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5. drapetomania

drapetomania: der überwältigende Drang, davonzulaufen

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Montag, März

Sebastian war mehr als nur spät dran. Normalerweise lief er montags und mittwochs von seiner Schule kurz nach Hause (ein Weg von sieben Minuten), lud da seinen Rucksack ab, nahm sich etwas zu essen mit und fuhr dann mit der Tube nach Chiswick, wo die Moriartys wohnten. So hatte er es bisher immer geschafft, pünktlich um fünf Uhr vor ihrer Tür zu stehen.

Allerdings war sein Zeitplan an diesem Tag völlig durcheinander geworfen worden, weil sein Mathelehrer ihn nach der Stunde unbedingt noch hatte da behalten wollen. Natürlich war es wieder um seine Noten gegangen und darum, dass Sebastian sich mehr anstrengen musste, wollte er einen guten Abschluss schaffen. Sebastian wusste weder, wie er seinen Rückstand wieder aufholen, noch, wie er über Nacht zu einem Mathegenie mutieren sollte, deshalb hatte er nur brav genickt und gesagt, was seinen meisten Lehrern gefiel: Er nähme jetzt Nachhilfeunterricht und würde jedes Wochenende lernen. Was er nicht tat, aber vermutlich tun sollte, aber, naja, Sebastian hatte viel zu tun und Mathe stand nicht unbedingt oben auf seiner Prioritätenliste.

Jedenfalls hatte er aufgrund dieses (doch recht langen) Gesprächs keine Zeit mehr gehabt, nach Hause zu gehen, war in seiner Hektik auf den falschen Bahnsteig gerannt und hatte dementsprechend die falsche U-Bahn genommen, was ihm allerdings erst aufgefallen war, als er bereits zwei Stationen weit in die falsche Richtung gefahren war.

Jetzt stand er, hungrig und genervt, vor der Tür der Moriartys. Er klopfte ein wenig zu heftig an die Tür, die zu seinem Erstaunen beinahe sofort aufgerissen wurde.

Dorian sah ihn mit großen Augen. „Sebastian, du musst uns helfen!" Ehe Sebastian auch nur nachfragen konnte, wobei er helfen sollte, hatte Dorian bereits seine Hand gepackt und ihn durch den Flur und ins Wohnzimmer gezogen, wobei er weder die Tür schloss, noch wartete, damit Sebastian seine Schuhe abstreifen konnte. Sebastian schaffte es gerade noch, seinen Rucksack in eine Ecke zu schleudern.

Auf der schicken Couch der Moriartys saß Andrew und hielt sich seine blutende Nase. Neben ihm wuselte ein Sebastian unbekanntes Mädchen mit wilden, hellblonden Haaren umher, warf Andrew Taschentücher und Wortfetzen zu: „Alles gut! Wird schon! Blut."

Und als Sebastian dieses Wort vernahm, fiel ihm wieder ein, wie sehr er Blut verabscheute und hätte er heute schon mehr gegessen als einen Müsliriegel am Morgen, so hätte er sich vielleicht übergeben. Auf jeden Fall wurde ihm so schummrig, dass er den Blick abwenden musste.

Er tarnte sein Unwohlsein, indem er hinunter auf Dorian blickte. „Was ist passiert? Wieso blutet Andrew so stark? Und wer ist das Mädchen?"

Dorian blinzelte überfordert, weshalb Sebastian entschied, die wichtigste Frage noch einmal zu stellen: „Was ist passiert?"

Mit leicht zitternder Unterlippe begann Dorian zu erklären: „Wir wollten nochmal zur Schule, weil Andrew seine Sachen da vergessen hat, aber auf dem Rückweg ist uns Lennox über den Weg gelaufen. Lennox ärgert Andrew immer und dann hat er ihn heute gehauen und Andrew ist hingefallen und jetzt hört seine Nase nicht auf zu bluten."

