5.
Ich riss meine Augen auf und blickte in das Gesicht meines Entführers.
"Wo bin ich? Was ist passiert?", panisch und nach Luft schnappend, setzte ich mich auf.
Ich lag in einem warmen Bett, welches sich in dem Raum befand, wo ich ohnmächtig geworden bin.
Alle Erinnerungen an den Vorfall kamen in mir hoch.
Jack drückte mich behutsam zurück in die Kissen und schleckte sich dabei über die Lippen.
Eine Geste, an welche ich mich so langsam gewöhnte.
"Du hast versucht dich mit einem Messer umzubringen, bist allerdings kläglich gescheitert. Und weil du so erbärmlich auf dem Boden lagst, dachte ich mir, helfe ich der Kleinen doch mal.", antwortete er kühl auf meine Fragen.
"Nun, liegst du hier in, wohlgemerkt meinem Bett und verschwendest meine kostbare Zeit.", fügte er hinzu und schaute mir unbekümmert in die Augen.
"Du hättest mich doch auch einfach verbluten lassen können.", erwiderte ich mit rauer Stimme.
Sarkastisch lachte das Narbengesicht auf und warf den Kopf in den Nacken.
"Was glaubst du, hätte ich mit deiner Leiche tun sollen?! Natürlich wäre mir etwas eingefallen, aber er wäre einfach zu viel Arbeit gewesen. Ganz zu schweigen von dem ganzen Blut, welches ich dann hätte selber weg machen müssen."
Ich blickte irritiert auf den Boden, auf welchem eine riesige Blutlache zu sehen war.
Wie viel Blut ich wohl verloren hatte?
"Jap, richtig gehört Kleine. Du machst sauber. Und zwar jetzt!", befahl er mir und zog die kuschelige Decke von meinem Körper.
Da fiel mir auf, dass ich gar nicht meine Kleidung anhatte.
Stattdessen trug ich ein Hemd, welches mir viel zu groß war, und eine lange, graue Jogginghose, welche ebenfalls ziemlich groß ausfiel.
Meine Wangen färbten sich rosa.
"Ach, ich habe mir erlaubt deine alten Klamotten auszuziehen und sie durch diese umzutauschen. Sowohl weil dein Körpergeruch nicht mehr zu ertragen war, als auch weil sie mit etwas Blut vollgeschmiert waren."
Überrascht schaute ich ihn an, aber er wich meinem Blick aus und warf mir stattdessen einen Lappen auf den Schoß.
"Heut noch.", sagte er nur und verließ mit diesen Worten das Zimmer.
Diesmal ließ er allerdings die Tür offen stehen.
Erschöpft schrubbte ich den mit Blut beschmutzen Boden und die Schnittwunde am Hals, um welchen ein dicker Verband gewickelt war, tat weh.
Außerdem spielte mein Kreislauf nicht ganz mit, denn mir wurde mit der Zeit immer schwindeliger und ich sah wieder schwarze Punkte.
Doch ich beschwerte mich nicht,
schließlich hatte er mir das Leben gerettet.
Stöhnend hielt ich in einer Bewegung inne und versuchte mich auf meinen Kreislauf zu konzentrieren. Doch es klappte nicht.
"Was ist los?", wollte das Narbengesicht rufend aus dem Wonzimmer wissen.
"Ach nichts...", murmelte ich und riss mich zusammen.
Keine Schwäche mehr zeigen....
Er kam mit schnellen Schritten in das Schlafzimmer und schaute fragend auf mich herab.
"Sicher?"
Ich nickte und widmete mich wieder dem Boden.
"Du bist ja schon fast fertig. Den Rest kannst du auch noch morgen fertig machen. Es ist ja nicht so, dass wir unter Zeitdruck stehen würden.", meinte er, packte mich am Kragen und zog mich hoch.
"Ahhhhhh!", zischte ich und stieß ihn von mir weg.
"Ich kann das jetzt noch fertig machen.", sagte ich, trotz Erschöpfung.
"Das war gerade eben kein Vorschlag, sondern ein Befehl. Du machst morgen weiter!", knurrte er ungeduldig und schubste mich in Richtung Wohnzimmer.
Unter normalen Umständen hätte ich mir dies nicht gefallen lassen, aber das war kein normaler Umstand.
Gehorsam lief ich also ins Wohnzimmer und setzte mich zögerlich auf das alte Sofa.
Jack ließ sich in den Sessel fallen, welcher versteckt in einer Ecke stand.
Sein Blick war aufmerksam auf mich gerichtet, weshalb ich nervös mit meinen Händen rum spielte.
"Warum bist du denn so nervös?", langsam kam er auf mich zu.
"Sind es die Narben?", wollte Jack von mir wissen und ich versuchte ihm nicht ins Gesicht zu schauen, tat es dann aber doch.
Dicke, wulstige Narben.
Ich schluckte.
"N- nein. Nein!", stotterte ich.
"Nein?! Was ist es dann?"
Plötzlich hatte ich wieder ein unglaublich starkes Selbstbewusstsein.
"Was es ist? Was es ist?! Oh, ich sage dir was es ist! Ich werde hier seit keine Ahnung wie lange festgehalten, vermisse meine Familie und meine Freunde und habe verdammt nochmal keine Ahnung wann und ob ich sie überhaupt wieder sehen werde!", schrie ich ihn an.
