Kapitel 2
Leise schauten wir aus Marleens Zimmer in den langen Flur. Mitten in der Nacht in einem Waisenhaus. Nicht gerade die schönste Vorstellung, aber daran war ich schon gewohnt.
Wir wollten auf gar keine Fall den Aufseherinnen begegnen. Die waren einfach nur bescheuert, dumm und, um es harmlos auszudrücken, nervig. Und alle waren sehr streng. Besonders eine. Ich glaube, ihr würdet ihr nicht begegnen wollen.
Nach einer kurzen Pause, betrat ich zuerst den Flur. Der Holzboden unter meinen Füßen knartzte gespenstisch. Ich hoffte nur, dass es leise genug ist.
Ich ging noch ein paar Schritte weiter in den Flur, dann kam auch schon Marleen hinterher, die ihre Tasche noch schnell geholt hatte. Sie hatte den Zettel in der zitternden Hand. Man sah, dass sie versuchte ihre Nervosität zu unterdrücken. Aber das sah auch nur ich, als ihre beste Freundin. Ich kenn sie sehr gut und weiß, wann sie traurig ist. Aber sie ist wie ich: sie will nicht getröstet werden.
Wir beide finden, dass das alles nur noch schlimmer macht. Irgendwie muss ich dann immer noch mehr weinen.
Ich schlichen zuerst in mein Zimmer, um meine Tasche zu holen, die ich schon lange zuvor vorbereitet hatte. Ich verzichtete darauf, die Tür wieder zu schließen und so unnötigen Lärm zu machen, der womöglich die Aufseherin aufwecken könnte. Dann schlich ich wieder zurück zu meiner Freundin und nickte dieser zu, sobald ich sie sah. Als ich bei ihr war, gingen wir den Flur entlang zu Vincent's Tür, die am nähersten war. Was ziemlich eigenartig ist, ist, dass wir nur einzel Zimmer in diesem Waisenhaus haben. Und die sind nicht gerade klein, aber auch nicht wirklich groß.
Wenigsten kann man im Zimmer schlafen.
Vorsichtig machte ich die Tür auf, ohne davor geklopft zu haben. Die Tür knarzte, wie eigentlich alles hier, wieder gespenstisch.
Wir schlüpften schnell durch die Tür, und ließen sie dann wieder leise ins Schloss fallen. Auf dem Bett saß ein ein wenig irritiert aussehender Vincent. Er hatte seine Bettdecke über seine Beine gelegt und lehnte sich an der Wand an. Mit Taschenlampe und Buch saß er da, was eigentlich ein ziemlich süßes Bild ist. Vincent ist generell irgendwie süß.
Er ist zwar dünn wie ein Spargel, aber dafür sind seine Haare umso dicker. Er hat richtig flauschig aussehende und ein klein bisschen lockige blonde Haare, die ihm bis fast zu der Schulter reichten.
Das schaut so süß bei ihm aus. Und der irritierte Blick, den er hatte, machte dies noch um einiges süßer.
Ich nahm mir vor, irgendwann mal ihn zu fragen, ob ich mal seine Haare anfassen durfte.
Nach ein paar Sekunden leuchtete er uns mit der Taschenlampe direkt in unser Gesicht, als ob er nicht glauben konnte, wer vor ihnen steht.
Wir kniffen sofort die Augen zusammen, aber das realisierte Vincent erst einige Augenblicke der Überraschung später, und richtete entschuldigend die Taschenlampe von uns weg.
Ich sah nur noch Punkte. Und wahrscheinlich meine Freundin genauso. Nach wieder ein paar Sekunden Zeitverschwändung sahen wir wieder klar Vincent vor uns, der uns jetzt fragend musterte.
"Du weißt es bestimmt schon." ergriff meine Freundin das Wort und deutete ihm an, dass er mitkommen soll. Vincent verstand erst nicht, dann hörte man sein Herz heftig aus seinem dünnen Körper pochen.
Aufgeregt stand er auf und wollte mit uns mitkommen, aber Marleen und ich schauten uns nur belustigt an.
"Willst du nichts mitnehmen?" fragte ich ihn belustigt. Er dachte kurz nach, dann kapietrte er es.
Schnell holte er seine Tasche aus dem Schrank, packte all seine Kleidung ein, die eigentlich bei allen ziemlich wenig war, dann noch etwas Geld, und seine Süßigkeiten, die er mal gekauft hatte.
Er wollte schon gehen, als er noch schnell sein Buch vom Bett nahm, und in seine Tasche packte. Die Taschenlampe nahm er gleich so mit.
Vorsichtig verließen wir nun zu dritt das Zimmer, auf den Weg zu Rio, dessen Raum als nächsten kam.
Der Unterschied, den Rio und Vincent hatten, war, dass Rio viel größer war und auch ein paar Muskeln hatte. Dagegen sah Vincent schon sehr, sehr mickrig aus. Übrigens ist Rio der größte in diesem Waisenhaus. Er ist sogar größer, als die 17 jährigen.
(Rio und Vincent sind beide auch 15)
Ab 18 muss man das Waisenhaus verlassen, ob man nun eine Arbeit oder eine Wohnung hat, ist den Aufseherinnen egal.
Sie sind einfach froh, die Kinder loszukriegen.
Als wir ankamen, öffnete Vincent die Tür, wieder ohne zu klopfen, und wir betraten alle gemeinsam Rio's Zimmer.
Es war irgendwie aufregend sein Team zusammen zu trommeln und in der Nacht von Zimmer zu Zimmer zu gehen.
