5. Kapitel
Da ich noch keinen eigenen Schlüssel für die Tür hatte, konnte ich mich nicht einfach reinschleichen und so wurde mir die Tür von einer strahlenden Najuma geöffnet. Das ganze Haus duftete nach Essen, woran man deutlich merkte, dass sie sich die Mühe gemacht hatte richtig zu kochen, weshalb ich mich schlecht direkt nach oben verdrücken konnte. Langsam ließ ich meinen Rucksack von meinen Schultern gleiten, während ich überlegte, wie ich mich aus dieser Situation herausmanövrieren konnte, doch mir fiel nichts ein. Mit einem geschlagenen Seufzen folgte ich Najuma in die Küche, wo mehrere Töpfe auf dem Herd standen, aus denen mir bereits der verführerische Duft von Chili entgegenschlug.
Der Tisch war bereits gedeckt und die ganze Szene hatte etwas Anheimelndes. Im Gegensatz zu der Familie, in der ich vorher gelebt hatten, war diese Küche nicht mit allerlei topmodernen Gerätschaften ausgestattet, die zu jeder Zeit blitzsauber glänzten, als würde sie nie jemand gebrauchen. Dieser Küche sah man an, dass hier mit Liebe gekocht wurde und überraschenderweise fühlte ich mich auf Anhieb wohl. Zögerlich ließ ich mich auf einen der Stühle fallen und wenig später stellte mir Najuma einen dampfenden Teller mit Chili und Reis vor die Nase. Als sie meinen misstrauischen Blick bemerkte, sagte sie fröhlich: "Keine Sorge, ich weiß, dass du Vegetarierin bist. Das ist Chili sin Carne. Du kannst es also ruhig essen!".
Wie aufs Stichwort gab mein Magen ein lautes Knurren von sich und Najuma lachte, bevor sie sich ebenfalls zu mir setzte. "Ich dachte wir könnten dieses Mittagessen vielleicht dazu nutzen uns ein bisschen besser kennenzulernen", offenbarte sie mir ihre Pläne. Bevor ich ihr sagen konnte, dass sie doch alles über mich in meiner Akte nachlesen konnte, die das Jugendamt ihnen gegeben haben musste, hob sie ihre Hand. "Ich weiß, ich weiß. Mrs. Jensen hat uns über deine Vergangenheit aufgeklärt und uns auch all die wichtigen Eckdaten über dich gegeben - aber das meine ich nicht. Ich will dich auf eine andere Weise kennenlernen. Was ist dir wichtig? Was ist deine Lieblingsfarbe oder dein Lieblingsessen? Außerdem willst du vielleicht auch etwas mehr über uns wissen. Schließlich sind Sarah und ich nicht die Einzigen, die keine Ahnung haben, mit wem wir es hier zu tun haben. Du weißt wahrscheinlich noch sehr viel weniger von uns, als wir von dir".
Erwartungsvoll sah Najuma mich an und ich wusste nicht was ich sagen sollte. Das war neu. Entweder interessierten die Familien sich gar nicht für mich als Person, oder sie führten ein Verhör mit mir durch, wo sie versuchten auch die unangenehmsten Bereiche meines Lebens zu beleuchten und wenn möglich zu kontrollieren. Dass jemand einfach nur meine Lieblingsfarbe wissen wollte, hatte ich so wenig erwartet, dass meine defensive Haltung bröckelte und ich für einen Moment nicht meine Überraschung verbergen konnte.
Eilig verschloss ich mein Gesicht wieder, doch Najuma schien sich dadurch ermutigt zu fühlen, denn sie redete weiter: "Gut, dann fang ich einfach mal an. Ich heiße Najuma und bin 32 Jahre alt. Meine Lieblingsfarbe ist orange, weil ich den Duft von den Orangefrüchten liebe. Ein richtiges Lieblingsessen habe ich nicht – solange es scharf genug ist, kann man mich mit eigentlich allem begeistern. Meine Lebenspartnerin und Verlobte Sarah hast du ja bereits kennengelernt".
