43 - Bürokaufmänner an die Macht
Brendons POV
Nach Schulschluss treffen sich Noelie und ich auf dem Pausenhof. Direkt unter dem Apfelbaum, der immer mehr Blätter verliert.
Es ist süß, zu beobachten, wie sich ein glückliches Strahlen auf Noelies Gesicht ausbreitet, sobald sie mich unter dem bunten Laubdach entdeckt hat.
„Na?", begrüße ich sie mit einer Umarmung. „Wie war dein Tag?"
Noelie seufzt. „Langweilig", behauptet sie, indem sie gespielt gähnt. „Außerdem hatte ich die ganze Zeit furchtbar große Sehnsucht nach dir."
Bei ihren Worten wird mir warm ums Herz. Sofort breiten die Schmetterlinge, die sich in meinem Magen tummeln, ihre Flügel aus und poltern wild gegen meine Bauchdecke.
„Ich habe dich auch vermisst", gestehe ich leise. Um meine Aussage zu unterstreichen, beuge ich mich langsam zu ihr rüber und hauche ihr einen federleichten Kuss auf die Wange.
Daraufhin kichert Noelie verlegen. Sie schnappt sich meine Hand, verflechtet unsere Finger miteinander und setzt sich dann in Bewegung.
Was unser Ziel ist? Ausnahmsweise nicht das Sip Happens, sondern die Pizzeria Moonlight Mozzarella.
Gemeinsam schlendern wir durch die Straßen Ravenvales. Zur Abwechselung hängen heute keine dunklen Wolken am Horizont. Stattdessen breitet die Sonne ihre warmen Strahlen aus und taucht die Stadt in ein goldenes Licht, das die Fassaden der Gebäude zum Leuchten bringt und die gepflasterten Straßen wie glitzernde Bänder erscheinen lässt.
Ich genieße es, Noelie so nah neben mir zu spüren und ihren blumigen Duft zu inhalieren.
„Wie war eigentlich dein Gespräch mit Cleo?", erkundige ich mich irgendwann neugierig bei ihr.
Wie auf Knopfdruck lässt Noelie ihre Schultern hängen und stößt ein tiefes Seufzen aus. Kurz zögert sie, ehe sie sagt: „Sei mir bitte nicht böse, Brendon, aber ohne Cleos Zustimmung werde ich dir nichts erzählen. Das würde sich falsch anfühlen."
„Schon okay", erwidere ich. „Cleo kann sich glücklich schätzen, so eine loyale Freundin wie dich zu haben!"
Noelie lächelt zaghaft. „Danke." Sie drückt meine Hand. „Aber was ich dir schon mal sagen kann: Wir müssen ihr in der nächsten Zeit dabei helfen, sich selbst zu akzeptieren."
Tja, das kommt mir irgendwie bekannt vor ...
Sich selbst zu lieben, kann verdammt schwierig sein. Vor allem dann, wenn einem jahrelang etwas anderes eingeredet wurde.
Bleibt nur zu hoffen, dass Cleos Selbstwertgefühl nicht so zertrümmert ist, wie mein eigenes.
„Das schaffen wir!", behaupte ich optimistisch, um sowohl Noelie als auch mir selbst Mut zu machen. „Ich helfe dir, wo ich nur kann. Versprochen!"
Automatisch wird Noelies Lächeln breiter. Und ehrlicher. „Das weiß ich sehr zu schätzen, Brendon. Danke!" Sie bleibt stehen, stellt sich auf ihre Zehenspitzen und drückt mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Dass mein Magen nun vor lauter Aufregung blubbert und ich das Gefühl habe, auf Wolke Sieben zu schweben, scheint sie nicht zu bemerken.
„Jetzt lass uns aber endlich ins Moonlight Mozzarella gehen, ja? Ich sterbe gleich vor Hunger!"
Dieses Mal liegt es an mir, zu grinsen. „Dein Wunsch sei mir Befehl!"
🍂🍂🍂
Als ich am Donnerstag von der Schule nach Hause komme, bleibt mein Herz für eine Sekunde stehen. Nur um gleich darauf doppelt so schnell weiterzuhämmern, wie zuvor. Jeder Schlag, der meinen Körper zum Vibrieren bringt, verstärkt das ungute Gefühl in meiner Magengrube.
Warum zum Teufel steht Dads Wagen auf der Auffahrt? Eigentlich sollten er und Logan erst am nächsten Wochenende wieder nach Ravenvale kommen.
Ob etwas passiert ist? Sonst würden sie wohl kaum an einem normalen Donnerstagnachmittag hier auftauchen, oder?
Begleitet von meinem rasenden Herzen eile ich zur Haustür. Meine Finger zittern wie Espenlaub, als ich den Schlüssel ins Schloss stecke und ihn zweimal rumdrehe.
Im Flur schwappt mir direkt eine Welle aus Hitze und gebrannten Mandeln entgegen. Ich pfeffere meinen Rucksack neben die Treppe und laufe dann, ohne Jacke und Schuhe auszuziehen, in Richtung Wohnzimmer weiter. Schon aus der Entfernung kann ich das Stimmengewirr meiner Eltern hören.
