7. Kapitel
Nach der Schule endlich alleine in dem Appartement zu sein, dass mir mein Vater für meinen Aufenthalt auf der Erde zur Verfügung gestellt hatte war eine wahre Wohltat. Fernab von all den Menschen, die ihre Gedanken geradezu in die Welt hinausschrien, erlaubte ich es mir das erste Mal meinen abschirmenden Schleier fallenzulassen.
Doch mehr an Entspannung konnte ich mir nicht leisten. Stattdessen öffnete ich einen Laptop, um ein wenig Recherche zu betreiben. Natürlich konnte ich nicht erwarten unter dem Begriff "Aquaelibritae" einen Wikipediaeintrag zu finden, aber vielleicht würden mich ja Zeitungsartikel über ungewöhnliche Vorkommnisse auf eine Spur bringen. Denn wenn ich die Erklärung von meinem Vater richtig verstanden hatte, waren die Aquaelibritae diejenigen, die für das Gleichgewicht der Erde sorgten. Also waren Naturkatastrophen, schreckliche Unfälle oder andere Dinge, die die Welt aus dem Gleichgewicht brachten, wohl die Ansätze, die mich am ehesten zu meiner Zielperson führten. Und da ich davon ausging, dass mein Vater sich wahrscheinlich schon etwas dabei gedacht hatte, mich ausgerechnet in diese Gegend zu schicken, hatte ich auch einen ungefähren Radius, auf den ich meine Suche einschränken konnte.
Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich also damit mich in die Geschichte von Corfield einzuarbeiten, was mich aber kaum weiterbrachte. In dieser Stadt existierten zwar viele Legenden, die sich um verschieden Orte rankten, dich alle liefen in verschiedene Richtungen, ins Leere und widersprachen sich gegenseitig. Als ich schon dazu geneigt war, den Laptop einfach zuzuklappen und für heute aufzugeben, stieß ich doch noch auf einen Zeitungsartikel, der mein Interesse erweckte.
Familie verunglückt unter mysteriösen Umständen – Ursache bisher ungeklärt
Auf der Straße zwischen Corfield und Wildedale verunglückte ein Auto. Für den Fahrer (38) und die Beifahrerin (36) kam jede Hilfe zu spät. Nur die Tochter (5) konnte aus dem Auto geborgen werden. Jedoch sind jegliche Erinnerungen an den Tag bei ihr wie ausgelöscht. Die Art des Todes gibt der Polizei ein Rätsel auf. Weder Bremsspuren, noch der Zustand des Autos weist auf einen Unfall hin. Das Auto ist in einem völlig tadellosen Zustand. Auch Fremdeinwirkung durch Menschen ist ausgeschlossen, da keinerlei fremde DNA im Auto nachgewiesen werden konnte. Medizinisch ist auch keine Ursache festzustellen, die den Tod erklären könnte. Weitere Ermittlungen werden im Moment eingeleitet. Bei Hinweisen wenden sie sich bitte an die örtliche Polizeistelle.
Mein Interesse war erwacht. Ich warf einen Blick auf das Veröffentlichungsdatum und stellte fest, dass dieser Unfall sich erst vor 12 Jahren ereignet hatte. Das bedeutete, dass die Tochter jetzt etwa 17 Jahre alt sein musste und mit etwas Glück noch hier in der Nähe lebte. Ich versuchte noch etwa eine halbe Stunde erfolglos den Namen von dem Mädchen herauszubekommen, aber schließlich gab ich es auf und klappte den Laptop zu. Ich war trotzdem zufrieden mit den Ergebnissen und nahm mir vor mich mal in der Stadt umzuhören. In einer Kleinstadt wie dieser wurde der Tratsch am besten immer noch mündlich weitergegeben. Sonst konnte ich auch immer noch einen Sucherdämon darauf ansetzen.
