5 ☾ ER
Mir wird bewusst, als wir gerade wohin auch immer zu wem auch immer aufbrechen, dass ich nichts – rein gar nichts – über diese Welt weiß. Außer was Jeu mir noch auf der Erde mitteilte.
»Lun von Luna, vom Mond. Vale von Valere, von glücklich und gesund oder stark sein. Monde haben eine spezielle Wirkung auf uns, auf die Natur, auf alles. So wie wir unsere Stimmungen einen Einfluss des Äußeren beimessen. Auf Lun-Vale sehen wir es im Zusammenhang, versuchen im Einklang zu leben, aber auch nicht alles zu sehr von allem anderen abhängig zu machen«, erinnere ich mich, wie sie mir das erklärte, nachdem ich dachte, dass Lun von Lunzen aus der Jägersprache kommen könnte. Wie dumm von mir. Daraufhin erwiderte ich, dass das besser klingt. Sie konnte mir nicht mehr erzählen, weil wir keine Zeit mehr hatten. Weil sie sich wieder erinnern konnte und ihr Gefühl ihr sagte, schnell hierher zurückzukommen. Ich hoffte, dass es nicht so schlimm wäre ... Doch nun ... Ihr Vater, der der Oberste hier ist und viele andere sind wahrscheinlich in Gefahr. Und das wegen Siggi und vermutlich der Sektion der Erde. Ich muss ihr helfen. Das dürfen wir nicht zulassen. Es muss ein Ende haben.
»Jeu?« Sie dreht sich um und blickt mich fragend an. »Was ist mit Waffen? Gibt es so etwas hier?« Dass ich das mal eine Vierzehnjährige frage ... Auch wenn es bei uns gefährlich ist, so hätte ich nie eine Waffe in Fridas Händen wissen wollen.
»Frederik ...« Allein, wie sie mich bei meinem Namen anschaut, kann ich mir schon denken, was die Antwort sein wird. Wie sollen wir uns dann verteidigen, wenn wir noch nicht einmal wissen, wer alles zu den Popo kriechenden Typen gehört? Wie sollen wir–
»Frederik, wir brauchten so etwas nie. Wir leben hier im Frieden miteinander.«
»Das heißt, ihr hattet hier nie Konflikte? Nie auch nur irgendein Delikt?« Das kann ich mir nicht vorstellen. Egal, wie harmonisch es sein mag, irgendjemand ist doch bestimmt mal ausgetickt und wenn es nur der Gedanke nach mehr Action war.
»Natürlich gab es Konflikte. Aber wir brauchten keine Waffen.«
Da wir uns gerade erst ein paar Schritte aus unserem Versteck heraus gewagt haben, schauen wir uns beide umsichtig um. Wir wollen ja keine Aufmerksamkeit auf uns lenken. Sie deutet mit den Fingern in die Richtung, die wir gerade einschlagen wollen. Ich verstehe, was sie sagen will. Klappe halten, bis wir nicht mehr wie Vieh frei für den Abschuss bereitstehen und dann können wir weiterreden.
Unter dem Sichtschutz von dicht aneinander gereihten Bäumen mit ihren weitverzweigten Ästen sowie breit gefächerten Blättern halten wir an. Ich lehne mich an einen der Bäume ran und mustere sie.
»Waffen erzeugen noch mehr Gewalt. So hieß es. So lange es keine Waffen gibt, hat niemand eine Waffe. Jeder hat lediglich seinen Körper zum Einsetzen. Es gibt eine Truppe, die speziell ausgebildet wird. Zum Schutz der Bevölkerung.«
»Okay. Gibt es andere Dinge, die wir nutzen können, mit denen wir uns besser verteidigen könnten?«
Ihr Blick hebt sich, als hätte sie gerade eine Erkenntnis erlangt. »Ja. Auf der Erde habe ich plötzlich automatisch einen Speer angefertigt. So etwas können wir machen oder auch einen Aufstecher.«
»Du hast einen Speer mal so nebenbei auf deiner ganzen Flucht angefertigt? Wow. Und was ist ein Aufstecher?«
»Mit einem Aufstecher kannst du Muscheln knacken, es hat eine Messerspitze. Es ist also sehr scharf.«
»Gut. Gut. Und Jeu, keine Sorge. Ich werde keine Waffe leichtfertig einsetzen. Ich verabscheue Gewalt. Doch wir wissen nicht, was auf uns zukommt und ob nicht die unterwanderten Leute irgendwelche Waffen haben.«
»Du hast recht. Ich habe gar nicht an so etwas gedacht.«
»Gibt es hier irgendwo Speere und Aufstecher? Oder müssen wir die jetzt noch herstellen?«
»Einen Aufstecher haben wir im Rucksack, der ist in dem Seidentuch eingehüllt.« Interessant, vielleicht hätte sie mir das mal sagen sollen. Wenn es so scharf ist, hätte ich mir ja sonst was antun können ... »Speere wüsste ich nicht, wo welche sind.«
Ihr zunickend stelle ich den Rucksack vor mir ab und hole das Seidentuch heraus. Vorsichtig wickle ich den Gegenstand aus. Der Aufstecher – insbesondere die Klinge – ist zusätzlich noch einmal in dicken Blättern gelegt worden. Ich greife den breiten kurzen Griff, der nur etwas länger als meine Hand ist und begutachte das Teil. Es sieht aus wie ein Mix aus einem Küchenmesser und Dolch. Auf jeden Fall scheint das Teil wirklich scharf zu sein. Als ich die Klinge nur leicht über ein Blatt, was auf dem Boden liegt, kratze, wird es entzweit.
»Wickle es lieber wieder in diese Blätter«, sagt Jeu und zeigt dabei auf die, in die es gehüllt war. Es sind sehr dichte dicke Blätter einer anderen Pflanze.
Statt es wieder im Rucksack zu verstauen, stecke ich es mir jedoch an die Hose. Mittels eines kurzen Bands, was ebenso an dem Aufstecher befestigt ist, kann ich es so problemlos an der Hose befestigen. Mit einem zweiten Band kann ich den Blätterschutz als Hülle um die Klinge anbringen.
Nun machen wir uns endlich wirklich auf den Weg. Ich staune nicht schlecht über die prachtvolle Natur, die mich hier umgibt. Jeu hat nicht zu viel versprochen. Es ist ein vollkommen anderes Bild als daheim. Keine Dürre, kein tristes Dasein. Viele Farben, Gewächse und eine Frische. Staunen ... Vollkommen untertrieben.
Da war mal ein Bild, das ploppt mir gerade hoch. Wie gerne ich es mir als Junge angesehen habe. Die Farbe darauf war verblasst, aber es war wie ein Tor zu einer kleinen Freiheit für mich. Es kam dem hier sehr nah ... Niemals hätte ich gedacht, so etwas in echt zu sehen. Vor mir befinden sich noch mehr Bäume. Viele hohe, sodass ich bei manchen teilweise nicht mal das Ende – oder heißt es Anfang? – sehen kann ... Wenn ich meinen Kopf in den Nacken lege, sehe ich, wie sie vermutlich mit der Zeit zueinander gewachsen sind. Auch auf dem Boden ... Es wächst so viel, in vielen Farben. Ich habe keine Ahnung, was das alles ist. Ich weiß so vieles nicht. Offensichtlich. Es scheint unberührt zu sein. Die Wege sind nicht gekennzeichnet wie auf der Erde. Nicht durch Stein oder unzähliges darüber laufen der Menschen. Nein, hier muss ich eher aufpassen, wo lang ich gehen kann.
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