Lee
Einsam kauerte der kleine Junge auf dem kalten, harten Boden.
Zitterte vor Kälte.
Vor Angst.
Vor Schmerz.
Keiner bemerkte ihn. Keiner sah ihn, wie er in einer der vielen Ecken zusammengeschrumpft dasaß. Wie eine einzelne Träne seine vor Kälte eisige Wange hinabrann. Keiner sah den Jungen, der von allen und jedem verlassen direkt vor ihnen kniete, um Hilfe flehte. Etwas Erbarmen von den doch so kalten Herzen erhoffte. Wie er innerlich vergeblich um einen Funken Aufmerksamkeit schrie... Und es dann ein für alle Mal aufgab, sich ein letztes Mal fallen ließ. Er wollte sich mit seinem Schicksal abfinden, auch, wenn das bedeutete, dass er am nächsten morgen erfroren auf den Straßen aufgefunden würde. Denn er konnte nicht mehr. Er wollte einfach nicht mehr. Und so saß er eingequetscht zwischen zwei Häuserwänden bibbernd mit den Zähnen klappernd da und wartete bis sein Geist auch die letzte Hoffnung aufgab.
Bis er aufhörte, an Wunder zu glauben.
Langsam kehrte Ruhe auf den Straßen ein, die letzten dunklen Gestalten huschten ihres Weges durch die Nacht, verschwanden so schnell, wie sie aufgetaucht waren. Bis auch der letzte seine Ruhe gefunden und friedlich einschlief. Nur einer versuchte mit aller Macht wach zu bleiben. Wenn er jetzt einschliefe, so wäre es um ihn geschehen. War es wirklich das, was er wollte? Die einzige Lösung? Oder hatte er noch eine Chance, einen Ausweg, für denn es sich zu kämpfen lohnte?
Das schmächtige Kind richtete sich zittrig auf. Womit hatte es das verdient??? Lee schlang die ausgefranste Jacke enger um seinen rappeldürren Körper, beobachtete, wie sein Atem vor ihm in kleinen Wölkchen auftauchte und wieder verschwand. Mit vorsichtigen Schritten schlich er die Straße entlang, blickte zu den schwarzen, bedrohlichen Umrissen der Häusern empor. Kein einziges Licht brannte noch in den Fenstern. Er spielte mit dem Gedanken, einfach einmal an eine der Haustüren zu klopfen aber eigentlich wusste er selbst, dass man ihn eher direkt auf der Schwelle sterben ließe, als ihm Einlass zu gewähren.
Vielleicht wäre er ja auch so geworden. Vielleicht. Aber dann war es gut so. Wenn er so geworden wäre, hätte er sich nie mehr im Spiegel in die Augen blicken können. Besser war er tot als ein Monster.
Geduckt zwang er sich weiter zu laufen. Aber dort drüben, unter den Holzverschlägen sah es doch so kuschelig aus...Und er war so unheimlich müde...Sooo müde. Und eigentlich war es doch noch nicht einmal so kalt, er würde schon nicht einschlafen, wenn er sich nur ganz kurz ausruhen würde. Nur ganz kurz. Sehnsüchtig starrte er auf den gefrorenen Boden. Verlockend...
Der letzte Rest Verstand, den er noch besaß, hielt ihn gerade noch so davon ab, sich einfach blindlings auf den harten Untergrund fallen zu lassen. Etwas musste er ja gelernt haben in der Zeit, in der er nun schon hier war.
Unheimlich leise hörten sich seine kleinen Schritte auf dem Boden an, wie er den Weg entlangtapste. Sonst würde er ja mit Sicherheit noch zu viel Aufmerksamkeit erregen beim langsamen Erfrieren. Könnte ja die Leute stören. Oder ihm aber damit noch einen viel qualvolleren Tod bereiten und das war nicht unbedingt in seinem Interesse. Wenn er schon sterben musste, dann wenigstens nicht unnötig grausam.
Manchmal, da schlich sich ein leises Lächeln auf sein Gesicht, wenn er an sein einstiges Leben dachte. Es musste schon so furchtbar lange her sein, oder? Vielleicht fühlte es sich für ihn aber auch nur so an. Vielleicht hatte ihn dieses einsame, schreckliche Leben hier aber auch einfach verändert. Und jetzt konnte er sich nicht mehr zurückdenken. Als wäre er in einer anderen Welt gelandet. Die einen Eingang besaß aber keinen Ausgang. Keine Pforte zurück.
Weshalb aber wagte sich überhaupt ein Lächeln auf seine Züge? Weshalb sollte es ihn überhaupt noch kümmern? Wie es ihr ging? Was sie tat? Ob es ihr gut ging? Vielleicht würde ihn die Antwort verletzen. Er sollte nicht fragen, es nicht wissen, nicht mehr an sie denken.
Das Problem war, dass er sie nicht vergessen wollte.
Maggie.
Und so hoffte er Tag für Tag, dass sie lebte, dass sie atmete, kämpfte, weitermachte, nicht aufgab.
Ihn nicht aufgab.
Nicht vergaß.
Obwohl es sicher ein Fehler war.
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