Meine Zufriedenheit bekam jedoch einen jähen Dämpfer, als ich den Kühlschrank öffnete und mir gähnende Leere entgegenschlug. Natürlich. Hätte ich mir eigentlich denken können, dass mein Vater sich nicht die Mühe gemacht hatte sich darum zu kümmern. Wäre ich jetzt zuhause gewesen, wäre das kein Problem gewesen. Ein Gedanke reichte um den Kühlschrank zu füllen. Doch auf der Erde forderte jede Magie einen Gegenpol. Im Endeffekt würde mich die Aktion also mehr Energie kosten, als ich durch die Nahrung wieder reinholen würde. Wer auch immer behauptete, der Teufel und Gott wären allmächtig, hatte keine Ahnung von Physik. Seufzend schloss ich den Kühlschrank wieder. Ich musste wohl oder übel einkaufen gehen.
Ich hatte meinen Einkauf gerade beendet, da wurde ich einer Präsenz gewahr, die ich nun wirklich nicht hier erwartete hätte. Das hatte mir gerade noch gefehlt! Ich bog um die Ecke und tatsächlich: Ein Erzengel. Erzengel waren so ziemlich die nervigsten Wesen, die je erschaffen wurden und ihre einzige Fähigkeit bestand darin einen zu Tode zu langweilen. Als er sich umwandte, erkannte ich auch welchem der sieben Erzengel ich gegenüberstand. Raphael.
"Na, sieh mal einer an, wer da der Erde einen Besuch abstattet. Wenn Gott einen seiner Erzengel schickt, muss es ja wirklich was Wichtiges sein. Wie ich sehe bist du aufgestiegen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe. Bist du genug Leuten in ihren Träumen erschienen?", stichelte ich und nickte der Tätowierung in seinem Nacken zu, die seine Rangbezeichnung verriet. Doch Raphael ließ sich natürlich nicht auf meine Stichelei ein. "Lucifer, wie immer eine Freude dich zu sehen", erwiderte er stattdessen kühl. "Und du weißt ziemlich genau warum ich auf der Erde bin".
Langsam stellte ich meine Einkaufstaschen auf den Boden ab und verschränkte meine Arme vor der Brust. "Also ich bin wegen dem Deal hier, den mein Vater damals mit deinem Boss ausgehandelt hat. Aber soweit ich mich erinnere, war keine Einmischung der anderen Seite Teil dieses Vertrags, oder nicht?", stellte ich mich dumm.
"Als ob dein Vater sich an diesen Teil gehalten hätte. Glaubst du ernsthaft wir wüssten nicht, dass Judas einen Deal mit euch ausgehandelt hat?", antwortete er und Verachtung spiegelte sich in seinen Zügen.
"Aber deswegen bin ich nicht hier. Es dreht sich nicht alle Welt um dich. Du weißt genauso gut wie ich, dass die Aqualibrita aus der Prophezeiung bald das Alter erreicht hat, in dem ihre Kräfte den Höhepunkt erreichen".
Ach ja? Wusste ich das? Natürlich nicht, weil mein Vater mir mal wieder nur das Nötigste erzählt hatte. Aber das würde ich natürlich jetzt nicht verraten. "Und ich bin hier um den Krieg zu verhindern, den dein Vater mit Sicherheit anzetteln wird, sobald du die Aqualibrita auf deine Seite gebracht hast. Aber das muss ich dir ja nicht erklären. Ich bin sicher dein Vater hat dir seine Pläne schon bis ins kleinste Detail dargelegt, nicht wahr?". Ein provozierendes Funkeln war in seinen Augen erschienen und mein Kiefer zuckte leicht, als ich meine Zähne aufeinanderbiss. Trotzdem setzte ich mein breitestes Grinsen auf und antwortete: "Jep. Ich bin genauso in die Pläne meines Vaters eingeweiht, wie du in den großen Plan des Allmächtigen".
