Kapitel 4
Ich rannte förmlich von meiner letzten Vorlesung zu unserem Apartment. Erleichtert atmete ich aus, als ich niemanden in der Wohnung hören oder riechen konnte. Sauber und aufgeräumt war es immer, na ja abgesehen von Evies Zimmer, aber das war ihre eigene Sache. Die zwei Familienbilder an der Wand zeigten einmal Ruben mit uns Kindern und das zweit Sean, Harvey und Ruben.
Das Bild von Ruben und uns wurde vor etwa sechs Jahren aufgenommen. Ruben hatte uns dazu gezwungen. Er meinte eine normale Familie, sollte auch ein normales Bild auf dem Kaminsims stehen haben. Keiner von uns hatte wirklich Lust dieses Foto zu machen. Kayden und Connor hatten beschlossen ihren Unmut deutlich zu zeigen und starrten einem mit eisigen Blicken auf dem Foto entgegen. Lewis hatte ein leichtes Grinsen aufgelegt, während Evie und ich um die Wette strahlten. Ruben hatte versprochen, wer das schönste Lächeln auflegte, würde dafür eine Belohnung bekommen. Im Endeffekt bekam jeder von uns ein Eis, was Kayden mit seinen 20 Jahren nur noch viel schlimmer fand. Lewis fand es toll und bekam dafür von Connor sein Eis ins Gesicht gedrückt. Was wiederum zu einer Prügelei zwischen den beiden führte. Kayden wollte sie beenden, aber Ruben hielt ihn davon ab, meinte die Jungs müssten das unter sich klären.
So wurden wir erzogen. Es gab keine liebevolle Mutter, die uns küsste, Geschichten vorlag und uns abends ins Bett brachte. Wir waren nun mal ein Wolfsrudel. Nur die stärksten überleben. Wir wurden trainiert zu kämpfen, immer überlegen zu sein und trotzdem niemals aufzufallen.
Da ich eigentlich wenig Lust hatte mit Evies Besuch reden zu müssen, verzog ich mich in mein Zimmer. Vielleicht konnte ich einer weiteren Befragung durch Jack entgehen.
Als ich hörte, wie sie ein Schlüssel im Schloss drehte, nutze ich mein Wolfsgehör, um auf alles gefasst zu sein.
"Kommt rein in die gute Stube", kicherte meine Schwester.
"Hübsch habt ihr es hier", meinte Alec.
Ich hörte wie sich die drei Personen im Wohnbereich breit machten. Evie bot Getränke an, bevor sie sich zu ihren beiden Begleitern auf die Eckcouch setzte.
"Wo ist denn deine Schwester?", fragte Jack neugierig nach.
"Wahrscheinlich ist sie noch in der Bibliothek. Dort ist sie meistens nach dem Unterricht, um noch zu lernen", antwortete Evie. Natürlich wusste sie ganz genau, dass ich in meinem Zimmer saß und alles hörte, was gesprochen wurde.
"Schade, ich dachte, sie wäre auch hier", meinte Jack.
Was wollte dieser Junge nur von mir?! Er hatte sich einmal kurz mit mir unterhalten, weiter nichts.
"Sie mag Gesellschaft nicht so sehr, egal ob familiär oder freundschaftlich."
Ich konnte nur die Augen verdrehen, bei der Antwort von Evie. Natürlich konnte sie sich diese kleinen Sticheleien nicht verkneifen, wenn ich mich nicht wehren konnte.
"Das sieht auf dem Bild dort drüben aber ganz anders aus", mischte sich jetzt auch Alec ein.
"Ach das", lachte Evie, "Sie mag Gesellschaft nicht so sehr, aber das heißt nicht, dass sie unsere Familie nicht lieben würde."
Während Alec und Evie mal wieder anfingen zu knutschen, den Geräuschen zu folge. Konnte ich ganz genau hören, wie Jack sich leise durch den Raum bewegte. Beinahe zielstrebig steuerte auf meinen Raum zu. Hektisch sah ich mich um. Von innen abschließen konnte ich nicht mehr, das würde er hören. Schnell suchte ich nach meinen Kopfhörern und setzte mich ganz ruhig mit Musik auf den Ohren an meinen Schreibtisch. Wenn er jetzt die Tür öffnen würde, könnte ich behaupten, ich hätte gar nicht mitbekommen, dass er und Alec mit meiner Schwester schon hier wären.
