Kapitel 32
Maze trat aus dem Portal und landete im Eingangsbereich von Gabriels Anwesen. Ein bediensteter Engel begrüßte ihn. „Fürst Gabriel ist nicht zugegen. Kann ich ihm etwas ausrichten?", fragte dieser freundlich.
„Bitte benachrichtigt mich, sobald er zu sprechen ist. Solange werde ich diese Bücher in die Bibliothek zurückbringen und meine Recherche weiterführen", erwiderte Maze und nickte. Dann verließ er das Anwesen, doch ein weiterer Engel, den er nicht kannte, folgte ihm. Diese hatte kurze blonde Haare und war in einer Robe gekleidet, wie Maze es hasste.
„Bist du ein Aufpasser?", fragte er sie direkt und ein stummes Nicken erfolgte. Sie machte also keinen Hehl daraus, dass sie ihn im Auge behalten sollte. Das war Maze herzlich egal.
In der Bibliothek angekommen, brachte er die Bücher, die er das letzte Mal ausgeliehen hatte, zurück. Anschließend lief er in die Abteilung für Historisches und Thematiken im Zusammenhang mit Göttern oder der göttlichen Ebene. Eine Aufstellung der Gottheiten der göttlichen Sphäre. Er zog das Buch heraus und schlug den Namen der Göttin nach, welche möglicherweise das Artefakt erschaffen hatte, das die Seelen einsperrte. Aletheia, die Göttin der Wahrheit. Seite um Seite blätterte er, bis er schließlich auf ihren Namen stieß.
Ein Bild war dort zu sehen. Die Göttin hatte ihre rotblonden Haare zurückgebunden und trug eine weiße Toga. Sie stand neben einem Tempel, umgeben von weißen Säulen. Neben ihr ein Torbogen mit zahlreichen arabesken Verzierungen. Auf diesem stand in altgriechischen Buchstaben die Worte »Tor des Traumes«. Sie zeigte mit einem Finger darauf, schaute sehnsüchtig auf dieses. Unterhalb des Bildes stand verblasst, wenn auch nur schwer lesbar »Die Wahrheit liegt im Traume«.
Die Wahrheit liegt im Traume. Was damit wohl gemeint war? Unterhalb stand ein kurzer Text, doch nicht wirklich viel Inhalt. Aletheia war die Göttin der Wahrheit, die den Engeln die Gabe der Wahrheit vermacht hatte. Sie besaß eine Zwillingsschwester mit dem Namen Dolos, welche den personifizierten Betrug darstellte. Sie glich Aletheia bis auf die Füße. Mehr stand dort nicht. Nichts, ob die Göttin verschwunden war, oder wo sie verweilte.
Frustriert nahm er das Buch zu einem der Engel, die sich um die Bibliothek kümmerten, und bat diesen von der Seite eine Kopie anzufertigen. Mit Magie sollte das in einer Viertelstunde realisierbar sein. Währenddessen begab er sich wieder zurück und recherchierte bezüglich der göttlichen Artefakte. Bevor er jedoch weit kam, teilte seine Aufseherin ihm mit, dass Gabriel ihn nun empfangen würde. Er lief zu dem Engel, der die Kopie tatsächlich angefertigt hatte, und nahm dankend die Pergamentseite an sich. Er steckte sie in seinen Beutel, in dem er die Bücher transportiert hatte, und machte sich auf den Weg zu Gabriels Anwesen.
Seine Aufseherin wartete an der Tür zu Gabriels Arbeitsraum, als Maze diesen betrat. Der Erzengel saß bereits auf der Sitzgelegenheit und blickte ihn an. Mit ruhigem Gesichtsausdruck nahm er gegenüber dem Erzengel Platz und begrüßte ihn. „Fürst Gabriel", sein Kopf senkte sich kurz, das musste genügen.
„Maziel. Berichte mir von deinen Erkenntnissen und den Fortschritten", sagte dieser ohne Umschweife. Auch wenn Gabriel es zu verbergen versuchte, etwas missfiel ihm deutlich und Maze wusste auch was.
„Wir haben neue Erkenntnisse bezüglich demjenigen, der hinter der Verschwörung steckt. Es ist ein männlicher Dämon, welcher ein Magielevel der Stufe A, vielleicht auch S besitzt. Jedoch ist diese Stufe nicht auf natürliche Weise entstanden. Er nutzt ein Artefakt, in das er die Seelen einsperrt. Dieses verleiht ihm auf eine uns unbekannte Weise Macht, die er nutzen kann. Zudem weiß er über mich und meiner Beteiligung an der Suche Bescheid." Er machte eine kurze Pause, wartete Gabriels Reaktion ab.
