Kapitel 5
Kurz nachdem er die Nachricht gelesen hatte, war eine Bedienstete erschienen. Sie brachte Maze zum Speisesaal, in dem der Höllenfürst ihn erwartete. Es war ein großer Raum mit hohen weißen Wänden, an denen goldene und rote Muster entlangwanderten. Zahlreiche kleine Statuen standen auf kleinen Podesten, die aus den Wänden wuchsen. Über dem Tisch waren in die Decke rote und gelbe Leuchtsteine in einem eleganten Muster, das Wirbel bildete, eingelassen. Der Tisch war lang und rechteckig, bestand aus einem dunklen Holz, in das ebenfalls Verzierungen und Ziersteine eingelassen waren.
Lucifer saß an einem Ende des Tisches, der etwa drei Meter lang war. Am anderen Ende war ein weiteres Gedeck. Maze hielt in der Tür inne, blickte den Dämon an. Mit einer leichten Verbeugung begrüßte er diesen, trat vor und setzte sich. „Ihr habt nach mir gerufen", sagte er ruhig.
Stumm hatte Lucifer den Engel beobachtet. Es wirkt natürlich. Wie oft hatte er schon unwillentlich jemandem Gesellschaft geleistet, der ihm übergeordnet war? Dennoch wirkte er nicht unterwürfig, wie es viele Bedienstete taten. Interessant.
„Ich spüre keinerlei Abneigung oder Verärgerung?"
Maze legte den Kopf schief. „Weshalb? Weil Ihr mich zum Essen eingeladen habt? Ich bin Euer Gast und befürworte diese Geste." Ich werde dein Spiel nicht mitspielen. Ihm war mehr als bewusst, dass Lucifer das nicht aus Höflichkeit getan hatte. Er wusste, was kommen würde.
„Ich bin neugierig, wer meine Gastfreundschaft in Anspruch nimmt." Ehrliche Worte, kein Versteckspiel.
Er will mich also aushorchen. Dass Lucifer es direkt äußerte, verwunderte Maze für einen Moment. Spielt er mit offenen Karten, oder... gab es doch eine versteckte Absicht?
„Ich warne dich jedoch. Solltest du mich belügen, verwirkst du dein Recht auf meine Gastfreundschaft." Eine direkte Drohung. Maze musste sich vorsehen. Andererseits wusste er, womit er es zu tun hatte.
Lucifer beobachtet den Engel. Er scheint nicht verärgert oder verängstigt. „Was geschieht, wenn ich die Wahrheit verschweige, Fürst Lucifer?" Die Frage kam unerwartet. Der Höllenfürst lehnte sich zurück, sein Gesicht trug einen weniger erfreuten Ausdruck.
„Dann werde ich dir die Zunge herausreißen."
Stumm blickte Maze den Dämon an. „Dann werde ich mein Bestes geben, meine Zunge zu behalten, sonst wäre es eine Schande um das gute Essen", erwiderte Maze. Er hielt Lucifers Blick stand. Die trüben Augen schienen sich tief in die seinen zu bohren.
Für einen Moment zuckten die Mundwinkel des Höllenfürsten. „Dann wollen wir den ersten Gang genießen."
Das Essen wurde angerichtet und Maze kostete es. Es schmeckte hervorragend und er genoss es. Es waren die kleine Dinge, an denen er sich festhielt, und das war eines davon.
„Mit welcher Intention hat dich Gabriel ausgewählt und zu mir geschickt?", fragte Lucifer, nachdem sie den ersten Gang beendet hatten.
„Ich besitze eine Fähigkeit, mit der ich Euch nützlich sein kann, um die verschwundenen Seelen zu finden. Zudem wäre ich kein Verlust, sollte ich nicht zurückkehren", antwortete Maze. Er hatte keinen Grund es zu verschweigen. Gabriel benutzte ihn, doch er machte sich keine Illusionen darüber, dass er einen Teufel tun würde, um ihm zur Hilfe zu eilen, sollte er verletzt oder gefangen genommen werden.
Eine Fähigkeit, die mir nützlich ist. Wenn dem der Fall war, wieso sprach der Engel dann davon, dass er für Gabriel ein ersetzbares Werkzeug war? Er machte sich zugleich unentbehrlich sowie entbehrlich. „Waren deine Worte unbedacht oder war es Dummheit? Du hast gerade offenbart, dass du keinerlei Schutz genießt, sobald wir die Verantwortlichen gefunden haben."
„Weshalb? Habt Ihr vor, mich einzusperren oder mir wehzutun? Dafür habt Ihr keinen Grund, vor allem wenn es einen Erzengel zumindest verärgern könnte", erwiderte Maze.
„Ich gebe einen Scheiß auf Gabriels Meinung oder Empfinden", sagte Lucifer. Die vulgäre Sprechweise wurde von seinem angepissten Gesichtsausdruck unterstrichen. Dieser Mann zeigte seine Gefühle offen auf dem Gesicht und hielt sich nicht zurück.
