Kapitel 19
Maze nutzte die Zeit bis zum Abendmahl, um seine Gedanken und Vermutungen zu ordnen. Wenn er richtig lag, wären sie der Lösung des Rätsels einen Schritt näher und er damit seiner Freiheit.
Ein Diener rief ihn zum Abendmahl und er begab sich in Richtung des Speiseraums, in dem er bereits einmal mit dem Höllenfürsten gespeist hatte. Die Erinnerung kam auf und er atmete tief ein und aus. Seit dem Essen hatte sich etwas geändert. Maze hatte Einblick in das Wesen des Höllenfürsten erhalten, hatte seinen Körper mit ihm geteilt. Die Distanz, die zum damaligen Zeitpunkt geherrscht hatte, hatte sich verringert.
Maze wusste, dass die Offenbarung seines Aufstiegs und seiner Nacht mit Lucifer etwas geändert hatten, das war ihm klar geworden. Nur konnte er sich keinen Reim darauf machen, weshalb Lucifer sich so widersprüchlich verhielt. Im einen Moment war er ihm näher, als jeder andere, im anderen waren sie weiter entfernt als Fremde. Diese Spielchen war Maze leid, auch die Gedanken, die immerzu in die Richtung des gefallenen Engels mit den trüben Augen wanderten.
Konzentriere dich ganz auf deine Aufgabe und du kannst all das hinter dir lassen.
Er betrat den Speiseraum, in dem Lucifer bereits saß. Maze sah, dass er frische Kleidung trug und auch sämtliche Spuren des Kampfes verschwunden waren. Das weiße Hemd schmiegte sich an seinen Oberkörper und die schwarze Hose unterstrich seine Eleganz. Ihm brannte es auf der Seele, den Dämon nach seiner Beziehung zu dem Engel zu fragen, doch er war sich sicher, dass er keine Antwort erhalten würde.
Trübe Augen blickten ihn an. „Willkommen zurück, verehrter Gast. Ich hoffe, du hattest einen angenehmen Aufenthalt im Himmel. Mit Sicherheit hattest du viel Zeit, dich mit Gabriel auszutauschen."
Maze klappte der Mund auf. Was zum Himmel...? Er saß keine Minute am Tisch und er wurde unfreundlich empfangen. Ist er eingeschnappt? Das konnte Maze bei bestem Willen nicht sagen, außer dass der Mann ihm gegenüber gerade deutlich Missfallen verspürte.
Lucifer blickte den schwarzhaarigen Engel an, der ihn nur anstarrte und schwieg. Mit seiner Begrüßung hatte er Maze provozieren wollen, doch das war nur ein Teil der Wahrheit. Seit Aaron dem Engel nahegekommen war, war er unruhig und das hatte seine Laune verschlechtert. Vor allem dessen ausweichendes Verhalten. Maze schien durch seine Finger zu gleiten wie Wasser, er bewegte sich außerhalb des vorgegebenen Rasters. Was wirst du antworten?
„Wollt Ihr einen Bericht, was ich im Himmel getan habe? Das wird jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen und ist unserer Aufgabe nicht dienlich." Kühle Worte. Dann fügte Maze hinzu: „Wenn es Euch gekränkt hat, dass ich gegangen bin, nachdem ich eine Nachricht hinterlassen habe, dann werde ich mich in Zukunft persönlich bei Euch abmelden."
Worte, scharf wie eine Klinge. Lucifer spürte ein wildes Gefühl, denn die waldgrünen Augen hielten seinem Blick stand. Er wusste genau, worauf Maze anspielte. Anstatt jedoch auf die Provokation des Engels einzugehen, legte er den Kopf schief und verschränkte die Arme. „Genug Spielchen. Ich hoffe, dein Ausflug war nicht umsonst."
Spielchen? Lucifer hatte damit begonnen. Unglaublich. Weshalb rieb es ihn so auf? Gabriels Provokation war weitaus schlimmer gewesen und doch hatte sie nicht ansatzweise eine solche Wirkung wie Lucifers Worte gehabt.
