19 ☾ ER
Der Jemand zeigt sich nicht und lässt nichts weiter von sich hören. Was ich jedoch weiß, ist, dass ich damit wohl nicht gemeint sein konnte, denn sie sehen den Aufstecher ja nicht als Waffe an. Meine Haltung – so krumm sie auch ist – versuche ich nach dem ersten Ruck, der durch das plötzliche Gebrüll durch mich hinweg fegte, zu wahren. Riskieren will ich nichts.
Doch es darf sich wirklich mal langsam auflösen oder würde Ryu auftauchen, wäre es mir auch eine Hilfe – hoffe ich.
»Sir«, setzt der Koloss vor mir an, spricht jedoch nicht weiter. Ich höre Schritte in meine Richtung kommen.
Tod oder Leben ... Was wird es sein?
»Was willst du hier? Sprich!« Die Worte spricht der ›Sir‹ ruhig, aber deutlich nahe meinem Ohr.
»Trainieren«, ist meine knappe Antwort. Damit habe ich Übung – auch wenn ich dem Rat nicht immer gefolgt bin. Ich denke, hier kann ich dem ausnahmsweise mal nachkommen. ›Sir‹ lässt sich einen Moment Denkpause.
»Sag mir, auf wen du hier dachtest zu treffen.«
»Ryu.«
»Ryu?«
Ich bleibe stumm. War das eine rhetorische Frage oder eine ehrlich gemeinte Nachfrage? Woher soll ich das wissen? Wenn ich das Falsche annehme, ist es eine falsche Entscheidung. Wow, es wird bestimmt falsch sein. Prost! Es bleibt still.
»Name.«
»Frederik.«
»Voller Name.«
Wie ich es nicht liebe. »Frederik Hagen.«
»Einheit.«
»Keine Ahnung, w–«
»Hm?«, unterbricht er mich, doch er ergänzt es durch, »sprich weiter.«
»Wie ihr euch nennt, wollte ich noch sagen.«
»Nimm Haltung an.«
Endlich. Mein Rücken tut schon weh. Stramm wie ein Max – ich glaube, das Sprichwort gab es mal – stehe ich nun da und sehe ›Sir‹ immer noch nicht, weil er nach wie vor seitlich hinter mir steht. Er schnauft aus. Ist das gut oder schlecht? Und könnte jetzt nicht wenigstens mal Cilai zur Arbeit erscheinen? Es ist hell – hallo?! Wann beginnen die Deppen denn mit ihrer Arbeit?
»Wie kommst du darauf, dass du zu uns gehörst?«
»Ich.« Ja, was ich? Alles, was ich sagen könnte, würden sie mir eventuell nicht glauben. Nur Cilai weiß darum Bescheid und eventuell Ryu. Keine Ahnung, was Ryu mitbekommen hat.
»Was du?«
»Ich mein–«
»Schluss damit! Genug jetzt!«, ertönen die strengen Worte, die für mich wie eine sanfte Melodie erklingen. »Frederik, komm mit mir mit und ihr anderen geht an eure zugewiesenen Plätze«, befiehlt Ryu. Ich hoffe zumindest die Stimme richtig eingeordnet zu haben.
Aufatmend drehe ich mich ein Stück, um einen Blick auf ›Sir‹ erhaschen zu können, doch der hat sich so schnell abgewandt, dass ich nur noch seine Sicht von hinten mit seinem blonden Flechtzopf im Nacken sehen kann. So breit gebaut, wie ich bisher angenommen hatte, ist er nicht. ›Sir‹ werde ich schon wieder erkennen.
Bevor mich Ryu – und ja, zum Glück ist er es – noch einmal rufen muss, schließe ich schnell zu ihm auf. Dabei blicke ich einmal um mich herum und bemerke, dass sich die anderen auch schon aus dem Staub gemacht haben. Etwas ist dennoch eigenartig gewesen. Wovor hatten sie solch einen Respekt?
»Komm schon.« Ryu hat gut reden. Ich warte schon ewig auf ihn. Wieder ist er in ein Tuch um den Kopf gehüllt. Zeigt es seine besondere Stellung an?
