Kapitel 22
Gwen Frost
Bevor Blake antworten konnte, öffnete sich die Tür der Krankenstation. Zum Vorschein kamen Linus Quinn, Sergei Sokolov, Professor Metis und Nickamedes.
"Guten Morgen", ertönte Linus' Stimme und ich spürte, wie sein Blick über mich und meine Freunde glitt. "Wir haben einiges zu besprechen. Wenn Sie uns folgen würden, Ms. Henderson."
Ich seufzte. Was sollte man auch anderes von Linus Quinn erwarten. Blake war vor nicht mal 24 Stunden in einen Kampf verwickelt worden und musste dann verletzt aus einem brennenden Gebäude fliehen. Dabei hat sie sich eine Rauchgasvergiftung eingefangen und trotz allem es noch geschafft Logan zu retten. Ein kurzes "Danke" oder "Ich hoffe, es geht dir besser" wäre schon angebracht gewesen.
"Dürfen meine Freunde uns begleiten, falls sie wollen?", fragte Blake, während sie sich aus dem Bett erhob. Man sah ihr nicht an, was sie ein paar Stunden zuvor hatte durchmachen müssen. Ich wünschte, ich könnte auch so selbstsicher und entspannt auftreten wie sie.
Als das Protektorat fälschlicherweise Vorwürfe gegen mich erhoben hatte und behauptete, ich sei in Wirklichkeit Lokis Champion, war ich definitiv nicht so ruhig geblieben, wie Blake jetzt.
Linus kniff die Augen zusammen, als Blake uns als ihre Freunde bezeichnete. Es schien im gar nicht zu passen, dass Logan mit dem Champion von Ares Kontakt hatte. Aber das konnte er nicht mehr ändern, vor allem nicht nachdem sie ihm das Leben gerettet hatte. "Meinetwegen."
Mit diesem Wort wandte er sich ab und stiefelte los. Logan und ich wechselten kurz einen Blick, bevor wir gemeinsam mit unseren Freunden und den anderen Erwachsenen hinter Linus Quinn hereilten.
Unser Ziel war die Bibliothek. Leere zierte die Tische und verwinkelten Gänge der Bücherei, woraus ich schloss, dass sie für die restlichen Schüler geschlossen worden war, damit wir in Ruhe unsere Besprechung halten konnten.
"Setzen Sie sich", befahl Linus Quinn der Gypsy und deutete auf einen Stuhl. Sie verkniff sich glücklicherweise einen dummen Kommentar und ließ sich schweigend auf den Stuhl sinken. Hinter ihr positionierte sich Sergei, welcher Blake grimmig anschaute und eine Hand stets am Schwertgriff ruhen ließen.
Ein Räuspern seines Vaters hielt Logan davon ab sich neben Blake zu setzen. Stattdessen nahmen wir also neben Linus platz, sodass Blake alleine an ihrer Seite des Tisches saß. Ich warf ihr einen entschuldigenden Blick zu, aber sie tat es mit einem Nicken ab.
"Und, was wollen Sie nun von mir?", fragte sie gelangweilt und richtete ihren Blick auf Linus. "Haben Sie schon eine Erklärung dafür gefunden, dass der böse Champion von Ares von Schnittern entführt und fast umgebracht wurde? Vielleicht war es nur ein taktischer Zug, um sie zu überzeugen, dass ich auf ihrer Seite stehen würde."
"Das reicht!", wurde Blake harsch von Linus unterbrochen und bekam erneut seinen bitterbösen Blick zu spüren, der sie jedoch nicht im Geringsten interessierte. "Wir würden uns gerne mit Ihnen über die gestrigen Geschehnisse unterhalten."
"Wie Sie wüschen, Mr. Quinn", Blake lächelte ihn übertrieben freundlich an. "Soll ich einfach von vorne anfangen? Oder wollen Sie mich vielleicht vorher noch fesseln?"
"Fangen Sie an", sagte Linus sichtlich genervt und ich meinte, aus dem Augenwinkel erkennen zu können, dass er die Augen verdrehte.
In der folgenden Viertelstunde hörten wir Blakes Erzählung zum gestrigen Tag. Vieles davon wusste ich schon, oder hatte es mir selber zusammengereimt, aber einige Details zu ihrem Kampf mit David und Nathan waren mir neu.
"Der Römer ist tot", unterbrach ich die Gypsy zwischendurch, als diese erläuterte, dass sie nicht wisse, wo er war und ob er überlebt hatte. "Nachdem David Logan verletzt hatte, konnte ich ihn besiegen."
Unangebrachte Schuldgefühle keimten in mir auf bei dem Gedanken daran, dass ich jemandem das Leben genommen hatte. Aber David hatte mein und auch Blakes Leben bedroht. Also hieß es töten oder selbst getötet werden.
"Oh." Mehr sagte die Gypsy nicht, während sich ihr Blick auf die Tischplatte senkte. Ich würde fast behaupten, dass sie der Tod des Schnitters belastete und Trauergefühle hervorrief.