Sie stoppte für einen Moment und in ihre Augen trat ein Leuchten, was für ein sehnsuchtsvolles Ziehen in meinem Brustkorb sorgte. Hatte mich jemals schon einmal jemand so angesehen, wie Najuma schaute, wenn sie nur an Sarah dachte? Ich konnte mich nicht daran erinnern. "Wir sind mittlerweile seit sechs Jahren zusammen und wollen bald heiraten. Für ein kleines Kind fühlen wir uns beide noch nicht bereit, aber wir dachten wieso uns nicht von groß nach klein arbeiten statt andersherum? Da wir eh schon gegen die verstaubten Konventionen der Gesellschaft verstoßen, einfach dadurch, dass wir zusammen sind, macht das auch keinen Unterschied mehr".
Auf normale Menschen hätte Najuma wahrscheinlich sympathisch gewirkt - was sie sicher auch war, aber mir bereitete es Unbehagen ihr zuzuhören. Wenn ihr Glück so vollkommen war, wieso holten sie sich einen Problemteenager wie mich ins Haus? Mal abgesehen davon, würden die beiden sobald sie sich erst einmal ein kleines Kind ins Haus geholt hatten, meine Existenz vollends vergessen, wenn sie mich bis dahin nicht eh schon abgeschoben hatte.
Mir war mit einem Mal der Appetit vergangen und ich schob den noch halbvollen Teller von mir. Dabei mochte ich Chili echt gerne, aber Najumas strahlende Zukunftsvisionen erinnerten mich einmal mehr daran, dass ich keine Zukunftsaussichten hatte - zumindest keine guten. Ich stand abrupt auf und unterbrach Najuma damit mitten im Satz, die gerade die Geschichte erzählte, wie sie und Sarah sich kennengelernt hatte. Ich wusste genau, dass ich damit das Bild vom Problemteenager noch verstärkte, aber es war besser so.
"Vielleicht verschieben wir das Kennenlernen auf ein anderes Mal. Ich hatte einen echt anstrengenden Tag und muss auch noch ein paar Dinge auspacken, wofür ich gestern keine Zeit hatte". Ich sah Najuma nicht in die Augen, während ich das sagte, weil ich es nicht ertragen konnte ihre Enttäuschung zu sehen. Trotzdem bekam ich mit, wie ihre Aura sich veränderte und ins Violette überging, was ein klares Indiz dafür war, dass sie betroffen war. "Oh, okay. Dann sehen wir uns spätestens beim Abendessen. Wenn du noch irgendwelche Hilfe brauchst, sag Bescheid".
Najuma klang jetzt ernüchtert und ich schloss für einen kurzen Moment meine Augen, um mich daran zu erinnern, dass mich das nicht interessieren durfte. Ich bin nicht hier, um zu bleiben, beschwor ich mich selbst. Wenn ich anfing mich um die Gefühle von Najuma und Sarah zu kümmern fehlte nicht mehr viel, bis ich mein Herz an die beiden hing. Das hatte ich schon viel zu oft durch. Also verließ ich den Raum, ohne Najuma noch einmal zu antworten und ging auf mein Zimmer.
"Ich glaub du hast zu viele Wattpadstorys gelesen! Anders kann ich mir nicht erklären, warum du versuchst mir weiszumachen, dass Luca auf mich steht! Falls du es nicht bemerkt haben solltest, weil du zu sehr in deiner Fantasiewelt versunken warst: Luca ist so selbstüberzeugt, dass in seinem Kopf niemand anders Platz hat außer er selbst. Der einzige Grund, warum er so hartnäckig nach mir gesucht hat ist sein angekratztes Ego, weil ich nicht gleich in Ohnmacht gefallen bin, als ich ihn gesehen habe, wie jedes andere Mädchen an der Schule!". Ich stand vom Bett auf, auf dem ich bis gerade noch gelegen hatte und wanderte zum Fenster. Wann immer die Sprache auf Luca kam, erfasste mich eine seltsame Unruhe und ich konnte einfach nicht mehr stillsitzen während Elea übers Telefon ein Kreuzverhör mit mir führte.
Elea lachte. "Das sagen sie alle am Anfang". Bevor ich kommentarlos auflegen konnte, redete Elea auch schon weiter: "Mal abgesehen davon müssen wir rausfinden was deine abgespacte Weggetretenheit heute Morgen zu bedeuten hatte. Das mit dem Typen was nicht stimmt kann auch ich erkennen und ich sehe kein Kaleidoskop an Farben, sobald Menschen mich ansehen. Ich weiß das du das jetzt nicht gerne hörst, aber wenn du herausfinden willst was das ist, dann musst du dich wohl oder übel ein bisschen mit Luca beschäftigen".
