
Kapitel 2
Bevor die Prophezeiung der Verdammnis erfüllt worden war, hatte es nur einen Anwärter gegeben – Aleksander. Doch dieser war zum Gott der Zeit aufgestiegen, würde nicht mehr diese Position bekleiden. Hat das Schicksal Aaron als Ersatz geschaffen? Aaron hatte dasselbe Schicksal erfahren wie Aleksander. Er war in die Hölle gekommen und als Engel wiedergeboren worden, gebunden an einen Dämon.
Asheron hatte tief genug gegraben und herausgefunden, dass Aleksander ein Mensch gewesen war und sein Tod seine engelhafte Seite, die versiegelt worden war, katalysiert hatte. Sie waren alle Zeugen von dieser geworden, als Telos zum ersten Mal in Erscheinung getreten war und der Engel über diese gerichtet hatte.
Weshalb versucht das Schicksal einen Erzengel hervorzubringen, wenn dieser die Position im Himmel nicht einnehmen kann? Lucifer würde Aaron niemals aus ihrem Vertrag entlassen. Dieser Engel würde bis zu seinem Tod nie die Weiten des Himmels erblicken.
Erzengel bekamen selten Nachwuchs und dass einer aus den Reihe der anderen Engel geboren wurde, dauerte Jahrhunderte. Das war auch der Grund, weshalb Lucifer, Michael und Raphael Brüder waren. Söhne zweier Erzengel, die ihre Position an sie übertragen hatten. Raphael hatte zwei Jahrhunderte später einen anderen Erzengel ersetzt, der den ewigen Schlaf aufgesucht hatte.
Nun stellte sich die Frage, würde ein weiterer Erzengel aus den Reihen treten und eine Position frei werden? Waren diese beiden Engel aus diesem Grund geboren worden? Das würde Lucifer im Hinterkopf behalten.
Er wusste nicht, ob einer der Erzengel seiner Position müde war, es hatte bei ihrem letzten Aufeinandertreffen nicht den Anschein gemacht. Sollte dies also nicht der Grund sein, musste es einen anderen geben. Einen Grund, weshalb ein Erzengel in der Hölle benötigt wird... In seinen Augen konnte das kein Grund sein, der in irgendeiner Weise positiv sein konnte. Das letzte Mal, dass die Position eines Erzengels neu besetzt worden war, war nach Lucifers Fall gewesen. Etwas braute sich zusammen, das spürte er und Aaron war nur ein kleines Rad im Getriebe des Unheils, das sie erwarten würde.
Sein Blick richtete sich wieder auf sein Kindred.
„Lucifer, ich kann keine Position im Himmel bekleiden. Das muss ein Irrtum sein", sagte dieser und senkte die Hand mit dem Engelsschwert. „Oder?"
„Nein, du liegst richtig. Du wirst niemals ein Erzengel werden, auch wenn es dir bestimmt ist." Für einen Moment sah er Erleichterung im Gesicht seines Kindred. Hat er befürchtet, er würde von Cypher getrennt werden? Aufs Neue faszinierte ihn das Konstrukt des Seelenbundes, das Aaron und Cypher verband. Auf eine solche Machtposition zu verzichten, um an der Seite eines anderen zu bleiben, erschloss sich ihm nicht.
Diese Gedanken werde ich niemals hegen, denn es wird kein Wesen geben, das mich jemals eine solche Situation durchleben lassen wird. Er war ein gefallener Engel. Sollte das Schicksal ihm wirklich ein Herz schicken, würde er es nicht erkennen, so wie dieses ihn nicht erkennen würde. Solange er keine aufrichtigen Gefühle für dieses verspürte, würde es sich ihm nicht offenbaren, und das würde niemals geschehen. Niemals würde wieder eine Person einen Platz in seinem Herzen bekleiden, denn dieses war mit seinem Fall zu Stein erstarrt.
Das Schwert begann zu leuchten und verschwand. Aaron blickte immer noch auf seine Hand. „Ich möchte, dass du die nächsten Monate den Umgang mit einem Schwert intensiv trainierst. Rufe es, wenn du in einer gesicherten Umgebung bist, doch niemand außer Cypher darf von der Manifestation deiner himmlischen Waffe wissen. Wenn davon etwas an die falschen Ohren gelangt, wirst du vielleicht der Nächste sein, der in den Himmel entführt wird." Keine netten Worte, das war nicht Lucifers Stil. Aaron musste wissen, womit er es zu tun hatte.
