Kapitel 6
Lucifer hob seine Hand und Maze spürte einen Anstieg an Magie. Kurz darauf öffnete sich ein Portal und ein Wärter trat neben den beiden heraus. Sofort sank dieser auf die Knie und wagte es nicht aufzuschauen. „Fürst Lucifer. Es ist mir eine Ehre, Euch hier begrüßen zu dürfen. Wie kann ich Euch dienlich sein?"
Der Höllenfürst ließ die Hand sinken. „Ich bin hier aufgrund der Meldung über verschwundene Seelen. Ich habe einen meiner Diener mitgebracht, der sich den Ort des Verschwindens genauer anschauen möchte."
Maze konnte sehen, dass der Dämon vor ihnen mehr als Ehrfurcht vor Lucifer verspürte. Er schaute sie immer noch nicht an. Sie fürchten ihn. Lucifer hatte ruhig gesprochen, dennoch war ihm der Unterton aufgefallen. Er ließ keinen Widerspruch zu, auch wenn es nur subtil war. Ein Nicken erfolgte und der Dämon erhob sich. Er führte sie von der Schlucht weg und sie liefen eine kurze Strecke, bis eine lange Reihe an Baracken in Sichtweite kam. Es waren unzählige und deutlich, dass dies der Schlafplatz der Seelen war.
„Die Schlafplätze sind in verschiedene Quadranten aufgeteilt. Erst kurz vor Sonnenuntergang müssen die Gefangenen in diese zurückkehren. Kurz bevor jedoch die Wärter der Spätschicht ihre Runde antraten, haben einige Gefangene gemeldet, dass vier Genossen aus ihrem Quartier einfach verschwunden waren. Sie seien gemeinsam an der Rückseite gesessen, hätten sich von der Arbeit ausgeruht und waren nicht zurückgekehrt", sprach dieser ruhig.
Sie liefen um die Baracke, in der die Verschwundenen geschlafen hatten. Sie sah nicht ansehnlich aus, mehr funktional. Hinter dieser waren nur einige Felsbrocken, auf denen man sitzen konnte.
Maze trat zu diesen und ging vor diesen auf die Knie. Seine Augen schlossen sich und er flüsterte: „Zbuloni se çfarë është fshehur." Offenbare, was verborgen ist. Seine Augen öffneten sich. Sie waren vollständig schwarz mit einer weißen Iris. Eine andere Welt eröffnete sich für ihn – die Welt, die allen Wesen des Diesseits verborgen war. Die Farben verloren sich und die Welt wurde grau. Diese graue Welt wurde von einem leichtem Grün durchbrochen. Fußabdrücke und andere Rückstände wurden für Maze sichtbar. Es waren Rückstände, die eine Seele hinterließ. Diese verblassten jedoch bereits nach Stunden und würden bald vollständig verschwinden. Menschliche Seelen hinterließen grüne Spuren, Dämonen rote und Engel blaue.
Sie haben sich tatsächlich hier aufgehalten. Die Spuren, die zu den Felsen führten waren blasser, mussten also vor denen auf den Felsen entstanden sein. Abdrücke von diesen führten jedoch keine weg. Sie haben diesen Ort nicht verlassen. Doch wie war das möglich? Die Spuren waren leider schon zu verwässert. Ein grünes Blitzen erregte seine Aufmerksamkeit. Er lief zu diesem und sah eine kleine Stelle, die hellgrün leuchtete. Seine Sicht kehrte zu seiner ursprünglichen zurück und er erkannte, was geleuchtet hatte – Blut.
Blut war die Essenz der Seele. „Sie sind hier gewesen, für ein oder zwei Stunden. Sie haben jedoch den Kreis nicht verlassen, es gibt keine Spuren, die zurück zu den Baracken führt. Zudem ist hier Blut, das von einer menschlichen Seele stammt", sagte Maze ruhig.
Konzentriert beobachtete Lucifer den Engel. Was war das für eine Sprache? Er kannte sie, hatte aber auch noch nichts Ähnliches in dieser Art gehört. Was hatte Maze gesehen?
Der Wärter schaute den Fremden nur an. Wie kann er sich da sicher sein?
„Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder wurden sie weggetragen oder sie sind durch ein Portal verschwunden", schloss Maze ab.
„Wer waren die Verschwundenen? Woher stammen sie? Welches Verbrechen haben sie begangen und wie viel ihrer Zeit haben sie bereits abgesessen? Ich möchte, dass ihr einen ausführlichen Bericht an Cypher schickt – heute noch." Lucifer blickte zu dem Wärter, der nur heftig nickte.
„Selbstverständlich, mein Fürst."
„Gut, wir reisen weiter", sagte Lucifer und erschuf ein Portal. Maze folgte ihm und sie reisten zum nächsten Ort.