Vincent lehnte die Tür leise ans Schloss an und drehte sich dann auch in die richtung, in die wir starrten, um. Er guckte in ein leeres Zimmer. Marleen und ich waren genauso verblüfft, wie Vincent. Sorgen machten wir uns irgendwie keine. Er war ja groß und vor allem stark genug, um auf sich selbst aufpassen. Aber wahrscheinlich läuft er nur im Waisenhaus umher, und sucht irgendetwas essbares.
Wir guckten uns in seinem Zimmer um, bis er wieder kommen würde. Sein Bett war noch gemacht oder wieder gemacht? Sein Schrank komischerweise leer. Dafür sah ich eine große Tasche neben dem Schrank liegen. Ich machte die anderen darauf aufmerksam und öffnete leise die Tasche. Innen drin war der ganze Inhalt seines Schrankes.
Wir schauten uns alle gegenseitig fragend an.
Was hat er vor?
Will er abhauen?
Will er mit uns abhauen?
Hat er sich darauf schon vorbereitet?
Wir waren so in Gedanken versunken, was er vorhatte, dass wir gar nicht bemerkten, wie Rio ins Zimmer kam. Aber man muss auch gestehen, dass er sehr, sehr leise ins Zimmer gekommen ist.
Rio räusperte sich unauffällig, ging zu seinem Bett hin und setze sich drauf. Wir schauten uns erschrocken um, und sahen in die Augen von einem knuffig ausschauenden Rio.
Er sah so süß aus mit seinen verstruppelten Haaren, auf die Rio auch sehr stolz war. Wahrscheinlich ist er gerade erst aufgewacht. Er hatte im Gegensatz zu Vincent keine schulterlangen Haare, aber dafür viel lockigere fast schwarze Haare.
Ich wollte so gerne mal auch seine Haare anfassen. Die schauen so flauschig aus.
Vincent, unter anderem auch Rio's bester Freund, ergriff zu erst das Wort.
"Was willst du denn mit der Tasche?" fragte er und kam somit gleich auf den Punkt.
"Wann geht's los?" stellte Rio die Gegenfrage. Er wusste anscheinend schon, dass wir ihn nehmen würden, oder hat es zu mindest geahnt.
Marleen und ich wechselten kurz Blicke, dann lächelten wir ihn verschwörerisch entgegen.
"Bald." sagte nur Marleen, machte die Tür auf und ging, ohne Rio oder gar uns eines Blickes zu würdigen, aus dem Zimmer. Wir schauten ihr nur verblüfft hinterher.
Nicht mal zwei Sekunden später schaute sie in Rio's Zimmer herein und grinste uns auffordernd an. Ich grinste ihr zurück, und rannte leicht zur Tür hin, zu Marleen. Die anderen folgten.
Ich drehte mich schnell um, um zu sehen, ob alle da sind und sah noch, wie Rio die Tür ins Schloss knallen ließ. Es gab einen sehr lauten Krach. Wir schauten Rio alle mit einem 'Spinst-du" Blick an, bevor wir den gang entlang rannten, zu Timos Zimmer. Bei jedem Schritt unter unseren Füßen, knarrste der Boden.
Timo war eher mittelgroß und hatte etwas längere Haare als Vincent, die er immer zu einem Zopf zusammen gebunden hatte. Glaubt mir, dass passt richtig gut zu ihm.
An Timos Zimmer angekommen mussten wir nicht ein mal die Tür aufmachen, denn bevor irgendjemand die Türklinke betätigen konnte, wurde auch schon die Tür von Timo aufgerissen. Anscheinend war er gerade auch erst von dem Krach aufgewacht. Naja... Umso besser.
Schnell forderten wir Timo auf, der übrigens auch Rio's und Vincent's bester Freund war und auch 15 Jahre alt war, seine Sachen zu packen.
Überraschenderweise hatte auch er schon seine Tasche gepackt. Timo ergriff schnell die Tasche und zusammen liefen wir den Flur entlang zum Ausgang. Hinter uns hörten wir laut eine Tür ins Schloss fallen, und ich hatte das ungute Gefühl, dass es einer der Aufseher war.
Wir rannten also noch ein Stück schneller, bis wir an der Haustür ankamen. Hektisch riss Rio, der als erstes bei der Tür ankam, die Tür auf, aber sie war verschlossen.
"Scheiße!!!" fluchte er verzweifelt.
"Hast du es dabei?" fragte mich auf einmal Marleen. Ich wusste erst nicht, was sie meinte, denn ich war zu sehr auf das Geräusch von vorhin konzentriert gewesen, aber als ich sah, dass die anderen vor der verschlossenen Tür standen, holte ich es aus meinem Rucksack.
Die anderen machten große Augen, als sie sahen, was ich aus meiner Tasche geholt hatte.
"Wo hast du das denn her?" fragte Rio mit Ehrfurcht und verblüfften Gesicht.
Ich antwortete nicht sofort darauf, sondern ging zur Tür und schoss mit der Pistole aufs Schloss. Es gab einen lauten Krach und daraufhin flog die Tür vom heftigen Wind, der draußen wehte, direkt gegen Timo. Wir mussten uns ein Lachen verkneifen und rannte so schnell es ging in den naheliegensten Wald. Während des Rennens, stopfte ich noch schnell meine Pistole wieder ein die Tasche.
"Jetzt beginnt das Abenteuer!" sagte Vincent und schaute uns alle an. Wir konnten nichts anderes machen außer nicken.
Wir hatten es geschaft. Wir können und werden nie wieder zurück kehren.
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