Sebastians Magen schlug einen Purzelbaum und es fühlte sich an, als würde sein Hirn Inlineskater über eine Schotterstraße fahren. „Richtig. Er blutet. Äh..." Sebastian kniff sich ins Nasenbein, versuchte nachzudenken. „Also... Sag ihm, er soll auf keinen Fall den Kopf in den Nacken legen, sondern sich vorbeugen. Und er muss die Nase für ein paar Minuten zuhalten. Habt ihr Eis?" Dorian nickte, wirkte jedoch ziemlich verwirrt, dass Sebastian ihm das erklärte und nicht Andrew. Doch Sebastian war sich sicher, dass sein Verstand sich einfach verabschieden würde, würde er das ganze Blut sehen. Also fügte er noch hinzu: „Gut. Dann... legt etwas Eis auf seinen Nacken. Aber wickelt das Eis in ein Handtuch."

Dorian nickte und war im Inbegriff, zu seinem Bruder zu rennen, um Sebastians Hinweise weiterzugeben, da hielt Sebastian ihn noch einmal zurück: „Hey, wo ist Jim? Wieso hilft er euch nicht?"

Der jüngste Moriarty verzog das Gesicht. „Ich weiß nicht. Als wir wiederkamen, haben wir ihn gerufen, damit er uns hilft, aber er hat nicht geantwortet. Er ist nicht hier." Ernst blickte er zu Sebastian auf: „Jim wird ganz schön Ärger bekommen."

Sebastian nickte seufzend, massierte sich die Schläfen, um einen weiteren brauchbaren Gedanken zu fassen. Vermutlich sollte er Jim suchen gehen. Vielleicht verhindern, dass er noch mehr Hausarrest bekam, für den er seinen Unmut bei Sebastian auslassen würde.

Aber zunächst war das hier wichtiger - Jim würde (hoffentlich) nichts anstellen, aber hier saß gerade ein Zehnjähriger und hatte schreckliches Nasenbluten und Sebastian war sein verdammter Babysitter, weshalb er sich darum zu kümmern hatte.

Entschlossen drehte er sich zur Couch, bereute es jedoch sogleich, da seine Knie beim Anblick der roten Flüssigkeit sofort schwach wurden. Er schluckte schwer, wandte sich wieder um und stierte die Wand an, in der Hoffnung, die schwarzen Punkte in seinem Blickfeld würden zu tanzen aufhören.

„Alles in Ordnung?", fragte da eine unbekannte, helle Stimme.

Sebastian sah nach unten und blickte in die hellblauen Augen des ebenso hellblonden Mädchens. Er versuchte sich an einem Lächeln. „Ja, alles Bestens. Ich bin nur kein großer Fan von Blut."

Das Mädchen nickte und lächelte Sebastian von unten an. „Das kann ich verstehen. Es wäre viel schöner, wäre es blau."

Das war nun wirklich nicht das, was Sebastian gedacht hatte, aber er brachte so etwas wie ein zustimmendes Brummen zusammen. „Vermutlich. Entschuldigung, aber wer bist du nochmal?"

„Ich bin Dotty", stellte das kleine Mädchen, Dotty, sich vor und lächelte noch breiter, sodass kleine Grübchen in ihren rosigen Wangen erkennbar waren.

„Sebastian", erwiderte Sebastian und Dotty nahm kichernd die Hand entgegen, die er ihr anbot.

„Sehr erfreut", sagte sie wie eine kleine Adlige und machte einen Knicks vor Sebastian. „Du bist der Babysitter-Sebastian, oder?"

„Genau."

„Andy hat von dir erzählt." Sie schlitterte einmal um Sebastian herum, als würde sie es nicht aushalten, zu lang auf der Stelle zu stehen. „Du bist noch größer, als er beschrieben hat. Ich finde dich aber trotzdem hübsch."

Sebastian lachte verlegen und fuhr sich kurz durch die Haare. „Danke. Du hast sehr schöne Augen."

Dotty strahlte ihn an. „Ja, findest du?"

Danach sprudelte Dotty quasi über vor Worten, Witzen und Anekdoten. Als sie einmal Luft holte, schaffte Sebastian es, sich kurz von ihr zu lösen und zu Andrew hinüberzulinsen. Die Blutung schien gestillt und außer einem Handtuch mit einem großen Blutfleck deutete nichts mehr daraufhin, dass Andrews Nase, verletzt war - sie war ein wenig rot, aber weder dick noch verschoben oder blau. Offenbar war Andrew gut davongekommen.

Es tat Sebastian leid, dass er kaum hatte helfen können. Glücklicherweise schien keiner der Anwesenden ihm das übel zu nehmen.