Maze legte seine Hände auf den Tisch. Bevor er jedoch sprechen konnte, brachte ein Diener den ersten Gang. Er wartete, bis dieser gegangen war. „Ich habe eine Theorie, die die Ungereimtheiten beim Verschwinden der Seelen erklären könnte", begann er und wartete darauf, dass Lucifer ihm bedeutete fortzufahren.
Der Höllenfürst nahm das Besteck in die Hand und seine Haltung wie auch sein Ausdruck wurden ruhig und sachlich. „Erläutere mir diese."
Der Engel nickte. „Das Verschwinden der Seelen könnte mithilfe eines Artefakts erfolgen. Sie könnten in dieses eingesperrt und fortgebracht worden sein. Dies würde mit der Beschreibung der Seele übereinstimmen, dass die Entführer einen Gegenstand in der Hand hielten, der jedoch keine Waffe war. Was, wenn es eine Art Behältnis war, das mächtig genug
ist, eine Seele darin zu beherbergen? Dann würden sämtliche magische Spuren, die sie hinterlassen, mit ihnen verschwinden." Vorausgesetzt, es gab ein solch mächtiges Gefäß.
Lucifer blickte Maze an. Ein Gefäß, in dem Seelen beherbergt werden können? Das ergab in jeglicher Hinsicht Sinn. Wenn es ein Gefäß war, dessen Inneres von der Hölle entkoppelt war, dann würden sie für Lucifer nicht auffindbar sein. Die Frage war nur, gab es so etwas? „Was hat deine Recherche diesbezüglich ergeben?" Vielleicht lieferte der Engel ihm die Antwort auf die Frage.
Maze legte das Besteck zur Seite. „Ich habe einige Tage in der göttlichen Bibliothek verbracht und nach einem solchen Artefakt recherchiert. Es muss etwas sein, das sowohl im Himmel als auch in der Hölle wirksam ist. Somit ist es vermutlich nicht rein dämonisch oder himmlisch. Jedoch musste ich einsehen, dass ich die Menge an Information nicht alleine sichten kann, das würde zu viel Zeit beanspruchen. Also erbitte ich um Hilfe bei der Sichtung der Bücher", schloss er ab.
Der Engel hatte möglicherweise eine Spur, die sie den Tätern näherbringen konnte. Wenn er damit recht hatte, dann ergab sich jedoch ein Problem von beträchtlichem Ausmaß, das sie bisher nicht im Blick hatten. Wenn sie mehrere Seelen einsperren und transportieren können, dann könnte das nicht nur auf Seelen beschränkt sein. Sie könnten auch lebende Wesen einsperren.
„Stellt sich nur die Frage, wo sind die Seelen, die sie gesammelt haben? Wenn sie alle nach wie vor in dem Gefäß sind, dann-"
„Haben wir ein Problem, das unsere beide Köpfe kosten könnte", sagte Lucifer mit dunkler Stimme.
Maze schluckte.
Lucifer beendete sein Essen und lehnte sich zurück. Die Sache verlief in eine Richtung, die ihm ganz und gar nicht gefiel. „Ich schicke dir Unterstützung." Doch als der Engel Anstalten machte, sich zu erheben, hob er die Hand und bedeutete ihm, sitzen zu bleiben. „Du hast meine ursprüngliche Frage nicht beantwortet, Maze."
Verwirrt schaute Maze den Dämon an. Was meint er? Er hatte nur von seiner Abwesenheit gesprochen und... Gabriel. Das kann er nicht meinen. „Ich habe Gabriel über meine Theorie noch nicht in Kenntnis gesetzt. Zudem hatten wir nur eine kurze Unterhaltung."
Kurze Unterhaltung. „Hat er dich freudig empfangen?"
Es dauerte einen Moment und Maze verstand, worauf der Höllenfürst anspielte. „Wenn Ihr darauf anspielt, ob er sich nach Euch erkundigt hat, dann bejahe ich es. Er fragte, ob ich Euer Betthäschen sei." Eine kurze Pause erfolgte. „Doch keine Sorge, ich habe verneint. Der Höllenfürst des Reiches der Verdammten Seelen misst mir keinen solchen Stellenwert bei."