Ich schnaubte und schob die Vorhänge beiseite um in den angrenzenden Wald spähen zu können. Wie alles in diesem Haus, versprühte auch dieses Zimmer einen wohnlichen Charme, wie alleine schon die Vorhänge bezeugten. Wenn man eintrat, roch man noch den leichten Geruch von frischer Farbe, als wären die Wände erst vor Kurzem gestrichen worden. Die Einrichtung bestand aus einem Bett, einem Schreibtisch, einem Kleiderschrank, einem Schaukelsessel und einem kleinen Bücherregal. Alles war aufeinander abgestimmt und bildete einen harmonischen Anblick, doch während ein paar Dinge wie beispielsweise der Schaukelsessel noch relativ neu aussahen, konnten andere Möbel nicht über ihre Gebrauchsspuren hinwegtäuschen. Doch ich mochte es. Sie verliehen dem Zimmer Charakter und wenn ich meine Hände auf das Bücherregal legte, spürte ich all die Geschichten aufsteigen, die es zu erzählen hatte.
Man sah diesem Zimmer an, dass sich jemand Mühe dabei gegeben hatte es einzurichten. Wahrscheinlich Najuma, aber ich verbot es mir, mich in diesem Zimmer heimisch zu fühlen. Es war eine vorübergehende Unterkunft, wie jedes Zuhause, in dass ich bisher hereingesteckt worden war.
Angestrengt starrte ich aus dem Fenster und versuchte sowohl Elea, als auch meine Gedanken auszublenden, als ich plötzlich ein seltsames Leuchten am Himmel wahrnahm, dass sich rasend schnell auf die Erde zubewegte. Mein Atem stockte, als ich beobachtete, wie es immer größer wurde und immer näherkam. "Heilige Scheiße", murmelte ich. Was war das für ein Ding? Ein Komet? Unwillkürlich musste ich an die Dinosaurier denken, die wahrscheinlich von einem Kometen vom Angesicht dieser Erde getilgt worden waren und erschauderte. Aber es gab doch Wissenschaftler, die sich den Himmel anguckten und die Flugbahn von Kometen genau aus diesen Gründen minimal berechneten, oder nicht?
"Roxanne?", drang die Stimme meiner besten Freundin an mein Ohr, die ich zwischenzeitlich tatsächlich vergessen hatte und ich zuckte zusammen. "Ich...ich muss auflegen. Najuma hat gerade gerufen", log ich und drückte Elea weg, bevor sie etwas erwidern konnte. Sie würde deswegen morgen zwar beleidigt sein, aber das war gerade wichtiger. Denn das Licht war mittlerweile gelandet – und das mitten im angrenzenden Wald. Immerhin war die Welt nicht untergegangen – aber ansehen musste ich es mir trotzdem.
Ich eilte nach unten und zog mir eilig ein Paar Schuhe an und schnappte mir eine Jacke. Doch bevor ich zur Tür hinausverschwinden konnte, erschien Sarah im Flur, die mittlerweile von der Arbeit zurückgekommen war und lehnte sich die Arme vor der Brust verschränkt gegen den Türrahmen. "Wo willst du hin?", fragte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue und mein Tatendrang sank. Verdammt! Dieses Hindernis hatte ich jetzt nicht mitbedacht. "Ich wollte nur etwas frische Luft schnappen gehen. Das wird ja wohl erlaubt sein!". Ich konnte nicht verhindern, dass ich automatisch defensiv klang. So wie ich Sarah einschätzte, war sie diejenige, die mir eher Probleme bereiten würde von den beiden. Ausdruckslos musterte Sarah mich, bevor sie schließlich seufzte und ihre Arme von ihrer Brust löste. "Klar, schau dich ruhig draußen etwas um. Aber sei vor halb acht wieder zurück, da gibt es Abendessen". Damit verschwand sie wieder aus dem Flur und ich war so perplex von diesem unerwarteten Entgegenkommen, dass ich für einen Moment wie angewurzelt im Flur stehenblieb. Doch dann öffnete ich die Tür und schlüpfte aus dem Haus, bevor sie es sich anders überlegen konnte.
