32 ☾ SIE
»Nein.« Was soll ich sehen?
»Manche vermuten, dass es Absicht von Kasu und dir war.« Dira schaut wehmütig einen Fleck in der Gegend an. »Also ich meine mit deiner Mission – genau zu der Zeit. Dass ihr auf deren Seite steht. Das du Hilfe für die holen gehst. Und das hat schlussendlich ebenso welche bewogen, sich ihnen anzuschließen. Viele haben sich aus Angst und Schmerz angeschlossen, wie ich eben erzählte. Aber einige auch, weil sie behaupten – und das immer und immer wieder –, dass ihr auf deren Seite steht und das mit deiner Mission zu ihren Gunsten wäre. Verstehst du?« Dira pustet stark aus.
»Sie streuen Gerüchte und Lügen. Wir – also Pa, Ma und ich – haben es nie geglaubt und auch einige andere nicht.
Und ich denke auch, dass wir eine Chance haben, dass einige wieder mehr Vertrauen in unser Volk – in unsere einstige Gemeinschaft – haben, wenn sie dich sehen. Auf unserer Seite und nicht auf deren. Verstehst du es jetzt? Du hast ganz viel Macht.«
»So habe ich bisher gar nicht darüber nachgedacht«, flüstere ich beinahe. Das ist mir zu viel, viel zu viel, was ich gerade nicht einordnen kann. »Und was soll ich jetzt tun? Was kann ich denn tun? Soll ich mich irgendwo zeigen? Werden sie mich dann nicht gefangen nehmen?«
Dira scheint zu überlegen. Haben sie sich noch gar nichts überlegt? Haben sie schon mit meinem Ableben gerechnet?
»So genau weiß ich es auch nicht. Aber ich weiß, dass du Einfluss hast.«
»Warte, haben mich deswegen einige so merkwürdig angeschaut? Haben sie Sorge, dass ich eine Verräterin bin?«, frage ich unvermittelt meine Gedanken frei heraus.
Diras Miene sagt alles, was mir mein Herz einen weiteren Stich verpasst. Ich könnte niemals so etwas Grauenvolles tun oder veranlassen.
»Tue es hier kund! Beginne hier. Damit die, die hier sind, zunächst mehr Vertrauen fassen können. In dich, aber auch in sich selbst. Um die anderen überzeugen zu können.«
»Aber Dira. Ich bin darin nicht gut. Was ist, wenn sie mir nicht glauben? Ich kann so etwas nicht.«
»Lass uns mit Ma sprechen, vielleicht hat sie noch einen Rat.«
Als wüsste Lesuna, mit welchem Anliegen wir zu ihr kommen würden, empfängt sie uns im Gemeinschaftsraum. Ihr herzliches Strahlen, ihre gesamte Aura, die einen wärmend einhüllt, lädt uns direkt ein, sich zu ihr hinzusetzen. Ein wissendes Lächeln begleitet sie ebenso. In mir herrscht jedoch weiterhin Chaos und wüten verschiedene lose Fäden, die ich nicht unter Kontrolle bringen kann. Was ist hier nur alles geschehen? Es scheint alles so weit weg und gleichzeitig nah. Doch ich begreife es nicht. Als wäre ich zu lange zu weit fort gewesen. Ich sitze auf dem gleichen Sessel, auf dem ich letzten Abend bereits auf Cil gewartet hatte. Fritzi liegt vor mir. Meine Beine habe ich an mich herangezogen und meine Arme umschlingen sie, sodass sie über dem seidenen Stoff meines dunkelgelben Gewands liegen. Ich sehe, wie Dira Lesuna zunickt. Haben sie auf diesen Moment gewartet? Es ist unwirklich für mich.
»Wie ich sehe, bist du so weit«, beginnt Lesuna und ich weiß nicht, was sie damit meint. Mein fragender Blick entgeht ihr wohl nicht. »Deswegen sitzt du doch hier mit uns, nicht wahr?«
Da sie eine Pause einlegt und augenscheinlich auf eine Antwort von mir wartet, spreche ich einfach meine Gedanken frei heraus.
