24. Kapitel
Ich verlor langsam, aber sicher den Verstand. Er war einfach überall. Rosenblätter, auf den Fußböden von Mädchentoiletten, eine Zeichnung einer Rose auf der Tafel von meinem Kursraum, in meinen Collegeblöcken und am schlimmsten - in meinem Skizzenblock. Überall, wo ich hinsah, waren Rosen und ich konnte. Nicht. Atmen.
Wie hatte er es zurück in mein Leben geschafft? Da war eine fucking realistische Zeichnung in meinem Skizzenblock – einer der Gegenstände, die zu meinen größten Heiligtümern gehörten und er hatte ihn beschmutzt. Wie war er so nah an mich rangekommen? Wieso hatte ich ständig das Gefühl, ein Augenpaar auf mir zu spüren, das jede meiner Bewegungen verfolgte? Wie ein paranoides Wrack, ließ ich meine Augen ständig durch jeden Raum gleiten, als erwartete ich ihn plötzlich aus einem Schatten heraustreten zu sehen? Es war der absolute Horror. Wann immer mich jemand ansprach, zuckte ich zusammen – was meinen Freunden nicht unbemerkt blieb. Doch ich konnte mich nicht dazu durchringen ihnen zu erzählen, was es damit auf sich hatte.
Ich hatte meinen besten Freunden viel darüber erzählt, was ich in der ein oder anderen Pflegefamilie durchgemacht hatte, aber da war eine tiefsitzende Scham über diese speziellen Erfahrungen, die in mir festsaß. Ich wusste theoretisch, dass es nicht meine Schuld war und ich nichts gemacht hatte, um das zu provozieren. Ich war vierzehn gewesen verdammt noch Mal – nichts rechtfertigte es, dass jemand das einem Kind antat.
Doch auch wenn ich mich gegenüber Elea und Arthur bereits verletzlich gezeigt hatte, kannten sie mich doch als jemanden, der für sich einstand. Die sich nicht einfach Dinge gefallen ließ, sondern für sich einstand. Doch damals hatte ich es nicht gemacht. Ich hatte nicht meinen Mund aufgemacht, sondern einfach die Dinge über mich ergehen lassen und wie konnte ich Menschen zeigen, dass ich eine Lügnerin war? Dass sich hinter der harten Schale und dem Sarkasmus und der Person, die für sich und andere einstand immer noch ein kleines verängstigtes Mädchen befand. Wer wollte schon mit einer Heuchlerin befreundet sein?
Ich wusste eigentlich, dass ich darauf vertrauen musste, dass unsere Freundschaft stark genug war, um auch diese dunklen Teile von mir auszuhalten. Aber am Ende war ich auch nur ein Mädchen, das Angst davor hatte, erneut zurückgelassen zu werden. Ich machte mir gerne vor, diese starke Frau zu sein, die nichts so schnell aus dem Gleichgewicht brachte und die sich auf nichts und niemanden stützen musste. Doch die Wahrheit war, dass der Gedanke mich der Welt erneut allein stellen zu müssen, ohne Elea und Arthur an meiner Seite mir eine Heidenangst einjagte. Und genau deswegen musste ich die beiden reinlassen. Denn durch Geheimnisse und Abblocken würde ich die Beiden auf jeden Fall verlieren. Nur noch nicht heute. Heute fühlte sich alles noch zu wund und verletzlich an. Heute hatte ich noch Angst vor meinem eigenen Schatten und nicht die Kraft, mich damit zu beschäftigen, was sich in diesen Schatten verbarg.
Ich spürte Lucas Aura noch bevor er den Raum betrat, was mich erfolgreich aus meinen Gedanken riss. Über die Sache mit den Rosen, hätte ich fast vergessen, welche unglaublichen anderen Dinge ich gestern herausgefunden hatte. Luca war der leibhaftige Sohn des Teufels! Er hatte mich noch nicht entdeckt, was mir einen Moment gab, meine Gedanken zu sortieren.