Gerade, als sie heraustraten, kam bereits eine Wärterin herbeigeeilt. Die Steindämonin verbeugte sich, atmete schwer. Lucifer blickte zu ihr.
„Mein Fürst, den Göttern sei Dank seid Ihr hier."
„Mennra, was ist geschehen?", fragte Lucifer mit dunklem Blick. Er spürte, dass etwas nicht stimmte. Die Dämonin war bereits seit Jahrhunderten in seinem Dienst und es hatte nie Beschwerden gegeben.
Graue Augen blickten sie an. „Ich habe es vor etwa einer halben Stunde bemerkt. Es sind zwei Seelen verschwunden. Bitte verzeiht meine Unfähigkeit, ich nehme jede Schuld an", presste sie hervor, ihr Körper zitterte. „Ich habe sofort einen Boten geschickt und den Ort gesichert. Ich-"
Lucifer hob die Hand und sie schwieg. „Bring uns sofort dorthin."
Sie nickte, blickte dann zu Maze, doch sie sagte nichts. Er folgte dem Höllenfürsten. Wo sind wir? Der Beschreibung nach waren sie im ersten Ring Roshanee, dem Ort mit der mildesten Strafe. Hier arbeiteten die Seelen täglich in einer Halle in annehmbaren Schichten, siebten und wuschen Erde, um Edelsteine und Mineralien freizulegen. Den Rest der Zeit verbrachten sie in gesonderten Bereichen oder den Schlaflagern. Sie trugen auch annehmbare Kleidung und bekamen genug zu essen.
Er sah, wie die Seelen verängstigt zu ihnen blickten, zurücktraten oder ganz gingen. Ein weiterer Wärter schickte sie in die Hallen. Der Boden war steinig, doch wider Erwarten liefen sie weder zu den Hallen noch den Schlafbereichen. Sie liefen in einen Bereich, der von Felswänden eingeschlossen war. Maze erkannte sofort, dass es sich um Waschorte handelte. Hier konnten sich die Seelen nach der Arbeit waschen.
Als sie an ihrem Zielort anhielten, ballte Maze die Faust. Es gab keinen Zweifel, hier hatte es Gewalt gegeben. Blutspritzer zierten die Felswände, waren teilweise verschmiert. Er aktivierte sein zweites Auge und die Welt wurde grau. Ihm wurde kalt. Die Spuren der beiden Seelen leuchteten hell vor ihm, erzählten eine grausige Geschichte.
„Lucifer", begann er, brach ab.
„Was siehst du, Maze?", erwiderte die kühle Stimme.
Er zeigte auf eine Stelle an der Wand. „Eine Seele wurde gegen die Wand gedrückt und ihr wurde körperliche Gewalt angetan." Die Blutspitzer leuchteten, er sah die Spuren des Körpers, die sich über die Wand zogen. Sie waren intensiv, als wäre sie fest und lange dagegen gedrückt worden. Dann drehte er sich, blickte zu Boden. Er lief ein Stück und hielt an einer Stelle.
Für Lucifer sah die Stelle nicht besonders aus, doch irgendetwas musste dort sein. „Hier stand eine weitere Seele. Sie hat sich jedoch nicht bewegt, also wurde sie vermutlich festgehalten. Vielleicht war sie eine Geisel oder wurde gezwungen, die Gewalt mit anzusehen." Er lief ein Stück weiter. „Ihre Spur endet hier, doch sie ist leicht verwischt, als würde sie schleifen und dann einfach enden. Es ist seltsam, denn so sehen keine Spuren aus, die jemand hinterlässt, wenn er angehoben wurde."
Dazu kam noch etwas anderes. Er blickte an die Wand. Die Blutspuren führten von diesem etwa zwei Meter ins Innere. „Die Seele an der Wand wurde bis zu diesem Punkt bewegt", er zeigte an die Stelle. „Dann endet die Spur."
Maze' Augen verschränkten sich mit denen des Dämons. „Wenn sie hochgehoben worden wäre, würde es weitere Blutspritzer geben, die hier vorbeiführen müssten. Wenn der Entführer geflogen wäre, wäre das ebenfalls der Fall, doch das ist es nicht. Es gibt kein Blut außerhalb dieses Radius. Sie wurden also nicht weggebracht."
Lucifer blickte den Engel an. Schwarze Augen, weiße Iris. Diese Augen waren nicht engelhaft. Was bist du? Er nickte nur. „Gibt es weitere Informationen?"
Maze schüttelte den Kopf, das war alles. Dann schaute Lucifer zu der Wärterin. „Gab es Zeugen, irgendjemanden, der etwas gesehen und gehört hat?"
