2. Dezember
Cassaian neben mir knurrt wütend.
"Wo auch immer der Spiegel sich befindet... Hier waren Profis am Werk. Ich werde bei dem Versuch ihn zurück zu holen draufgehen."
Seine eisernen Augen sprühen Funken. Kalte, wütende Funken. Er scheint gerade meine Gedanken gelesen zu haben.
"Du weisst also, wer ihn gestohlen hat?" Frage ich nachdenkend nach.
"Nein. Nein. Wieso sollte ich?" Aufgebracht geht Cassaian umher. Mit seinen Fingern fährt er sich immer wieder durch die Haare. Ein wahres Zeichen von Verzweiflung. Wieso tut er das immer wieder?
"Hiermit habe ich gesprochen. Hiermit gilt diese Abmachung. Auf das du sie einhaltest." Anon grinst immer noch breit, als er spricht. Eigentlich ist dies nicht wirklich der Anlass, so zu grinsen. Schliesslich haben wir hier gerade jemanden zu Tode verurteilt. Er kann meinen Spiegel finden und ihn zurückbringen. Was aber schier unmöglich ist, wenn er ihn nicht selbst unter Besitz hat. Tut er das nicht, haltet Anon seine Abmachung ein. Und niemand, wirklich niemand will so sterben. Eigentlich ist es ein Akt der Gnade, weil es möglich ist, die Raubung der Magie zu überleben. Aber nur die Stärksten überleben es dann wirklich. Und ich weiss nicht, ob er einer von ihnen ist.
"Anon. Welchen Anlass hätte Clane?" Frage ich schliesslich zögerlich. Cassaian blickt mich dankend an. Nur ganz kurz. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich mich in seinem Blick getäuscht habe. Der Magician des Eises, dass so voller Tod ist, tritt in langen, schweren Schritten langsam näher an Clane heran. Ich empfinde einen gewissen Respekt vor ihm. Er ist der Älteste von uns allen. Inwährend ich wiederum die Jüngste bin.
"Clane. Sieh mir in die Augen." Der rebellische Magier bleibt stehen und nimmt die Hand aus seinen zerzausten Haaren. Er ist noch so jung. Etwas Neunzehn. Und bereits verurteilt. Ich weiss, dass ich nichts empfinden sollte, aber seit er hier ist, nehme ich etwas wahr. Ein seltsames, mir fremdes Gefühl, tief in meinem Innern. Mitgefühl? Ich will es mit all meiner Kraft abstreiten. Aber es ist unmöglich. Ich fühle es ganz klar.
Zuerst wendet Cassaian seinen Blick zu Boden, doch als Anon sich räuspert sieht er zu ihm auf. Neue Stärke liegt in seinem Blick.
"Er hat viele Gründe. Zum Beispiel ist er für Gleichberechtigung. Was wiederum die Abschaffung der Magician bedeutet. Wie könnte man das anstellen, ausser ihnen ihr Mittelpunkt und ihre Magie zu rauben?" Haucht der Magier. Cassaian antwortet nicht. Nein, er geht gar nicht darauf ein. Statdessen fragt er nur eine Frahe ohne Zusammenhang.
"Angenommen, ich finde den Spiegel und bringe ihn heil zurück. Was erhalte ich sonst noch, ausser Frieden und Freiheit?"
"Gnade."
Flüstert Anon, der inzwischen ganz nah an ihn heran gekommen ist, in sein Ohr. Gerade genug laut, dass ich es hören kann. Die Anderen werden es nicht verstanden haben.
Anon's braune Augen sehen genau hin. Blicken in Cassaian's eisige Augen. Nehmen alles wahr. Sehen die Wahrheit. So stelle ich es mir jedenfalls vor. Sekunden stehen sie so da. Niemand wagt zu atmen. Ich nicht. Clane nicht. Anon nicht. Und alle anderen Magician auch nicht. Die Zeit scheint stehen zu bleiben. Um uns herum fällt der Schnee in bauschigen Flocken aus den grauen Wolken. Der Wind fegt über den Wald um uns herum hinweg. Und doch liegt meine Aufmerksamkeit einzig und allein auf diesem Augenblick.
Ich schiebe mir die silbernen Strähnen aus dem Gesicht. Immer wieder fallen sie mir über die Stirn.
