1. Dezember
Meine Schritte klingen überlaut auf dem verschneiten Boden. Es knirscht und klingt einfach nach Winter. Die langen Winterstiefel versinken tief in dem Neuschnee. Trotz dem warmen, schwarzen Mantel und den flauschigen Lederhandschuhen friere ich.
Langsam bahne ich mir einen Weg zwischen weissen Kiefern und gefrorenen Bächen hindurch.
Bereits jetzt spüre ich die pure Magie des Mirrors. Sie durschströmt mich und hinterlässt ein Kribbeln in meinem ganzen Körper. Ich sauge ihren frischen Geruch ein und lecke mir über die spröden Lippen.
Bald bin ich da.
Hinter mir höre ich das gleichmässige Atmen meines schwarzen Friesen. Geduldig geht er hinter mir her. Auch wenn es ihm unangenehm ist, diese Macht zu verspüren, ohne zu wissen, woher sie kommt. Sanft streichle ich ihm über die Nüster.
"Na mein Kleiner. Willst du hier warten?" Mit tauben Fingern binde ich den Strick an einem Ast fest. Dann setze ich meinen Weg fort.
Etwas stimmt jedoch nicht. Ich fühle es, bevor ich mein Ziel erreiche. Fühle diese Leere tief in meinem Innern. In jeder Faser meines Körpers. Sie staut sich auf, bis ich glaube, schreien zu müssen.
Dann trete ich aus dem Wald. Vor mir erstreckt sich eine grosse Lichtung. Mitten drin liegt der Mirror.
Die sechs keltischen Spiegel, die zusammen einen grossen Spiegel bilden.
Vor mir auf der verschneiten Wiese sind ebenfalls all meine Freunde.
Die sechs Magician. Alle. Und alle starren sie in meine Richtung. Mit trüben, traurigen Blicken. Heute ist der 1. Dezember, der Tag der Magician und unserer Versammlung. Letzte Vorkehrungen werden für Weihnachten besprochen.
"Willkommen an der Versammlung Marina." sagt Anon, der Ällteste der Magier, übertrieben gedehnt. Er ist der eiskalte König, wie ich ihn oft nenne. Denn er herscht über die Magier des Eises. Ihm gehört Snowden. Der nördlichste aller Bezirke in unserem Reich Skilewest.
Plötzlich tritt Elenor neben mich. Er ist der Magier der Erde und regiert über Earthew. Wie ich, auch einer der jüngeren mit seinen 21 Jahren. Nun legt er mir eine Hand auf den Rücken und seufzt laut.
"Sieh es dir an Marina. Er ist weg. Einfach verschwunden."
Mein Blick folgt seinem und landet auf dem Spiegel.
"Wie zur Hölle!"
Der Mirror ist da. Auf dem Boden liegt er und verströmt seine pure Kraft. Kraft aus einer anderen Galaxie. Doch er ist nicht mehr vollständig. Einer der sechs Spiegel, die ihn formen, ist einfach weg! Um genau zu sein der Spiegel der sieben Monde. Ich bin die Herscherrin über die Magier der sieben Monde und Skylemor. Skylemor ist eine östliche Insel in dem Ozean von Eastwave.
Somit ist der fehlende Spiegel meiner.
Jemand hat es gewagt, meinen Spiegel zu stehlen?!
Ich sammle alle meine Magie zusammen. Sie fliesst in warmen Strömen durch mich hindurch. Ich beschwöre sie herauf und sie umgibt mich mit einer solch enormen Kraft und Wut. Wer auch immer es war, ich werde ihn finden und ihn meine ganze Wut fühlen lassen. Strudel aus purer Magie strömen von mir aus in alle Richtungen. Ein lauter Schrei entdringt meiner Kehle und der Boden bebt eine Sekunde lang. Elenor, der neben mir steht, macht einige Schritte rückwärts und hebt beschwichtigend die Hand. Eine so enorme Wut, dass ich ganz Skilewest zum Beben bringen könnte, durchströmt mich.
Anlis meldet sich zu Wort:
"Wir haben ein echtes Problem am Hals." Anlis ist der Magician des ewigen Feuers. Seine orangen Haare und hellbraunen Augen zeigen mir das immer wieder erneut. Sein Reich ist wunderschön. Die weite Wüste von Symatas.
"Genauso ist es." Stimmt Ann ihrem Partner zu. Sie wiederum ist mit ihren blauen Haaren und lila Augen die Hüterin des magischen Wassers. Also herrscht sie über all die Ozeane in unserem Reich. Auch über Eastwave.
