Kapitel 16
Blake Henderson
In dieser Nacht tat ich kein Auge zu.
Nicht nur wegen der eiskalten Fesseln, die um meine Hand- und Fußgelenk lagen, dem unbequemen Stuhl auf dem ich saß, oder der düsteren und bedrückenden Ausstrahlung des Gefängnisses.
Viel mehr hielt mich die Angst wach, dass jederzeit die Schnitter kommen könnten. Und ich wäre ihnen hilflos ausgeliefert.
Sobald bekannt werden würde, dass der Champion von Ares gefesselt und wehrlos im Gefängnis der Mythos Academy in North Carolina sitzt, wäre hier die Hölle los. Das Angebot mich so vorzufinden war aber auch einfach zu verlockend, in Anbetracht der Belohnung, die vermutlich auf meinen Kopf ausgesetzt war.
Ich konnte nur hoffen, dass es möglichst lang ein Geheimnis bleiben würde.
Meine Muskeln verspannten sich, als ich Geräusche hinter der schweren Eisentür hörte. Die Nacht über hatte ich nicht das Geringste hören können, dafür befand ich mich zu tief unter der Erde.
Ein weiterer Grund, weshalb ich nicht schlafen konnte. Die erdrückende Stille.
Meine anfängliche Angst verflog, als ich Nickamedes und Trainer Ajax erkennen konnte. Hinter ihnen entdeckte ich eine alte Frau, welche ich schon mal in der Bibliothek hier auf Mythos gesehen hatte. Ich meine, Gwen hätte gesagt, ihr Name wäre Raven.
"Guten Morgen", sprach ich und grinste die Ankömmlinge spöttisch an. Keineswegs würde ich ihnen zeigen, wie viel Angst ich hatte. "Wie kann ich Ihnen helfen?"
Freundlich sein würde mir jetzt nicht mehr helfen, da wir offiziell Feinde waren. Zumindest aus ihrer Perspektive.
"Bevor wir um den heißen Brei herumreden, Blake", begann Trainer Ajax und näherte sich mir ohne einen Hauch von Angst zu zeigen. Im Gegensatz zu gestern Abend war ich schließlich auch gefesselt und kampfunfähig. "Möchtest du dich als kooperativ erweisen, oder sollen wir direkt wieder gehen und auf das Protektorat warten, welches heute Nachmittag erscheinen wird?"
"Das hängt ganz davon ab, was ich mir von meiner Kooperation kaufen kann", erwiderte ich sachlich und zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch.
"Das Erste wäre ein angemessenes Frühstück. Du hast doch bestimmt Hunger." Das Angebot kam von Nickamedes, welcher sich auch meinem Platz in der Mitte des Raumes genähert hatte. Raven hatte sich währenddessen an dem Schreibtisch hinter der Tür platziert und blätterte durch eine Zeitschrift. Die Anwesenheit von mir schien sie nicht im Geringsten zu beunruhigen.
Ich zuckte mit den Schultern und wartete ab, was mir noch angeboten wurde. Ich hatte Hunger, aber es gab bei weitem wichtigeres. Wie zum Beispiel meine Sicherheit und die jedes anderen hier auf Mythos.
"Wenn du kooperierst, hören wir dir zu", ergänzte Ajax.
"Wie reizend. Allerdings sehe ich meinen Vorteil dabei nicht. Wenn Sie mich verhören wollen, müssen Sie mir nun mal zu hören", ich verdrehte genervt die Augen, bevor ich wieder mein höhnisches Grinsen aufsetzte.
"Gwen hat uns darauf angesprochen", ich zuckte zusammen, als Nickamedes die Gypsy erwähnte, "sie meinte, wir müssen dir eine Chance geben alles zu erklären. Und das möglichst schnell. Daher unser Angebot. Wenn du kooperierst, kriegst du die Chance zu erklären, was auch immer du erklären willst."
"Und was wollt ihr jetzt von mir?", hakte ich nach, ohne direkt meine Zustimmung zum Deal zu äußern.
