Kapitel 18
Blake Henderson
"Hey!"
Mehr brauchte ich nicht zu rufen, um die gesamte Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Die Protektoratsmitglieder, die noch auf den Beinen standen, schauten mich schockiert an, während bei den Schnittern nach der anfänglichen Überraschung, Gier und Wut in den Augen aufblitzte.
"Worauf wartet ihr noch?", fragte ich provozierend und schaute ein paar der Schnitter nacheinander an. Und das reichte scheinbar auch.
"Holt sie euch und dann verschwinden wir!", ertönte der Befehl des Anführers der Schnittergruppe. Seine Stimme kam mir vertraut vor.
Ich sah aus dem Augenwinkel wie Linus Quinn sich einem der Schnitter in den Weg stellte und rief ihn sofort zurück. "Sie haben verloren, Linus", sagte ich ernst. "Geben Sie nicht ihr Leben in einem so unnötigen Kampf."
Erstaunlicherweise hörte der Spartaner auf mich und zog sich zurück. Vielleicht aufgrund seiner vier verstorbenen Partner aus dem ersten Wagen und den weiteren drei, die verletzt und unbewaffnet auf dem Boden lagen.
Ein Handbewegung von Linus reichte aus, um den letzen kampfbereiten Protektoratsmitgliedern zu verdeutlichen, dass sie sich zurückziehen sollten. Währenddessen traten drei Schnitter aus der Gruppe hervor und näherten sich mir.
Einen Moment lang blieb ich stehen, um einen Blick zu Nickamedes zu werfen. Die Autotür stand immer noch offen, sodass ich ihm knapp zunickte, um meinen Dank auszudrücken. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich dem Bibliothekar vertrauen konnte und, dass er mich retten würde, wenn er die Chance bekommen würde.
Er erwiderte die Geste, woraufhin ich mich in Bewegung setzte und auf die drei Schnitter zuging. Diese schienen von meiner Handlung verwirrt zu sein, aber ließen sich selbst nicht von ihrer Mission abbringen.
"Schön dich wiederzusehen, Blake", sprach der vorderste Schnitter. Es war dieselbe Stimme wie zuvor. Ich erkannte ihn erst, als er nur noch drei Meter von mir entfernt war. Und dann landete auch schon seine Faust in meinem Gesicht.
Trotz der ungeheuren Schmerzen, die in meinem Gesicht explodierten, hatte ich unglaubliches Glück. Der Schläger - sein Name war David, ich kannte ihn von den Zeiten, als ich noch mit den Schnittern zusammengearbeitet hatte - war glücklicherweise ein linkshändiger Römer. Das bedeutete, dass er nicht die gleiche Stelle getroffen hatte, wie Metis vor ein paar Tagen und auch nicht über die Stärke eines Wikingers verfügte und mir somit vermutlich den Kiefer hätte brechen können.
Dennoch sah ich für einen Moment Sterne und konnte mich nur mühsam davor bewahren umzufallen. Das meine Arme hinter meinem Rücken gefesselt waren, half mir nicht sonderlich dabei, das Gleichgewicht zu behalten.
"Was für eine nette Begrüßung", murmelte ich undeutlich und bewegte meinen Kiefer versuchsweise, um herauszufinden, wie schlimm er mich getroffen hatte. Aber soweit schien alles noch in Takt zu sein.
"Bringt Sie zum Wagen, wir verschwinden." Auf Davids Befehl packten die beiden Schnitter je einen meiner Oberarme und zogen mich mit zu ihrem Auto. Die vom Schlag verursachte Benommenheit war noch lange nicht verschwunden, sodass ich mehrmals stolperte und ohne die Griffe der Schnitter sicher hingefallen wäre.
Auf dem Weg zum Auto traf mein Blick den von Linus Quinn, welcher mich mit zusammengekniffenen Augen musterte. Kein Wunder. Es überraschte ihn sicherlich, dass die Schnitter mich lieber verprügelten, als mich zu befreien, da Linus ja fest davon überzeugt war, dass ich der böse und gefährliche Champion von Ares wäre.