Sein Kindred nickte, dann verabschiedete er sich. Sie würden das Training aussetzen, bis die Inauguration des neuen Kommandanten abgeschlossen werden würde. Der Dämon, der Lillas Position übernommen hatte, legte diese nun ab. Er war Vater geworden und zog sich zurück.
Aaron kehrte nach Hause zu seinem Gefährten zurück und Lucifer schritt in den Garten, der im großen Innenhof seines Anwesens angelegt war. Es war wie ein großer Würfel errichtet, in dessen Mitte ein quadratförmiger freier Hof war, in dem sich der Garten befand. Geschützt vom Wind und der Hitze, die in seinem Reich herrschte.
Auch wenn ein Teil seines Reiches Wüste war, so gab es viele Orte, an denen der Boden sehr fruchtbar war. Sein Volk lebte vom Verkauf von Leuchtsteinen und Edelsteinen, mithilfe derer Magie gewirkt oder katalysiert werden konnte. Ihre Böden waren voll von diesen Schätzen und die Seelen ernteten diese für sie. So mangelte es ihnen nicht an Materiellem, sodass das Volk zufrieden war. Sein Reich war zwar kleiner als das der anderen Höllenfürsten, doch es lag strategisch günstig und hatte viele natürliche Schutzwalle – sei es in der Landschaftsform oder in Form von Wesen wie beispielsweise Geistern, die an dieses Reich gebunden waren. Sein Vertrag mit dem Himmel, die menschlichen Seelen zu läutern, erlaubte es ihm, diese Geister für seine Zwecke zu nutzen. Unter der Prämisse, sie würden Seelen vor der Flucht schützen, hatte er sie an die Grenzregionen gebunden.
Weshalb war es dann in letzter Zeit so unruhig? Die Magie war vor wenigen Monaten stark angestiegen, als hätte sie etwas ankündigen wollen. Was das war, wusste er nicht. Sie hatten die Quelle nicht ausfindig machen können.
Mit den Fingern lief er zu den Rosen, die im Zentrum erblühten. Seine Finger fuhren über die zarten Blütenblätter. „Das Schicksal spinnt erneut seine Fäden und dieses Mal schlingen sie sich um meine Gliedmaßen." Er hatte direkt eine Prophezeiung erhalten. Sein Späher hatte nach einem Wesen mit der Augenfarbe wie auf dem Stein suchen lassen, doch es war wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Ein Wind fuhr durch seine Haare. Eine Kälte breitete sich aus. Einen Herzschlag später hatte er sich umgedreht und ein Dolch, den er gezogen hatte, lag an der Kehle des Eindringlings, der es gewagt hatte, in sein Heim einzudringen. Wie er das getan hatte, war unerheblich, denn er würde nun einen grausigen Tod sterben. Dann blickte Lucifer in zwei Augen, die ihn innehalten ließen. Seine Augen weiteten sich. Die quecksilberfarbenen Augen spiegelten sich in seinen trüben Augen wider. Schwarze Haut, schneeweiße Haare. Es war Jahrhunderte her, doch er würde es niemals vergessen.
„Lucifer", erklang ihre Stimme. Die erste Stimme, die er nach seinem Fall gehört hatte. Finger legten sich an die Klinge, schoben sie sanft etwas zur Seite. „Es ist Zeit."
Zeit. Lucifer schwieg.
„Wer bist du?", flüsterte er.
„Das ist nicht von Belang, Lucifer. Du musst dich entscheiden. Entscheide dich zu leben, dann ermögliche ich dir deine Rache. Du wirst zu einem mächtigen Dämon, wirst dem höchsten Gott und deinem Bruder auf Augenhöhe begegnen. Niemand wird jemals wieder über dich richten, niemand wird auf dich herabsehen. Ich biete dir eine Macht, die andere niemals erlangen können."
Er war ein Höllenfürst, den Erzengeln ebenbürtig. Die Götter brauchten ihn, denn er erhielt das Gleichgewicht des Seelenkreislaufes aufrecht. Sie hatte recht behalten – er war unersetzbar und hielt eine Macht in den Händen, die er sich nicht hatte erträumen können. War sie nun gekommen, um den Preis dafür einzufordern?
„Ich bin nicht gekommen, um etwas von dir zu fordern. Ich bin gekommen, um dich zu warnen, Lichtbringer. Die Macht, die ich dir versprochen habe, wurde gefunden. Sie ist in den falschen Händen und wird missbraucht. Bald schon wird es zur Verschiebung des Gleichgewichts kommen und das gilt zu verhindern. Es darf nicht in ihren Händen bleiben, sondern muss in die Hände des rechtmäßigen Hüters gelangen."
