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Meine Hand zittert, als ich sie zum Türschloss hebe.
Ich kann es nicht über mich bringen, die Schlüssel hineinzuschieben. Hinter meinen Augen brennt es bereits wieder verräterisch, dabei habe ich schon seit ein paar Stunden nicht mehr weinen müssen.
Ich habe den ganzen restlichen Tag in Amandas Zimmer verbracht und Selbstgespräche darüber geführt, wie unfair das Leben doch war und warum immer ich alles abbekommen muss.
Als Amanda verschwitz und etwas schlecht gelaunt nach Hause kam, haben wir kein Wort mehr über Bradyn verloren.
Dafür liebe ich sie und es hat die Minuspunkte, die sie vorher gesammelt hat, ausgeglichen. Sie streut vielleicht Salz in die Wunde. Aber mit guten Absichten.
Und danach lässt sie einen in Frieden.
Ich bin freiwillig gegangen. Und auch, weil Amandas Bett zu klein für zwei ist.
Ich schaue an meiner Eingangstür hinauf. Sie erscheint mir plötzlich so riesig und bedrohlich.
Wenn ich da jetzt reingehe, muss ich ihm wieder gegenübertreten.
Ich blicke über meine Schulter. Zurück. Keine Option.
Mit einem Klicken öffnet sich die Tür und ich trete ein.
Das Treppenhaus wurde frisch gewischt. Ich halte mich unnötig lange im Eingangsbereich auf und schaue in meinen Briefkasten und aus den Fenstern zum Hinterhof.
Die Stufen nach oben verlangen einiges von mir ab. Es fühlt sich so an, als würde ich einen Berg besteigen.
Dabei muss ich an Amandas Worte denken: Was, wenn er vor seiner Angst geflüchtet ist.
Er hat Zuflucht bei dir gesucht.
Du hast mehr als ein Jahrzehnt gebraucht.
Ja. Ich habe mehr als ein Jahrzehnt gebracht, meinen Eltern zu sagen, dass ich schwul bin, aber ich habe mir keine Hochzeit aufhalsen lassen. Und ich habe auch nicht mit Emils Gefühlen gespielt.
Eine kleine Stimme in meinem Kopf sagt, dass ich lüge, Unrecht habe - nicht besser bin als er.
Ich habe Emil ins offene Messer laufen lassen, ihm im Glauben gelassen, dass meine Eltern ihn in ihrem Haus willkommen hießen.
Ich schüttle den Kopf.
Das sind Gedanken, die mir nicht weiterhelfen.
Und so stehe ich vor meiner Wohnungstür und traue mich kaum zu atmen, aus Angst mich bemerkbar zu machen.
Was, wenn Bradyn auf der anderen Seite der Tür steht und mich durch den Spion beobachtet?
Ich drücke mich an die Wand neben der Tür. Außer Sichtweite. Nur für den Fall.
Ruhig atmen.
Ich verstehe selbst nicht, warum ich plötzlich Angst habe, ihm gegenüber zutreten.
Er hat etwas falsch gemacht, nicht ich. Und ich muss mit der Konfrontation leben und ihn einfach vor die Tür setzten.
Wenn ich nicht im Treppenhaus stehen würde, würde ich mir jetzt liebend gern Mut zu reden.
Aber ich beiße mir auf die Zunge.
Das ist nur Bradyn, rede ich mir ein.
Mein Schlüssel schabt laut im Schloss. Die Tür knarrt beim Öffnen. Meine Schuhsohlen treffen stampfend auf dem Parkett auf, obwohl ich mich doch bemühe, leise zu sein.
Ich lausche in die Wohnung hinein.
Auf dem Küchenboden liegt Bradyn jedenfalls nicht, wie ich verstellen muss, als ich um die Ecke luge.
Ich lege meine Schlüssel behutsam auf die Anrichte und schließe die Tür.
Es riecht anderes.
Es riecht ... weniger intensiv nach Bradyn.
Dennoch ist mir sein Aftershave mit jedem Atemzug bewusst.
Ich steure das Schlafzimmer an.
Seine Sachen sind weg.
Das Blut sackt mir förmlich aus dem Gesicht. Ich versuche, nach irgendetwas zu greifen, mich an irgendetwas festzuhalten, Halt zu finden.