Die Dämonin senkte ihren Kopf. „Eine Seele berichtete, dass sie einen Schrei gehört habe, doch sie konnten sich den Waschräumen nicht nähern, also haben sie direkt nach uns gesendet. Es sollen grauenvolle Schreie gewesen sein und..."
Lucifer trat an die Dämonin heran, die abgebrochen hatte. „Rede." Es war deutlich, dass er verärgert war. Seine Aura erfüllte die Umgebung.
„Es wurde neben dem Flehen, aufzuhören, auch der Name der Seele gerufen. Dann wurde es plötzlich ruhig. Die Seele war gerade einmal drei Tage hier", sagte sie mit zitternder Stimme.
„Sendet alle Informationen an Cypher, sofort." Mehr sagte Lucifer nicht, sondern rief ein Portal. Er umgriff Maze' Oberarm und zog den überraschten Engel mit sich durch ein Portal. Doch anders als erwartet, reisten sie nicht zu einem weiteren Ort, sondern traten in der Eingangshalle in Lucifers Anwesen heraus.
Maze blieb stehen, zog ruckartig seinen Arme weg. Egal, wie verstimmt der Höllenfürst war, er würde sich nicht einfach mitzerren lassen. Der Dämon hielt inne, drehte sich um und blickte ihn an. „Ich verstehe, dass Ihr erzürnt seid, doch ich bin nicht die Person, die es verbrochen hat."
Lucifers Augen glühten. Wie kann er es wagen, so mit mir zu sprechen? Er verneigte sich nicht vor ihm, zitterte nicht. Er roch keine Angst. Die Wut in ihm brannte hell und das zeigte sich auch auf seinem Gesicht, das wusste er. Seine Hand fuhr in die schwarzen Haare des Engels. „Sei vorsichtig, Maze. Ich bin verstimmt und mich zu reizen, ist keine gute Idee."
Eine Hand legte sich an seinen Arm. Die waldgrünen Augen blickten in die seinen. „Es ist mir bewusst, dass Ihr mich ohne weiteres töten könnt, und ich verstehe Eure Wut. Doch ringt sie nieder, denn wir müssen einen kühlen Kopf behalten."
Auf diese Worte hin näherte sich Lucifer Maze ein weiteres Stück, ihre Gesichter waren vielleicht fünf Zentimeter voneinander entfernt. Zum ersten Mal roch er den Geruch des Engels – Immergrün mit einer Pfeffernote. „Du spielst mit dem Feuer. Sei vorsichtig, dich nicht zu verbrennen. Nimm diese Warnung an."
Diese Worte ließen Maze erschauern. Eine Gänsehaut wanderte über seine Oberarme, er spürte seinen eigenen Herzschlag, der galoppierte. Und doch, die Maske, die er trug, blieb auf seinem Gesicht. Lucifer brauchte ihn. Ihn zu verletzen, gar zu töten, war unsinnig. So dumm war dieser Mann nicht.
Die Hand löste sich aus seinen Haaren und der Dämon trat zurück. Dann lief er in Richtung seines Arbeitszimmers, das Maze bis dahin noch nicht betreten hatte. Er setzte sich auf eine der beiden Sitzgelegenheiten, die um einen kleinen Tisch standen, und bedeutete ihm, sich ihm gegenüber zu setzen.
„Was weißt du über mein Reich, Maze?", fragte der Höllenfürst und lehnte sich zurück.
Was erwartet er von mir zu erfahren? Er wusste das, was allgemein bekannt war. „Die Seelen, die beschmutzt sind, erfahren in einem der neun Ringe eine Läuterung. Sie durchlaufen eine Strafe entsprechend ihrer Vergehen. Dabei werden sie von den dämonischen Wärtern bewacht, bis sie in den Seelenkreislauf zurückkehren." Das war die grobe Version. Sollte er das vertieft ausführen?
„Das ist korrekt. Sie erhalten Halsfesseln, wenn sie eine zu lange Zeit hier verbringen müssen, oder eine Flucht befürchtet wird. Im ersten Ring ist das oftmals nicht notwendig, denn sie verweilen nur wenige Jahre dort. Der Körper, den sie erhalten, ist stabil genug und sie erleiden auch keine Verletzungen, sodass die Ringe notwendig sind. Die Halsfesseln erlauben den Wärtern, Magie auf diese zu wirken, und sie dienen auch als Locator. Sie binden die Seelen an den Ort, auf den die Halsfesseln geprägt sind. Eine Flucht nach außerhalb ist so gut wie unmöglich, denn sobald sie den Bereich verlassen, schlagen sie Alarm und entziehen der Seele Stück für Stück die Kraft. Starke Seelen können dem widerstehen, doch schwache verfallen in wenigen Stunden der Müdigkeit", erklärte Lucifer. Es war ein ausgeklügeltes System.