„Du hättest sehen sollen, wie Dotty ihn davongejagt hat", erzählte Andrew grinsend, denn offenbar hatte Dotty, die seine beste Freundin war, ihn und Dorian zur Schule und zurückbegleitet und war auf Lennox losgegangen, nachdem der Andrew angegriffen hatte. „Der hat sich beinahe in die Hosen gemacht."

Dotty strich sich geschmeichelt eine Locke aus dem Puppengesicht.

Sebastian grinste, wandte sich dann jedoch besorgt Andrews Gesicht zu. „Tut deine Nase noch weh?"

Andrew schüttelte bloß den Kopf und tippte sich zum Beweis dreimal auf die Nasenspitze.

„Musst du jetzt Jim suchen gehen?", fragte Dorian schließlich.

Dotty, die neben Andrew auf der Couch saß, verzog ein wenig das Gesicht. „Ich mag Jim nicht, er ist gemein."

„Ist er gar nicht", verteidigten Andrew und Dorian ihn zugleich, wobei Andrew noch ein leises: „Vielleicht ein bisschen" anhängte.

Irgendwie fand Sebastian es niedlich, wie die beiden ihren Bruder verteidigten. Dass Jim nicht immer so anstrengend war, hatte er ja schon erahnen können, aber offenbar war er auch nicht immer ein schlechter Bruder. Sonst würden Dorian und Andrew sich vermutlich nicht für ihn einsetzen.

Andererseits würde Sebastian Severin ebenfalls jederzeit verteidigen. Irgendwo schweißte Familie eben zusammen.

Sebastian schüttelte den Kopf, um sich aus seine Gedanken zu reißen. Schließlich stand er seufzend auf. „Ja, ich werde ihn suchen gehen. Aber nur, wenn ihr mir versprecht, dass ihr das Haus stehen lasst." Er warf einen kurzen Blick auf den Fernseher, der gegenüber der Couch stand. „Ihr könnt Mario Kart spielen, bis ich zurück bin."

Dagegen hatten die Drei gar nichts einzuwenden und so ließ Sebastian sie mit ihrem Videospiel und einem mulmigen Gefühl im Magen zurück. Er machte sich auf die Suche nach Jim.

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Er wusste nicht genau, wieso er gerade in die Shopping Mall ging, um Jim zu suchen. Er war bereits seit einer Stunde unterwegs gewesen, hatte nach Jim Ausschau gehalten, aber keinen Hinweis auf seinen Verbleib gefunden. Deshalb war er zu dem einzigen Ort gegangen, bei dem er mit Sicherheit wusste, dass viele Teenager sich dort am Nachmittag oder Abend verabredeten. Zwar war Jim offensichtlich kein normaler Teenager, aber Sebastian hatte gedacht, es wäre ein Versuch wert.

Das hatte sich gelohnt, denn kaum irrte er drei Minuten durch die Einkaufspassagen, da entdeckte er den schwarzhaarigen Jungen auch schon. Er stand in einem Kleidungsgeschäft in der Sportabteilung und blickte nachdenklich auf einen Ständer mit T-Shirts. Sebastian hätte Jim nicht wirklich für jemanden gehalten, der freiwillig Klamotten kaufen ging und schon gar nicht Sportsachen, aber er wollte nicht urteilen.

Gerade als er nach Jim rufen und ihm die Hölle heißmachen wollte, beobachtete er etwas, das ihn ruckartig zum Stehen brachte.

Jim blickte sich kurz um, sah nach oben und als er sich unbeobachtet fühlte, zog er das T-Shirt vom Ständer und ließ es so unter seiner Jacke verschwinden, dass nicht einmal eine Ausbeulung zu sehen war. Sebastian spannte den Kiefer an, als Jim noch kurz vor dem Ständer stand, sich dann abwandte und den Laden verließ - keine Alarmsirenen schrillten los, was bedeutete, dass Jim die Sicherungen an der Kleidung irgendwie entfernt hatte.

Was allerdings viel schlimmer war, war, dass Sebastian Jim gerade beim Stehlen erwischt hatte. Und dass kein Hauch von Reue auf seinem Gesicht zu lesen war, als er einige Meter entfernt an Sebastian vorbeischlenderte, wobei er nicht einmal Notiz von diesem nahm.