Anlis und Ann - Das Paar aus Licht und Schatten. Wie sie viele nennen. Ein unzertrennlichen Paar geschmiedet aus Unterschiedlichkeiten, die sich magisch anzuziehen scheinen.
"Wer ist der Dieb? Ist die eigentliche Frage. Wo ist der Spiegel?" gebe ich meinen Kommentar dazu ab. Ich habe mich etwas beruhigt.
"Hat irgendwer eine Vermutung?"
"Es gäbe da schon verdächtige. Aber ich weiss ja nicht..." sagt Luca. Ein ruhiger, sentimentaler Magier. Seine Kraft liegt in der niemals versinkenden Sonne. Weshalb er auch über Sunlove im Süden herrscht. Seine Augen strahlen in dem schönsten Sommergrün, auch wenn es hier kalter Winter ist.
"Seht ihr das?" Anon deutet auf den Spiegel. Anon ist der älteste und gefürchteste von uns allen. Er herrscht über das Eis des Todes und seine Magier. Mit einem Blick aus seinen fast schwarzen Augen, kann er jeden in die Knie zwingen. Dazu noch die leichenblasse Haut mit den Kohleschwarzen Haaren.
"Das hier", er hebt einen Ring in die Höhe, damit ihn alle sehen können ,"Das hat der Dieb verloren. Nur zu schade... Er hat nicht aufgepasst." Anon setzt ein verschmitztes Lächeln auf. Der Dieb wird nicht weit kommen.
"Und ja... Per Zufall weiss ich, wem dieser Ring hier gehört." Sein Grinsen wird noch breiter. Spielerisch lässt er ihn zwischen seinen Fingern tanzen.
"Auf dem Ring hier ist etwas eingraviert.
'Ná leá an oighear bas'. Es ist irrisch und bedeutet 'Nie schmelzendes Eis des Todes'. Der Besitzer dieses Ringes ist niemand geringeres als Cassaian Clane. Er ist einer meiner untergeordneten Magier. Hat immer wieder seinen Spass daran, Regeln zu brechen und alle unmöglichen, verbotenen Dinge zu tun. Steht an der Spitze der Demokratie für Gleichberechtigung von Magiern und Magician."
"Wo hast du den Ring gefunden?" Ann scheint genau wie ich, etwas skeptisch zu sein.
"Na hier im Schnee."
"Aber was würde das ihm bringen? Er und alle anderen tieferen Zauberer würden ihre Magie verlieren." erwiedere ich, weil ich die Geschichte nicht richtig einschätzen kann. Noch nie hat jemand, dem Frieden zuliebe, versucht den Mirror auch nur zu berühren.
"Lasst es uns herausfinden. Ich verlange nach ihm." Die anderen Magician nicken mir zustimmend zu. Ich will auch Clane's Meinung darüber hören.
Wieder beschwöre ich meine Magie herauf. Ein gewalltiger Sturm aus Sternen. Meine persönlichen Sterne. Vom Himmel geschenkt. Glühende Funken, aus einer anderen Dimension, die mir jede Nacht den Himmel erhellen. Ich schicke eine ganz persönliche Nachricht über unsere Magie an Cassaian Clane. Er antwortet nicht, doch erscheint im nächsten Augenblick direkt neben mir. Er scheint nicht besonders beschäftigt gewesen zu sein. Oder hatte er damit gerechnet? Jedenfalls taucht er aus dem Nichts, in einem weissen Schneesturm aus Magie verhüllt, neben mir auf. Er trägt eine schwarze, hautenge Lederuniform. Sie zeichnet seine Muskeln perfekt ab. Seine ganze Kleidung, mit den schwarzen, fingerlosen Handschuhen, den Stiefel und dieser Uniform stehen im Kontrast zu seiner weissen, bleichen Haut. Ebenfalls zu seinen schneeweissen, etwas längeren Haaren. Aber seine Augen! Dieses eiskalte Blau. Als ob sie aus dem Eis persönlich bestehen würden. Als er mir in die Augen blickt, gleitet mir ein Schauer über den Rücken. Der Blick lässt mich frösteln.
"Willkommen Clane." Bei uns ist es üblich, fremde Magier erst einmal mit dem Nachnamen anzusprechen. Meine Stimme klingt rau und kalt. Er blickt sich um und als er all die anderen Magicien sieht, weiten sich seine Augen angespannt.
"Aus welchem Grund wurde ich hergebeten?" Seine Stimme zittert nicht einmal. Er scheint selbstsicher zu sein.