Ich nahm das erste Mal überdeutlich wahr, wie die anderen Menschen reagierten, sobald er den Raum betrat. Instinktiv wichen sie ein Stück zurück oder verlagerten ihr Gewicht, sobald er in ihre Nähe kam. Gespräche verstummten für einen kurzen Augenblick in den Grüppchen, an denen er vorbeiging und trotz dieser instinktiven Abwehrmanöver, konnte niemand seine Augen von ihm nehmen. Da war eine fast unheimliche Faszination, die ich in den Augen anderer entdeckte, eine Elektrizität, die sich in dem Raum aufstaute. Luca schien unberührt von der elektrischen Spannung. Seine Aura war genauso pechschwarz wie sonst auch und sein Blick glitt suchend durch den Raum, bis seine Augen bei mir hängenblieben.
Es sollte mir Todesangst einjagen, dass seine Aufmerksamkeit auf mir lag, jetzt mit dem Wissen, wer er wirklich war. Aber stattdessen war ich seltsamerweise ein wenig neugierig. Denn als er näherkam, bemerkte ich die splitterartigen Risse, die seine Aura durchzogen, die ein paar andere Farben durchschimmern ließen. Und etwas in mir sagte mir, dass sie schon vorher dagewesen waren. Ich hatte mir bisher nur nicht die Mühe gemacht genau hinzusehen. Es war ein Farbengeflecht, von dem ich wusste, das es mich zu ein paar Antworten führen würde, mit wem ich es hier wirklich zu tun hatte. Leider suchte Luca sich diesen Moment aus, um seinen Mund zu öffnen und mich daran zu erinnern, warum meine Neugierde unangebracht war – er war schlicht und ergreifend ein Arschloch.
„Hey, Roxy“, sagte er mit einem Grinsen und beugte sich über den Tisch, an dem ich saß, um eine meiner Haarsträhnen um seinen Finger zu wickeln. Dabei hatte er ein Glitzern in seinen Augen, das mich sofort in den Abwehrmodus gehen ließ. „Weißt du, ich mag wirklich, wie sich das Türkis in deinen Haarspitzen langsam zu einem Giftgrün herauswäscht – es passt so schön zu deiner Persönlichkeit“.
Mit einer energischen Kopfbewegung sorgte ich dafür, dass Luca meine Strähne wieder losließ, bevor ich ihn böse anfunkelte.
„Hast du eigentlich schon mal etwas von einem persönlichen Abstand gehört?“, erwiderte ich und lehnte mich demonstrativ von ihm weg, was der Bastard wiederum nur mit einem amüsierten Schnauben kommentierte, bevor er seine Tasche auf den Boden neben dem freien Stuhl rechts von mir fallen ließ.
„Siehst du, Roxy? Das meine ich. Ich mache dir ein Kompliment zu deinen Haaren und du schaust mich an, als hätte ich ein Verbrechen begangen“.
Er kam um den Tisch herum, ließ sich auf den Stuhl plumpsen und stützte dann seinen in meine Richtung gewandten Kopf auf seiner Hand ab, sodass er mich mit schiefgelegten Kopf betrachten konnte. Das schiefe Grinsen, das dabei auf seinem Gesicht lag, als wäre das alles super amüsant für ihn trieb mich ein wenig in den Wahnsinn. Vielleicht war es auch, dass ich diesen beinahe jungenhaften Ausdruck auf seinem Gesicht nicht kannte und es ihm leider ein wenig zu gut stand, das mich in den Wahnsinn trieb.
„Wenn du denkst, dass so ein Kompliment aussieht, dann wundert es mich nicht, dass niemand etwas mit dir zu tun haben will“, schoss ich eine schnippische Antwort zurück und wandte mich von ihm ab, um die Konservation zu beenden.