Für einen Moment stand Sebastian da und wusste nicht, was er tun sollte. Dann setzte er sich in Bewegung und folgte Jim in einen Buchladen.

Jim lief zielstrebig zu den Horrorromanen, verplemperte diesmal nicht so viel Zeit damit, vor den Regalen zu stehen, sondern griff sogleich nach einem Taschenbuch und wollte es vermutlich ebenso verschwinden lassen wie das T-Shirt (wenn Sebastian auch nicht wusste, wohin), da entschied Sebastian sich, einzuschreiten.

Er räusperte sich und trat näher. Jims Reaktion erfolgte sofort. Er schlug das Buch auf und tat, als lese er gerade eine besonders spannende Stelle, konnte seine Blicke erst nach einigen Sekunden von der Buchseite lösen und einen Blick über seine Schulter werfen.

Sebastian hätte es gern gehabt, dass Jim vor Schreck erblasste oder wenigstens überrascht wirkte, aber er blickte Sebastian nur unbeeindruckt an. „Oh." Er schlug das Buch zu. „Du bist es."

Sebastian nickte ernst, verschränkte die Arme und setzte seinen besten tadelnden Blick auf. „Was machst du hier?", fragte er, als wüsste er die Antwort noch nicht und als wäre es nicht aus seiner verächtlichen Haltung gegenüber Jim lesbar, dass er sie doch kannte.

Jim zuckte mit den Schulter und deutete auf das Buch. „Ich lese."

„Mh-hm", machte Sebastian wenig überzeugt. „Du hast Hausarrest, Jim."

Angesprochener schnaubte nur und drehte sich um, um das Buch zurück in das Regal zu stellen. „Als wüsste ich das nicht."

„Trotzdem bist du hier", bemerkte Sebastian das Offensichtliche.

„Ich kann nicht die ganze Zeit im Haus hocken und mich zu Tode langweilen. Ich wollte nur ein wenig Abwechslung."

Sebastian ließ ein ironisches Lächeln aufblitzen. „Ja, deine Art von Abwechslung habe ich gesehen. Zieh mal deine Jacke aus."

Zum ersten Mal wirkte Jim ein wenig unsicher, trat sogar einen kleinen Schritt von Sebastian weg. „Es gibt subtilere Arten, jemanden dazuzubringen, seine Klamotten auszuziehen."

Sebastian verdrehte die Augen, kämpfte gleichzeitig dagegen an, rot zu werden, denn sicher war es Jims Ziel gewesen, ihn verlegen zu machen, damit er seine Aufforderung vergaß. „Ich hab gesehen, dass du etwas gestohlen hast."

Jim wandte sich uninteressiert wieder den Büchern zu. „Keine Ahnung, wovon du redest."

Sebastian verdrehte die Augen. Er würde sich jetzt sicher nicht auf Jims Spielchen einlassen. „Ja, wie auch immer. Jedenfalls solltest du jetzt mit zurückkommen... Und das T-Shirt legst du schön zurück."

„Einen Dreck werd' ich tun." Jim sagte es so gelangweilt und trocken, dass es Sebastian noch wütender machte. „Es geht dich nichts an, was ich tue. Überhaupt nichts."

„Nein, aber vielleicht interessiert sich die Polizei dafür, was ich gesehen habe."

Jim verschränkte die Arme und funkelte Sebastian an und obwohl Sebastian größer als Jim war, kam es ihm nicht so vor. Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen und reckte herausfordernd das Kinn.

Noch einen Moment länger musterte Jim ihn, dann schüttelte er den Kopf. „Das würdest du gar nicht tun."

Vermutlich nicht. Aber das musste Jim ja nicht wissen. „Ach, würde ich nicht? Ich würde dir gern eine Lektion darüber erteilen, was es heißt, verantwortungsvoll zu handeln. Dazu gehört nämlich, nicht zu stehlen, sondern für seine Geschwister da zu sein. Weißt du, dass Andrew verprügelt worden ist? Das ist zum Teil deine Schuld, weil du nicht da warst. Du hättest zumindest helfen müssen. Aber stattdessen treibst du dich hier herum. Du hast recht: Du tust einen Dreck, Jim. Du bist verantwortungslos und selbstsüchtig und ich hoffe, dass du noch ein Jahr Hausarrest bekommst, weil du es nämlich verdient hättest, denn du hast deine kleinen Brüder einfach sich selbst überlassen, obwohl du gesehen haben musst, dass ich mich verspäte."