Gegen meine Erwartungen rastete er nicht komplett aus, sondern blieb ruhig. Zu ruhig.
"Und weißt du was?! Wenn ich jemals wieder frei sein sollte, werde ich der Polizei dein hässliches Gesicht ganz genau beschreiben und sie werden dich kriegen. So ein ekliges Gesicht gibt es nämlich nur einmal!", fügte ich wütend hinzu.
Jack starrte mir Ewigkeiten in die Augen, bis er unerwartet den Blick löste und ohne ein weiteres Wort zu sagen in die Küche ging.
Überrascht schaute ich ihm hinterher.
Dicke Regentropfen prasselten gegen das Fenster im Wohnzimmer. Ich starrte ausdruckslos auf den Hof, wo gerade eine vierköpfige Familie aus ihrem Auto stieg und lachend durch den Regen rannte.
Schon seit Tagen saß ich hier und schaute aus dem Fenster. Nachts schlief ich auf dem Sofa und Jack in seinem Bett.
Wir hatten, seitdem ich ihn angeschrien hatte, kein Wort mehr gewechselt. Er ignorierte mich vollkommen und ich ihn genauso.
Erst jetzt wurde mir bewusst, dass mir unsere Gespräche, auch wenn man es nicht wirklich Gepräche nennen konnte, fehlten. Und das machte mir Angst.
"Ich habe gesagt, du sollst mich nicht weiter ignorieren!", hörte ich Jack laut neben mir sagen und ich zuckte erschrocken zusammen. Ich hatte ihn gar nicht bemerkt.
Irritiert schaute ich ihn an und er hob demonstrativ einen Teller in die Höhe.
"Iss das hier auf!", Jack streckte mir den Teller entgegen, auf welchem zwei bestrichene Toastbrote lagen. Eins mit Käse und eins mit Nutella.
"Warum?", fragte ich mit rauer Stimme.
"Du kannst ja noch reden.", meinte er nur spöttisch, fügte dann aber doch noch etwas hinzu.
"Weil du seit vier Tagen nichts, aber auch gar nichts, gegessen hast. Und weil mir Floyd den Kopf abreißt, wenn er das mitbekommt."
"Floyd?"
"Ja, der andere.", antwortete Jack mir schulterzuckend.
"Jetzt iss das verdammt nochmal!", zischte der junge Mann sichtlich genervt.
Gezwungener Maßen griff ich zu dem Nutella-Toast und bis hinein.
Aber sobald ich einen Bissen genommen hatte, war mir extrem schlecht.
"Ich will nicht mehr....", maulte ich.
"Doch! Du isst das jetzt auf! ", knurrte er.
"Nein!", rief ich und warf den Toast wieder zurück auf den Teller.
"Du hast mir gar nichts zu sagen!"
"Ach nein? Ich hab dir nichts zu sagen, Harleen?!", sagte er bedrohlich und ich wich erschrocken zurück.
"Ich habe keine Angst vor dir!", schrie ich mit brüchiger Stimme.
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, welches mir einen Schauer über den Rücken jagte.
Und ehe ich mich versah, hatte er mich auch schon geschlagen.
Meine Hand wanderte langsam zu meiner brennenden Wange.
"Normalerweise schlage ich keine Frauen, aber dir muss ja irgendjemand Manieren beibringen!", erklärte er gleichgültig.
Ich hatte schon längere Zeit nicht geweint, aber jetzt brach alles aus mir heraus.
Schluchzend und unter Tränen sank ich auf den Boden, die Hände vor meinem Gesicht.
"Heul nicht rum!", vernahm ich Jacks genervte Stimme.
Doch das brachte mich nur noch mehr zum weinen.
Es war absolute Stille und ich dachte schon Jack wäre weggegangen, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte.
Es war nicht so ein Griff, wie er mich die letzten Male gepackt hatte.
Nein. Es war nur eine leichte, ja schon fast sanfte Berührung.
Ich nahm die Hände von meinem Gesicht und starrte, mit geröteten Augen, in das vernarbte Gesicht vor mir.
"Nicht weinen, Harls.", flüsterte er und seine Hand berührte vorsichtig mein Kinn.
Ich zuckte ängstlich zusammen und glaubte in seinen Augen Enttäuschung aufblitzen zu sehen.
"Harls?", fragte ich mit rauer Stimme.
"So nennen mich nur meine Freunde.", fügte ich hinzu.
"Bin ich nicht dein Freund?", wollte er von mir wissen.
Wir beide kannten die Antwort.
"Würdest du dich als meinen Freund sehen?"
Er lächelte amüsiert.
"Sag du es mir.", forderte er mich auf.
Ich wendete ohne Worte den Kopf zur Seite, wollte aufstehen und einfach weg von ihm.
"Hey, hey, hey. Bleib doch hier."
Er hielt mich an den Schultern fest und ich wollte mich wehren, konnte es aber nicht.
Stattdessen fing ich wieder an zu weinen.
Ohne etwas zu sagen, nahm Jack mich zögerlich in seine Arme und drückte mich fest an sich.
Und ich erwiderte die Umarmung.
Ein gewaltiger Fehler...
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