Ein Knurren erklang und Maze spürte den glühenden Blick, der in den trüben Augen stand. Er wusste, dass er Lucifer damit provoziert hatte, doch dieser hatte es herausgefordert. „Ich formuliere es höflich. Bitte haltet mich beide aus irgendwelchen Machtspielchen untereinander heraus." Der Prellbock zwischen einem Erzengel und einem Höllenfürsten zu sein, war das Letzte, was Maze wollte. Es war lächerlich, denn er hatte keinen Stellenwert, der das in irgendeiner Weise rechtfertigen würde.
Anstatt ihm zu antworten, hob Lucifer eine Hand. Die Tür öffnete sich und eine Dämonin trat ein, die ein rotes Kissen mit einem schwarzen Kästchen trug. Sie hielt vor Maze und hielt ihm dieses entgegen.
„Ein Geschenk", sagte Lucifer.
Misstrauisch blickte Maze das Kästchen an und nahm es von dem Kissen. Vorsichtig stellte er es vor sich und die Dämonin verließ den Raum.
„Öffne es." Ein klarer Befehl.
Maze' Finger legten sich an das arabesk geschwungene Schloss und öffnete es. Mit einem Klicken öffnete sich der Deckel und gab die Sicht auf das Innere frei.
Lucifer beobachtete den Engel, ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. Dieser starrte auf den Gegenstand vor sich, die Lippen leicht geöffnet. Es dauerte einige Momente, bis dieser den Blick hob und ihn anschaute. Die Lippen schlossen sich, ohne dass ein Laut hervorgekommen war. Minuten der Stille vergingen.
Maze wusste nicht, wie er reagieren sollte. Seine Finger schlossen das Kästchen. Wenn er es stehen ließ, würde er Lucifer beleidigen, doch er brachte keinen Laut über die Lippen. Er nahm es einfach an sich und stand auf. Wortlos ging er, denn hätte er auch nur ein Wort gesagt, hätte er sich von seinem Kopf verabschieden können. Der Höllenfürst ließ ihn einfach gehen.
Ich warte auf deine Antwort, Maze.
In seinem Zimmer angekommen, legte Maze das Kästchen mittig auf das Bett und setzte sich im Schneidersitz vor dieses. Erneut öffnete er es und starrte auf den Inhalt.
Innerhalb des Kästchens lag auf einer samtigen, roten Auskleidung ein Reif – genauer gesagt ein Halsring aus Gold. In diesen waren silberne Elemente eingearbeitet und Smaragde, deren Farbe ihn an seine eigene Augenfarbe erinnerten. Direkt gegenüber gab es zwei runde Scheiben aus Muscheln, in die der Buchstabe L eingraviert war.
Dieses Schmuckstück war vermutlich ein Vermögen wert und es sprach nur eine Sprache: „Ich gehöre L." Wer dieser L war, stand außer Frage. Er spürte es, einen Teil von Lucifers Magie war eingeschlossen, ließ keinen Zweifel daran.
„Ist er nicht mehr bei Sinnen?"
Nach wie vor starrte Maze auf das Schmuckstück, dann klappte er den Deckel wieder zu. Nach der Verwirrung stiegen nach und nach unterschiedlichste Emotionen empor. Zunächst Wut. „Erst-" holst du mich in dein Bett, „dann-" verschwindest du ohne ein Wort zu sagen, lässt mich Tage warten, „um dann-" den verstimmen, geprellten... „Hölle!"
Die Wortfetzen kamen mit einem Nachdruck und Feuer, dass er am liebsten das Kästchen genommen und gegen die Wand geworfen hätte. „Was bin ich eigentlich für dich?", fügte er in Rage hinzu. Ein Spielzeug, das man wegwerfen kann? Eine Laune?
Er schüttelte den Kopf und wurde ruhiger, atmete tief aus und ein. Nein. Er wusste, dass er das nicht war. Die ganze Situation wuchs ihm über den Kopf. Lucifer hatte ihm nie signalisiert, dass er mehr von ihm wollte, als seine Gesellschaft. Der Dämon hatte ihn auch nicht in sein Bett gezwungen oder ihm etwas versprochen.
