5. Dezember
Es fühlt sich so real und doch so fremd an. Ich kann nicht sagen, was ich empfinde. Es ist, als wären mir ein Stein vom Herzen gefallen. Aber andererseits fühlt es sich auch niederdrückend an. Womöglich helfe ich gerade einem Schwerverbrecher.
Ich löse meinen Blick vom Boden und siehe Cassaian ins Gesicht. Darin liegt Distanzierung, klar zu erkennen, aber auch eine gewisse Dankbarkeit.
"Sie wollen mir also wirklich helfen?"
"Bitte. Nenn mich Marina. Und ja, ich will helfen."
"Na gut. Ich bin Cassaian." Dieser Name klingt so wunderschön verflixt.
Anscheinend kann er kaum glauben, dass ich ihm helfen will. Dieser Blick, mit der einen abgehobenen Augenbraue, lässt ihn schüchtern wirken.
"Ich gebe mein Bestes. Mit dem Helfen natürlich." Hoffentlich merkt er nicht, wie rot ich gerade geworden bin. Ein kleines Lächeln kann ich auf meine Lippen zaubern, wenn auch nur ein nicht ganz so echtes. Denn das tue ich wirklich, ich gebe alles, um den Dieb zu finden, auch wenn ich dafür mit ihm unter einer Decke arbeiten muss.
Dann sagt er zu mir:
"Worauf warten wir denn noch, lass uns mit der Suche beginnen... Ich weiß auch schon, wo wir anfangen." Voller Feuer steckt er mir seine Hand entgegen. Darauf sind einige Narben sichtbar. Bestimmt hatte er schon so vieles durchgemacht, dass man es nie mit einer Hand aufzählen könnte. Ein letztes mal blicke ich in seine eisernen, entschlossenen Augen. Wenn jemand den Spiegel finden kann, dann er. Wir. Zusammen.
Dann ergreife ich seine Hand und plötzlich umgibt mich seine Magie. Sie ist so anders. So viel kälter als meine Eigene. Wie eiserne Splitter, die sich in meine Haut schlagen.
Als ich wieder etwas anderes als diese glänzenden Eissplitter um mich habe, öffne ich vorsichtig meine Augen. Puh... Das war kalt. Er ist ein richtiger Eis-Magier. Alles an ihm spricht dafür. Seine Magie, seine Art und diese unheimlichen, wunderschönen Augen! Ich räuspere mich laut und streiche mir unsichtbare Staub - oder in dem Fall Eiskörner - von meinem Kleid. Da werde ich plötzlich darauf aufmerksam, dass ich mich so richtig an seine Hand klammere. Na suuuuper! Er scheint es auch gerade zu bemerken und grinst. Am liebsten würde ich ihm diesen Ausdruck aus dem Gesicht schlagen.
"Hat da jemand angst?" Seine Stimme klingt rau.
"Haa! Angst?! Ich habe nie angst... Du bist der, der hier angst haben sollte. Und... Ausserdem ist mir nur... Ehm... Mir ist kalt, wegen deinem Gezauber, als würde man durch den Nordpol höchstpersönlich in der Unterwäsche gehen!" Er lachte nur lautlos.
"Schöne Vorstellung." Hatte er das wirklich gerade gesagt? Ich hasse seinen Humor!
Blitzschnell ziehe ich meine Hand von seiner weg und mache einige drohende Schritte auf ihn zu.
"Also ehrlich! So eine Unverschämtheit!" Als ich ihm erlaubte, mich zu duzen, meinte ich nicht, dass er mich jetzt auch auf den Arm nehmen und ärgern soll! Mit dem Zeigefinger pikse ich ihm auf die Brust.
"Es tut mir leid Marina. Aber aus irgendeinem Grund kann ich dich nicht ernstnehmen." Schief sieht er mich an und seine Brust hebt und senkt sich schnell, als würde er lachen.
"Du solltest mich sehr wohl ernstnehmen. Ich bin eine - eine deiner Regenten!" Ich bekomme das Wort Magician nicht über die Lippen, weil ich vermute, dass er sich dann wieder an mein wahres 'Ich' erinnert und mich abstösst.
Betreten lasse ich den Finger sinken. Na so was. Der hat wirklich keinen Respekt vor den Magician.
"Nun ja ,jetzt weiss ich mindestens warum du Hauptverdächtiger bist." Ein leises Glucksen entkommt ihm. Ein nachdenkliches Lachen, denke ich mir.