Wenig später stand ich im Wald an einer Weggabelung und damit vor einem Problem. Denn ich kannte mich hier nicht aus und hatte absolut keine Ahnung für welchen der beiden Wege ich mich entscheiden sollte. Ich schloss die Augen und versuchte mich zu erinnern, wie der Blick aus meinem Fenster ausgesehen hatte und plötzlich passierte etwas Seltsames. Wie bereits in der Schule fühlte ich, wie die Realität um mich herum verschwamm und mein Geist sich von meinem Körper löste. Das klang, als hätte ich es aus einem schrägen Fantasyfilm entnommen, aber besser ließ es sich nicht beschreiben. Aber anders als in der Schule, war es kein Geflecht aus Auren, an dem mein Geist sich entlanghangelte, sondern es war nur ein einziges sanftes Glühen, dass mich magisch anzog.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich mich überhaupt in Bewegung gesetzt hatte, bis ich mit einem Mal ruckartig in meinen Körper zurückgestoßen wurde und die Augen aufschlug und mich mit einem Mal an einem völlig anderen Ort befand. Mir lief ein eiskalter Schauder über den Rücken. Okay, das war jetzt wirklich gruselig. Ich meine, dass alle Menschen um mich herum in Regenbogenfarben erstrahlten war zwar manchmal nervig und ganz sicher eigenartig, aber nichts was mich wirklich zur Beunruhigung veranlasste, da ich schon mein ganzes Leben damit aufgewachsen war. Aber, dass ich mich plötzlich an einem ganz anderen Ort befand, ohne mich bewusst erinnern zu können, wie ich hierhergelangt war, war wirklich besorgniserregend. Ich fühlte mich wie ein Schlafwandler, der keine Kontrolle über sein Handeln hatte – nur mit dem kleinen Unterschied, dass ich eigentlich hellwach gewesen war.
Mit vor unterdrückter Panik eisig gewordenen Fingern tastete ich nach dem Anhänger der Kette, die ich immer um meinen Hals trug und schloss meine Faust darum um mich zu beruhigen. Diese Erinnerung, an meine leiblichen Eltern beruhigte mich zumindest ein bisschen, doch meine Hände zitterten immer noch, als ich mich endlich dazu durchringen konnte mich umzusehen.
Ich stand mitten auf einer kreisrunden Lichtung, die viel zu geometrisch war, um auf natürlich Weise entstanden sein zu können. Doch von einem Kometen oder etwas Ähnlichem war nichts zu sehen. Erst als ich auf den Boden direkt unter meinen Füßen blickte, entdeckte ich etwas Ungewöhnliches. Hastig trat ich ein paar Schritte zurück, um es besser erkennen zu können. Ich hatte mitten in einem Kreis gestanden, der mit komplizierten, verschlungenen Mustern gefüllt war, die ich nicht zuordnen konnte. Der Kreis sah aus, wie frisch in die Erde eingebrannt und ein seltsamer Geruch ging von ihm aus: Irgendwie süßlich. Bei seinem Anblick überfiel mich ein komisches Gefühl, wie eine diffuse Ahnung, die sich gleich darauf wieder verflüchtigte.
Ich holte mein Handy raus und machte ein paar Fotos von den seltsamen Mustern, um mich später damit auseinanderzusetzen, denn irgendwie war mir dieser Ort unheimlich. Ich fühlte mich beobachtet und sah mich hastig um, doch ich konnte nichts entdecken. Nachdem ich alles aus verschiedenen Winkeln fotografiert hatte, nahm ich die Beine in die Hand und machte, dass ich wegkam, weil ich dieses unheimliche Gefühl nicht loswurde und für heute wirklich genug erlebt hatte. Hätte ich damals schon gewusst, wonach ich suchen musste, hätte ich vielleicht den gut getarnten Mann gesehen, der so nah an einen der Bäume gepresst dastand, dass er beinahe mit ihm verschmolz. Aber so, floh ich regelrecht von der Lichtung und bemerkte nicht die intensiven Blicke des Mannes, der mir nachsah.
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Das mit den zwei Wochen geht irgendwie immer so schnell um.
Hier am Meer ist es für mich wohl immer ein bisschen schwieriger zu updaten, weil man nicht so leicht an WLAN drankommt, deshalb seht es mir nach, wenn die Kapitel erst später kommen.
Ach ja, die Beziehung zwischen Roxanne und Najuma und Sarah bleibt wohl vorerst schwierig.
Was haltet ihr von der Sache auf der Lichtung? Was da wohl passiert ist? 🤔
Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen und in zwei Wochen geht's wieder weiter :)
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