3. Kapitel
Ich hatte vergessen, wie laut Menschen waren. Ihre Gedanken waren gefüllt mit lauter Unwichtigkeiten, die ungefiltert durch ihre Gehirnwindungen rasten. Und niemand von ihnen schien sich darum zu scheren, dass ihre Gedanken quasi so laut waren, dass man wahrscheinlich nicht mal Gedankenlesen können musste, um sie zu hören. Geübt zog ich einen Schutz vor meine Gedanken, um mich abzuschirmen. Doch leider konnte ich das Geplapper nicht eben so leicht ausschalten. Ich spürte ihre Blicke auf mir liegen, während ich den Flur entlangschritt. Wo immer ich auch vorbeiging, die Schüler wichen vor mir zurück. Es war eine natürliche Reaktion auf meine Ausstrahlung. Sie konnten spüren, dass ich jemand war, dem sie lieber nicht zu nahekommen sollten, aber ihre stumpfen Geister konnten sich nicht erklären, warum dem so war. Doch ich hörte genauso das Wispern von ein paar Mädchen, die mein Aussehen kommentierten. Denn genauso sehr wie Menschen das Unbekannte fürchtetet, fühlten sie sich auch von ihm angezogen. Wie dumm und unwissend sie doch alle waren.
Ich ließ mir Zeit dabei den Highschoolflur entlangzuschlendern. Es war wichtig, dass sie alle mich wahrnahmen. Erst wenn ich mich einmal in ihren Gedanken festgesetzt hatte, war ich in der Lage Einfluss auf sie auszuüben. Ich hob meinen Blick und ließ ihn über die Gesichter gleiten. Sie alle hatten den gleichen Ausdruck von Sensationslust in ihren Augen und ließen ihre Köpfe sinken, sobald sie meinen Blick kreuzten. Ich wollte meinen Blick schon wieder sinken lassen, als ich plötzlich an einem Augenpaar hängen blieb. Türkise Augen starrten mich an und ließen nicht von mir ab. Das Mädchen zu dem die Augen gehörten starrte mich an, als hätte ich ihren Hundewelpen getötet. Ihr Blick war irritierend, denn obgleich sie mich ansah, als hätte ich sie persönlich beleidigt, schien sie keinerlei Angst vor mir zu haben. Ich war so vertieft in unseren Blickkontakt, dass ich fast überrascht war, als sie den Blickkontakt mit einem Mal abrupt abbrach und so schnell in der Menge untertauchte, dass ich keine Chance hatte ihr zu folgen. Erst als sie weg war, fiel mir auf, dass ich meine Mauer hatte fallen lassen und die ganzen Gedanken von den anderen wieder ungehindert auf mich einströmten. Ärgerlich zog ich die Mauer wieder hoch. Das war mir seit Jahren nicht mehr passiert! Ich musste mich wirklich daran gewöhnen, dass ich jetzt in der Menschenwelt war. Und ich musste dringend herausfinden, was mich an diesem Mädchen so irritiert hatte.
Mit Schwung öffnete ich die Tür zu dem Raum, in dem mein jetziger Kurs stattfand, ohne mir die Mühe zu machen vorher anzuklopfen. Dass ich diese Kurse überhaupt besuchen musste war reine Zeitverschwendung und sicher wieder eine der bescheuerten Ideen meines Vaters mir den Aufenthalt auf der Erde noch schlimmer zu gestalten, als er ohnehin schon war. Unzählige Augenpaare waren auf mich gerichtet. "Entschuldigen Sie mal. Sie können doch nicht einfach so hier reinplatzen. Hat Ihnen denn niemand beigebracht zu klopfen, bevor Sie einen Raum betreten? Außerdem sind sie zu spät!", empörte sich die Lehrerin, die wohl gerade mitten in einer Erklärung gewesen war. "Mein Vater hatte es noch nie so mit Höflichkeiten – ich trage nur das Erbe weiter. Und ich bin zu spät, weil ich mich verlaufen habe – ich bin neu hier, wissen Sie? Das können sie mir doch nicht übelnehmen", erwiderte ich und schenkte ihr mein spezielles Grinsen, von dem ich wusste, dass keine Frau ihm widerstehen konnte. Und so war es auch bei der Frau vor mir. Zufrieden sah ich wie sie errötete und kein Wort mehr hervorbrachte. "Ich werde mich dann mal setzen, damit ich nicht noch weiter kostbare Unterrichtszeit verschwende", sagte ich mit einer spöttischen Verbeugung und wandte mich den anderen Schülern zu, die den Wortwechsel mit offenen Mündern verfolgt hatten.