"Der Mirror, beziehungsweise Spiegel der sieben Monde." Anon deutet auf den Ort, wo vor kurzem noch der vollständige Spiegel sein musste.
"Wo ist er?!" Fragt der Magician, der über Cassaian herrscht.
"Wenn ich um Entschuldigung bitten darf, aber ich habe keine Ahnung, wo er sein soll." Cassaian sieht fassungslos aus.
"Ach ja? Dann sage mir Clane, wem gehört dieser wunderschöne Ring hier?" Cassaian macht den Mund auf, schliesst ihn aber dann wieder um anschliessend doch etwas zu sagen.
"Gebt. Ihn. Mir. Zurück!" Anon hält Cassaian den Ring entgegen, doch als Cassaian seinen Besitz greifen will, zieht Anon die Hand zurück.
"Ach... Du streitest also nicht ab, dass der dir gehört?" meldet sich Luca. Dafür bekommt er einen stechenden Blick von Cassaian Clane geschenkt. Luca zuckt jedoch nicht einmal mit der Wimper. Ich glaube, unter diesem Blick voller Hass und Eiseskälte hätten meine Beine schon längstens unter mir nachgegeben.
"Es ist ein Erbstück. Und nein, ich streite nicht ab, das der Ring mir gehört. Jedoch streite ich ab, in diesen schrecklichen Diebstahl verwickelt zu sein." Clane zischt die Worte durch zusammengebissenen Zähnen hindurch. Anlis sieht mit traurigem Blick vom Boden auf.
"Tut mir leid, aber dieses Erbstück wurde hier am Tatort gefunden."
"Weil es mir gestohlen wurde." Cassaian faucht gefährlich. Wenn er dem Eiskönig persönlich untergestellt ist, wird er eine enorme Macht besitzen. Denn es gibt nur sehr, sehr wenige Eismagier.
"Ach komm. Ist das eine akzeptable Ausrede?" meldet sich Luca.
"Es ist die Wahrheit. Was wollt ihr, dass ich einen Diebstahl gestehe, den ich nicht begangen habe?" Dieser Clane ist merkwürdig. Jetzt lacht er unverschämt und macht einige Schritte hin und her. Dazu krazt er sich am Hinterkopf und überlegt nachgiebeig.
"Nein. Wollen wir nicht. Wir wollen bloss alles verstehen. Wollen den Täter finden und unsere Magie retten. Hier geht es nicht um den Einzelnen. Es geht um alle Magier. Wenn der Spiegel nicht bald wieder vollständig ist, sehen wir zu, wie uns unsere Magie entgleitet. Wie sie verschwindet und wir sie nicht aufhalten können. Vierundzwanzig Tage. Etwa dreieinhalb Wochen. Bis dann muss der Spiegel gefunden sein. Sonst können wir Magician ihn nicht mit der puren Magie beschenken. Uns bleibt nichts übrig."
Schwerwigend lasse ich meinen Blick durch die Menge gleiten. Jeder schweigt betroffen und hört meiner Rede bedrückt zu.
"Clane. Bitte hilf uns den wahren Täter zu finden. Wenn du unschuldig bist, kommt das dir gelegen. Haben wir ihn erstmal geschnappt bist du frei und dir wird nicht ein schreckliches Verbrechen angehängt. Hörst du?" Jetzt traue ich mich, in seine Augen aus Eissplitter und neu gewonnener Hoffnung zu blicken. Anders als vorhin bei Luca, dieser hasserfüllte Blick. Wie er mich ansieht, so warm und freundlich. Aber doch mit einem gewissen Respekt.
"Ja, genau. Vorerst bist du der Täter. Du beschaffst uns bis an Weihnachten den fehlenden Spiegel und du erhältst, was dir Marina versprochen hast. Kommst du mit leeren Händen, bist und bleibst du der Täter. Ich werde dir deine Magie rauben und falls du das überlebst, dich verbannen. Diese Strafe sollte ausreichen." Auch Anon hören alle geduldig und annerkenend zu. Auch wenn ich nicht einverstanden bin, mit seinen Worten. Das kann Clane keineswegs überleben. Wer auch immer den Spiegel hat, ist ein Profie. Hinterlässt keine Spuren und richtet den Verdacht auf andere. Bei einem Versuch den Spiegel der sieben Monde zurück zu erlangen, würde man ihn ohne weiteres töten. Oder er würde, wie die meisten, bei der Kraftraubung draufgehen.
Eigentlich sollte mir das egal sein. Aber das ist es nicht. Im Gegenteil...
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