Der Erzengel blickte ihn ruhig an. „Welches Artefakt?"
„Das können wir nicht mit Sicherheit sagen. Lediglich, dass es vermutlich ein handgroßes Gefäß ist. Wir vermuten, es ist möglicherweise der Krug der Aletheia, doch das konnte noch nicht bestätigt werden. Wir vertiefen unsere Recherche diesbezüglich. Was bekannt ist, ist, dass er das Blut seiner Opfer nutzt, um sie einzusperren. Also ist es vermutlich unerlässlich", schloss Maze ab. Wie sie zu dieser Erkenntnis gekommen waren, verschwieg er.
Gabriel verschränkte die Arme. „Weshalb hast du mir für die vergangenen Tage nicht Bericht erstattet?" Waren diese Erkenntnisse neu? „Zudem, woher stammen die Informationen über den Dämon?"
Maze lehnte sich zurück. „Es gab ein Zusammentreffen zwischen ihm und mir, als ich in Begleitung von Lucifers Stellvertreter in der Hölle auf Spurensuche war. Es kam zu einem Kampf, infolgedessen ich für die vergangenen Tage unpässlich war." Eine nette Beschreibung für die zahlreichen gebrochenen Knochen. „Dabei tat er auch sein Wissen über meine Beteiligung kund."
Die Augen des Erzengels verengten sich. „Sind sie über deine Fähigkeiten und deren Herkunft im Bilde?" Als Maze den Kopf schüttelte, machte sich Erleichterung in Gabriel breit. Maze war sein Ass im Ärmel.
„Nein, doch dass ich eine Schlüsselrolle spiele schon", das verschwieg er Gabriel nicht. „Ist Euch etwas über Aletheia oder das Artefakt bekannt?"
„Nein, leider nicht. Michael ist derjenige, der den Kontakt zur göttlichen Sphäre führte. Dennoch wird dir vielleicht Neraniel weiterhelfen können. Er ist einer unser besten Historiker im Bereich Artefakte und der göttlichen Sphäre. Suche ihn auf und berichte mir von euren Erkenntnissen."
Maze nickte nur. Für ihn war das Gespräch zu Ende. Für Gabriel war es das nicht.
„Maziel, ist dir bewusst, dass du wie ein Leuchtfeuer leuchtest? Das jemand eine Warnung an dir angebracht hat?" Er hatte es offen formuliert, doch Gabriel wusste, dass diese von Lucifer stammte. Die anderen Engel sahen es vielleicht nicht, nur die mächtigen oder die, die ein feines Gespür für dämonische Magie hatten. Doch für ihn war es deutlich sichtbar, als wäre es eine Botschaft an ihn.
Maze legte den Kopf schief. „Und wenn? Das hat nichts mit meinem Auftrag zu tun", antwortete er knapp. Er wusste, dass es Gabriel sauer aufstieß.
„Bist du Lucifers Liebhaber?"
Kühle Augen blickten Gabriel an. Er konnte nichts in ihnen lesen. Wenn er die Wahrheit nicht schmecken könnte, wüsste er nicht, ob Maziel die Wahrheit sprach oder nicht. „Nein", sagte sein Diener.
„Was dann?" Gabriel konnte sich keinen Reim darauf machen. Tat Lucifer das, um ihn zu verärgern? Er beobachtete, wie Maze die Hand an seinen Kragen legte und diesen nach unten zog. Zum Vorschein kam der Halsreif und rote Spuren auf seinem Hals. Der Engel verzog keine Miene. Gabriels Gesicht verdunkelte sich.
„Sagt mir, was bin ich für den Höllenfürsten?"
Er hat ihm ein Halsband umgelegt. Dieser Reif markierte Maze als dessen Besitz, kein Zweifel. „Wem gilt deine Loyalität, Maziel?", fragte Gabriel mit kalter Stimme.
„Ich bin Euch loyal, solange bis der Auftrag erfüllt ist und ich aus Eurem Dienst entlassen werde. Ich diene Euch, wie ich auch dem Höllenfürsten diene, denn dafür habt Ihr mich entsendet. Es besteht kein Konflikt in dieser Hinsicht." Maze sprach die Wahrheit, oder zumindest das, was er für die Wahrheit hielt.