Langsam ließ ich meinen Blick über die Reihen gleiten und blieb erneut an einem Augenpaar hängen. Na sieh mal einer an, wenn das nicht das irritierende Mädchen mit den türkisen Augen war .Ein träges Grinsen erschien auf meinem Gesicht als ich ihr direkt in die Augen schaute und dann langsam auf sie zusteuerte. Wie es der Zufall wollte, war der Platz neben ihr noch frei und ich ließ mich neben sie fallen. Wollten wir doch mal sehen, wie mutig sie noch war, wenn keine Leute mehr zwischen uns standen. Ich wandte meinen Kopf um sie anzusehen, nur um festzustellen, dass sie ihren Blick stur nach vorne gerichtet hatte und mich ignorierte. Ich stupste sie an, doch sie reagierte nicht. Auch als ich sie mit einem Bleistift in die Seite pikste, schaute sie mich nicht an.
"Hat dir niemand beigebracht, dass es unhöflich ist Leute zu ignorieren, vor allem ohne sich vorgestellt zu haben?", ahmte ich ironisch die Lehrerin nach, die sich mittlerweile wieder gefangen hatte und mit ihrem Unterricht weitermachte. Ohne mich anzusehen konterte das Mädchen: "Und hat dir niemand beigebracht, dass es unhöflich ist sich auf einen Platz zu setzen, ohne zu fragen ob er besetzt ist?". Bitte...was? "Ist der Platz denn besetzt? Also, ich habe niemanden hier sitzen sehen!", antwortete ich spöttisch. "Nö und genauso sollte es auch bleiben. Luft redet bekanntlich nicht so viel". Das sie mich immer noch nicht ansah machte mich wahnsinnig.
"Wie heißt du?", forderte ich sie direkt heraus, doch sie ließ sich nicht aus der Fassung bringen. "Geht dich nichts an und jetzt sei endlich leise. Falls du es nicht mitbekommen haben solltest, da vorne wird gerade eine Unterrichtsstunde abgehalten und du lenkst mich ab!". Ungläubig sah ich sie an. Wie konnte sie mich nur so einfach abweisen? Was nahm sich dieses Menschenmädchen eigentlich heraus? Ich lehnte mich langsam zu ihr herüber, bis sich mein Mund genau neben ihrem Ohr befand. "Ich weiß nicht was für Spielchen du hier spielst, aber ich habe keine Lust darauf! Ich habe dich etwas gefragt und will eine Antwort darauf haben", knurrte ich, langsam ehrlich angepisst von ihrer Ignoranz.
Und endlich bekam ich eine Reaktion – sie wandte ihren Kopf und sah mich aus eisigen Augen an. Mit einer resoluten Handbewegung drückte sie meinen Kopf beiseite und sagte scharf: "Hast du noch nie etwas von Abstand gehört? Es ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal was du willst. In dieser Highschool gibt es ungefähr 300 andere Mädchen, die sich gerne mit jemandem unterhalten würden, der nicht einmal die Bedeutung von Sei leise versteht, aber ich gehöre nicht dazu. Also lass mich in Ruhe und suche dir jemand anderen, den du nerven kannst!". Und damit wandte sie sich wieder dem Unterricht zu, als hätte sie sich nicht gerade mit mir angelegt.
Auch den Rest der Stunde würdigte die Giftspritze – wie ich sie gedanklich getauft hatte - mich keines Blickes. Und erst, als sie sich wieder in der Menge verflüchtigt hatte, fiel mir ein, dass ich nur ihre Gedanken hätte lesen müssen. Was machte dieser erbärmliche Planet nur mit mir, dass ich vergaß, wer ich war? Schlecht gelaunt stand ich in einer der Schultoiletten, die ich zuvor mit einem einfachen Abriegelungszauber abgesichert hatte, sodass niemand hier hereinkommen würde und versuchte Kontakt zu meinem Vater aufzunehmen. Ich hauchte den Spiegel vor mir an, sodass er von meinem Atem beschlug und malte dann mit meinem Zeigefinger die Zahl 666 auf den Spiegel – ein weiterer schlechter Scherz von meinem Vater.