»Ist das irgendeine Taktik von euch? Oder eine Art Willkommensgruß für die Neuen?«
»Was meinst du?«
Hält der mich für blöd? »Na, das eben gerade. Waren die wirklich kurz davor, mich zu erschießen oder sollte das – obwohl es echt nicht witzig ist – ein Scherz sein?«
»Ich denke, weder noch.«
»Danke für die Aufklärung.«
»Bitte.«
War nicht ernst gemeint. Beinahe hätte ich den Spruch laut gebracht, aber bei Ryu bin ich mir echt noch nicht sicher. Als wir bei der hiesigen Kommandozentrale ankommen, macht er eine einladende Geste und ich gehe vor ihm hinein.
»Cilai ist noch nicht anwesend, daher werde ich dir das Training und den Ablauf erläutern.«
Ich nicke ihm zu. Da ich keine Lust auf eine kleinliche Diskussion habe, frage ich jetzt nicht, wo zum Teufel er war und was da so lange gedauert hat und warum das alles überhaupt eben so geschah. Nein, ich beruhige mich jetzt und versuche dem Mist zuzuhören.
»Gut, hier im Kommandozelt hängt immer ein Plan. Alle durchlaufen das gleiche Training. Eure Dienste, wofür ihr eingeteilt seid, hängen auch hier aus.« Er zeigt an eine Wand hinter mir, die komplett leer ist. Ich gehe mal davon aus, dass es sich auf der anderen Seite – sprich draußen – befindet. Also nicke ich erneut und bin schon gespannt, für was ich eingeteilt bin. Wahrscheinlich jegliche Nachtdienste plus Scheiße schaufeln oder so.
»Im Training sind momentan nur Männer. Alle sind relativ neu hinzugestoßen.« Wir werden unterbrochen von einem anderen Kommandanten der höheren Garde.
Er flüstert Ryu etwas ins Ohr. Da sie angestrengt wirken, scheint es wichtig zu sein. »Ich bin gleich wieder da«, richtet sich Ryu an mich und verschwindet dann mit dem anderen hinaus.
Plötzlich fühle ich mich extrem müde, das Adrenalin ist offenbar komplett aus meinem Körper verschwunden. Angestrengt versuche ich nicht wegzunicken, doch meine Lider fallen immer wieder zu. Es fühlt sich an, als wäre Ryu schon ewig weg, dabei ist es vermutlich erst einige Minuten, wenn überhaupt.
Durch seinen lauten Schritt schrecke ich aus meinen Sekundenschlaf hoch.
»Weiter geht es. Wo waren wir?«, fährt Ryu fort, als hätte er nicht mitbekommen, dass ich weggedöst bin.
»Tut mir leid, das war gerade wichtig. Wir sind gleich fertig.«
»Schon gut. Ist wichtig«, bringe ich gerade so zustande.
»Also, generell kann sich auf Lun-Vale jeder Mensch anschließen, doch momentan sind nur Männer im Training. Alle recht neu dabei mit ein paar Ausnahmen. Einige durchlaufen das Training freiwillig nochmals, also wundere dich nicht, dass ein paar Leute Ausgang haben, du jedoch nicht.«
Mein Kopf bewegt sich mechanisch und bringt ein Nicken zustande.
»Der Plan ist simpel gehalten. Aufstehen, Meldung, Essen, Training, Essen, Training, Essen, Schlafen. Aufstehen ist um 06:00 Uhr, das Abendessen um 18:30 Uhr. Ab 22:00 Uhr herrscht Nachtruhe. Den detaillierten Plan kannst du draußen einsehen. Noch irgendwelche Fragen?«
»Wie spät ist es jetzt?«
Ryus Tuch bewegt sich um die Mundpartie etwas, was ich als Grinsen einstufe. »Es ist 08:00 Uhr. Das bedeutet, es gibt kein Frühstück mehr für dich, das ist gerade durch. Das Training beginnt nun und ist angesetzt bis zum Mittagessen. Cilai wird dir sicherlich Kleidung geben.«
»In Ordnung.« Ich erhebe mich schwerfällig und bemerke direkt, dass dieser Tag sehr anstrengend wird.
»Danke Frederik.«
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