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Der letzte Tag des Jahres ist angebrochen und ich habe verschlafen.
Eigentlich wollten Emil und ich uns den letzten Sonnenaufgang des Jahres vom Dach aus ansehen. Doch er muss ohne mich aufgestanden sein.
Denn als ich die Augen Richtung Fenster richte, erblicke ich blasse Sonnenstrahlen, die sich durch die Vorhänge drängen.
Das Bett neben mir ist leer und kalt, die Kissen bereits ordentlich aufgeschüttelt.
So habe ich mir den Start in diesen Tag nicht vorgestellt.
In der Küche erwartet mich Mila mit einem breiten Grinsen und einer Schüssel Nudelsalat.
"Bleib mir vom Leib!", fahre ich sie an, als sie mit der vollen Schüssel auf mich zu kommt.
"So früh am Morgen kann ich das Zeug nicht riechen!"
Mila lacht und kommt noch einen Schritt näher, bevor sie von mir ablässt.
"Morgen? Es ist halb zwölf!"
"Wirklich?"
Fragend blicke ich zur Küchenuhr.
"Hast du Emil gesehen?", wende ich mich dann mit ruhigerem Tonfall an die junge Frau vor dem Ofen.
"Ich glaube, er ist draußen auf der Veranda."
Ihr brauner Haarschopf nickt nach hinten zum Garten.
"Danke - und ... bleib mit der Mayonnaise meinem Brötchen fern!"
Drohend hebe ich den Finger.
Sie lacht, aber da bin ich schon aus dem Raum.
In meinen angerauten Schlafhosen trete ich nach draußen. Die beißende Kälte kriecht sofort in meinen Körper.
"Morgen."
Emil sieht nur einmal kurz auf und schenkt mir ein müdes Lächeln.
"Wollten wir nicht zusammen den Sonnenaufgang ansehen?"
"Ja. Aber du hast so tief geschlafen, da habe ich ihn mir alleine angesehen", sagt er knapp.
Er schaut mir bei diesen Worten kaum in die Augen.
Mit einem Seufzen lässt er seine Beine los, die er bis eben noch fest umschlungen und vor die Brust gepresst hat, und sieht mich an.
Nach einer langen Pause sagt er: "Ich würde gerne mal mit dir reden. Nicht hier."
Er schielt hinter mir durch das Glas der Tür.
"Lust auf einen Spaziergang?"
"Ähm ja. Klar. Ich gehe mich nur schnell anziehen."
Mit perplexen Augen versuche ich herauszufinden, was Emil vorhat.
Doch er dreht sich bereits wieder Richtung Garten und alles, was ich zusehen bekomme, sind seine pechschwarzen Haare.
Mit zusammengepressten Lippe husche ich in mein altes Zimmer und zwänge mich in schwarze Jeans und ein graues T-Shirt mit Totenkopf, darüber ziehe ich einen schwarzen Hoodie.
"Hast du meine Mütze gesehen?", frage ich Emil, als ich ihn bereits im Flur warten sehe.
Anstatt zu antworten, winkt er mir mit ihr.
"Danke."
Unsere Finger berühren sich, Emil bricht den Blickkontakt ab, als hätte er sich an meinen Augen verbrannt.
Hat er etwas mitbekommen? Weiß er von Bradyn und mir?
Schweiß sammelt sich unter meinem T-Shirt und ich blicke panisch auf die Haustür. Wo würden wir hingehen? Will er mich konfrontieren? Hat er bemerkt, wie ich Bradyn angesehen habe?
Reagiere ich gerade über?
Emils schmale Schultern schieben sich an mir vorbei und er öffnet die Tür.
"Kommst du?"
An seinem Ton ist rein gar nichts fröhlich, neckend oder liebevoll. Er stellt mir eine kalte, emotionslose Frage, so kalt wie ich das Bett heute Morgen vorgefunden habe.
Ich zwänge mich in meine Schuhe und hüpfe in die Winterluft, noch während ich meine Schnürsenkel binde.
"Emil, wo willst du hin?"
Seine schmale Statur ist bereits nach rechts abgebogen und folgt mit gleichmäßigen Schritten einem mir unbekannten Ziel.
Schweigend hole ich zu ihm auf und passe mich seinem Tempo an.
Von Zeit zu Zeit blick Emil auf und reckt sein Kinn gen Himmel, mit zusammengekniffenen Augen betrachtet er die Wolkenberge am Horizont.
"Wenn wir Pech haben, sehen wir heute Abend wenig Feuerwerk", setze ich an.
Ein brummender Ton ist alles, was ich als Antwort erhalte.
"Du machst mir langsam ein bisschen Angst. Ist was passiert? Habe ich was falsch gemacht?"
"Mica .... können wir einfach diesen Spaziergang genießen?"
Meine Augen weiten sich. Ich bewege meinen Kopf - zwinge mich zu einem Nicken.
So ist Emil noch nie drauf gewesen.
Ich versuche hinter seine Fassade zu blicken, in seine Gedanken einzudringen, aber alles worauf ich treffe, ist eine graue Wand, die mich aussperrt.
So laufen wir bestimmt eine Stunde nebeneinander her.
Wortlos. Ich mit prüfenden Blicken und Emil mit abwesenden Gedanken.
Mit jedem Schritt werden meine Schultern schwerer und meine Brust enger.
Wenn wir vor fünf Minuten links abgebogen wären, wären wir jetzt bei Jo.
Wir erreichen Schenectadys Grenzen im Westen der Stadt. Ein kleines Wäldchen beginnt hinter den letzten Häusern.
Emil sagt immer noch kein Wort und ich bin es leid geworden, ständig Themen anzufangen, leere Worte in die Winterluft zu schicken, ohne je eine Antwort zu erhalten.