Das hat er bereits deutlich gemacht.
„Was Gabriel will, ist mir egal. Du bist hier in meinem Anwesen, somit hast du dich an meine Gesetze, Regeln und Etikette zu halten. Dein Leben ist in meiner Hand und Gabriel wird sicherlich keinen Krieg mit mir beginnen, weil ich sein Spielzeug beschädigt habe. Solange du nicht sein Sohn bist, bist du ersetzbar."
Es ist mir bewusst, dass ich ersetzbar bin. „Solange ich Euch nicht verärgere, habt Ihr keinen Grund. Mir wurde nie berichtet, dass der Höllenfürst des Reiches der Verdammten Seelen ohne Grund jemanden bestraft hat." Nun pokerte Maze hoch, doch er brauchte Gewissheit. Wenn Lucifer eine Scharade vortrug, wäre er weg, bevor sie den Auftrag erledigten.
Der Höllenfürst lehnte sich etwas zurück. „Du hast nichts zu befürchten, solange du mich nicht verärgerst. Doch solltest du nicht von Nutzen sein, werde ich dich zurückschicken." Er hatte keine Lust, den Babysitter für diesen Jungengel zu spielen.
„Verständlich."
Zu alt. Diese Aussagen waren zu reif, als dass dieser Engel sie tätigen sollte. Er wirkte älter, als er war. Er ist interessant.
„Wie steht es um deine Treue zu Gabriel?" Etwas nagte an Lucifer. Die Art, wie Maze von diesem sprach... es war nicht ehrfürchtig oder etwas Vergleichbares.
Dieses Mal wählte Maze seine Worte mit Bedacht. „Ich habe eine Vereinbarung mit ihm, die ich einzulösen gedenke. Danach trennen sich unsere Wege. Ich werde Euch also dann nicht von Nutzen sein." Wenn der Dämon sich erhoffte, über Maze an Gabriel heranzukommen, so hatte er dies nun verneint.
„Wo planst du dann dein Leben fortzusetzen, wenn es nicht in Gabriels Gefilden ist?" Würde er einem anderen Engel dienen?
„Ich werde friedlich mein Leben in der Menschenwelt fristen." Frei von all dem, was ihn fesselte. Nie wieder würde er einen Fuß in den Himmel setzen.
Lucifer hörte einen Hauch Bitterkeit, doch nicht über die Tatsache, dass er nicht in den Himmel zurückkehren würde. Es war das Wort friedlich gewesen. Faszinierend. Ein Engel, der den Himmel verlassen will, es aber nicht kann. Ein Engel, der die Ehre hat, direkt einem Erzengel zu dienen, diesen jedoch offensichtlich verabscheut. Maze war ein Rätsel, doch er machte keine Lüge aus. Was hast du ihm angetan, Gabriel? Konnte er das für sich nutzen? Er würde es im Hinterkopf behalten.
Der nächste Gang wurde serviert. Nachdem sie diesen beendet hatten, stellte Maze seine erste Frage an diesem Abend. „Wie werden wir verfahren? Ich habe bereits meine Informationen festgehalten und Eurer rechten Hand gegeben."
Lucifer legte beide Hände auf den Tisch. „Wir werden die verschiedenen Orte besuchen, an denen die Seelen verschwunden sind. Vielleicht können wir weitere Anhaltspunkte sammeln, wenn wir selbst vor Ort sind oder deine Fähigkeit nutzen." Welche das war, wusste Lucifer noch nicht, doch Gabriel würde ihm keinen nutzlosen Helfer schicken. Es war für beide Seiten von Interesse, dass die verschwundenen Seelen gefunden wurden.
Ein fragender Blick trat in Maze' Gesicht. „Wir?" Hatte er sich verhört?
Ein Lächeln legte sich auf Lucifers Gesicht, das dem Engel eine Gänsehaut bescherte. „Ja, Maze. Wir beide werden gemeinsam auf die Suche gehen."
Wie versteinert schaute Maze den Dämon an. Er hatte mit allem gerechnet, doch nicht damit. Der Höllenfürst würde ihn begleiten? „Wäre es nicht sinnvoller, einen Stellvertreter mit mir zu entsenden?"
„Stellst du meine Entscheidung in Frage?", erklang eine kalte Stimme. Der Raum wurde kühler und er sah, wie ein dunkler Ausdruck auf Lucifers Gesicht lag.
„Nein, Fürst Lucifer", presste Maze hervor, krallte sich in die Tischkante. Die Aura des Dämons war bedrückend.
Der Druck löste sich und er konnte wieder atmen. „Dann ruhe dich bis morgen aus. Wir starten morgen in der Frühe."
Maze nickte nur, dann erhob er sich. „Ich bedanke mich für das Mahl." Er senkte kurz den Kopf, dann verließ er den Raum und lief direkt in das Zimmer, das er in nächster Zeit bewohnen würde. Erschöpft ließ er sich auf das Bett fallen.
