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Als ich nicht sofort antworte, klopft Finn mir leicht auf die Schulter und sagt unverfänglich: „Du kannst es dir ja überlegen. Ich koche auch was, aber dann darfst du dich nicht beschweren."
Damit geht er zu einer der beiden Stangen, an denen das Netz befestigt ist, und beginnt dieses zu lösen. Ich eile zur anderen Seite und tue es ihm gleich.
Keiner von uns spricht ein Wort, doch die Stimmen in meinem Kopf wollen mich nicht in Ruhe lassen.
Warum tut er so, als wäre alles normal?
Fühlt er sich mir gegenüber verpflichtet?
Hat er mich gerade nach einem Date gefragt?
Mach dich nicht lächerlich, Caleb.
Warum duldet er mich überhaupt noch hier?
Erwartet er, dass ich von allein gehe?
Soll ich einfach gehen?
Kann ich einfach gehen?
Wohin soll ich gehen?
„Du musst schon loslassen, Caleb", scheint Finn meine Gedanken zu lesen, doch als ich meinen Kopf schüttele, in dem verzweifelten Versuch, die Stimmen etwas zu vertreiben, stelle ich fest, dass er wohl das Netz meint, an dem ich mich noch immer festhalte.
„Oh, sorry", platze ich heraus und lasse die Maschen fallen, als wären sie heiß.
„Wow", lacht Finn. „Du warst gerade aber ganz weit weg."
Ich zwinge mir ein halbes Lächeln auf und kann ihn nicht ansehen. Er hat ja keine Ahnung, wie richtig er mit seiner Aussage liegt.
„Ist alles okay, Caleb?", erkundigt Finn sich und ich nicke nur verlegen. Ich habe das dringende Bedürfnis nach frischer Luft.
„Klar", lüge ich. „Mir ist nur ganz schön warm und Sauerstoff gibt's in dieser Halle offenbar nicht so viel."
„Für dein erstes Mal Volleyball war das auch wirklich richtig gut", lobt er mich erneut und bringt das Netz in den Geräteraum. „Zum Glück haben wir jetzt Feierabend. Ich freu mich so auf eine Dusche und dann aufs Sofa."
Noch bevor die Erleichterung über die Tatsache, dass ich diesen Tag allen Ernstes überstanden habe, vollständig von mir Besitz ergreifen kann, laufe ich schon hinter ihm her und stelle fest, dass die Schüler inzwischen die Umkleiden geräumt und uns somit allein im Gebäude zurückgelassen haben.
Finn inspiziert die nach Teenagerschweiß und billigem Deo riechenden Räumlichkeiten, nimmt zwei vergessene T-Shirts mit spitzen Fingern hoch und schüttelt entschuldigend den Kopf, ehe er mit einem Hebel das Deckenfenster zum Lüften öffnet.
„Der Vorteil, wenn man Sport in der letzten Stunde hat: die Schüler sind enorm schnell umgezogen und weg", lacht er. „Der Nachteil: man muss hinter ihnen aufräumen."
Mit den T-Shirts in den Händen geht er an mir vorbei aus der Umkleide und ich blicke ihm unschlüssig nach. Gerade, als ich ihm folgen will, kommt Finn mit zwei Handtüchern zurück.
„Zum Glück habe ich immer zwei Handtücher in meinem Schrank", freut er sich, drückt mir ganz selbstverständlich eines davon in die Hand und zieht sich sein T-Shirt über den Kopf.
„Was tust du?", frage ich wenig intelligent.
„Duschen, Caleb", lacht Finn und schon verschwindet seine Hose. „Du weißt schon.. Wasser.. Seife.. erfrischen."
„Ich.. äh.. dachte, wir duschen zu Hause", stammele ich.
Inzwischen zieht Finn ganz nonchalant seine Boxershorts aus und schüttelt mit einem verkniffenen Gesichtsausdruck den Kopf.
„Ich mag es nicht, mich so stinkend ins Auto zu setzen", erklärt er und sieht an sich herunter. „Gott, ist das für dich auch so ungewohnt?"
Seine Hände fahren über seinen Körper und ich ertappe mich dabei, wie ich ihn ein wenig darum beneide. Finn hat einen schönen Körper. Schnell schüttele ich meinen Kopf und blicke zur Wand.
