden, ehe jemand erfährt, dass in seiner Bibliotheke eben ein Massenmord begangen wurde." Mit einer Hand wischt er sich den Schweiss aus der Stirn.
"Was? Heisst das, eigentlich dürften wir gar nicht in dieser Bibliotheke sein, weil sie in Privatbesitz ist?!" Frage ich aufgebracht.
"Genau, du hast's kapiert. Und jetzt schnell weg hier!" Er macht einen schnellen Schritt nach vorne und packt mich am Handgelenk.
Genau in diesem Moment springen zwei riesige Flügeltüren auf. Etliche bewaffnete Wachen stürmen fluchend herein. Sofort heben sie ihre Waffen und rufen uns Dinge entgegen, die jedoch in einem Schneesturm untergehen. Um uns herum schlägt das Eis in die Wärme der Bibliotheke.
Wir verschmelzen in der Kälte und dem Tod. Das einzige, was ich darin wahrnehme, ist Cassaian Clane's siegerisches Grinsen. Wie er meine beide Hände in seinen hält und uns an einen ungestörten, sicheren Ort bringt. Wie fest ich ihm bereits vertraue... Ich lege mein Leben in seine Hände, ohne zu wissen,was er damit anfängt. Ohne zu wissen, was Lüge oder Wahrheit ist.
Die wütenden Soldaten um uns herum verstummen. Bleiben zurück in dem vollen Ausmass unseres Besuches. Und erst jetzt registriere ich, dass ich meinen ersten Diebstahl begangen habe.
Ich lasse Cassaians Hand los und taste damit nach dem Buch. Kantig unter meiner Jacke, bekomme ich es zu fühlen. Wegen diesem Buch, hat sich mein Leben verändert. Denn, es ist das erste Diebesgut, das ich mir selbst ergaunert habe. Welche Ironie, dazu noch das Buch, über die Verbrecher.
Wieder schenkt mir Cassaian eines dieser warmen, erschöpften Lächeln, dann sind wir fort.
An einem anderen Ort.
Irgendwo auf dieser kleinen und doch so grossen Welt.
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