Der orangene Koffer
Zum dritten mal in dieser Woche werde ich früh wach. Ein Blick auf den Wecker: Vier Uhr morgens. Und schon wieder ist es das dumpfe Rumpeln auf dem Dachboden, das mich so früh geweckt hat. Heute dauert es länger als sonst, weshalb ich mich wundere warum meine Eltern nicht auch schon aufgewacht sind. So kann das nicht weiter gehen. Wenn meine Familie das tägliche Geräusch ignoriert, muss ich versuchen es irgendwie zu stoppen. Aber wie, wenn ich nicht weiß, wo mein Vater den Dachbodenschlüssel versteckt hat? Dass das Geräusch vom Dachboden kommt, da bin ich mir seit ein paar Tagen ganz sicher. Vorsichtig schleiche ich aus meinem Zimmer und auf die Dachbodenluke zu. Wenn ich sie doch nur öffnen könnte! Wie als hätte die Luke meinen Wunsch gehört, fällt sie mit einem Knall auf. Verwundert lehne ich die Leiter an den Rand des Loches und steige so leise wie möglich nach oben. Um nicht bemerkt zu werden, schließe ich den Speicher hinter mir ab und warte, bis sich meine Augen an die dunklen Lichtverhältnisse gewöhnen. Ein schmaler Lichtspalt fällt genau auf einen orangen verstaubten Lederkoffer, von dem das Geräusch auszugehen scheint. Doch egal wie fest ich ziehe oder drücke, er lässt sich nicht öffnen. Bitte, öffne dich! Flehe ich in Gedanken. Das Rumpeln halte ich nicht noch einen Tag aus! Wie durch ein Wunder springen die Schnallen des Koffers auf und er hört auf sich zu bewegen. Völlig verunsichert hebe ich den Deckel an.
Hunderte Briefe flattern wie Vögel daraus hervor und umkreisen mich aufdringlich. Mir entfährt ein leiser Aufschrei. Es werden immer mehr! Noch während ich einen Brief aus der Luft fische verwandelt sich meine Angst in Wut. Absender: Hogwarts-Schule für Zauberei. Seit Äonen stürzen vereinzelte Hexen und Zauberer unseren Familienzweig in Schande. Für zwei Generationen wurden wir verschont und jetzt soll es wieder so weit sein? Das kann ich nicht zulassen. Hektisch schnappe ich mir so viele Briefe wie möglich, öffne das Dachfenster und werfe sie hinaus in den Regen. Schon höre ich die Stimme meines Vaters: "Esmeralda! Was machst du da oben?" Als er die Briefe erblickt, wird er kreidebleich. "Ich verbrenne sie.", stammelt er. So aufgebracht habe ich ihn noch nie gesehen. Wie vom Donner gerührt bleibe ich auf dem Dachboden stehen ohne ein Wort sagen zu können. Eine Hexe zu sein, wäre das schlimmste, was mir je passieren könnte. Meine Familie verstößt jede Hexe, die sich für Hogwarts entscheidet, die sich dafür entscheidet, eine Hexe zu sein. Plötzlich steht mein Vater wieder neben mir. "Wir lassen nicht zu, dass sie dich holen", verspricht er. Und während es vielleicht der Traum mancher Kinder ist, eine Hexe oder ein Zauberer zu werden, ist es mein schlimmster Alptraum.
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