Was er konnte, konnte ich schon lange. Ich sah, wie sich sein Gesicht kurzzeitig verschloss, bevor er eine überlegene Miene aufsetzte. "Niemand kennt den Plan des Herrn, aber nichts geschieht ohne Grund," verkündete er in einem salbungsvollen Tonfall, doch ich war immun gegen diese Art von Gerede. "Meine Güte Raph, hast du das aus der Bibel auswendig gelernt oder hat er dir höchstpersönlich diese Worte in den Mund gelegt?". Ich hielt kurz inne, um die Wirkung der folgenden Worte zu maximieren: "Ach, stimmt ja, du hast ihn noch nie wirklich gesehen. Mein Fehler".
Seine Überlegenheit bröckelte und Genugtuung machte sich in mir breit.
Ich nutzte die kurze Gesprächspause, um meinen Blick einmal kurz durch meine Umgebung schweifen zu lassen. Wir befanden uns in einer relativ verlassenen Wohngegend. Die belebten Straßen der Kleinstadt hatte ich schon eine Weile hinter mir und die Häuser standen in immer größer werdenden Abständen voneinander entfernt. Etwa zehn Meter vor mir ragte ein riesiges Anwesen in die Höhe. Bröckelnder Putz, abgefallene Dachschindeln und die Risse in den Wänden ließen es aussehen, als würde es dem nächsten Sturm nicht standhalten. Und dieser schien in Anbetracht der Gewitterwolken, die sich über uns immer dichter zusammenballten nicht mehr so weit entfernt zu sein. Mein Blick fiel auf die Engelsstatuen, die die Villa stützten und glitt von da aus wieder zurück auf den blonden, blauäugigen Erzengel der vor mir stand. Zwischen den Statuen und ihm ließ sich wirklich eine gewisse Ähnlichkeit feststellen. Die gleichen welligen Haare, eine ähnliche Statur und der gleiche selbstgefällige Gesichtsausdruck. Ich nickte zu der Villa hinüber.
"Ich gehe mal davon aus, dass das dein Absteigeort ist?", sagte ich, wobei ich es halb wie eine Frage klingen ließ. Raphael folgte meinem Blick und nickte dann. "Wieso fragst du? Neidisch?", fragte er spöttisch. "Warum auch ein Klischee auslassen, wenn man alle mitnehmen kann?", murmelte ich halblaut, ohne auf seine Frage einzugehen. Dann nahm ich die Einkaufstasche, die ich auf dem Boden abgestellt hatte wieder hoch und warf sie mir über die Schulter. "Wie auch immer, Raph. Ich habe jetzt noch Wichtigeres zu tun. Du weißt ja, mein Vater möchte, dass ich ihm ein paar Seelen als Souvenir von der Erde mitbringe", sagte ich und warf ihm ein ironisches Zwinkern zu. "Man sieht sich". Mit einer lässigen Handbewegung, ging ich an ihm vorbei.
"Mein Name ist Raphael", zischte der Erzengel jetzt verärgert. "Und wir beide sind noch nicht fertig!".
Das mit der Engelsgeduld war wohl doch eine Metapher, die in der Realität nicht zutraf. Ein Grinsen erschien auf meinen Lippen und ich drehte mich nochmal um, um etwas zu erwidern. Doch in diesem Moment öffnete der Himmel ruckartig all seine Schleusen und der Regen prasselte auf uns nieder. Blitzschnell waren wir beide klitschnass. Ich stöhnte genervt. "Du kannst dem Typen da oben sagen, nur weil ich auf der Erde bin, ist das noch lange kein Grund gleich eine neue Sintflut zu schicken". Ein Blitz zuckte über den Himmel und erhellte für den Bruchteil einer Sekunde Raphaels wahre Gestalt, sodass sein Schatten mit Flügeln hinter ihm zu erkennen war.