„Dad?!", brülle ich, noch bevor ich die Tür erreicht habe. Angst wallt in mir auf und betäubt meine Seele.
Warum ist er hier und nicht in Kingston Valley?
Außer Atem stolpere ich ins Wohnzimmer. Ich habe keine Ahnung, mit welchem Anblick ich innerlich gerechnet habe, aber definitiv nicht mit dem harmonischen Bild, das sich mir gerade bietet.
Mom und Dad haben es sich mit einer Tasse Kaffee auf dem Sofa gemütlich gemacht. Ihre Körper sind aneinandergeschmiegt und sie unterhalten sich lachend.
Auch Logan ist hier. Er hockt auf dem Boden und ist damit beschäftigt, ein Schildkrötenpuzzle zusammenzusetzen.
„Oh, Ben!", entdeckt mich Mom als Erste. Ein sanftes Lächeln, das meinen panischen Herzschlag entschleunigt, breitet sich auf ihren Lippen aus. „Da bist du ja."
„H-Hi", erwidere ich krächzend. Mit Wackelpuddingbeinen nähere ich mich dem Sofa und setze mich zu Dad. Meinem kleinen Bruder schenke ich vorerst keine Beachtung. Aber auch nur, weil er beim Puzzeln in seiner eigenen Welt gefangen ist und nicht gestört werden möchte.
„Hey Großer!", begrüßt mich Dad strahlend, indem er mir auf die Schulter klopft. „Wie war die Schule?"
Ich schüttele abweisend den Kopf, denn es gibt gerade eindeutig wichtigere Themen zu besprechen. „Warum ..." Ich räuspere mich. „Warum seid ihr hier? Mitten in der Woche?" Trotz Dads Lächeln bleibt das ungute Grummeln in meiner Magengrube bestehen. „Ist etwas passiert?"
Dad stellt seine gepunktete Kaffeetasse mit dem Aufdruck Kaffee – weil Erwachsensein ohne Magie ziemlich anstrengend ist auf dem kleinen Glastisch ab. Dann legt er seine Hand auf mein Knie und drückt leicht zu. „Ich hatte heute Mittag ein Vorstellungsgespräch."
„Hä?", entflieht es mir noch in derselben Sekunde verwirrt.
Nicht nur Dad lacht, auch Mom entwischt ein amüsierter Laut.
„In Hollowbrook suchen sie in der Möbelindustrie einen Bürokaufmann", versucht Dad, etwas Licht in die Dunkelheit zu bringen. „Hollowbrook ist nur 20 Minuten mit dem Auto von Ravenvale entfernt."
Mein Herz schlägt schneller. Im Takt der Hoffnung.
„Scheinbar habe ich den Chef so sehr von mir überzeugt, dass er mir die Stelle sofort angeboten hat. Vor den Sommerferien kann ich dort anfangen."
Was? Dads Worte fühlen sich total surreal an. Nicht echt.
Ich spüre, wie sich meine Augen weiten und mein Mund einen Spalt offensteht. Da wirbeln gerade so viele Gedankenfetzen durch mein Oberstübchen, dass es mir unmöglich erscheint, sie sinnvoll zu ordnen oder gar in Worte zu fassen.
Dad hat also ein Jobangebot als Bürokaufmann in Hollowbrook ...
„Und was ... Was bedeutet das jetzt?", hake ich überfordert nach.
Statt mir sofort eine Antwort zu geben, wirft Dad Mom einen liebevollen Blick zu. Erst danach lässt er die große Bombe platzen. „Logan und ich werden zu euch ziehen. Im Sommer kommen wir endlich nach Hause!"
Seine Worte treffen mich so unvorbereitet, dass mir sämtliche Luft aus den Lungenflügeln weicht. Ich blinzele einmal und dann nochmal. Und nochmal.
Habe ich mich etwa verhört?
Dad und Logan ziehen zu uns nach Ravenvale?
Tränen aus Freude und Erleichterung nisten sich in meinen Augen ein und eine riesige Last fällt von meinen Schultern. Sie schlägt krachend auf dem Boden auf und verpufft dort zu Staub.
„Logan wird das vierte Schuljahr an einer Grundschule hier in Ravenvale absolvieren", fährt Dad fort. „Eigentlich wollten deine Mom und ich ihn nicht direkt aus seinem gewohnten Umfeld reißen, aber dein Bruder hat sich dafür stark gemacht, bei dir zu sein. Um genauso tolle Freude in Ravenvale zu finden, wie du sie hast."
Das alles hört sich so furchtbar surreal an, dass ich mir in die Handinnenfläche kneifen muss. Nur um einen Atemzug später festzustellen, dass dieses Gespräch kein Produkt meiner Fantasie ist.
Gott sei Dank!
„Also sind wir bald wieder eine richtige Familie?", frage ich Mom und Dad hoffnungsvoll.
„Das waren wir schon immer, Ben", korrigiert mich Dad lächelnd, „aber ab dem Sommer gibt es endlich keine Distanz mehr zwischen uns!"
Und das ist etwas, das ich schon jetzt kaum noch erwarten kann!
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