Die Schnitter zogen sich zurück und sobald jeder seinen Platz im Auto genommen hatte, starteten die Motoren. Ich befand mich wiedermal auf der Rückbank eines Wagens - direkt neben David, welcher scheinbar ganz viel Vergnügen hatte mir seinen neusten Dolch vor die Nase zu halten.
"Wieso tötest du mich nicht direkt?", fragte ich den Römer und musterte ihn aufmerksam. In seinem Blick konnte ich genau sehen, wie sehr er mich tot und vor allem leiden sehen wollte. Als Champion von Ares hatte man irgendwie einen Blick für so etwas.
"Ich würde gerne, aber ich darf nicht. Es gibt jemanden, der das selbst übernehmen möchte. Du kannst dir sicher denken, wer", erklärte David und grinste mich schelmisch an.
"Nathan", ergänzte ich ohne mit der Wimper zu zucken. Jedoch sah es in mir drin ganz anders aus.
Nathan war der nächste Champion des Ares. Sobald ich das zeitliche gesegnet hätte, würde Ares ihn als neuen Champion erwählen. Das heißt, er würde zu seinen jetzigen Kräften auch noch von Ares gesegnet werden. Und Fähigkeiten, die vom Gott des Blutbades und Massakers verliehen wurden, waren nie gut.
"Stimmt genau. Er hat schon sehnsüchtig auf unsere Mitteilung gewartet, dass wir dich endlich geschnappt haben. Wenn wir Glück haben, treffen wir zeitgleich mit ihm ein."
Zum Glück hatten wir kein Glück. Nathan war noch nicht im Anwesen der Campbells, einer bekannten Schnitterfamilie (zumindest für mich), angekommen. Also hätte ich vielleicht noch ein bisschen Zeit, um meinen Plan in die Tat umzusetzen. Wobei man nicht wirklich von einem Plan sprechen konnte. Mein einziger Anhaltspunkt war es abzuwarten, bis ich die Chance bekommen würde zu fliehen.
Die Wagen hatten vor der Haustür geparkt, ich wurde in den Eingangsbereich gezogen, dann die Treppe hoch in den ersten Stock, den Flur entlang, bis zu einer Art Bibliothek.
"Durchsucht Sie und stellt sicher, dass die Fesseln richtig sitzen", befahl David den beiden Handlangern, welche mich den Weg hierhin begleitet hatten.
Vermutlich hätte David das lieber selber machen sollen, denn die Schnitter fanden weder mein Messer, noch das Handy, geschweige denn den Schlüssel in meiner Hand. Das war ihr erster Fehler. Beziehungsweise zweiter. Ihr erster Fehler war es gewesen, mich nicht direkt umzubringen, als sie mich gesehen haben. Aber so waren Nathan und seine Anhänger schon immer gewesen. Gierig, selbstverliebt und obendrein auch noch frauenfeindlich, was mir nur entgegen kam, da sie mich immer noch unterschätzten.
"Sie ist unbewaffnet, Sir. Aber etwas anderes sollte man auch nicht erwarten. Schließlich war das Protektorat dabei sie ins Gefängnis zu bringen", erklärte der kräftigere der beiden Schnitter, die mich durchsucht hatten.
"Bei ihr weiß man nie", erwiderte David und musterte mich genau. Er lief auf mich zu, während der kräftige Schnitter noch meinen Arm festhielt, um zu verhindern, dass ich etwas anstellen würde. Als ob mich das davon abhalten könnte.
David lief um mich herum, blieb hinter mir stehen und überprüfte die Fesseln. "Blake hat die Angewohnheit andere zu täuschen und zu belügen", während er das sagte, hielt er sich nicht davon ab, die Handschellen enger zu stellen.
Nickamedes war nett gewesen und hatte sie nur so eng wie nötig gestellt, aber David schien das nicht zu reichen. Weitere Schmerzen durchzogen meine Handgelenke, aber das war nichts zudem, was Nathan mit mir anstellen würde.
"Ich hab gehört, du hast neue Freunde gefunden, Blake. Der Champion von Nike scheint dir verrückterweise zu vertrauen. Was musstest du ihnen erzählen, damit sie in dir nicht das sehen, was du wirklich bist?", fragte David und bedeutete meiner Wache, mich auf einen Stuhl zu verfrachten.