Mit einem Mal veränderte sich die Temperatur im Raum und sank rapide ab. Die Lichter begannen zu flackern und ich verdrehte die Augen. Dass mein Vater aber auch immer so dramatisch sein musste! Schließlich leuchtete der Spiegel auf und das Gesicht meines Vaters erschien auf der Bildfläche. "Hallo mein Sohn", grollte er mit düsterer Stimme. "Ich bins – dein Vater". Ich unterdrückte nur mühsam den Drang den Spiegel zu zertrümmern. Wieso nur hatte ich meinem Vater irgendwann gezeigt wie Netflix funktioniert?
Eine Erwiderung ersparte ich mir und wartete nur stumm darauf, dass mein Vater aufhörte sich für seine Anspielung selber zu feiern. Mein Vater räusperte sich und wurde ernst. "Wie du bereits weißt, ist dein Aufenthalt auf der Erde Teil eines Pakts mit dem großen Langweiler von oben. Allerdings habe ich nicht vor nur ein paar Leute dazu zu bringen ihre Seele zu verkaufen oder sich meinem Dienst zu verschreiben". Jetzt hatte mein Vater meine volle Aufmerksamkeit. Denn seine Angaben zu dem, was eigentlich meine genaue Aufgabe sein würde waren mehr als vage gewesen. Anscheinend hatte er sich entschieden, mir endlich zu sagen, was eigentlich meine Mission war, denn er holte tief Luft. "Seit Ewigkeiten wird die Erde von den Aquaelibritae davor beschützt einem Ungleichgewicht zu Opfer zu fallen. In jeder Generation gibt es eine Hand voll von Ihnen, die meistens ihr Leben lang im Unwissen darum leben, welche Aufgabe sie auf der Erde übernehmen". Überrascht runzelte ich die Stirn und wusste nicht was ich mit diesen neuen Informationen anfangen sollte. Es wunderte mich nicht wirklich das mir mein Vater so etwas Elementares erst jetzt mitteilte. So war er einfach. "Und was hat das mit meiner Anwesenheit auf der Erde zu tun?, wollte ich deshalb einfach nur wissen, doch mein Vater machte eine ungeduldige Handbewegung. "Dazu komme ich gleich. Auf jeden Fall erfahren die meisten Aquaelibritae erst von ihrer Aufgabe, wenn jemand drastisch in das natürliche Gleichgewicht eingreift und sie aktiv das Ungleichgewicht wieder korrigieren müssen". Mein Vater legte eine Kunstpause ein und ich schloss genervt die Augen, weil er einfach nicht auf den Punkt kam. "Aber es gibt eine Prophezeiung, die von einer besonderen Aquaelibrita spricht. Ihre Kräfte gehen über alle Vorstellungen hinaus und das Gleichgewicht in ihr ist nicht natürlich, sondern erzwungen. Das heißt ihr Gleichgewicht kann kippen und deine Aufgabe wird es sein sie zu finden und dafür zu sorgen, dass es unsere Seite ist für die sie sich entscheidet. Denn wenn ihre Seele erst einmal dem Chaos verfallen ist, kann uns niemand mehr aufhalten. Also finde dieses Mädchen und verdirb sie!". Bevor ich auch nur noch ein Wort dazu sagen konnte, verschwand mein Vater einfach und ließ mich mit tausend Fragen zurück. Das war mal wieder typisch von meinem Vater mir Befehle zu geben ohne die geringste Anleitung, wie ich sie durchführen konnte. Denn wie sollte ich den Gleichgewichtsbringer finden ohne den geringsten Anhaltspunkt zu haben, woran ich ihn erkennen konnte?
Fluchend hieb ich gegen die Wand. Wieso hatte ich auch geglaubt, dass mein Vater es mir so einfach machen würde, ihm nur ein paar verlorene Seelen zu liefern. Schließlich konnte das auch jeder niedere Dämon erledigen. Doch ich beschloss das Ganze auf später zu verschieben. Mir den Kopf zerbrechen konnte ich mir auch noch nachdem ich diesen Tag in der persönlichen Hölle der Erde überstanden hatte. Jetzt würde ich mir erst einmal einen Überblick verschaffen. Und vielleicht noch die Giftspritze dazu bringen mir zu verraten, was ihr Name war um mir zu beweisen wer ich verdammt nochmal war. Mit diesem Gedanken im Kopf stieß ich die Tür der Toilette auf.
