Kapitel 4
Der Himmel war heute ausnahmsweise nicht grau, sondern leuchtete strahlend blau über mir. Nur der Wind war noch da und kündigte den stürmischen Herbst an. Ich sah die Bäckerei bereits vor mir als ich die Straße überquerte. Sie war aus roten Ziegelsteinen gebaut und von außen mit Efeu bedeckt. Der die Mauern nicht überwachsen aussehen ließ, es hatte vielmehr seinen ganz eigenen Charme. Als ich die Tür öffnete, kündigte die Glocke mein Eintreten an. Sofort wurde ich von der Wärme und dem süßen Geruch der Backwaren umhüllt. Die vielen kleinen Holztische, die aus heller Eiche gefertigt worden waren, passten zu der Theke hinter der ich Sorins Vater, Abir vorfand. Er befüllte die Ablage gerade mit frisch gebackenem Brot, bei dessen Duft mir das Wasser im Mund zusammenlief. Wie viel und wann wir essen durften, hing ganz von der Laune der Madame ab und so kam es, dass ich heute nichts weiter als einen Apfel gegessen hatte. Abir drehte sich zu mir um und begrüßte mich mit einem Lächeln, dass dem bubenhaften von Sorin extrem ähnelte. Generell sahen sich die beiden sehr ähnlich, ich blickte in dieselben bernsteinfarbenen Augen und erwiderte das Lächeln. „Guten Tag Abir", begrüßte ich ihn und trat nach vorne zur Theke. „Hallo Eira, es ist schön dich zu sehen", er fuhr sich mit der Hand durch das braune, bereits leicht ergraute Haar, wodurch seine Haare mit einer feinen Mehlschicht bedeckt wurden. „Also was kann ich heute für dich tun?". "Ich würde eines deiner dunklen Brote nehmen und dazu etwas von den süßen Backwaren für Madame und ihre Gäste. Da überlasse ich dir freie Wahl" antwortete ich und sah mich in der Bäckerei um. Hätte ich mehr Freizeit würde ich wahrscheinlich oft hier sein. Überall standen Pflanzen, sogar an Decke hingen einige in Blumentöpfen. Ich würde mich mit Backwaren vollstopfen, einen Platz am Fenster wählen und stundenlang Lesen oder die Menschen auf der Straße beobachten. Doch etwas war anders, sonst war die Bäckerei immer ein Ort, an dem man beinahe durch die fröhliche Atmosphäre angesteckt wurde. Mir fiel recht schnell auf woran das lag, Sorins Mutter war überhaupt nicht da. Ariyana war eine wunderschöne Frau mit denselben goldenen Haaren wie Sorin sie hatte und Augen, die dem Meer einen Wettstreit angesagt hatten. Sie bediente die Leute stets mit einem Lächeln, das ansteckend war und räumte pfeifend die dampfende Backware auf die Ablagen. Als Abir sich zu mir umdrehte und alles wonach ich ihn gebeten hatte in kleinen Tüten Verstaute musterte ich ihn. Sein Lächeln erreichte seine Augen nicht und auf ihnen lag ein trauriger Glanz. „Sag mal wo ist denn Ariyana?", meine Frage ließ ihn zu mir aufblicken und er warf mir ein trauriges Lächeln zu. „Sie liegt krank im Bett und das leider schon seit einigen Tagen", antwortete er und packte alles auf die Theke.
Nachdem ich Abir das Geld gegeben hatte, sprach ich ihm nochmals aufmunternd zu und verließ den Laden schließlich. Er war schon immer ein guter Mann gewesen und hatte mir schon öfter aus der ein oder anderen Situation gerettet in dem er der Madame nicht gesagt hatte, dass Caiden und ich mit seinem Sohn unterwegs waren. Grinsend über diese Erinnerung verstaute die die Tüten in einem Beutel und ging um die Bäckerei herum in den Garten von Sorins Haus. Hätte ich Sorin nicht im Garten gesehen wäre ich wieder gegangen, denn ich wollte nicht reinkommen und Ariyana stören. Ich ging weiter in den Garten in dem Sorin gerade Holz hackte, wahrscheinlich für den aufkommenden Winter. Sein breiter Rücken war mir zugedreht und die Muskeln bewegten sich bei jedem Heben der Axt. Schon von weitem konnte ich ausmachen das er angespannt war. Langsam ging ich auf ihn zu, um den Holzblock herum, bis ich in sein Blickfeld trat. „Hallo Sorin", begrüßte ich ihn und legte ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. Er ließ die Axt nach einem weiteren Hieb sinken und sah mir in die Augen. „Hallo Eira, was verschafft mir die Ehre?", fragte er grinsend, doch ich konnte sofort erkennen, dass er dieses Lächeln nur aufsetzte. In seinen bernsteinfarbenen Augen fehlte der sonst vorhandene Glanz. „Ich war noch einige Besorgungen am Machen und dachte ich gucke mal, wo du dich so rumtreibst." Er deutete mit dem Kinn auf das Holz vor sich. „Meine Mutter friert und da es immer kälter wird wollte ich etwas Holz als Vorrat schaffen" antwortete er. Der Wind fegte durch meinen Zopf und verteilte einen eisigen Schauer auf meiner Haut, als wolle er bestätigen das der Herbst bevorstand. „Komm ich helfe dir", bot ich an und hob so viele Holzscheite wie ich tragen konnte auf. Sorin schüttelte nur mit dem Kopf und belud sich mit den übrig gebliebenen Scheiten.