Gabriel gab einen abschätzigen Laut von sich. Die Wut flammte hell in ihm. „Dann bindet dich das Halsband nicht an den Dämon?"
„Nein. Denn sobald ich es abnehme, steht es mir frei zu gehen. Keine Verpflichtungen oder Bedingungen." Erneut die Wahrheit. Doch was galt, solange er es trug? Er war Lucifers persönliches Spielzeug, daran bestand kein Zweifel. Weshalb sich Maze darauf eingelassen hatte, war Gabriel schleierhaft.
„Weiß Lucifer über deine zweite Seite Bescheid?" Hatte er sein Ass verspielt? Hatte Lucifer deshalb so gehandelt?
Maze war mehr und mehr verärgert. „Nein. Er wird auch nichts davon erfahren." Niemals.
Der Erzengel lehnte sich vor. „Erkläre mir, weshalb du dann deine Familie verrätst und dich an einen Dämon verkaufst. Ist es die körperliche Befriedigung?" Mit was hatte Lucifer ihn gelockt, für sich gewonnen?
Ein kaltes Lachen erklang. „Familie? Die einzige Familie, die ich besitze, ist meine Mutter und diese wurde von der Engelschaft gefangen genommen und getötet. Ich bin ein Sonderling, der hier keinen Platz hat und auch niemals akzeptiert werden wird. Also maßt Euch nicht an, von Familie oder Heimat zu sprechen. Ich bin der Engelschaft nichts schuldig, ebenso wie Euch, wenn ich meinen Auftrag erledigt habe. Dasselbe gilt für die Dämonenschaft." Er war Lucifer nichts schuldig, doch im Gegensatz zu seiner Dienerschaft in Gabriels Diensten war er freiwillig bei Lucifer. Das alles würde er hinter sich lassen. „Sollte Euch der Gedanke kommen, mich hier erneut einzusperren, Lucifer erwartet mich in kurzer Zeit wieder in der Hölle", fügte er an. Eine unmissverständliche Warnung.
Gabriel knurrte. „Irre dich nicht. Noch behandelt er dich vielleicht gut, doch sollte er herausfinden, was du bist und wozu du im Stande bist, wird er dich nicht gehen lassen", erwiderte der Erzengel.
Maze stand auf, schaute diesem direkt in die Augen. Schwarzer Rauch wanderte über seine Haut, seine Augen wurden schwarz und die Iris weiß. „Ihr unterliegt dem Irrtum zu glauben, dass Lucifer mich einsperren kann. Er besitzt kein Druckmittel mir gegenüber und so dumm einen Vertrag mit ihm zu schließen, bin ich nicht – nicht mehr. Sollte er es versuchen, wird er Bekanntschaft mit dem Gott machen, der meine so verachtenswerte andere Hälfte zu verantworten hat." Seine Stimme war kalt.
Gabriel erwiderte nichts und Maze' ursprüngliche Gestalt kehrte zurück. Der Engel hatte sich verändert. Er zeigte keine Angst mehr.
Maze stand kurz vor Abschluss seines Auftrages, seine Freiheit war zum Greifen nah. Er würde sie nicht erneut durch einen dummen Fehler verlieren. „Wenn das alles ist, werde ich nun Neraniel aufsuche. Ich erstatte Euch Bericht, sobald ich weitere Erkenntnisse habe. Wenn Ihr mich entschuldigt." Erneut folgte nur eine leichte Neigung des Kopfes und der Engel trat zur Tür hinaus, nachdem er sich den Kragen wieder über den Reifen gezogen hatte.
Lucifer wird dich nicht bekommen. Maziel war zu wertvoll, als dass er in die Hände dieses Dämons fallen durfte. Gabriel waren die Hände gebunden, er musste den Engel gehen lassen, sobald er den Auftrag beendet hatte. Er durfte ihn nicht aufsuchen und kein Engel über ihn richten. Kein Engel, Maziel. Unterschätze mich nicht.
Ein Kribbeln setzte ein und Gabriel versteifte sich. So wie die Höllenfürsten und auch die anderen Erzengel hörte er es. Es war eine Stimme, verzerrt, doch deutlich. Sein Herz klopfte. In diesem Moment hatte sich etwas verändert – es war eine neue Prophezeiung geboren worden. Minuten später erhob er sich und machte sich auf den Weg. Michael hatte ein Treffen des Erzengelkaders einberufen.
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Die Lage spitzt sich langsam zu.
Wie stellt ihr euch Neraniel vor?
Was könnte Maze von dem Engel erfahren?
Eure Mausegöttin
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