Nichts! Entnervt knallte ich die Tür eines Mädchenklos zu, ohne mich um die befremdeten Blicke die ich zugeworfen bekam zu kümmern. Es war, als wäre das Mädchen vom Erdboden verschluckt worden. So groß konnte die Schule doch gar nicht sein, dass dieses Mädchen es schaffte sich vor mir zu verstecken! Meine Laune war mittlerweile auf dem Nullpunkt angekommen. Erst die sture Giftspritze, die mir ihren Namen nicht verraten wollte, dann mein Vater mit seinen abstrusen Plänen und jetzt konnte ich nicht einmal meine eigenen Pläne in die Tat umsetzen.
"Dass du nicht hören kannst, wusste ich ja schon, aber dass du auch nicht lesen kannst, war mir neu. Ich übersetze gerne für dich, was auf dem Schild neben der Tür steht". Die spöttische Stimme die mit einem Mal hinter mir erklang traf mich so unerwartet, dass ich beinahe zusammengezuckt wäre. Ich traute meine Ohren nicht. Da suchte ich die ganze Schule nach ihr ab und sie tauchte auf einmal hinter mir auf, als wäre sie nicht unauffindbar gewesen. Langsam drehte ich mich auf und ließ dabei ein schiefes Grinsen auf meinen Lippen erscheinen. "Ah, das Mädchen ohne Namen. Weißt du eigentlich, wie schwer es ist dich zu finden?". Mit bedachten Bewegungen näherte ich mich ihr. "Oh, ich bin eigentlich gar nicht so schwer zu finden. Schon mal darüber nachgedacht, dass ich einfach keine Lust hatte in deiner Nähe zu sein?".
"Du schuldest mir noch eine Antwort auf meine Frage", sagte ich ungerührt, ohne auf ihre spitze Bemerkung einzugehen. "Ich schulde dir gar nichts!, zischte sie mit verengten Augen und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. "Außerdem hat es leichte Stalkervibes, dass du eine Mädchentoilette nach mir absuchst. Vor allem, weil wir uns nicht einmal kennen".
Das wusste ich selber, doch das konnte ich schlecht vor ihr zugeben. "Wer sagt denn, dass ich wegen dir in der Mädchentoilette war? Nicht alle Welt dreht sich um dich. Du hattest recht, als du sagtest, dass es hier noch viele andere Mädchen gibt. Hübsche Mädchen", entgegnete ich stattdessen und vertiefte mein Grinsen noch eine Spur. Mit Genugtuung sah ich, wie eine leichte Röte auf ihrem Gesicht erschien, als sie anscheinend darüber nachdachte, was ich mit einem anderen Mädchen auf der Toilette gemacht haben mochte. Interessant. Gegen schmutzige Gedanken war sie anscheinend nicht immun. Das würde sich sicher noch gegen sie verwenden lassen "Wie auch immer. Ich muss auf jeden Fall jetzt auf die Toilette. Wir können uns ein anderes Mal unterhalten. Obwohl eigentlich niemals. Also bye". Damit drängte sie sich an mir vorbei und flüchtete geradezu vor mir in die Mädchentoilette. Oh, wenn sie nur wüsste, dass die Spiele gerade erst begonnen hatten...
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Tut mir leid, dass das Kapitel erst so spät kommt. Wir feiern heute meinen Geburtstag nach und ich habe es darüber irgendwie total vergessen 😬.
Tja, jetzt kennen wir Lucas Sicht auf das Ganze. Sympathisch 😅
Was haltet ihr von Lucas Mission?
Und die erste Begegnung ist ja nicht so doll verlaufen. Liebe auf den ersten Blick würde ich das ja nicht nennen. Was meint ihr dazu ?
Im nächsten Kapitel erfahren wir dann bei Roxanne wie es weitergeht. Ihr habt ja keine Ahnung wie sehr ich mich darauf freue 😆
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