"Nicht allzu viel", sagte Ajax. "Die Befragung wird beginnen, sobald das Protektorat eingetroffen ist. Allerdings könntest du deine Tarnung so langsam mal aufgeben", er ließ seinen Blick einmal über mich gleiten, "Myla Johnson hat dir lange genug als Versteck gedient."
"Wenn ich dafür mein Frühstück bekomme und mal auf Klo gehen darf, haben wir einen Deal", ich hielt meinen Tonfall betont lässig und zuckte mit den Schultern, als wenn mich das alles nicht sonderlich beunruhigen würde. Aber meine Tarnung endgültig fallen zu lassen, war mühsamer als gedacht. Mittlerweile versteckte ich mich seit 4 Jahren hinter fremden Gesichtern. Ich fragte mich, wie die echte Blake überhaupt aussah. Anfangs hatte ich meine Kräfte zwischendurch gestoppt, aber es fiel mir nach einiger Zeit leichter, damit aufzuhören und damit zu leben, nicht ich selbst zu sein.
"Okay", lautete Nickamedes' simple Antwort, bevor er und Trainer Ajax den Raum verließen. Also musste ich vermutlich noch etwas warten, bis ich auf Klo konnte und mein Frühstück bekam.
Ich hatte mein Frühstück bekommen, bestehend aus einem trockenen Brötchen und einem Becher Wasser - sie trauten mir scheinbar nicht mal richtiges Besteck zu - und durfte auf Klo gehen. Die kurze Zeit der Privatsphäre hatte ich genutzt, um mein Aussehen zu ändern. Auf der Toilette befand sich kein Spiegel - schließlich hätte ich ihn zerschlagen und eine der Scherben zum Angreifen nutzen können -, also wusste ich nicht, wie ich aussah.
Danach war nichts mehr passiert, und mit nichts, meinte ich wirklich nichts.
Raven saß den gesamten Tag lang auf ihrem Stuhl hinter dem Schreibtisch und blätterte durch ihre Zeitschriften. Zwischendurch verschwand sie kurz, kehrte aber meist innerhalb weniger Minuten zurück.
Ihre Anwesenheit beruhigte mich auf gewisse Weise, sodass ich mich dazu zwang, mal die Augen zu schließen und etwas zu dösen. Mittlerweile war ich bestimmt seit 36 Stunden wach und das machte sich bemerkbar.
Das Protektorat traf ein, als ich schon längst wieder wach war - mein Schlaf hatte wohl kaum länger als eine Stunde beansprucht.
Es handelte sich um drei Protektoratsmitglieder, die ihre üblichen dunkelgrauen Roben trugen, mit dem eingenähten Symbol einer Hand, die eine austarierte Waage hielt. Zwei von ihnen erkannte ich: Logans Vater Linus Quinn und der von Alexei, Sergei.
Linus, er war der Anführer der Gruppe, baute sich vor mir auf und schaute missbilligend auf mich runter. "Sie sind also Ares Champion", stellte er unnötigerweise fest, woraufhin ich seufzte.
"Und Sie sind Linus Quinn", stellte ich widerum fest, um ihn davon abzuhalten weitere dumme Kommentare bezüglich meiner Wenigkeit abzugeben.
Linus setzte sich mir gegenüber auf den Stuhl und zog eine Lesebrille aus seiner Hemdtasche. Er setzte sie auf und griff in die Falten seiner grauen Robe. Dieses Mal zog er eine weiße Pergamentrolle hervor, die er aufrollte und zwischen uns auf den Tisch legte.
"Blake Henderson", las er vor, "Sie werden hiermit mehrerer Verbrechen gegen das Pantheon beschuldigt. Unter anderem, aber nicht ausschließlich, sich mit anderen Schnittern des Chaos verschworen zu haben und Ares, dem Gott des schrecklichen Krieges, des Blutbades und des Massakers, als Champion zu dienen. Wie bekennen Sie sich im Bezug auf diese Anklagepunkte?"
"Weder schuldig, noch unschuldig", antwortete ich nüchtern. "Alles weitere klären Sie bitte mit meinem Anwalt ab", ergänzte ich amüsiert und beobachtete mit großer Zufriedenheit, wie Linus genervt die Augen verdrehte.
