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Das Jahr hat nur noch ein paar Minuten.
Ben, Jonny und ihre Frauen stehen gemeinsam mit mir im Vorgarten. Jonny bereits startklar über eine Flasche mit Raketen gebeugt.
In einiger Entfernung wippt Emil in der Einfahrt neben meinem Auto mit den Füßen.
Mein Vater steht mit Mom auf der Veranda.
Ich befinde mich irgendwo dazwischen und versuche meine Augen auf den Himmel gerichtet zu lassen.
Aber mein Blick wird immer wieder von den Menschen um mich herum angezogen.
Laura schmiegt sich an Bens Brust und mein kleiner Bruder sieht in diesem Moment so stolz aus.
Die Art und Weise wie er auf Lauras kleines Gesicht heruntersieht, lässt mich schmerzlich auf die Innenseite meiner Wange beißen.
Jonny ist so vernarrt in sein Feuerwerk, dass er nicht nach links oder rechts sieht. Aber Mila steht hinter ihm, die Arme verschränkt und ein Lächeln auf den Lippen.
Auch sie sprüht geradezu vor Liebe, während sie ihren Mann dabei beobachtet, wie der dem Jahreswechsel entgegenfiebert.
Ich schlage die Augen nieder.
Auch wenn Emil und ich nichts von unserer Trennung - oder wie auch immer man es bezeichnen will - erzählt haben, müssen meine Eltern, die uns im Nacken sitzen, bemerken, dass etwas nicht stimmt.
Aber es ist mir irgendwie egal, auch wenn es mich peinlich berührt.
Es ist bemerkenswert den ersten Partner mit nach Hause zubringen und seiner Familie vorzustellen, nur um sich dann in wenigen Tagen zu trennen - praktisch vor den Augen der Eltern.
Wenn ich meinem Vater davon erzählen würde, würde er sich womöglich freuen. Aber diese Genugtuung gönne ich ihm nicht.
Am Nachmittag wollte ich zu Jo gehen.
Ich war so nah daran gewesen, abzubiegen und die Straße runter zu ihm zu laufen. Ich wollte ihm von Emil und seinen herzlosen Worten erzählen, Trost suchen, wo ich ihn bis jetzt immer gefunden habe.
Ich wollte von jemandem hören, dass ich kein schlechter Mensch bin, nur weil ich das Ende mit Emil beinahe mit einem erleichterten Ausatmen hinnehme.
Aber ich bin nicht gegangen.
Jo und ich haben uns voneinander verabschiedet und dabei soll es bleiben. Wir haben einen sauberen Schnitt gemacht.
Es ist jetzt nicht mehr an ihm meine Wunden zu lecken. Ich muss mir selbst einen guten Rat geben.
Ich bin nach Hause gelaufen und habe mich durchgefroren in die Küche zu meiner Mutter gesetzt.
Ich habe versucht, an etwas anderes zu denken und mir nichts anmerken zu lassen.
Es sind immerhin die letzten Stunden mit meiner Mutter gewesen.
Doch die Tatsache, dass ich in dieser Stadt nicht nur mein Herz an einen Lügner und hinterhältigen Betrüger verschenkt habe, sondern auch noch meinen Partner, meinen Freund, meine sichere Stütze in Kalifornien verloren habe, ist bemerkenswert.
In jedem negativen Aspekt, den man aufzählen kann!
Ich fülle meine Lungen mit der kalten, trockenen Luft und schaue wieder in den Himmel.
Bradyn wird jetzt sicherlich neben seiner zukünftigen Ehefrau stehen und ebenfalls in das unendliche Schwarz blicken.
Ich wünschte, ich könnte zu seinem Haus fahren und Tiffany alles gestehen. Aber dazu fehlt mir der Mut.
Sie sah glücklich aus, als sie mit ihm an unserem Tisch saß.
Vielleicht wird sich ihre Illusion von Bradyn als perfekter Mann irgendwann erfühlen, wenn sie nur fest genug daran glaubt.
Aber dafür muss sie glauben. Und es liegt nicht in meiner Hand diesen Glauben zu zerstören.
Ich will diese Stadt einfach nur hinter mir lassen und versuchen alle Parallelen zu ignorieren, die mich gedanklich hierher zurückkatapultieren werden.
Ich bin müde.