Ich lag im Bett und konnte kein Auge zu machen. Mein Rücken tat weh, da ich noch stundenlang in der Küche gestanden hatte, um das Abendessen vorzubereiten und meine Hände brannten von der Lauge, mit der ich die Wäsche gewaschen hatte. Ich war noch lange bei Sorin geblieben und hatte es kurz bevor ich gegangen war, geschafft, dass er wieder ein ehrliches Lächeln auf den Lippen trug. Ich konnte es einfach nicht sehen, wenn Leute litten. Es war, als hätte ich mir zur Aufgabe gemacht zu verhindern, dass es so weit kam. Als Keitha vor einer Stunde das Haus verlassen hatte, tat ich so, als würde ich schlafen. Immer öfter schlich sie sich hinaus und kam erst früh am Morgen wieder. Es ging mich zwar nichts an aber meine Neugier lockte mich schon zu erfahren, wo sie hinging und was sie in den etlichen Nächten trieb. Der Mond zeichnete leichte Umrisse in dem kleinen Zimmer und tauchte alles in silbernes Licht. Ich schloss die Augen und stieß die verbleibende Luft aus meiner Lunge ich sollte wirklich versuchen zu schlafen.
Ich war gerade kurz vorm Einschlafen gewesen als ich hörte, wie es am Fenster klackte. Ich öffnete die Augen und ging auf leisen Sohlen an das Fenster. Als ich nach draußen spähte, entdeckte ich die beiden Jungs unten stehen. Sorin wollte gerade den nächsten Kiesel werfen als Ciaden seine Hand festhielt und nach oben deutete. Er fing an zu Grinsen und zeigte mir mit einer Handbewegung, dass ich zu ihnen nach unten kommen sollte. Ich fing ebenfalls an zu Grinsen und entfernte mich von dem Fenster. Schnell zog ich mir etwas wärmere Klamotten an und schlich mich durch das Treppenhaus nach unten. Sowohl Keitha, als auch ich hatten gelernt welche Stufen man überspringen musste, damit sie keine Geräusche von sich gaben. Das Geräuschlose Schleichen hatte ich schon damals in dem Loch, das sie Kinderheim nannten, gelernt. Dieser Ort war grausam gewesen und ich hatte viele Erinnerungen in die tiefen meines Unterbewusstseins verbannt. Unten angekommen schnappte ich mir eine Jacke und ging hinaus in die kühle Luft des Spätsommers. Der Wind umspielte meine Kleider und der Mond tauchte die Welt um mich herum in sein Farbspiel. Ich wusste das die Jungs am Waldrand auf mich warten würden und so schlich ich ums Haus herum den kleinen Pfad zum Wald entlang. So leise ich konnte verließ ich den Pfad und suchte Schutz hinter den kleinen Bäumen und Büschen. Als ich durch die Blätter blickte, konnte ich die beiden bereits ausmachen. Sie unterhielten sich gedämpft und ahnten nichts von meinem kleinen Hinterhalt. Grinsend schlich ich auf leisen Sohlen von hinten an Sorin heran. Das Mondlicht diente zwar als Lichtquelle war aber dennoch schwach genug, damit die dunkle Nacht mich verbarg. Ich machte mich bereit und schnellte dann halb in der Hocke zu Sorin hervor. Dieser erschrak dermaßen, dass ich mir den Mund zu halten musste, um nicht laut loszulachen. „Eira ich glaube du bist nun komplett durchgedreht", beschwerte dieser sich und fuhr zu mir herum. Ich hob beschwichtigend die Hände. „Diese Chance durfte ich mir einfach nicht entgehen lassen" meinte ich und unterdrückte ein Lachen. Ciaden der schräg hinter Sorin stand musste ebenfalls grinsen. „Sei froh, dass er sein Schwert nicht dabeihat", kommentierte er lachend meine Aktion. Selbst in dem halbdunklen Wald konnte ich das amüsierte glitzern in seinen Augen ausmachen. Ich harkte mich bei Sorin ein und zog ihn mit mir tiefer in den Wald. Caiden gesellte sich auf meine andere Seite. Sorins Arm, der sich in meinem Griff befand, spannte sich unter meiner Berührung an, jedoch löste sich die Anspannung, nachdem ich ihm leicht mit dem Ellbogen in die Seite stieß. Als er zu mir blickte, schenkte ich ihm