"Weshalb die Trauer, Ms. Henderson?", fragte Linus misstrauisch, welcher scheinbar doch nicht ganz so unfähig darin war, Gefühle zu erkennen, wie ich gedacht hatte.
"Ich kannte David", antwortete Ares' Champion ehrlich. "Früher, als ich noch mit den Schnittern zusammenarbeiten musste, waren wir so etwas wie Freunde. Mein Verrat, wie er es nennt, hat ihn sehr getroffen und seitdem probiert er mich umzubringen. Er mag... mochte es nicht, überlistet zu werden."
"Und was ist mit Nathan? Kennen Sie ihn auch von früher?"
"Ja", gestand Blake und schien sich sichtlich unwohl zu fühlen, als sie an den Spartaner dachte. "Nicht so gut wie David, aber wir haben manchmal zusammen trainiert. Daher weiß ich auch, was für ein ausgezeichneter Kämpfer er ist."
"Und trotz seiner ausgezeichneten Kampfkünste ist er geflohen?", hakte Linus skeptisch nach. "Wir haben die Hinterlassenschaften von seinen Feuerkünsten gesehen und Sie, Ms. Henderson, waren nach dem Kampf deutlich geschwächt. Wieso ist er dann geflohen, wo er Sie doch einfach hätte umbringen können?"
"Nathan ist ein guter Kämpfer, schließlich ist er ein Spartaner. Aber er verlässt sich meistens nur auf seine Elementarkräfte, anstatt auf sein Geschick mit Waffen. In meinem Fall ist das durchaus berechtigt, da ich ihn in einem Schwertkampf höchstwahrscheinlich besiegen würde", erklärte Blake und holte einmal Luft, bevor sie fortfuhr. "Er hatte seine magischen Reserven während des Kampfes aufgebraucht und hätte mich dann anders angreifen müssen. Also ist er lieber geflohen, als sich mir in einem fairen Kampf zu stellen."
Damit war die Sache für Linus erledigt und Blake führte die restliche Erzählung zum gestrigen Kampf zu Ende aus. "Logan, Gwen, Daphne, Oliver, Alexei", sprach uns der Anführer des Protektorats ernst an, "könnt ihr Ms. Hendersons Aussagen vollständig zustimmen oder hat sie in jeglicher Hinsicht gelogen oder wichtige Informationen vorenthalten."
Keiner von uns widerlegte Blakes Behauptungen.
"Da sowohl die eingeweihten Lehrer von dieser Mythos Academy, als auch der Champion von Nike und weitere vertrauensvolle Schüler für Sie bürgen, Ms. Henderson, müssen wir die Verhandlungen neu ansetzen", begann Linus und machte uns damit alle neugierig. "In Anbetracht der Tatsache, dass Ihr Tod den Schnittern scheinbar in die Hände spielen würde, müssen wir diesen um jeden Preis verhindern und Ihnen möglichst viel Schutz bieten."
"Sie wollen mich beschützen?", hakte Blake nach und blickte Linus skeptisch an.
"Leider liegt das in unserer Verantwortung, ja. Und falls Ihre Angaben bezüglich ihrer Zusammenarbeit mit den Schnittern bestätigt werden können, werden Sie zudem von allen Anklagepunkten freigesprochen", erklärte Linus.
Ich riss die Augen auf und starrte Blake sprachlos an, welche meinen Blick überfordert, aber auch hoffnungsvoll erwiderte. Alle Probleme würden gelöst werden können. Blakes Angaben würden sicherlich bestätigt werden und dann könnte sie ein freies und sicheres Leben führen mit dem Schutz des Protektorats.
"Wie wollen Sie Blakes Angaben überprüfen?", hakte Oliver misstrauisch nach und unterbrach meine freudigen Gedanken.
"Mithilfe einer Maat-Natter. Falls Ms. Henderson wirklich die Wahrheit sagt, stellt das für niemanden ein Problem dar", antwortete Linus Quinn unbekümmert. "Die Überprüfung wird heute Abend stattfinden. Bis dahin würde ich Ms. Henderson bitten wieder in das Gefängnis der Mythos Academy zu gehen."
"Weshalb?", erkundigte sich Blake ruhig, schien sich aber nicht groß daran zu stören.
"Bis zu Ihrem vollständigen Freispruch kann das Protektorat nicht dafür bürgen, den Champion von Ares frei rumlaufen zu lassen. Falls Sie heute Abend die Überprüfung mit positiven Ergebnissen abschließen, geben wir Ihnen selbstverständlich das Recht zurück sich frei zu bewegen."
Und damit war die Sache beschlossen. Blake ging alleine mit Sergei zurück ins Gefängnis, da sie nicht wollte, dass mir auch den ganzen Nachmittag dort unten verbachten. Wir akzeptierten ihre Entscheidung und verließen die Bibliothek, da Logan Abstand zu seinem Vater wollte. Auch das akzeptierten wir.