Müde, weil ich zu lange geschlafen habe.
Müde, weil ich geweint habe.
Müde, weil ich so viele Lügen aufrechterhalten muss.
Und müde, weil ich alleine bin und niemanden habe, an den ich mich lehnen kann.
Ich drehe mich zu meinen Eltern.
Dad sitzt in einem Gartenstuhl, eingewickelt in eine dicke Decke.
Meine Mom steht weiter vorne an der Balustrade, die Ellenbogen auf das hell gestrichene Holz gestützt, die Augen gen Himmel.
Aber ich bemerke, wie sie immer wieder zu den Paaren in ihrem Vorgarten schielt.
Ihr Blick trifft mich nicht ein einziges Mal.
Dad dagegen schaut auf seine faltigen Hände. Er wirkt beinahe wie ein trotziges Kind, das gezwungen wurde, in diesem Stuhl Platz zu nehmen.
Mom hat sich eine große, flauschige Mütze über ihre Dauerwelle gezogen und betrachtet immer noch ihren ältesten und ihren jüngsten Sohn dabei, wie sie auf ihre Uhren schauen.
Aus dem Nachbarhaus erklingt der erste Countdown.
Meine Brüder fallen grölend mit ein.
Bald kommen die Stimmen auch von der anderen Straßenseite und die erste Rakete erhellt den Himmel.
"7, 6, 5 ..."
Ich schließe die Augen und halte meinen Tränen zurück.
Dieses Jahr hätte wirklich besser laufen können.
Und eine kleine Stimme in meinem Kopf sagt mir, dass es meine Schuld ist.
Ich habe nachgegeben und bin hierhergekommen.
Ich habe mich über drei Wochen von Schenectady und seinen Bewohnern, von meiner Familie und Bradyn einlullen lassen.
Ich habe zugelassen, dass ich mich ändere, hingebe, aufgebe.
Zum Lügner wurde und die Augen vor der Realität verschlossen habe.
"3, 2, 1!"
Der Himmel über mir ist wieder schwarz.
Und ich bin ganz alleine.
"FROHES NEUES JAHR!!!"
Leben kommt in den kleinen Vorgarten.
Jonny zündet die ersten Raketen an und Mila bringt sich kreischend in Sicherheit.
Fasziniert betrachten wir, wie die leuchtenden Farben im Himmel explodieren.
Gold, Grün und Blau malen Blumen in die Nacht.
Ein gleißendes Licht erhellt für einige Sekunden Emils Gesicht.
Seine Hände befinden sich tief in seinen Hosentaschen und ein zartes Lächeln liegt auf seinen Lippen.
Ich habe mir unser Neujahr zwar anderes ausgemalt, aber es ist gut so.
Er steht besser in der Einfahrt und ich hier auf dem verschneiten Rasen.
Meine Brüder sind still geworden.
Sie sind anderweitig beschäftigt und ich will mich schon grinsend abwenden, da sehe ich, wie Jonny sachte eine Hand auf Milas Bauch legt.
Und ich habe den beiden ihren großen Moment verdorben, weil ich mich outen musste ...
Schuld überkommt mich. Ich habe mich nie richtig entschuldigt.
Ben ist der Erste, der zu mir gelaufen kommt und mich in seine Arme zieht.
Ich lache, ich spreche Glückwünsche aus, leere Versprechen und Hoffnungen.
Und das, obwohl ich von diesem ganzen Mist nichts halte.
Nach außen gehöre ich dazu, ich bin dankbar das Neue Jahr mit meinen Lieben zu zelebrieren.
Doch meine Gedanken sind wo anderes.
Meine Gedanken zeigen mir braunes Haar mit blondgefärbten Spitzen, Augen, die die Unendlichkeit in allen erdenklichen Grüntönen versprechen.
Und breite Schultern, gegen die ich mich lehnen kann, wenn ich mich einsam und verlassen fühle.
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Song: I miss you, I'm sorry - Gracie Abrams
Neues Jahr - nur 15 Tage zu spät xD
Aber wie wird "zu spät" überhaupt definiert?!
Ihr werdet jetzt sicherlich alle froh sein: Schenectady liegt nun hinter uns!
Wir sehen uns morgen wieder (Junge, wie die erste Schulwoche einfach schon wieder rum ist!!)
All my Love,
Lisa xoxo
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