
17. Dezember
Für einen Moment fühle ich mich verlassen.
In meiner Brust klafft ein Loch das bis vorhin noch ausgefüllt war. Ich weiss jedoch nicht, woher diese Leere stammt. Vielleicht ist es einfach nur die Furch.
Denn ich habe solche Angst.
Meine Hände zittern, mein Atem geht schnell, ich fühle mich, als würde ich bald sterben.
Doch das werde ich nicht. Wir holen uns nur den Spiegel zurück. Hoffentlich ohne weitere Komplikationen.
Als ich plötzlich eine warme Hand in meiner spüre, werde ich bestärkt. Er ist da.
Cassaian Clane steht neben mir und füllt den leeren Teil in mir Stück für Stück auf.
Doch wiederum ist das auch meine Schwäche. Ich fürchte mich vor seinem Schmerz. Es graut mir, mir vorzustellen, dass ihm etwas zustösst. Wieder.
Als die Eissplitter und die Galaxie unserer Magie zugleich verschwinden, kommt die Hitze zurück. Sie trifft mich mit einem unerwarteten Schlag und ich merke, dass es auch Cassaian so geht. Er verkrampft sich neben mir.
Wir stehen am Eingang zu einem Wüstencamp. Viele kleine Zelte sind um ein grosses in der Mitte angesammelt. Das muss das Versammlungszelt sein. Rauch dringt aus dem Lager. Weiter hinten erkenne ich den Anfang eines kleinen Waldes. Das muss ein Symas-Wald sein, in der Wüste hier gibt es viele solche. Man sagt, sie sind verwunschen. Laut den Märchen können sie zum Leben erwachen und mit ihren Wurzeln um sich schlagen, wenn sie wütend sind. Ich denke nich, dass diese Sage wahr ist, doch vor dieser Reise hatte ich auch nicht an Seeungeheuer geglaubt.
Clane sieht mich an.
"Bist du bereit Lady Clane?" Er sagt es eindringlich und erinnert mich daran, dass ich hier nicht mein wahres Ich sein darf.
"Ja. Getreuester." Ich werfe ihm ein trauriges Lächeln zu.
"Gäste. Wir haben Gäste." Eine etwas pummeligere alte Dame kommt auf uns zugelaufen, als sie uns entdeckt.
"Wie schön. Seid gegrüsst." Sie bleibt vor uns stehen und sieht uns an. Ihr Gesicht ist faltig und braungebrannt. Sie trägt einen typischen Wüstenrock. Um ehrlich zu sein sieht sie wie eine nette Grossmutter aus, die einem mit Essen vollstopft. Nicht wie eine Hexe.
"Seid gegrüsst, Kuscha."
"Ah, der junge Herr hier kennt meinen Namen. Wie heisst Ihr denn?" In ihrer Stimme liegt ein arabischer Akzent, auch wenn sie beinahe perfekt Deutsch spricht. Da erkenne ich es erst. Diese Kuscha, wie Cassaian sie nennt, ist blind. Über ihren Augen liegt ein weisser, trüber Schimmer. Kurz mache ich mir Gedanken, wie sie wusste, dass wir vor dem Lager warten. Doch den Gedanken vergesse ich schnell wieder.
"Ich heisse Cassaian Clane. Ihr erinnert Euch bestimmt noch." Er sieht nervös umher.
"Ach ja, der junge Clane! Wie hatte ich das vergessen können... Und wer ist die verzückende Lady an Ihrer Seite?"
"Das ist die Lady Clane. Meine Frau."
Auf den Lippen der Frau bildet sich ein Lächeln.
"Wunderbar. Lasst mich euch zu Fanisa bringen."
Fanisa ist die Regentin hier. Sie hat das Sagen und ist die mächtigste Hexe in ganz Symatas. Das merke ich sofoft. Ihre Ausstrahlung ist für andere niederdrückend. Sie sieht einem an, als wäre man ihre nächste Beute. Hoffentlich sind wir das nicht.