Jim lachte. Er lachte wirklich.

Sebastian wäre liebend gern an die Decke gegangen, aber er hielt sich zurück, ballte stattdessen die Hände zu Fäusten.

„Ich will ja nicht deine Verantwortlichkeit kritisieren, aber du hast meine beiden kleinen Brüder ebenfalls allein zu Hause gelassen. Somit hast auch du sie sich selbst überlassen."

Sebastian warf verärgert die Hände in die Luft. „Das ist, als würde man man mit einer Wand reden! Hast du überhaupt den Rest gehört?!"

Jim hob die Schultern. Ein leichtes Grinsen umspielte seine schmalen Lippen - offenbar genoss er es sehr, Sebastian aufzubringen. „Jaja, eine wirklich beeindruckende Ansprache. Wenn du mich jetzt bitte in Ruhe lassen würdest...?"

Mit diesen Worten wollte Jim sich umwenden und davongehen, nur leider war Sebastians haardünner Geduldsfaden nun doch gerissen. „Vergiss es! Du kommst jetzt mit."

Und dann zog er ihn, halb am Jackenärmel, halb am Arm, hinter sich her und aus der Mall. Jim protestierte, aber sonderlich viel konnte er nicht gegen Sebastians eisernen Griff und seinen stoischen Zorn tun.

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Mein Gott", stöhnte Jim, nachdem sie bereits durch die halbe Stadt gelaufen waren und Sebastian erwartete halb, dass er sich über Fußschmerzen beschweren würde. Stattdessen versuchte Jim erneut, sich aus Sebastians Griff zu lösen und zischte genervt: „Jetzt lass mich endlich los! Ich renn' schon nicht weg."

Dir traue ich das zu", erwiderte Sebastian abschätzig, ließ jedoch trotzdem von Jim ab, woraufhin der sich mit übertriebender Geste den Arm ausschüttelte.

„Denk' nicht, dass das bereits vorbei ist. Ich werde dir, wenn nötig, eine zweistündige Lektion darüber halten, wieso man nicht klaut." Sebastian kickte eine leere Getränkedose vom Gehweg auf die Straße. „Du wirst dir wünschen, du hättest jedweden Rabatt, der dir je erlassen wurde, trotzdem gezahlt."

Sie liefen an einer Bushaltestation vorbei. Gerade als Jim ansetzte, auf Sebastians (recht harmlose) Drohung zu antworten, rief jemand Sebastians Namen und Jim drehte den Kopf neugierig Richtung Bushaltestelle. Sebastian, der die Stimme sofort erkannt hatte, zögerte nicht einmal einen Augenblick, beschleunigte stattdessen seine Schritte ein wenig.

„Sebastian!", ertönte es erneut laut hinter ihm, fast wütend und es brauchte alles von Sebastians Willenskraft, dass er weder zusammenzuckte, noch sich umdrehte.

Jim holte zu ihm auf. „He, Sebastian", sagte er schadenfroh, denn er musste den verbissenen Ausdruck auf Sebastians Gesicht bemerkt haben, „da ist ein Freund von dir. Stell ihn mir doch vor."

„Den kenn ich gar nicht." Sebastian blickte weiterhin weder nach links, noch nach rechts, noch nach hinten.

Bitte!" Jim zog eine Schmolllippe, was Sebastian nur sah, weil er sich Sebastian in den Weg stellte und ihn somit abrupt zum Abbremsen zwang.

Hinter sich hörte er Schritte lauter werden, Sebastians Herz schlug ebenso laut und stolperte, obwohl das die Schritte nicht taten. Stattdessen kamen sie hinter ihm zum Stehen und Sebastian sah sich gezwungen, sich umzudrehen, während Jim den Neuankömmling bereits von oben bis unten musterte.

„Hi, Sebby." Alles in Sebastian zog sich zusammen als er in die tannengrünen Augen blickte, die, trotz des heutigen Sonnenscheins, kein Licht aufzunehmen schienen.

„Hallo", Sebastian schluckte hart und versuchte es dann nochmal, ohne, dass seine Stimme so belegt klang: „Hallo, Harper."