Er ist beängstigend. Unberechenbar. Lucifer war wie ein launischer Kater, dessen Launen er nicht vorhersagen konnte. Im einen Moment war er gut gestimmt, im anderen verärgert. Was Maze jedoch aufgefallen war, dass er meist dann schlecht gelaunt war, wenn es um Gabriel ging. Hasst er Engel? Das wäre nachvollziehbar, immerhin war er gefallen. Doch er schien keine Abneigung Maze gegenüber zu besitzen.
Ich verachte die Engel ebenfalls und bin kein gefallener Engel. Es konnte nicht an der Rasse liegen. In dem Punkt scheinen wir etwas gemeinsam zu haben. Sie verachteten beide Gabriel und die anderen Erzengel. Ein Lächeln wanderte auf seine Lippen. „Dann bin ich gespannt, welche Facetten du noch offenbaren wirst, Lichtbringer."
Am nächsten Morgen stand Maze früh auf. Nachdem er sich gewaschen und angezogen hatte, klopfte es an der Tür. „Mein Fürst erwartet Euch im Thronsaal, wenn Ihr soweit seid", erklang die schüchterne Stimme eines Dieners durch die einen Spalt geöffnete Tür.
„Ich komme sofort", erwidert Maze. Er straffte die Schultern und atmete tief ein und aus, dann machte er sich auf den Weg.
Lucifer wartete bereits auf ihn. Er trug eine schwarze Hose und ein weißes Hemd, dazu ein schwarzes Jackett, auf dem goldene Drachen gestickt waren – elegant und anmutig. Dennoch wusste der Engel, dass dieser Dämon mit Sicherheit Waffen am Körper trug, sie waren nur vor ihren Augen versteckt. Er selbst trug eine dunkelgraue Hose und ein dunkelblaues, schlichtes Oberteil.
„Du bist früh wach. Dann können wir los", begrüßte ihn der Höllenfürst.
Maze nickte nur und trat zu diesem. „Wo beginnen wir unsere Suche?"
Lucifer hatte nach dem Abendmahl die Notizen seines Gastes durchgeschaut. Viele Aussagen deckten sich mit denen der Wärter und Cyphers Recherche. „Alle Seelen sind zu einem Zeitpunkt verschwunden, als sie unbeobachtet waren. Die Verantwortlichen müssen also genaustens über die Zeiten der Wärter, sowie deren Patrouillen informiert sein. Bei einigen wurden Spuren von Blut und auch Spuren der Gegenwehr gefunden, also sind sie nicht freiwillig mitgegangen. Wir werden nun die Tatorte der frischesten Spuren besuchen und überprüfen." Cypher würde die Wärter Stück für Stück durchleuchten, Asheron würde ihm dabei helfen. Egal, wo sich der Verräter versteckte, sie würden ihn finden.
Maze nickte. Es gab keine neuen Erkenntnisse, bis auf die Sache mit dem Blut. Blut.
Lucifer rief ein Portal, welches sie an ihren ersten Zielort brachte.
Ein Gefangener stürzte mit einem zu großen Brocken in der Hand und sofort war ein Wärter zur Stelle, der diesen maßregelte.
„Wo sind wir?", kam es Maze über die Lippen. Er wusste, dass es ein Bereich im Reich der Verdammten Seelen war, in denen die menschlichen Seelen ihre Strafe verbüßten. Dieses Gebiet ist insgesamt in neun Bereiche gegliedert. Je nach Schweregrad der Sünden landete man in dem entsprechenden Gebiet.
„Wir sind in Kaam, dem dritten Ring. Die Seelen verbüßen hier ihre Sünden noch durch körperliche Arbeit", erwiderte Lucifer. Das war in den ersten drei Ringen – Roshanee, Bason und Kaam – der Fall. Die Seele verliefen noch keine Art von körperlicher oder seelischer Qual. Die Schwere der Arbeit und die Bedingungen wurden jedoch mit jedem Ring schlimmer. In Roshanee arbeiten sie in Hallen und siebten und sortierten sie nur Erde, um Edelsteine und Mineralien freizulegen. Die Schichten waren auch zumutbar und sie hatten Schlafplätze, waren vor der Hitze teils geschützt. Diesen Luxus hatten die Seelen in diesem Ring nicht mehr.
Maze blickte zu den Seelen. Sie haben ihre Bestrafung durch ihre Taten erwirkt. Hätten sie nicht frevelhaft gehandelt, wären sie nicht hier. Er wusste, dass er für seine Verfehlungen irgendwann gerichtet werden würde. Ihn erwartete nicht die direkte Wiedergeburt wie bei allen Engeln, denn er war kein reiner Engel. Er war eine unansehnliche Mischung. Wo er jedoch landen würde, war ihm unklar.
„Gut, wo beginnen wir?", antwortete er.
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Die Suche beginnt.
Was haltet ihr von dem Abendessen?
Welche Hinweisen könnten sie finden?
Welche Fähigkeit könnte Maze nutzen?
Eure Mausegöttin
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