Kapitel 10
"Sind alle Aufgaben erledigt?", fragte Ruben mit hochgezogener Augenbraue, "Essen, Schlafzimmer, Bäder, alles fertig?"
Einstimmiges Nicken als Antwort.
"Evie, was ist mit deinen Aufsätzen?", fragte unser Adoptivvater warnend.
"Sind schon online eingereicht und ausgedruckt auf deinem Schreibtisch", antwortete Evie grinsend. Ich musste mir ein Kichern verkneifen.
"Nun gut. Ich rieche James und seine Familie. Sie müssten in wenigen Minuten hier ankommen. Bitte Kinder, benehmt euch einmal anständig. Das heißt Connor keine Kämpfe mit Lewis, Lewis keine dummen Sprüche in Kaydens, Connors oder Harveys Richtung, Faith und Kayden bitte ignoriert nicht wieder die Gäste und interagiert auch ein bisschen mit ihnen. Und um Gottes Willen Evie dieses Mal keine Anzüglichkeiten. Nicht vor James und den Kindern und schon gar nicht vor dem Rudel. Du bist meine Tochter. Eine Alpha Tochter, also benimm dich auch so!", hielt Ruben seine Rede.
Durch seinen Titel als Alpha waren seine Wolfsinne noch geschärfter als unsere. Aber jetzt roch auch ich die unbekannten Gerüche von fünf Personen. Alles Wölfe, aber alle hatten den selben unverkennbaren Geruch eines anderen Rudels an sich haften.
"Seid freundlich!", zischte Ruben uns ein letztes Mal zu, bevor er zur Tür schritt und mit hoch erhobenem Kopf diese öffnete.
"James!", rief Ruben glücklich, "Es ist gut dich mal wieder zu sehen!"
Sean und Harvey folgten Ruben nach draußen. Wir Kinder waren es schon gewohnt, drinnen zu warten, bis alle zu uns kamen.
"Ruben, mein alter Freund", hörte ich jetzt eine unbekannte, aber sehr freundlich klingende Stimme, "Es ist zu lange her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben."
"Das stimmt. Komm, lass uns rein gehen. Dann stell ich dir meine Kinder vor."
Nacheinander betraten Ruben und ein Mann, ungefähr um die 50 Jahre das Haus. Den beiden folgten eine wunderschöne Frau mit blonden Haaren, im selben Alter wie James und drei Kinder zwischen 15 und 20 Jahren. Es waren zwei Mädchen und ein Junge.
"Nein!", hörte ich plötzlich Evie neben mir entsetzt flüstern.
Verwirrt sah ich zu ihr rüber, aber ihr Blick lag auf einem der Kinder. Ruben ignorierte einfach das seltsame Verhalten seiner ältesten Tochter und fing an uns vorzustellen.
"Das sind meine Kinder Kayden, Connor, Evie, Faith und Lewis. Und meine Stellvertreter Sean und Harvey müsstest du ja noch kennen", erzählte Ruben stolz.
"Freut mich sehr euch alle endlich kennenzulernen. Ich habe schon so viel von euch gehört", antwortete der Alpha an uns gewandt, "Das ist meine Frau Grace und unsere Zwillinge Summer und River und unsere jüngste Riley."
Beinahe unwirklich zuckte Evie bei Summers Namen zusammen.
"Es freut uns sehr Sie und Ihre Familie bei uns begrüßen zu dürfen", übernahm Kayden als ältester Sohn das Gespräch.
"Ach bitte kein Sie. Wir sind eine Familie. Nicht wahr?", lachte der ältere Mann und sah dabei zwischen seiner Tochter Summer und Evie hin und her. Erst jetzt wurde mir bewusst, was Evie vorhin meinte.
"Nein!", stieß ich ebenfalls fassungslos aus. Ich hatte Evie noch nie so schnell rennen sehen, wie in diesem Moment. Sie drehte auf den Fersen um und rannte die Stufen zu ihrem Zimmer hinauf. Ich wollte ihr sofort hinterher, aber ich wollte mich nicht dem wütenden Blick unseres Vaters widersetzen. Flehend sah ich ihn an, bis er mir mit einem Nicken zu verstehen gab, dass ich gehen durfte.