Sebastian konnte beinahe spüren wie Jims Interesse in ihm erwachte und das, obwohl er den Jüngeren nicht einmal ansah.

Das ist Harper?", fragte er. Dann hatte Sebastian es heute wohl doch noch geschafft, Jim zu überraschen.

Sebastian wünschte sich, er hätte an diesem Morgen nicht die Wohnung verlassen.

„Äh, ja." Sebastian räusperte sich. „Jim, das ist Harper. Harper, das ist-"

„Dein neuer Freund?", unterbrach Harper ihn scharf und diesmal fehlte nicht viel und Sebastian wäre wirklich zusammengezuckt.

Die Bedeutung von Harpers Worten ging ihm viel zu langsam und nur durch Jims abfälliges Lachen auf. Normalerweise wäre Sebastian wohl rot geworden, aber gerade konnte er nur schwach den Kopf schütteln und „Sicher nicht" murmeln.

Das schien Harper zu beruhigen. Er trat auf Sebastian zu und schloss ihn in eine Umarmung, als hätten sie eine andere Vergangenheit, als wären sie andere Menschen, als wäre alles gut zwischen ihnen gewesen, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten.

Sebastian verkrampfte so sehr, dass es wehtat, so sehr, dass Harper es bemerken müsste, doch der löste sich nur lächelnd von Sebastian und klopfte ihm auf die Schulter. Diesmal zuckte Sebastian zusammen.

Er warf einen kurzen Blick auf Jim, der die Szene mit leicht zusammengezogenen Augenbrauen beobachtete.

„Wie geht es dir, Sebby?" Es war dieses Lächeln, das ihn jedes Mal bleiben lassen hatte. Wenn Harper lächelte, dann war das ein richtiges Kunststück; es schien keinen Teil seines Gesichtes zu geben, der nicht irgendwie daran beteiligt war. Seine Augen begannen zu leuchten, obwohl sie so dunkel waren, seine Nase kräuselte sich leicht, seine Augenbrauen hoben sich ein Stückchen, Himmel, er hatte sogar Grübchen.

Sebastian blinzelte und löste den Blick von Harpers Lippen, richtete ihn stattdessen auf seine Schuhe, denn er bemerkte, wie sich seine Mundwinkel ebenfalls leicht hoben und das war der erste Schritt in die falsche Richtung. „Gut", antwortete Sebastian, noch immer leise, aber diesmal vermutlich verständlicher. „Und dir?"

Harper lachte, als hätte Sebastian einen Witz gemacht und nicht seine Frage aus Höflichkeit erwidert. Sebastian versuchte angestrengt, ihn nicht anzusehen. „Blendend geht es mir."

Jetzt legte er tatsächlich den Arm um Sebastian, was nur möglich war, da sie annähernd gleichgroß waren. Sebastian überragte ihn um fünf Zentimeter und trotzdem fühlte er sich klein, denn Harpers Arm schien ihn in den Asphalt zu drücken und er schrumpfte noch weiter unter diesem Gefühl zusammen, denn es fühlte sich so vertraut an und Sebastian hasste es.

„Wohin bist du unterwegs?" Harper sprach, als wäre Jim gar nicht da und das schien diesem nicht zu passen, denn nun mischte er sich ein.

Wir sind in Richtung Kino unterwegs. Und wir sind spät dran, also - auf Wiedersehen!" Jim winkte Harper gespielt zu und verzog empört das Gesicht, als der ihn einfach ignorierte.

„Ins Kino, cool. Weißt du noch, wir waren auch oft im Kino, Sebby. Hat das nicht immer Spaß gemacht?"

Er drückte Sebastian an sich und der nickte automatisch. Kann sein, dass es Spaß gemacht hat. Das war nicht unbedingt der Teil der Beziehung, an den er sich besonders gut erinnerte.

„Man, wie lange haben wir uns nicht gesehen? Vier Monate, fünf?"

„Drei", antwortete Sebastian schwach.