Maze blickte ihn an. Verstehe. „Wären sie verschleppt worden, hätte der Halsring Alarm geschlagen, das haben sie jedoch nicht. Die Halsringe sind mit ihnen verschwunden und Ihr könnt die Seelen trotzdem nicht lokalisieren. Das würde jedoch bedeuten, dass die Seelen... nicht mehr in der Reichweite sind, um die Seelen zu finden. Wie weit reicht die Fähigkeit, sie zu lokalisieren?" Das war ein entscheidendes Detail.
„Ich kann sie in der ganzen Hölle finden." Die Halsfesseln waren mit einem Stück seiner Magie geschmiedet. Jeden Monat nahm er ein, zwei Federn, um die Fesseln herstellen zu lassen.
Maze' Augen wurden groß. „Aber das würde bedeuten, dass sie nicht mehr in der Hölle sind. Das ist unmöglich. Dafür müssten sie ein Portal in die Welt der Menschen durchschritten haben." Solch ein Portal hinterließ Spuren. „Habt Ihr die Rückstände eines Portals gespürt?"
Als der Höllenfürst den Kopf schüttelte, bestätigte sich Maze' Befürchtung. „Es gibt noch eine Sache, die ich nicht gesagt habe." Er hatte es nicht in Anwesenheit der Wärterin sagen wollen. „Die Person, die für die Verletzung verantwortlich war, war ein Dämon." Es hatten rote Spuren neben den Grünen gehaftet. „Also muss es ein Wärter gewesen sein, oder jemand, der Zugang zu den Bereichen erlangt hat."
Lucifer ballte die Faust. Er hatte es befürchtet. „Und dieser Jemand muss in der Lage sein, ein Portal zu rufen, das keine Spuren hinterlässt." Das war kein Problem, das war eine Katastrophe. Die Entführer konnten sich unbemerkt in jeglichen Winkel der Hölle schleichen. „Zudem gibt es nur spezielle Bereiche in den Ringen, in denen es möglich ist, ein Portal zu öffnen."
„Also muss diese Person interne Informationen besitzen, vielleicht auch jemand, der ihnen hilft", sagte Maze, blickte auf seine Schenkel. Verrat, und das aus dem Innern.
Das Ausmaß wurde ihm nun bewusst. Doch etwas anderes ließ ihn nicht los. Es war etwas, was die Dämonin gesagt hatte. Etwas, was in diesem Fall nicht ins Bild passte. „Weshalb hat es dieses Mal so lange gedauert? Wieso haben sie eine Seele so derart verletzt, die anderen jedoch nicht?" Eine Seele, die noch nicht lange hier war. Hatte es etwas damit zu tun?
„Ich weiß es nicht. Vielleicht hat sie sich mehr gewehrt, weil sie erst seit kurzem hier ist", erwiderte der Höllenfürst. Dass Maze die förmliche Ansprache vernachlässigt hatte, verärgerte ihn in diesem Moment nicht. Das rieb ihn für einen Augenblick auf.
Das wäre vielleicht eine Erklärung. Maze würde es im Hinterkopf behalten.
„Nun zu etwas anderem, was bist du, Maze? Was war das für eine Fähigkeit?" Die Luft wurde schwer und der Druck stieg. Lucifer blickte ihn an, er wollte Antworten. Antworten, die Maze ihm nicht geben würde.
Der Engel atmete tief ein. „Ich bin ein Engel und wurde mit dieser Fähigkeit geboren."
Ein leises Lachen entkam dem Höllenfürsten. Er legte den Kopf schief. „Warum besitzt du dann nicht den Klang der Wahrheit?"
In diesem Moment versteifte sich Maze, die Maske fiel. Lucifer konnte die Angst sehen.
Mit dem Klang der Wahrheit wurde meist die Unfähigkeit der Engel zu lügen bezeichnet. Manche waren so feinfühlig, das zu spüren. Dass die Stimme einen speziellen Klang hatte. Doch Maze hatte es für ein Ammenmärchen gehalten. War das ein Trick? „Ich bin unsicher, welche Antwort Ihr erwartet. Ich bin ein Engel, ich spreche die Wahrheit."
Tut er das? Lucifer blickte Maze an.
„Ich werde meinen besten Spion das Ganze überprüfen lassen. Halte dich bereit, wir könnten jederzeit gerufen werden." Lucifer wusste, dass Maze ein Ass im Ärmel war, das er brauchte. Das gefiel ihm nicht. Der Engel verschwieg ihm etwas und er würde herausfinden, was das war.
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Weitere Seelen verschwinden, neue Fragen wurden aufgeworfen.
Wie könnten die Seelen verschwinden?
Aus welchem Grund?
Eure Mausegöttin
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