Aber ich stehe mitten im Raum, als ich den aufgerissenen Kleiderschrank sehe.
Er hat mich alleine gelassen.
Er hat mich verlassen.
Schon wieder.
Eine Ewigkeit starre ich auf die freien Bügel und das leere Regalbrett oben links, das ich ihm extra freigeräumt habe.
Keine Tränen brennen in meinen Augen.
Meine Atmung ist erstaunlich ruhig.
Ich habe hiermit gerechnet, tief in mir muss ich mich hierauf unbewusst vorbereitet haben. Anders kann ich mir meine Reaktion nicht erklären.
Ich verlasse mein Schlafzimmer und gehe in die Küche, stelle mich vor das Fenster und blicke in den Himmel.
Er ist blau. Die Sonne scheint. Bald wird sie untergehen.
Ich werde zu Bett gehen, morgen aufstehen und weiter machen wie bisher.
Ich werde wieder über ihn hinwegkommen, ihn vergessen. Dieses Mal für immer.
Selbst bei diesem Gedanken bleibe ich ungerührt.
Bradyn ist weg.
Gut. Soll er heiraten. Es ist sein Leben und das hier ist meins.
Ich lasse den Kopf sinken und betrachte meine kaputte Hand.
Mittlerweile ist sie wirklich ein wenig angeschwollen und die Knöchel sind dunkelrot angelaufen.
Wunden verheilen, denke ich.
Mit zusammen gepressten Lippen wende ich mich meinem Kühlschrank zu.
Ich nehme ein Wasser heraus und entdecke etwas auf dem Küchentisch, als ich mich umdrehe, um zurück ans Fenster zu treten.
Einen Zettel.
Bradyns Handschrift erscheint in meinem Blickfeld, als ich ihn aufhebe, obwohl ich ihn am liebsten zerknüllt und in die nächste Ecke geworfen hätte.
Hat er wirklich die Dreistigkeit besessen mir einen Abschiedsbrief zu hinterlassen?
Ungläubig huschen meine Augen über die Buchstaben, ohne sie zu erfassen und zu lesen.
Ich könnte den Zettel auch einfach wegschmeißen, ohne seine toxischen Worte je zu lesen.
Was, wenn er Zuflucht bei dir sucht, erklingt Amandas Stimme in meinem Ohr.
Ich schließe die Augen.
Atmen, Mica. Atmen.
Bradyns Handschrift formt sich zu Worten, die Sinn ergeben und die etwas mit meinem Inneren anstellen.
Plötzlich sehe ich ihn vor mir, wie er hier am Tisch steht und diese Zeilen verfasst. Der gepackte Koffer neben ihm, bereit mich zu verlassen.
Aber mit einem Mal sehe ich ihn nicht mehr gefühllos in meine Richtung starren, während ich verzweifle. Ich sehe ihn mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht und Trauer in den Augen.
Wieso tun wir uns das an?
Meine Hand zittert. Mein Atmen zittert.
Ich will nicht, dass er weg ist.
Ich will nicht, dass er nach Schenectady zurückkehrt. Er sollte doch bei mir bleiben!
Es tut mir leid. Ich bringe das wieder in Ordnung - vielleicht nicht für uns, aber wenigstens für die Geschichte, die anderes erzählt werden soll.
Bei Jos Worten durchfährt mich ein blitzartiger Schmerz.
Gleichzeitig werden meine Augen nun doch mit Tränen geflutet und ich breche endgültig zusammen.
Die nächsten Zeilen des Briefes werden unleserlich und das Stückpapier segelt langsam neben mir zu Boden.
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Song: Nitesky - Robot Koch
Helloooo!
Ich möchte mich mal für die vielen Kommentar unter dem letzten Kapi bedanken! Es ist wirklich toll, dass ihr eure Gedanken & Ängste mit mir teilt. Manchmal fühle ich mich wie der einsamste Mensch auf Erden, den niemand versteht. Deswegen ist es sehr schön zu lesen, dass es anderen genauso geht.
Das Leben ist einfach schwierig, aber ich glaube, wenn wir offen und ehrlich und oft darüber reden, wird es besser.
Ihr sollt wissen, dass ich immer für euch da bin! Ihr seid es ja auch für mich <3
Danke <3 (übrigens auch für die 18k!)
All my Love,
Lisa xoxo
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