„Wie geht es deiner Mutter? Ist sie noch immer eine solche Furie?" Das riss Sebastian aus seinem Delirium. Seine Mutter war sicher keine Furie - vielmehr die freundlichste Frau, die man sich überhaupt vorstellen konnte. Und der einzige Grund, wieso Harper sie so nannte, war, weil sie ihn angeschrien und aus ihrer Wohnung geschmissen hatte, als Sebastian in den letzten Wochen ihrer Beziehung wieder zu ihr gezogen war. Harper, der mit seinen zwanzig Jahren legal eine eigene Wohnung besaß, war daraufhin völlig ausgerastet, hatte andauernd verlangt, dass Sebastian wieder zu ihm zurückkommen und sich nicht so anstellen sollte. Sebastians Mutter, die nie etwas Eindeutiges gehört hatte, sich aber das Meiste zusammengereimt hatte, hätte die Polizei gerufen, wäre Sebastian nicht dagegen gewesen.

Jetzt, wo Harpers Präsenz ihm die Luft zum Atmen nahm, wünschte er sich, sie hätte es getan. „Es geht ihr gut." Sebastian wand sich irgendwie aus Harpers Griff, der daraufhin das Lächeln wie eine Maske fallen ließ. Er fuhr sich durch die dunkelbraunen Haare, als würde es ihm gar nichts ausmachen, aber Sebastian konnte die versteckte Wut in jeder seiner Gesten sehen. „Hör mal, es war schön dich wiederzusehen-", war es ganz und gar nicht, „-aber Jim und ich sind wirklich spät dran und wir verpassen... unseren Film, also, naja..."

Sebastian lächelte schief. Harper erwiderte es nicht; sein Blick war auf Jim gefallen, der aus dunklen Augen zurückstarrte. „Ach, komm schon, Sebby, wir können doch noch ein wenig reden", sagte Harper, sah Sebastian dabei nicht einmal an. „Einen Film kann man immer gucken. Wir können uns in irgendein Café setzen, das wird lustig."

Sebastian schluckte. Er hatte gewusst, dass es nicht so einfach werden würde, Harper loszuwerden, aber er hatte es doch sehr gehofft. „Ich weiß nicht..."

„Doch weiß er", funkte Jim dazwischen. „Hat mich gefreut, deine Bekanntschaft zu machen", Jim zog ironisch einen imaginären Hut vor Harper, eine Geste, die deutlich machte, dass es ihn nicht gefreut hatte, „aber wir müssen jetzt wirklich weiter. Komm, Seb!"

Sebastian hatte keine Zeit, überrascht über Jims Rettung zu sein, denn der zog ihn bereits weiter. Als Sebastian hinter sich blickte, sah er, dass Harper verdutzt an Ort und Stelle stehengeblieben war und dass sich langsam ein Schatten über seine Züge zu legen schien. Er schluckte schwer, blickte wieder nach vorn und ließ sich von Jim voranziehen.

Erst als sie außer Sichtweite waren, ließ Jim Sebastian los. „Das war also Harper", bemerkte er und verzog das Gesicht.

Sebastian nickte ruckartig. „Ja."

Er erwartete beinahe, dass Jims nächster Kommentar sich auf das Geschlecht seines Ex-Freundes beziehen würde, doch Jim sagte nur: „Er ist ein ziemlicher Mistkerl."

Das klang wie eine Feststellung und das war es vermutlich auch. Sebastian wünschte sich nur, er hätte auch durch Harpers freundliche Fassade geblickt, als sie sich im Café, wo er gearbeitet hatte, kennengelernt hatten. Er hätte sich so viel erspart.

Auf Jims Aussage hin nickte er noch einmal. „Danke für die Hilfe."

Jim warf ihm einen undefinierbaren Blick zu, antwortete jedoch nicht.

Für den Rest des Weges schwiegen sie beide. Sebastian glaubte beinahe, Harpers Arm läge noch immer um seinen Schultern. Es hatte sich so vertraut angefühlt und Sebastian hasste sich dafür, dass er es beinahe vermisste.

Er schüttelte den Kopf, versuchte sich auf andere Gedanken zu bringen und konzentrierte sich schließlich darauf, seine Atemzüge zu zählen. Der Druck auf seiner Brust schien sich langsam zu legen. Harpers Lächeln blieb trotzdem am Grund seines Verstandes. Es machte ihn beinahe wahnsinnig.

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Wörter: 3828

Lied: Broken ~ Cory Wells

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Die Ferien sind vorbei. Meh.

LG
Tatze

PS: Erster Auftritt Harper. Was denkt ihr?

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