„Caleb, was ist los?", will Finn wissen. „Schämst du dich etwa? Ich kenne das alles schon und hab-"
„Ja!", fauche ich lauter als beabsichtigt. „Du hast mich schon nackt gesehen, Finn. Das hast du bereits deutlich gemacht. Aber ich gehe damit vielleicht anders um als du."
Mit vor Schreck geweiteten Augen tritt er einen Schritt zurück und mir entgeht nicht, dass seine Hände unwillkürlich seine Blöße bedecken.
„Ich warte am Auto", knurre ich und stapfe aus der Umkleide.
Draußen ist es zwar noch immer sommerlich warm, aber die Luft fühlt sich dennoch kühl auf meiner erhitzten Haut an. Ich fahre mir mit den Händen über mein Gesicht und es fühlt sich so an, wie Finn gesagt hat: ungewohnt.
Ich blicke über den Parkplatz, auf dem nur noch wenige Autos stehen und erkenne Finns SUV sofort.
Wird das jetzt immer so weitergehen?, frage ich mich. Ich spiele seinen Praktikanten und wir tun so, als wäre nichts gewesen, gaukeln seiner Familie vor, wir wären ein Paar? Das kann er doch unmöglich wollen. Das will ich auch nicht für ihn.
Die neugierigen Blicke einiger Schüler, die auf dem Parkplatz abhängen, ignorierend, laufe ich zielstrebig auf den schwarzen SUV zu. Mir wird bewusst, dass ich noch immer mein Van Damme-Outfit trage, aber daran kann ich jetzt wenig ändern. Als ich am Auto ankomme, bleibe ich kurz stehen und betrachte meine Spiegelung in der verdunkelten Scheibe der Beifahrerseite.
Caleb Martínez wie ich ihn seit jeher kenne. Selbst das zusammengesammelte Outfit an diesem Körper passt besser zu ihm als die Sachen, die Finn in den vergangenen Wochen immer bereitwillig zur Verfügung gestellt hat.
Jetzt wäre die Gelegenheit, einfach umzudrehen und zu verschwinden. Finn sein Leben leben lassen ohne den Verlierer Caleb, der nur durch einen dummen Zufall aufgetaucht ist. Viel habe ich ohnehin nicht zu Hause gelassen. Meinen Rucksack mit meinem splittrigen Handy ohne Guthaben und meine kleine Holzkiste.
Die Kiste. Die würde mir wirklich fehlen. Andererseits bin ich auch in Finns Körper ohne sie zurechtgekommen. Am Ende sind es doch nur Dinge und Dinge können verloren gehen oder ersetzt werden. Erinnerungen schon weniger.
Entschlossen drehe ich mich um und blicke unerwartet in graue Augen.
„Hey Caleb", begrüßt Kilian mich gut gelaunt. „Hast du verloren?"
„Was?", mache ich verdutzt.
Lachend blickt er an mir herunter.
„Bei einer Wette, meine ich. Finn hat manchmal fiese Ideen, was Wettschulden betrifft und dieses Outfit sieht aus, als hättest du es Jean-Pierre Van Damme persönlich geklaut."
„Jean-Claude", korrigiere ich ihn.
Kilian ignoriert meine Aussage und zwinkert mir zu.
„Aber ich wette, Finn kann gleich zu Hause kaum die Finger von dir lassen. Dieses Oberteil ist schon sehr-"
„Können wir?", kommt es da von einem grimmig dreinschauenden Finn, der zielgerichtet zum Kofferraum geht und seinen Rucksack und offenbar auch meine Klamotten hineinwirft.
„Klar, ihr Süßen", grinst Kilian und winkt Finn übertrieben zu. Dass dieser seinem Bruder nur einen bösen Blick, aber keinen Speer zuwirft, ist wohl nur der Tatsache zu verdanken, dass Finn gerade keinen Speer in Reichweite hat.
„Muntere ihn mal ein bisschen auf, Caleb", ruft Kilian mir lachend zu. „Nach dem ersten Schultag ist er meistens etwas launisch."
„Kommst du, Caleb?", fragt Finn genervt vom Fahrersitz und ich zucke zusammen.
Und ohne meinen eigentlichen Plan in die Tat umgesetzt zu haben, öffnet meine Hand die Beifahrertür und ich gleite neben Finn auf den Sitz.
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