"Nein, nein... So ist es nicht gemeint. Ich würde mich nie auf einen Streit oder sogar Kampf mit dir einlassen. Das wäre glatter Selbstmord!" Jetzt betrachtet er mich genau von oben bis unten. Er hat also doch einen gewissen Respekt vor mir.
"Ja." Ich tue es ihm gleich.
Doch dann fällt mir wieder ein, dass wir unseren Standort gewechselt haben. Neugierig blicke ich mich um.
"Wo sind wir hier?"
"An dem schönsten erbauten Ort in Elenor's Reich... Sieh es dir an."
Wow! So etwas habe ich ja wirklich noch nie gesehen. Es ist so wunderbar wie Himmel auf Erden. Vor mir erstreckt sich eine riesige, schier endlose Bibliothek. Verschnörkelte Gestelle, voll gestopft mit uralten und brandneuen Büchern sammeln sich auf den fünf Etagen rings um uns herum an. Mittendrinn stehen wir. So klein und unwissend, wie ein einzelner Stern in einer Galaxie. Umwerfend! Einmal drehe ich mich lachend im Kreis. Blicke hinauf an die weit entfernte, mit Wandbemalungen verzierte Decke und frage mich, warum ich noch nie hier war.
"Es ist fantastisch!" Meine Stimme ist kaum mehr als ein Krächzen.
"Dachte ich, dass es dir gefällt." Vorsichtig trete ich an eines der Regale und streiche beim daran vorbeigehen mit den Fingern über die Buchrücken.
"Hey, aber bitte vergiss bei all der Schönheit und dem Staunen nicht, dass wir hier etwas zu tun haben." Cassaian ist bereits zu einem Verzeichnis gegangen und studiert es abwesend. Nur kurz wirft er mir einen Seitenblick zu. Dann murmelt er vor sich hin.
"Wir suchen etwas über den Mirror. Was passiert, wenn einer davon gestohlen wird. Wem er am Meisten nützen könnte und wozu. Wer sich gut im Stehlen auskennt. Vielleicht das Verzeichnis der Verbrecher!" Interessiert studiere ich ihn. Er sieht so aus, als würde er das jeden Tag machen.
"Hilfst du mir?" Er wendet sich von dem grossen Buch mit den Auflistungen jener Bücher, die hier vorhanden sind ab und sieht mich fragend an.
"Jap. Was soll ich tun?"
"Da oben" er deutet mit dem Finger auf die dritte Etage "befindet sich das Buch namens 'Infidus'. Es ist eine Auflistung aller Verbrecher und was sie getan oder versucht haben zu tun." Ernst sieht er mich mit gerunzelter Stirn an.
"Findest du das? Du kannst die Leiter nehmen und ich suche in der Zwischenzeit andere Anhaltspunkte." Das würde ein Kinderspiel werden. Kurz nicke ich ihm zu und steige die nächste Treppe zur 2. Etage hinauf. Mein Kopf arbeitet und arbeitet. Er scheint dieses Buch gut zu kennen. Bestimmt hatte er es schon hunderte von Male gelesen und sich immer wieder an seinen Verbrechen gefreut. Denn ich war mir sicher, dass da so einiges über ihn hineingekritzelt wurde. Aber wieso war all dieses Wissen nur für alle Magier jeder Zeit lesbar? Wieso stellte jemand eine Liste der Schwerverbrecher an, ohne zu denken, dass jemand auf die Idee kommen könnte diese Verbrecher zurechtzuweisen oder gar zu vernichten?
In meinen Gedanken versunken steige ich immer weiter in die Höhe auf diesen knorrigen, alten Leitern. Da fällt mir plötzlich ein, dass wir alleine sind. Vielleicht darf ja gar nicht jeder an dieses Wissen kommen und die Bibliotheke ist nur für Magier zugänglich, denen es gewährt ist. Aber wieso dann Cassaian?
Ich erreich die dritte Etage und schlendere zum Buchstaben 'I' wie 'Infidus'. Nach einigen Sekunden werde ich bereits fündig und ziehe einen dicken Schunken aus dem Regal. Als ich plötzlich von unten her wütende Rufe und Schreie höre. Scheisse! Irgendetwas stimmt hier nicht! Schnell stopfe ich das Buch in meine Tasche und renne los.
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