Lucifer ballte die Faust. „Wovon sprichst du? Wer ist der rechtmäßige Hüter, Göttin?" Es bestand kein Zweifel, dass das Wesen vor ihm aus der göttlichen Sphäre entstammt. Niemand anderes wäre in der Lage gewesen, ihm entgegen der Strafe des höchsten Gottes seine Erinnerungen wiederzugeben.
Sie blickte ihn an. „Der Hüter ist die reine Seele, die die Wahrheit einfordert. Wappne dich, finde es und übergebe es an den rechtmäßigen Hüter. Dein Warten hat ein Ende, er wird zu dir kommen. Sein Schlaf findet ein Ende."
Wer?
„Du wirst lange warten müssen, Lichtbringer, doch dann wirst du einem Wesen begegnen, das dir etwas reichen wird. Das verspreche ich dir. Beschütze diesen Schatz, bis wir uns wiedersehen."
Bezog sich die Göttin auf die Worte, die sie damals gesprochen hatte? Bevor er sie fragen konnte, begann sie zu verblassen. Ihr Körper wurde zu Nebel, der von einem Windstoß hinfortgetragen wurde.
Lucifer starrte an die Stelle, an dem die Frau, die ihm das Leben gerettet hatte, gestanden hatte, dann blickte er in den Himmel. Ein Gefühl wanderte durch seine Brust und berührte die Stelle.
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Ein tiefer Atemzug füllte seine Lungen. Er spürte, wie sein Bewusstsein sich entfaltete, er aus dem Schlaf erwachte. Die Geräusche der Umgebung drangen an seine Ohren, das Gefühl des Untergrunds, auf dem er lag. Die Leichtigkeit des Schlafes fiel von ihm ab und er spürte die Schwere, die ihn befiel.
Es vergingen Minuten, bis seine Augenlider sich zum ersten Mal bewegten. Sie zuckten, waren noch nicht bereit sich zu öffnen. Er wollte nicht erwachen, wollte erneut in den Schlaf gleiten. Mühsam hob er die schweren Lider, sodass das Licht auf seine Augen traf. Sofort schloss er sie, denn sie waren seit über vier Jahren geschlossen gewesen.
Schritt für Schritt versuchte er die Augen ein Stück weiter zu öffnen. Weiße Wände umgaben ihn. Noch leicht benebelt blickte er an die Decke. Der Schlaf fiel von ihm ab und er wurde mit jedem Herzschlag klarer.
Der Versuch, seinen Arm zu heben, blieb erfolglos. Er spürte seine Muskeln nicht, als würden sie noch schlafen. Mit Mühe drehte er den Kopf etwas, blickte zur Seite. Er lag auf einem Bett mit weißen Leinen und einem grauen Bettkasten. In diesem Moment wusste er, wo er sich befand.
Habe ich versagt? Seine Erinnerung war verschwommen und schien wirr. Was war geschehen? Wie war er hierher gelangt?
Schritte erklangen und die Tür öffnete sich. Er sah nur den Unterkörper des Engels, der hereintrat. „Er ist wach, holt schnell den Fürsten", sagte dieser und Schritte entfernten sich. Ein zweiter Engel war fortgeeilt.
Nach einigen Minuten erklangen die Laute von zwei Paar Schritten, doch nur eines betrat den Raum. Stumm schaute er immer noch zu der Wand, hob den Blick etwas um dem Engel ins Gesicht zu schauen.
„Du bist endlich erwacht, Maziel", erklang die Stimme, in der die Macht eines Erzengels mitschwang, denn das war dieser Mann vor ihm.
Maziel schwieg. Gabriel lief zu ihm und setzte sich auf einen kleinen Stuhl, der neben dem Bett gestanden hatte. Sein Blick fiel auf den Engel vor sich, der vier Jahre geschlafen hatte. Maziel war nach dem Kampf im Limbus in einen tiefen Schlaf gefallen, nachdem er vom Rand des Todes zurückgeholt worden war. So lange hatte er gewartet, dass er erwachte – der Spion, den er damals dorthin entsendet hatte.
Wie seine Heiler es vorhergesagt hatten, war er noch vom Schlaf gelähmt, würde Zeit brauchen, bis er seinen Körper wieder uneingeschränkt würde bewegen können. „Werde gesund, Maziel, dann werden wir erneut sprechen."
Der Erzengel erhob sich und verließ das Zimmer. In Maziels Blick stand tiefe Abneigung. Er war hier, dem Ort, den er mehr als alles verachtete.
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Lucifer wird von seiner Vergangenheit eingeholt.
Was könnte die Fremde gemeint haben?
Was könnte Gabriel vorhaben?
Eure Mausegöttin
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