Aber ich hatte Glück. Evie konnte sich lange genug von Alecs Lippen trennen, um Jack aufzuhalten.
"Das ist das Zimmer von Faith. Bitte geh da nicht rein. Das würde sie wirklich nicht gut finden", erklärte Evie sachlich.
"Ja klar, tut mir leid. Ich dachte, dass wäre das Badezimmer", antwortete Jack schnell. Zu schnell. Er wusste also ganz genau, das dies nicht das Bad war, sondern mein Zimmer und wollte wohl mal einen Blick reinwerfen.
"Das Bad ist vorne rechts am Eingang", antwortete Evie. Ich kannte diese Tonlage nur zu gut. Es war eine Vorwarnung es nicht zu übertreiben und sich bloß nicht mit ihr anzulegen. Jack hatte die indirekte Drohung in ihrer Tonlage wohl verstanden, denn ich hörte, wie sich seine Schritte schnell von meinem Zimmer entfernten.
Sehr bald schon wurde es mir zu blöd die drei zu belauschen. Es ging um irgendwelche Personen, die ich nicht kannte und Partys auf denen ich nicht war. Stundenlang redeten sie. Irgendwann wurde der Wein geöffnet, was mir zeigte, dass die drei noch sehr lange in meinen Wohnzimmer campieren würden. Ich hatte also die Wahl in meinem Zimmer zu bleiben und so zu tun, als würde ich nicht nach Hause kommen oder ich müsste aus dem Fenster klettern und durch die Haustür wieder reinkommen. Wären es irgendwelche Freunde von Evie hätte es mich nicht interessiert was sie denken. Aber bei Jack hatte ich einfach kein gutes Gefühl. Er war zu neugierig. Also blieb mir nur übrig mich aus meinem eigenen Zimmer zu schleichen, um durch die Tür wieder rein zu kommen.
Hätte Evie sich nicht desinteressierte Freunde suchen könne?! So fluchte ich vor mich hin, während ich mich aus meinem Zimmer schlich. Unbequem landete ich in der Hecke, die unter meinem Fenster gepflanzt war.
Ich trug meine Tasche über der Schulter und einen Ordner und zwei Bücher unter dem anderen Arm. Es musste ja wirklich so wirken, als würde ich gerade aus der Bibliothek kommen. Ich konnte nur über mich selbst den Kopf schütteln. Was ich für einen Aufwand machte, um möglichst wenig Zeit mit einem Menschen zu verbringen. Ich hätte einfach aus meinem Zimmer kommen sollen, mit Kopfhörern in den Ohren, aber nein. Ich musste ja die umständlichere der beiden Lügen auswählen und durchziehen.
"Da bist du ja endlich!", rief Evie mir schon entgegen, als ich noch im Flur war.
"Ja, tut mir leid. Ich war noch in der Bibliothek", erklärte ich freundlich. Sofort fühlte ich mich schlecht wegen der Lüge. Ich hasste es zu lügen. Wäre ich doch einfach von Anfang an aus meinem Zimmer gekommen, dann müsste ich jetzt nicht lügen. "Aber ich bin ziemlich müde. Ich gehe mich schon mal hinlegen."
Evies Augen funkelten mich wissend an. Natürlich hatte sie jeden meiner Schritte mit ihrem Wolfsgehör mitgehört. Wären Alec und Jack nicht hier, würde sie mich wahrscheinlich auslachen.
Jack und Alec blieben sitzen, als ich mich zu meinem Zimmer zurück bewegte, aber meine Schwester folgte mir.
"Du hast übrigens Blätter in den Haaren", flüsterte sie mir kichernd zu, bevor sie in der Küche verschwand. Peinlich berührt durchsuchte ich meine Haare und zog wirklich einen kleinen Ast mit drei einzelnen Blättern heraus.
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