Aber Luca wäre nicht Luca, wenn er es einfach auf sich beruhen lassen würde. Also sollte ich wirklich nicht überrascht sein, Sekunden später seine Stimme direkt an meinem Ohr zu hören, nur dass sie um zwei Oktaven nach unten gerutscht zu sein schien: „Oh, wir beide wissen, dass du nicht damit klarkommen würdest, würde ich dir richtige Komplimente geben, Roxy. Aber mir soll es recht sein – ich liebe es dir die Röte ins Gesicht zu treiben, auf welche Weise ist mir eigentlich egal“.
Sein Gesicht war so nah an meinem, dass ich seinen warmen Atem an meinem Ohr spüren konnte.
Ich wusste nicht was genau den Kurzschluss auslöste, der offensichtlich in meinem Gehirn stattfinden musste. Die Rauheit seiner Stimme oder dass er blöderweise richtiglag mit seinen Worten, wie die Röte in meinem Gesicht und die Gänsehaut die sich von meinem Ohr aus, über meinen Nacken bishin über meine Rücken ausbreitete, bewies. Vielleicht konnte ich es aber auch einfach nicht lassen Dinge herauszufordern, von denen ich genau wusste, dass sie mir nur Schwierigkeiten brachten.
„Für dich immer noch Roxanne, Lucifer“, zischte ich, bevor ich mich zurückhalten konnte und ich hielt mir erschrocken über meinen kleinen SlipUp meine Hand vor den Mund. Doch das brachte natürlich nichts, der Schaden war bereits angerichtet und mit weit aufgerissenen Augen beobachtete ich, wie meine Worte bei Luca ankamen. Ein Muskel in seinem Kiefer zuckte und für einen Bruchteil einer Sekunde, sah ich wie das Farbengeflecht innerhalb seiner dunklen Aura mit einer Vielzahl an Emotionen aufleuchtete, bevor er sich wieder unter Kontrolle bekam.
Die Stille zwischen uns dehnte sich aus, während Luca mir forschend in die Augen schaute und ich spürte, wie sich die Anspannung in mir aufbaute. Es kam mir so vor, als könnte ihm dabei zusehen, wie er seine Reaktion abwägte, bevor er schließlich mit einem Kopfschütteln murmelte: „Raph sollte wirklich seine Aversion mit Spitznamen überdenken“.
Womit auch immer ich gerechnet hatte, dass passieren würde, wenn ich diese Bombe platzen ließ… dass war es sicher nicht gewesen. Die angestaute Spannung in mir entlud sich mit einem Mal in einem nervösen Lachen. Wieder sah ich wie, etwas in Lucas Aura aufleuchtete und dieses Mal blieben meine Augen, an einer Farbe hängen. Goldene, flirrende Faszination. Und diese Emotion passte so gar nicht zu dem Bild, das ich von Luca hatte, dass ich mir sicher war, dass wenn ich meine eigene Aura sehen könnte, sie ebenfalls golden flirren würde. Denn was an dieser Situation könnte ihn wohl so sehr faszinieren, dass ich die Emotionen in seiner fast vollständig schwarzen Aura lesen konnte, ohne mich das kleinste bisschen anzustrengen?
Die ganze Situation verwirrte mich und ich spürte, wie sich Kopfschmerzen in meinen Schläfen anbahnten. Ich wünschte mir mit einem Mal diese farbigen Risse in Lucas Aura immer noch nicht sehen zu können. Es wäre so viel einfacher, alles in Schwarz und Weiß zu sehen. So viel einfacher Luca einfach als Lucifer zu sehen: Einen abgrundtief bösen Menschen – war er überhaupt ein Mensch? – der nur auf die Erde gekommen war, um Böses anzurichten und den ich mit allem hassen sollte, was ich war.
Aber dann tat er diese Dinge, die mich überraschten und ließ mich für kurze Momente Dinge sehen, die mich glauben ließen, dass dort unter der Oberfläche vielleicht mehr lag. Sollte nicht gerade ich wissen, dass die Dinge selten so waren, wie sie auf den ersten Blick schienen?