"Entschuldigung", brachte ich leise vor dem anderen Alpha hervor und rannte dann meiner Schwester hinterher.
*
"Ich gehe da nicht mehr runter!", brüllte Evie mir sofort entgegen, als ich das Zimmer betrat. Schnell schloss ich die Tür hinter mir. Im Haus waren alle Türen und Wände schalldicht, um die Privatsphäre vor neugierigen Wolfsohren zu schützen.
"Deswegen bin ich doch überhaupt nicht hier. Ich weiß das es dir nicht gut geht und ich wollte dich jetzt nicht alleine lassen."
Weinend brach Evie in meinen Armen zusammen.
"Sie ist meine Seelengefährtin", brachte sie zwischen Schluchzern hervor.
"Aber das ist doch nichts schlimmes. Sie scheint wirklich nett zu sein. Außerdem ist es eine unglaubliche Ehre, das du so glücklich bist und eine Gefährtin gefunden hast", versuchte ich meine Schwester zu beruhigen.
"Aber ich habe doch gerade erst Alec eine Chance gegeben. Wir sind zusammen. Ich habe vorhin noch mit ihm telefoniert! Außerdem stehe ich doch überhaupt nicht auf Frauen!", schluchzte Evie weiter.
Ich hatte sie noch nie in meinem Leben so aufgelöst gesehen.
"Die Mondgöttin hätte dich nicht mit ihr zusammen gebracht, wenn da überhaupt nichts zwischen euch wäre. Du hast einfach noch nie ausprobiert, ob du Frauen auch anziehend finden könntest. Gib Summer eine Chance", redete ich auf sie ein.
"Und was ist mit Alec?", fragte Evie, "Ich kann mich doch nicht nach wenigen Stunden sofort von ihm trennen! Er ist ein toller Typ und ich mag ihn wirklich."
"Rede doch erst einmal mit Summer. Lern sie kennen. Sie sind eine ganze Weile hier. Aber sei ehrlich zu ihr. Erzähl ihr von Alec und dass du noch nie etwas mit einer Frau hattest, geschweige denn eine Frau anziehend gefunden hast. Es wird schon alles seinen Weg finden", beschwichtigte ich Evie.
"Und jetzt lass uns wieder runter zum Essen gehen. Es warten bestimmt alle auf uns."
"Nein, ich gehe da nicht runter und bitte zwing mich nicht", flehte Evie, "Lass mich diese Nacht über alles nachdenken und morgen bin ich wieder ganz normal dabei. Ok?"
"Na gut. Ich gehe runter und versuche es Ruben zu erklären. Ich bringe dir nach dem Essen etwas hoch. Du kannst nicht nichts essen. In Ordnung?", schlug ich vor.
Nickend vergrub Evie, ihr von Tränen überlaufenes Gesicht wieder in den weichen Kissen auf ihrem Bett.
*
Als wieder unten ankam, musste ich mitansehen, wie das hoffnungsvolle Gesicht von Summer in sich zusammenfiel, als ich alleine die Treppe herunter kam. Sie tat mir so unglaublich leid. Summer hatte gerade ihre Seelengefährtin gefunden, einen der glücklichsten Momente im Leben eines Wolfes und dann wollte ihre Seelengefährtin nichts mit ihr zu tun haben und versteckte sich sogar vor ihr.
Fragend sah Ruben mich an. Aber ich konnte nur den Kopf schütteln.
"Gut, dann lasst uns mit dem Essen anfangen", versuchte Ruben mit einer heiteren Stimme von der momentanen Lage abzulenken.
Während wir vom Wohnzimmer zum Essenssaal gingen, lief ich zu Summer. Schnell nahm ich ihre Hand in meine und drückte sie einmal feste.
"Sie wird morgen mit dir reden. Gib ihr etwas Zeit", flüsterte ich so leise wie möglich, aber natürlich hatte jeder im Raum die gesprochenen Worte gehört.
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