ein Lächeln und sah unschuldig zu ihm hoch. Mein Lächeln wurde noch breiter als ich sah das sein Mundwinkel zuckte obwohl er sich Mühe gab ein genervtes Gesicht aufzusetzen. Also schmiegte ich mich noch etwas näher an ihn und genoss seinen Geruch. Er roch nach Raspel Holz und warmen Brot und ein Stück weit auch nach zuhause. Ein Zuhause, dass ich nie wirklich besessen hatte. Sorin war wie ein Bruder für mich. Einmal hatte er mich aus einer Mutprobe heraus küssen müssen. Es war damals mein erster Kuss gewesen als ich mit 14 Jahren nach Meelos gekommen war. Nach dem Kuss waren wir beide angeekelt auseinandergesprungen. Ich lief sogar auf der Lichtung zum kleinen See und wusch mir den Mund aus. Es war total komisch gewesen ihn so zu berühren. Total in Gedanken versunken über diese Erinnerung bemerkte ich nicht einmal, dass wir durch die Bäume auf die kleine Lichtung traten. Auch dem Gespräch zwischen Sorin und Ciaden hatte ich so gut wie nichts mitbekommen. Die Umrisse des Mondes spiegelten sich in dem kleinen See wieder. Der leichte Wind sorgte dafür, dass die Wasseroberfläche sich kräuselte und ließ die Silhouette des Mondes tanzen. Neben dem See befand sich eine kleine Feuerstelle, um welche wir zwei umgestürzte Baumstämme gelegt hatten. Auf diesen ließen wir uns nun nieder. Für eine kurze Zeit war es so still, dass man nur das sanfte Rauschen des Windes hören konnte. Diese Stille war jedoch überhaupt nicht schlimm, denn ich genoss einfach nur die Nähe von den zwei Menschen, die mir im Leben am wichtigsten waren. Ich lehnte mich an Sorins Schulter und wir sahen uns alle zusammen das Leuchten der Sterne am Nachthimmel an. Ich blickte rüber zu Sorin und sah, dass er mich mit einem sanften Lächeln musterte. Fragend hob ich eine Augenbraue. In solchen Momenten wirkte er so unschuldig wie der kleine Junge, den ich damals kennenlernen durfte. Der kleine Junge, der mit seinen 13 Jahren, mich in dem Unterstand in seinem Garten versteckte, mir die Reste aus der Bäckerei gab und mir Schutz bot, als ich nichts hatte. Kurz darauf stellte er mich Caiden vor, welcher wiederrum mir einen Ort zum Wohnen und Arbeiten gab. In der Zeit, in der wir gemeinsam aufgewachsen waren, sah ich den beiden dabei zu wie sie zu jungen Männern wurden. Besonders Sorin entwickelte eine erwachsene Kälte, die keiner von uns besaß, geprägt durch das Militär und seine strenge Erziehung dort. Umso glücklicher machten mich Momente wie dieser hier. Momente in denen ich in Sorins Augen das kindliche Leuchten sah. Er wuchelte mir einmal durch die Haare und erhob sich dann von dem Baumstamm. Er Schritt in die dunkle des Waldes und kam nach kurzer Zeit wieder. Einige Minuten später brannte ein Feuer vor uns. Caiden hatte seine Gitarre geholt und stimmte eines unserer Lieder an. Wir sangen unser liebstes Lied über drei Kinder, die mit Waldgeistern durch die Nacht streiften. Da mich die Kälte allmählich für sich einnahm setzte ich mich näher an das Feuer. Sorin war mit dem Kopf gegen den Baumstamm eingeschlafen. Das Feuer der Flammen tanzte in seinen Haaren und ließ sie wie flüssiges Gold erscheinen. Ich blickte zu Caiden der nun ein traurig klingendes Lied spielte. Er sang leise einen Text, den ich nicht verstehen konnte. Trotz dessen trieb mir die Melodie beinahe Tränen in die Augen. Ich beobachte das Feuer und summte das mir unbekannte Lied mit. Das Feuer schien mir entgegenzukommen. Es stieg mit dem Höhepunkt des Liedes an und wurde wilder, unkontrollierter. Es hatte meine vollkommene Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ich merkte nicht einmal, dass mich die ruhige Musik von Caiden in den Schlaf wiegte.
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