"Ich möchte noch mit Clane alleine sprechen. Unter vier Augen. " beschliesse ich schliesslich. Die Anderen lassen mich einer nach dem Anderen alleine, ojne nachzujacken. Sie verschwinden wieder in ihr Nichts aus Magie. Einige mit, andere ohne Verabschiedung.
Anon wirft uns zum Abschied einen tödlichen, warnenden Blick, gepaart mit einem unheimlichen Grinsen zu. Dann sind wir alleine. Ich und Cassaian.
Stehe ich vielleicht hier und jetzt dem grössten aller Diebe entgegen?
Eine einsame Stille fällt über uns her. "Clane..." Der junge Magier blickt nervös von seinen verschneiten Stiefeln hoch. Die Hände hält er lässig in den Hosentaschen. Auch wenn das nervöse Zucken seiner Augen etwas völlig Anderes sagen.
"Ich... Ich würde so etwas nie, wirklich nie in meinem Leben tun. Warum? Warum nur? Ich habe keine Antwort darauf. Ich habe keine Antwort auf Nichts." Seine Stimme versagt beinahe. Ich weiss nicht, ob es die Wut oder Furcht ist, die ihn so durcheinander bringt.
"Anon lügt nicht, so leid es mir auch tut." "Lady Lune. Warum sind Sie sich da so sicher?" Er scheint immer alles zu hinterfragen. Erst da merke ich, dass er leicht zittert. Nur weiss ich nicht, ob ihm kalt ist, oder ob es auf die Umstände zu schieben ist. Vorsichtig nähere ich mich ihm einige Schritte. Er zuckt nicht einmal zusammen. In langen Schritten drehe ich Kreise um ihn. Sehe ihm mir genau an. Seine Körperhaltung, sein Gesicht, seine Kleidung. Jedes Detail ist durchaus wichtig. Meine grauen Augen bohren sich sichtlich durch ihn. Wollen sein Herz sehen. Doch es ist verschlossen.
"Ich bin mir nicht sicher. Aber wer kann schon mit vollständieger Sicherheit etwas glauben? In unserer Welt gibt es vieles. Lügen. Wahrheiten. Es ist die Kunst, zu wissen wann etwas wahr und wann falsch ist." Da wird mir das volle Ausmass meiner Worte bewusst. Wahre, wunderbar geschliffene Worte. Festgesetzt in meinem Kopf. Jetzt sieht er mich erwartungsvoll an. Diese hochgehobene Augenbraue. All das macht mich irgendwie nervös. Also bleibe ich aprubt stehen und blicke in seine wunderschönen Augen.
"Wenn das alles war, was Sie mir erzählen wollten", er seufzt leise, " dann sollte ich jetzt gehen. Mir bleibt nicht viel Zeit."
"Ich wollte dir nur viel Glück wünschen Clane. Du schaffst das." Kaum sind die Worte ausgesprochen fühlen sie sich komisch und irgendwie falsch an. Glaube ich etwa an seine Unschuld?
Aber ja... Das musste ich loswerden.
"Sagen Sie. Der, der ich all das zu verdanken habe." Er tut seine worte mit einem ironischen Lachen ab, aber sie treffen mich ins Herzen. Denn er hat nicht Unrecht. Ich habe diese elegante Rede gehalten und von Strafe und nicht Strafe gesprochen.
"Auf Nimmer wiedersehen..."
Zur Verabschiedung hebt er eine Hand an seinen Kopf und sieht mir tief in die Augen. Als könnte er daraus lesen und schlau über mich werden.
"Man sieht sich, Clane. Bestimmt."
Eis umgibt ihn. Rast in schneller Geschwindigkeit um ihn herum. Er tretet seinen Heimweg an. Durch das Eis. An einen anderen Ort. Splitter aus Kälte schlagen mir entgegen. Dann ist er verschwunden. Ich habe keine Ahnung wohin. Aber er wird bestimmt herausfinden, wo der Spiegel ist. Er wird ihn mir zurückbringen. Zumindest hoffe ich das. Noch bin ich nicht völlig von seiner Schuld überzeugt. Ist er unschuldig und schafft das, werde ich ihn für seine treuen Dienste belohnen. Er hätte es verdient. Falls ich ihn wiedersehe werde ich mich bei ihm entschuldigen. Falls. Denn vielleicht ist er bald tot.
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