Um Punkt sieben Uhr standen wir am naturwissenschaftlichen Gebäude. Auch wenn wir Blake den Nachmittag über versprochen hatten nicht ins Gefängnis zu kommen, war es uns selbstverständlich sehr wichtig, dabei zu sein, wenn Blake final überprüft wurde.
Was eine Maat-Natter war, wusste ich schon aufgrund von persönlichen Erfahrungen. An sich eine unangenehme Angelegenheit, außer wenn man die Wahrheit sagte. Und das würde Blake sicherlich tun. Andernfalls wäre es dumm von ihr gewesen sich widerstandslos ins Gefängnis führen zu lassen.
Linus Quinn erschien mit seinem Gefolge und führte uns die Treppen herunter ins Gefängnis. Ich war schon oft hier gewesen - viel zu oft, für meinen Geschmack - und ich hasste es immer noch. Meine Hand tastete nach Logans und ich entspannte mich etwas, als sich unsere Finger verschränkten.
Blake saß hinter dem Tisch in der Mitte des Raumes, jedoch war sie diesmal nicht gefesselt, was mich etwas überraschte, da Linus Quinn eigentlich ein ziemliches Arschloch war. Die Gypsy schien der Sache sehr positiv entgegen zu sehen, da sie uns lächelnd zunickte, als wir den Raum betraten.
"Können wir beginnen, Ms. Henderson?", fragte Linus und ließ sich gegenüber von ihr auf den Stuhl sinken.
"Ja", lautete ihre kurze Antwort.
Damit war der Startschuss gegeben und Trainer Ajax und Raven setzten sich gleichzeitig in Bewegung. Raven holte die Maat-Natter, während Ajax dafür verantwortlich war, Blake zu fesseln. Es lief alles genauso ab, wie bei mir damals.
"Streck deine Hände aus, Blake", forderte Ajax die Gypsy auf, welche widerstandslos zuließ, dass er ihre Hände an den Tisch festkettete.
Ajax trat zurück und Raven nahm seinen Platz ein. Die alte Frau hielt Blake die Schlange entgegen, kurz darauf vergrub diese auch schon ihre Giftzähne im rechten Handgelenk von Ares Champion. Blake zuckte nur leicht zusammen, gab aber kein weiteres Anzeichen darauf, dass sie Schmerzen empfand.
Blake blickte auf ihre Hand runter, an welcher sich zwei kleine Bluttropfen gebildet hatten und schaute dann Linus erwartungsvoll an. Die Schlange wurde auf den Tisch gelegt, wo sie sich in die runde Vertiefung des Steintischs schmiegte.
"Ms. Henderson, Sie sind schon mit den Eigenschaften einer Maat-Natter und ihres Gifts vertraut?", fragte Linus, um herauszufinden, ob er ihr vorher noch erklären müsste, welche Konsequenzen eine Lüge hätte.
"Selbstverständlich", antwortete Blake in Ruhe und atmete einmal tief durch. "Wir können also direkt beginnen."
"Da wir keine direkten Beweise bezüglich Morden vorlegen können, werden wir uns auf ihre grundsätzliche Verbindung zu den Schnittern beschränken. Stehen Sie momentan in jeglichem Kontakt zu einem Schnitter oder zu einer Gottheit?", begann Linus.
"Nein. Ich habe schon seit ein paar Jahren keinen Kontakt mehr zu Ares. Vor knapp vier Jahren bin ich vor den Schnittern geflüchtet und habe seitdem keinen Kontakt mehr zu ihnen", antwortete Blake gelassen und schien sich nicht daran zu stören etwas ausführlicher zu antworten.
"Sind Sie jemals absichtlich bei den Schnittern geblieben oder haben aus eigenem Willen einen Mord begangen?", lautete Linus nächste Frage, welche tatsächlich mein Interesse weckte. Ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass Blake heutzutage niemandem schaden wollte, aber vielleicht war das früher anders gewesen.
"Nein", sagte Blake und musste schlucken bei dem Gedanken an ihre zurückliegenden, schlimmen Taten. "Ich habe so viele Tode verhindert, wie möglich."
Und so ging das ganze noch eine gute halbe Stunde weiter. Linus konnte tatsächlich nicht widerlegen, dass Blake nun mal einfach Pech gehabt hatte und als Ares' Champion keine Wahl hatte. Jetzt müsste Linus nur noch erklären, was trotz allem mit Blake passieren würde. Wie er schon gesagt hatte, er könnte den Champion von Ares nicht einfach hier auf Mythos herumlaufen lassen.
"Wie es scheint, haben Sie den Test bestanden, Ms. Henderson", sagte Linus ohne jegliche Emotionen zu zeigen. Ich bezweifelte, dass er gegenüber Blake jemals positive Empfindungen entwickeln könnte, aber selbst er musste sich eingestehen, dass sie seinen Sohn gerettet hatte.
"Und wie lautet der weitere Plan?", erkundigte sich Blake, während Trainer Ajax ihre Fesseln löste und Raven die Maat-Natter wegbrachte.
"Sie werden in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen."
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