"Ms. Henderson", sagte Linus mit seiner nervigen eintönigen, kalten Stimme, "in Anbetracht der Vorwürfe, die das Protektorat gegen Sie erhebt, bleibt die einzige Frage, zu welchem Zeitpunkt der Prozess gegen Sie beendet wird. Ihre Strafe lässt sich unmöglich abwenden, dessen sollten Sie sich bewusst sein."
Sein Versuch mir Angst einzujagen, gelang ihm nicht wirklich. Es war mir von Anfang an klar gewesen, wie das hier ablaufen würde. "Stecken Sie mich ruhig ins Gefängnis, das stört mich nicht." Ich zuckte mit den Schultern. Natürlich würde es mich gewaltig stören, wenn ich im Gefängnis landen würde. Aber dort wäre ich immerhin sicher vor den Schnittern. Vielleicht wäre es das ja wert.
"Oh, Ms. Henderson", sagte Linus amüsiert und ließ sein Lachen durch den kahlen Raum hallen. "Wir sprechen keineswegs von einem Gefängnisaufenthalt. Auf Sie wartet die Todesstrafe."
Ich erwartete, dass sich Panik in mir ausbreitete, aber da war größtenteils Leere. Leere, Unverständnis und Wut. Leere, weil ich nichts mehr ändern konnte, dem Schicksal hilflos ausgeliefert war und meinen Tod akzeptieren musste. Unverständnis und Wut, aufgrund der Tatsache, dass man mich töten würde. Und das dieser Mord auch noch als gerecht gelten würde.
"Keine Todesstrafe", widersprach ich mit merkwürdig ausdrucksloser Stimme. "Sperren Sie mich meinetwegen für immer ein, aber keine Todesstrafe!"
"Das haben Sie keinesfalls zu entscheiden, Ms. Henderson", sprach Linus ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. "Und Sie können auch nichts daran ändern. Es ist allgemein bekannt, dass Sie Ares' Champion sind. Die Verbindung zu diesem Gott ist ihr Todesurteil."
"Sie haben doch keine Ahnung, worum es hier eigentlich geht! Ich habe kooperiert, nur um jetzt zu erfahren, dass ich eh umgebracht werden soll?", fragte ich aufgebracht.
"Aber, aber, Ms. Henderson. Man kann dabei doch keineswegs von Mord sprechen. Das, was Sie machen, ist Mord. Wir führen nur das Gesetz aus und lassen jedem seine gerechte Strafe zukommen."
"Ich denke, es ist genug, Linus", schaltete sich Nickamedes ein, bevor ich diesen anschreien konnte. "Solange du sie nicht befragen willst, kannst du sie auch in Ruhe lassen und deine kostbare Zeit anderen Dingen widmen."
Erstaunlicherweise hörte Linus auf den Bibliothekar. Er schenkte ihm, sowie mir einen bösen Blick, bevor er mitsamt seinem Gefolge den Raum verließ. So blieben Trainer Ajax, Nickamedes, Raven und ich im Gefängnis zurück.
Ich musterte den Bibliothekar misstrauisch und beobachtete, wie er sich gegenüber von mir auf den Stuhl sinken ließ, wo Linus Sekunden zuvor gesessen hatte.
"Gwen scheint dir zu vertrauen, Blake", äußerte sich Nickamedes und behielt mich genau im Blick. Allerdings schien er dabei keine bösen Intentionen zu haben, sondern nur wissen zu wollen, was in mir vorging. "Und auch Logan ist nicht vollständig von dir abgeneigt."
"Wieso erzählen Sie mir das?", fragte ich desinteressiert nach, da es mir nichts brachte, dass die Verräterin und ihr Freund mir angeblich vertrauten.
"Weil ich wissen will, was es damit auf sich hat. Die beiden haben behauptet alles über dich zu wissen. Weshalb du hier auf Mythos bist, weshalb du Ares' Champion bist und vor allem, wieso du dich angeblich vor den Schnittern versteckst", erklärte der Bibliothekar.
"Sie würden mir nicht glauben. Und selbst wenn doch, glaubt mir das Protektorat nicht."
"Das weißt du nicht sicher", widersprach Nickamedes. "Und es gibt nur einen Weg es herauszufinden."
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