Hatte ich nicht schon oft genug gesehen, wie die perfekten Bilderbuchfamilien im Inneren hässlich und zerbrochen waren?
Hatte ich nicht selbst schon genug negative Adjektive gehört, mit der Leute mich beschrieben, die sich nicht die Mühe machten hinter den dick aufgetragenen Sarkasmus zu sehen, den ich so gerne als Rüstung trug?
Was hatte Luca bisher getan, außer unangebrachte Sprüche vom Stapel zu lassen und ein außergewöhnliches Talent dafür zu beweisen, mich aus meiner Haut fahren zu lassen?
Ich war nicht naiv. Ich wusste, dass eine dunkle Aura, wie seine nicht entstanden war, weil er anscheinend keine Kontrolle über sein Mundwerk hatte. Mir war auch bewusst, dass er sicher seine eigene Agenda verfolgte und mich nicht nur nervte, weil es ihm so unglaublich Spaß machte – auch wenn es manchmal echt so wirkte. Aber wer sagte mir, dass Raphaels Intentionen für mich so viel besser waren? Ich mochte zwar kein so großer Bücherwurm sein, wie Elea, aber selbst ich wusste, dass die Charaktere, die in ominösen Prophezeiungen vorkamen, immer von beiden Seiten instrumentalisiert wurden. Dass selbst die vermeintlich gute Seite oft wichtige Informationen einfach verschwieg. Und während Luca mich mit seinen Augen zu durchleuchten zu schien, als versuchte er meine Gedanken zu lesen, die im Moment ein heilloses Chaos darstellten, beschloss ich, dass ich wirklich dringend mit meinen besten Freunden reden musste!
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Überraschung. Na, wer hat mich vermisst? Ich weiß, ich weiß in Deutschland ist es technisch gesehen nicht mehr Samstag, aber ich bin gerade in Irland also zählt das noch.
Nach fast einem Jahr in der Versenkung tauchen Roxanne und Co. auch mal wieder auf meinem Account auf. Bei mir hat sich in diesem Jahr einfach super viel getan und mein kreativer Funke für Lucifer war ein bisschen ausgebrannt. Ich kann nicht versprechen, dass ich an die regelmäßigen Updates anknüpfen kann, aber ich versuche wieder etwas öfter was von mir hören zu lassen. Ich bin übrigens jetzt für ein Jahr in Irland :D. Coole Sache
So, jetzt aber zum Kapitel. Was glaubt ihr wer hinter den Rosen steckt? Ich bin echt gespannt auf Theorien. Es lohnt sich vielleicht auch nochmal zumindest das letzte Kapitel zu lesen, um wieder ein bisschen mehr Kontext zu haben xD.
Was glaubt ihr hat Roxannes Ausrutscher wohl noch so für Konsequenzen?
Und am meisten interessiert mich natürlich, wie ihr das Kapitel insgesamt fandet, weil es echt eine Weile her ist, dass ich an Lucifer geschrieben und hoffe, dass ich noch authentisch mit meinen Charakteren bin 😅.
Am Ende noch ein klein wenig blatant Eigenwerbung. Einige mögen vielleicht auch schon mal in meine Poesiesammlung reingeschaut haben. Wer meine Texte mag, für den habe ich ein paar aufregende Neuigkeiten: Ich habe eine Gedichte- und Kurzgeschichtensammlung veröffentlicht :D. Sie heißt "Chasing Thoughts Like Shooting Stars" und ich packe euch hier auch nochmal den Link drunter. Ihr kriegt sie online überall wo es Bücher gibt und ich würde mich wirklich freuen, wenn ihr mich unterstützt und euch ein Exemplar holt. Es sind ein paar noch nie hier veröffentlichte Texte drin:
https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1073034755
Eigenwerbung Ende.
Wir lesen uns hoffentlich bald <3
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