Nach einer erneuten Vorstellungsrunde lächelt auch sie glücklich.
"Clane. Du weisst, dass du hier nicht mehr erwünscht bist." Faucht sie giftig. Cassaian sieht bedrückt zu Boden. "Aber da du und so charmanten Besuch mitgebracht hast, können wir dich natürlich nicht wieder nach Hause schicken. Wir machen euch die Betten, verpflegen euch und ihr legt euch zum Schlafen. Ihr müsst bestimmt müde sein." Überrascht sieht Cass mich an.
Am Abend sitzt er auf meinem Bett. Er ist versunken in seinen Gedanken und ich setze mich zu ihm.
"Kannst du nicht schlafen?" Frage ich.
"Nein. Ich zerbreche mir den Kopf über zu vieles." Genau das tue ich auch. Ich frage mich, warum sie uns plötzlich so herzlich willkommen heissen, nachdem sie irgendeine Blutfehde mit Cassaian hatten. Nachdem ich mich so vor ihnen gefürchtet habe.
"Fühlst du ihn?" Ich sehe in fragend an. In seinen Augen liegt Aufregung.
"Den Spiegel." Klärt er mich auf.
"Nein. Ich weiss nur, dass die Magie hier stärker ist. Mehr weiss ich auch nicht. Ich habe keine Ahnung, wo sie ihn versteckt halten." Ich zucke mit den Achseln. "So kommen wir nicht weiter. Heute ist der 17. Dezember. Uns bleibt nicht die Zeit, einfach zu warten bis sie ihn uns geben. Das würden sie sowieso niemals tun. Cass, wie es aussieht müssen wir uns wieder einmal die Finder schmutzig machen .."
"Ich weiss." Ratlos schaut er zu Boden. "Ich sage wir schlafen eine Nacht darüber."
Da kann ich nur miteinstimmen. Ich bin todmüde.
Er steht auf und verlässt das Zimmer. Doch kurz bevor er verschwindet dreht er sich noch einmal zu mir um und sagt:
"Ach ja, Marina. Sei immer noch auf der Hut. Vertraue hier niemandem." Dann ist er weg. Die Tür lässt er offen.
Als ich aufstehe, um sie zu schliessen höre ich jedoch etwas seltsames. Ein dumpfer Schlag. Als ob etwas zu Boden gefallen wäre. Vorsichtig strecke ich meinen Kopf aus der Tür. Was war das?
"Cass?" Flüstere ich leise in die Dunkelheit.
Ein Schauer durchläuft mich. Es ist eisig geworden mit der Nacht hier. In der Nacht kann es in den Wüsen unheimlich kalt werden.
Auf Zehenspitzen schleiche ich auf den Gang. Ich erinnere mich an eine nur zu ähnliche Geschichte. Ich schlich mich nach draussen, aufgeweckt durch ein seltsames Geräusch. Und dann ist dieses Monster gekommen, das mir beinahe Cassaian genommen hätte.
Ich schüttle die Erinneeung ab. Als ich mich weiter in der Finsternis voran taste stosse ich plötzlich auf etwas. Es ist weich und liegt auf dem Boden. Erschrocken gehe ich in die Knie und befühle das weiche Etwas. Es ist ganz klar ein Mensch. Ich fühle die kalte Haut, die Haare und nehme das menschliche Atmen wahr. Die Person lebt also. Doch als ich ängstlich über das Gesicht der Person fahre, kippe ich beinahe um. Diese Gesichtszüge kommen mir so vertraut vor. Ich habe sie schon zu oft befühlt. Es ist Cassaian...
Doch ehe ich schreien oder sonst etwas tun kann tritt jemand hinter mich. Die Person lacht zittrig.
"Wie dumm von dir Marina, hier her zu kommen. Wie dumm. Du armes Mädchen."
Mir wird ein schwerer Gegenstand über den Kopf gezogen und ich verliere das Bewusstsein. Alles wird schwarz um mich herum und ich fühle mich wirklich verloren.
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