„Ich habe es nicht nötig, andere in mein Bett zu zwingen, Maze, auch wenn du mich reizt."
Langsam ließ er sich zurücksinken. Du misst mit falschen Maßstäben. Lucifer war einer der mächtigsten Dämonen der Hölle. Seine Auswahl an Partnern war unbegrenzt. Ansprüche auf einen solchen Mann zu stellen, war einfach unsinnig. Er hielt inne. „Ansprüche?", murmelte er. Wie konnte ihm ein solcher Gedanke überhaupt kommen? Maze war gekommen, um einen Auftrag zu erledigen, nicht um der Liebhaber oder sonst etwas von Lucifer zu werden.
Herzschläge vergingen. Auweia. Der Nebel in seinem Kopf schien sich etwas zu lichten, die Erkenntnis trat zutage. Die Erkenntnis, weshalb es ihn verletzt hatte, dass Lucifer gegangen war. Ich habe mich zum ersten Mal jemandem anvertraut. Er hatte diesem Dämon die Kontrolle in die Hand gegeben und er hatte sie nicht missbraucht. Lucifer hatte genau das getan, was Maze gebraucht und auch zugelassen hatte – nicht mehr und nicht weniger.
„Kontrolle und das Abgeben von dieser muss nichts mit Schmerz oder Unterordnung zu tun haben."
Maze biss sich auf die Unterlippe und drehte sich auf die Seite.
„Ich gehöre nur mir", flüsterte Maze.
Ein Lächeln wanderte auf die Lippen des Höllenfürsten. „Das stand nie zur Diskussion."
Ich habe mich wohl bei ihm gefühlt, frei. Die Last, die seit dem Tag seiner Wandlung auf ihm gelastet hatte, war für einige Stunden verschwunden und stattdessen hatte er in einem Hoch geschwelgt, das er noch nie erlebt hatte. Unterbewusst hatte er sich erhofft, dies erneut zu erleben, doch der Dämon hatte nur Leere hinterlassen. Eine Leere, die ihm erneut vor Augen geführt hatte, wie sehr er sein Leben verachtete.
„Es ist nicht seine Schuld", flüsterte er. Lucifer trug keine Schuld an all dem. Seit wann lässt du dich von Emotionen leiten? Maze sollte es besser wissen. „Er hat nie gesagt, dass es mehr als diese Nacht sein würde." Keine Versprechen, die gebrochen wurden. Ein bitteres Lachen entkam ihm und er drehte sich wieder auf den Rücken. Seine rechter Handrücken wanderte über seine Augen.
„Wunderschön. Ich habe noch nie solch schöne Flügel gesehen." Die Worte erschütterten Maze, doch bevor er antworten könnte, spürte er, wie Lucifer über den oberen Flügelbogen seines rechten Flügels strich.
Lucifer hatte ihn nie belogen. Er hatte immer das gemeint, was er gesagt hatte, hatte kein falsches Spiel gespielt. Deine nicht erzwungene Ehrlichkeit hat mich unvorsichtig werden lassen. Der Dämon hatte all das freiwillig gesagt, nicht aus Zwang. Das war der Grund, weshalb er diesen Worten so viel mehr beimaß als die eines jeden Engel.
Ruhe überkam ihn, denn zum ersten Mal seit langem hatte Maze das Gefühl, klar zu sehen. „Nun stellt sich jedoch die Frage, was bin ich für dich, Lucifer?" Erneut die Frage, doch nun nicht mehr in Rage ausgesprochen. Der Höllenfürst hielt sich an keine Muster, Verhaltensregeln. Im einen Moment distanzierte er sich, im anderen äußerte er wütende Worte in der Bibliothek. Nun dieses Geschenk. „Was willst du mir damit sagen?" Weshalb sprach dieser Mann keine klaren Worte, sondern ließ ihn mit all den Fragen alleine? Sollte er ihn fragen?
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Ein Geschenk, das alles verändert.
Was wird Maze mit dem Geschenk tun?
Was könnte in Nix' Brief stehen?
Eure Mausegöttin
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