"Mica", zerreißt Emils helle Stimme aus dem Nichts die Stille.
Ich zucke zusammen und vergrabe meine Fäuste in meinen Taschen. Sie sind trotzdem eiskalt.
"Ich möchte, dass hier alles in diesem Jahr lassen. Deswegen habe ich dich auf diesen Spaziergang eingeladen."
Ich ziehe meine Stirn in Falten. Was redet er da?
"Sonst hätte ich das auch nicht getan. Aber es ergibt sich als passend. Ein sauberer Schnitt."
Blaue Augen suchen meine.
"Ich möchte frisch ins neue Jahr gehen."
Ich kann keine Fixpunkte in seinem blassen Gesicht ausmachen.
Ich sollte hinterfragen, was er meint. Stattdessen verliere ich mich in meinen Gedanken darüber, wie bescheuert es ist, dass Menschen so denken; ein neues Jahr, ein neuer Anfang. Neue Chancen, ein neues Kapitel.
Morgen wird kein brandneuer Start sein, es wird nichts im alten Jahr zurückgelassen.
Das alles bedeutet nichts - es sind Hoffnungen, die sich Träumer wie Emil machen.
Morgen wird einfach ein weiterer erster Januar in unseren Leben sein.
Die Falten unter meiner Mütze müssen sich vertiefen, als ich Emil immer ungläubiger mustere.
Es dämmert mir, was er damit sagen will.
Er will mich im alten Jahr zurücklassen. Damit er frisch ins Neue gehen kann!
Alle Luft entweicht meinen Lungen.
Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich die Luft angehalten habe.
"Machst du gerade Schluss?", hauche ich.
"Wenn du so willst; ja. Ich glaube, wir befinden uns einfach nicht mehr auf der gleichen Seite. Ich erkenne dich kaum noch wieder. Und ich glaube auch, dass ich andere Ziele vor Augen habe, als du."
Ich bleibe stehen.
"Ich bin doch so wie immer!"
"Mica ... du hast mich seit meiner Ankunft nicht einmal angefasst, du bist so distanziert und ... da ist diese neue Haltung."
Er tritt in einen Schneehaufen auf dem Gehweg.
"Ich weiß auch nicht, wohin du die Nachmittage verschwunden bist und was das mit diesem Bradyn zu tun hat - ich will es auch gar nicht wissen."
Emil hebt die Hand, als er bemerkt, dass ich ansetze, um ihm zu widersprechen.
"Aber ich war bei Jo! Einem alten Mann, mit dem ich ganz sicher nichts am Laufen habe!"
Meine laute Stimme hinterlässt eine weiße Wolke vor meinem Gesicht.
"Aber mit diesem Bradyn?"
Emils Stimme ist leise, nicht gekränkt oder verletzt. Einfach nur leise und müde.
"Es ist nicht wichtig, Mica. Wir haben nie gesagt, dass wir eine Beziehung führen. Vielleicht ist das somit auch Stückweit meine Schuld. Ich weiß es nicht."
Er kommt einen Schritt auf mich zu.
"Wie dem auch sei, hier werden sich unsere Wege trennen, aber ich möchte, dass wir im Guten auseinander gehen."
Ich resigniere und schaue fest in blaue Augen, die mich eingehend betrachten.
Ich kann keine Verärgerung in ihnen ausmachen, geschweige denn Hass.
"Ich möchte, dass wir hiernach noch miteinander reden können, Mica. Ich will deine Freundschaft nicht verlangen, aber es wäre schön."
Ich nicke. Zu mehr bin ich nicht in der Lage.
Er hat recht. Und ich fühle mich gut. Irgendwie. Auf eine merkwürdige Art und Weise.
"Wir haben nicht zusammengepasst", entkommt es mir.
Emils Schultern versteifen sich.
Er nickt einmal. Seine Augen wandern über meine Wangen, zu meinen Lippen.
"Ich glaube, ich finde alleine zurück."
Er deutet hinter sich.
"Okay."
Ein letzter Blick. Eine letzte stumme Einverständnisnahme, dass wir uns hiernach nicht hassen werden.
Dann dreht sich Emil um. Mein ehemaliger Partner, der nie einen richtigen Titel hatte, verlässt mich.
"Emil?"
Ruckartig dreht er sich um. Die schmalen Schultern beben.
"Können wir hiervon erstmal nichts meinen Eltern erzählen?"
Ein Schatten huscht über sein Gesicht und seine blass gewordenen Sommersprossen.
Er neigt den Kopf zu einem Nicken.
"Danke", flüstere ich.
Und dann geht er.
Ich bleibe zurück auf dem Gehweg am Rande Schenectadys und beobachte Emils Umrisse dabei, wie sie immer kleiner und unschärfer werden, bis er eins mit seiner Umgebung wird.
Heiße Tränen wärmen meine Wangen, als auch ich mich umdrehe und in die entgegengesetzte Richtung davon laufe.
Wir machen Emils Worten alle Ehre.
Wir entfernen uns auf getrennten Wegen voneinander.
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Song: evermore - Taylor Swift ft. Bon Iver
Das war's dann wohl mit Emica. :/
Eine saubere Trennung im alten Jahr
ich liebe es, so traurige Szenen zu schreiben. idk es macht mir Spaß xD
Ich hoffe, euch hat das Lesen auch Joy gebracht ♡
Mögt ihr Taylor / Hört ihr sie?
i love her (war aber bis vor 2013 eher das Gegenteil xD) Aber meiner Meinung nach, ist so talentiert und mein großes Songwriter Vorbild!
Oh! btw!! wie wäre es, wenn ich mal fun-fakts about me hochladen? Würde euch das interessieren? :'D let me know <3, maybe i'll do it
All my Love,
Lisa xoxo
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