»Lesuna, vielleicht verstehe ich es nicht. Ich weiß nicht, ob ich bereit bin und schon gar nicht wofür. Vielleicht setzt ihr zu viel Hoffnung ... in mich, in die falsche Person.«
»Wie kannst du so etwas sagen? Du–«, empört sich Dira, unterbricht sich aber, nachdem Lesuna eine Hand auf ihren Arm legt.
»Dira Liebes, lass ihr noch etwas Zeit. Sie hat all das nicht mitmachen müssen. Dafür anderes nicht weniger Schlimmes. Und doch ist es anders für sie.« Dira nickt ihr zu.
»Tut mir leid, Jeu«, nuschelt Dira mir zu, erhebt sich dann und geht – wie ich mir denke – wieder in ihr Zimmer. Nun sitze ich alleine mit Lesuna hier und bin noch irritierter.
»Lesuna. Ich will helfen. Ich will etwas tun. Ich will vor allem Papi und alle anderen befreien. Endlich, wir müssen doch etwas tun können! Aber wieso ... Warum glaubt ihr, dass ich so einen Einfluss habe?«
»Ich denke, Dira hat dir schon einiges anvertraut?« Da ich ihr dieses mittels eines Nickens bestätige, spricht sie weiter. »Dann hast du alle Antworten. Dass du das nicht alles gleich ordnen kannst, kann ich verstehen. Es ist bestimmt schwer und sicherlich sehr viel für dich auf einmal. Du bist nicht einmal vier Tage zurück und es sind enorm viele Eindrücke und Veränderungen.« Lesuna legt ihren Kopf schief, als würde sie überlegen, wie sie am besten fortfahren sollte. »Du kennst mich und Cil, und auch Dira. Vertraust du uns?«
»Aber natürlich«, entgegne ich sofort, wobei ich es erst selbst bei meiner Antwort merke, dass es wirklich nach wie vor auch bei Cil so ist.
»Gut. Und wir dir und Kasu. Daher haben wir durchhalten und auch einige andere erreichen können. Viele aber halten uns für naiv und blind. Aber wenn du dich unserer Gemeinschaft zeigst, hat das eine andere Wirkung.«
»Aber Lesuna, was soll ich ihnen denn sagen? Ich weiß doch gar nicht wirklich, was passiert.«
»Sei einfach du selbst. Wie schon immer. Sie werden die Wahrheit erkennen.«
»Wenn du meinst, dass es unsere Chance ist ...«
»Ja, das meine ich. Davon bin ich überzeugt.«
Auch wenn ich mir dessen überhaupt nicht sicher bin, nicke ich noch einmal zur Bestätigung. Dira ist offenbar nicht in ihr Zimmer gegangen, denn sie schreitet in diesem Moment zurück in den Raum, und als ich sie anblicke, sehe ich Tränen in ihren Augen. Vor Freude und Hoffnung. Die ich ihr gebe? Und wiederum sie mir dadurch. Mit schnelleren Schritten kommt sie nun auf mich zu und umarmt mich ganz fest.
Dira setzt sich mit zu mir auf den Sessel und nimmt meine rechte Hand in ihre. Wir besprechen einen Plan – vielmehr die zwei. Ich nehme als Beobachterin daran teil. Hin und wieder, wenn sie zu mir schauen, nicke ich.
Sie beide werden gleich, wenn wir hier fertig sind, zu unseren Verbündeten im Dorf gehen, die eine Nachricht an alle verkünden sollen. Dass ich mich heute Abend auf dem zentralen Platz befinde, um dort eine Rede zu halten und mich den Fragen unseres Volkes stellen werde.
Ein ganzer Schwarm an Kriechtieren macht sich auf den Weg. Durch meinen Körper. Von oben nach unten und andersherum. Sowohl hinten im Rücken als auch vorne im Bauch. Mir ist flau. Zitternd versuche ich mein Glas Wasser zu greifen, um die Trockenheit in meiner Kehle in den Griff zu bekommen. Was ist, wenn ich später kein Wort vor der Versammlung herausbekomme?
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