Mir kam das nur gelegen, da die Stuhllehne mir Sichtschutz geben würde, wenn ich mich von meinen Fesseln befreien würde. Währenddessen schien David es zu genießen auf mich herunterschauen zu dürfen. Meine Kopfschmerzen waren etwas abgeklungen, was vermutlich auch am Adrenalin lag, das durch meinen Körper strömte.
"Bist du immer noch nachtragend wegen damals?", erwiderte ich mit hochgezogenen Augenbrauen, ohne auf seine Frage zu antworten. "Kommst du immer noch nicht darüber hinweg, dass ich dich getäuscht habe?"
"Du wirst schon noch sehen, was du davon hast, uns verraten zu haben. Wie man als Champion von Ares darauf kommt, ist mir immer noch unklar. Aber Nathan wird dir gleich bewusst machen, was für Folgen dein Verrat hat." David funkelte mich wütend an und seine Hand zuckte verräterisch in Richtung seines Dolches. Aber er griff mich nicht an. Scheinbar war das Nathan vorbehalten.
Gut für mich, schlecht für ihn, denn ich würde nicht zögern ihn anzugreifen.
"Ich habe keine Angst, David", antwortete ich. Das es eine Lüge war, wusste vermutlich jeder, aber das störte mich nicht.
Ich nahm den Schlüssel aus meiner linken Faust in die rechte Hand. Die Enge der Fesseln erschwerte es mir an das Schlüsselloch zu kommen, aber die dadurch verursachten Schmerzen würden mich nicht daran hindern.
"Und ob du Angst hast, Blake. Sonst würdest du nicht seit 5 Jahren vor Nathan fliehen."
Mich kümmerte es nicht, was er sagte, solange keiner der drei Schnitter mitbekam, was ich gerade tat. Die Fesseln schnitten meine Haut ein, aber ich machte weiter. Es zahlte sich aus, denn nicht mal zehn Sekunden später, hörte ich ein leises Klicken, als sich das Schloss um mein linkes Handgelenk öffnete.
David hörte es auch. Er musterte mich mit zusammengekniffenen Augen und ließ den Dolch in seine Hand gleiten. In derselben Zeit stand ich auf, versetzte ich ihm einen kräftigen Tritt gegen das Schienbein und zog mein Messer aus dem Stiefel.
David stöhnte schmerzerfüllt auf und stolperte einige Schritte zurück. Das brachte mir genug Zeit ein, mich um die anderen beiden Schnitter zu kümmern, welche hinter dem Stuhl standen. Keiner von beiden schien ein Römer zu sein, denn ich überwältigte sie, bevor sie auch nur ihre Waffen gezogen hatten.
Blieb nur noch David. "Verrat mir, Blake. Wie hast du es diesmal geschafft?", fragte David und behielt mich genau im Blick.
Ich war nicht blöd, also antwortete ich nicht. Es war logisch, dass er Zeit herauszögern wollte. Aber ich würde ganz sicher nicht hier warten, bis Nathan kommen würde. Also griff ich an.
David war ein ausgezeichneter Kämpfer, das wusste ich schon lange. Schließlich hatte ich ihn damals unterrichtet. Theoretisch war ich immer noch die bessere Kämpferin von uns beiden, aber er kannte meine Tricks. Das würde es schwerer machen, ihn schnell zu besiegen.
Aber ich überwältigte ihn dennoch. Ich hatte ihn entwaffnet, zu Fall gebracht und kniete nun über ihm - meine Klinge direkt an seinem Hals.
"Komm schon, tu es!", forderte mich David heraus, während mir der Hass in seinen Augen entgegenblitzte, "tu es!"
Aber ich zögerte. Ich wusste, dass ich jedes Recht hatte ihn zu töten - schließlich hatte er es bei mir auch schon ein halbes Dutzend Mal probiert. Aber ich wollte ihm nicht das Leben nehmen.
"Sag mir, wann Nathan kommen wird", befahl ich David stattdessen und drückte meine Klinge näher an seine Haut, um meine Aufforderung zu verdeutlichen.
In diesem Moment schlich sich ein Grinsen auf Davids Lippen. "Er ist schon längst hier, Blake."
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