Das war ein kosmischer Nebeneffekt, dessen Sinn ich bis heute nicht verstanden hatte. Gewitter waren Katalysatoren für alle Himmels – und Dämonenwesen, was bedeutete, dass sie uns nicht nur Macht auf der Erde verliehen, sondern auch Teile von unserer wahren Erscheinungsform sichtbar machten. Nicht umsonst gab es so viele Gemälde und Bilder, die uns vor Hintergrund eines Gewitters zeigten. Zum Glück waren Menschen so gut darin, alles wegzurationalisieren, was nicht in ihren beengten Verstand passte, dass in den meisten Fällen nicht wirklich jemand an das glaubte was er gesehen hatte. Aber warum dieses Risiko eingehen, wenn man Himmel und Hölle vor den Menschen geheimhalten wollte?
Als wäre die ganze Szenerie nicht schon klischeehaft genug, breitete Raphael tatsächlich in diesem Moment seine Flügel aus, warf mir noch einen scharfen Blick zu und sagte: "Wir sehen uns morgen!". Dann stieß er sich vom Boden ab und flog in Richtung seiner Villa. Da ich mich weigerte, wie der letzte Idiot stehenzubleiben, ihm nachzuschauen und über seine letzten Worte nachzudenken, bekam ich nicht mehr mit was sich in meinem Rücken abspielte. Vielleicht hätte dieser Moment den Lauf der Dinge ändern können. Stattdessen brachte er einen Stein ins Rollen, der eine Kettenreaktion kosmischen Ausmaßes verursachte.
Doch all das konnte ich nicht wissen, als ich klitschnass in mein Appartement kam. Ich stellte die Einkäufe auf den Tisch und eilte ins Bad um mich umzuziehen. Mein Blick blieb am Spiegel hängen. Meine normal schon dunklen Augen, waren vollkommen schwarz. Nicht der winzigste Funken Leben, war darin noch zu erkennen. Die feinen Äderchen, die mein Gesicht durchzogen, waren ebenfalls schwarz gefärbt. Als hätte jemand ein Fässchen schwarze Tinte in mein Blut gekippt, die sich jetzt wie ein Gift langsam in meinem Körper verteilte. Doch ich wusste es besser. Ja, das Gewitter war ein Katalysator für meine Kräfte und konnte auch mein Erscheinungsbild geringfügig verändern. Aber dieses Ausmaß an Veränderung konnte nur bedeuten, dass die Welt gerade eine Erschütterung ihres Gleichgewichts erfahren hatte. Die Aquaelibritae war also im Spiel. Jetzt blieb nur noch die Frage, wer schneller war. Raphael oder ich. Himmel oder Hölle. Leben oder Tod. Schwarz oder Weiß. Die Menschen hatten viele Ausdrücke um Gut und Böse zu definieren. Dabei war auch das nur ein selbstgeschaffenes Konstrukt, in dem sie sich gefangen wähnten. Ich atmete tief ein und schloss meine Augen, um meine Erscheinungsform wieder unter Kontrolle zu bringen. Als ich sie wieder öffnete war mein Blick wieder klar und meine Entschlossenheit gestärkt. Ich würde die Aquaelibritae finden und auf meine Seite bringen. Und dann würde ich dabei zusehen, wie sie und ihre Welt in Flammen aufgingen!
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So, nochmal ein Kapitel aus Lucas Sicht 😊
Na, was haltet ihr von unserem neuen Mitspieler? Ich glaube das wird noch interessant haha
Ob Luca wohl das Mädchen aus dem Zeitungsartikel findet? 🤔
Auf das nächste Kapitel freue ich mich wieder extrem , muss ich sagen 😅.
An die von eich dir selbst schreiben, seid ihr eigentlich eher Plotter oder Pantser? Ich muss zugeben, dass ich eigentlich eher Pantser bin 😆
So, zuletzt hoffe ich dass alle die wie ich gestern ihr Zeugnis bekommen haben zufrieden sind und ich wünsche allen schöne Sommerferien ❤
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