34 - Aufklärung gefällig?!
Noelies POV
Meine Nerven liegen blank, als ich am Montagmorgen die Sporthalle der Raven High ansteuere. Eigentlich wollte ich noch am Wochenende mit Taya und Emmett sprechen, aber weil die beiden auf dem 90. Geburtstag von Tayas Granny eingeladen waren, habe ich es nicht über das Herz gebracht, sie an diesem besonderen Tag mit Vorwürfen und Fragen zu konfrontieren. Außerdem bin ich mir nicht zu hundert Prozent sicher, ob die beiden wirklich etwas mit Brendons abweisendem Verhalten zu tun haben oder nicht.
Während ich der Sporthalle Schritt für Schritt näherkomme, ist meine Atmung flach und abgehackt und mein Körper fühlt sich wie Wackelpudding an. Zusätzlich zucken Blitze aus Ungewissheit und Angst unter meiner Haut.
Taya und Emmett sind im Laufe der Zeit gute Freunde von mir geworden. Hoffentlich täuscht mich mein Bauchgefühl und ich mache ihnen gleich zu Unrecht Vorwürfe.
Sobald ich die Halle erreicht habe, öffne ich die große Eingangstür, durchquere die Umkleidekabine, die nach Schweiß und nassem Handtuch riecht, und folge der lauten Musik, die wie ein Donnerschlag durch die Luft schallt.
Sofort pocht mein Herz schneller. Einfach deshalb, weil ich nicht einschätzen kann, welche Überraschungen die nächsten Minuten bereithalten.
Ich hole noch einmal tief Luft, bevor ich mich in das Innere der Sporthalle wage. Wie jedes Mal, wenn ich hier bin, schlägt mir eine Welle aus Schweiß und Gummi entgegen.
Am anderen Ende der Halle entdecke ich Taya, die konzentriert an einem neuen Cheerleading-Move arbeitet. Sie springt mit fließenden, präzisen Drehungen durch die Luft und strahlt mit jeder einzelnen Bewegung eine perfekte Balance aus Kraft und Eleganz aus.
Emmett steht etwas abseits an einer Bank und beobachtet seine Freundin aufmerksam. Natürlich mit einem stolzen Lächeln auf den Lippen.
Taya ist eine sehr zielstrebige und ehrgeizige Cheerleaderin. Jeden Montagmorgen vor Schulbeginn versucht sie, ihre Fähigkeiten weiter auszubauen und zu perfektionieren. Emmett unterstützt sie dabei.
Auch wenn ich Taya gerne noch länger zuschauen würde, setze ich nun einen Fuß vor den anderen und räuspere mich. Obwohl die Halle relativ groß ist, habe ich sie binnen weniger Sekunden komplett durchquert.
„Oh, hey Ella!", begrüßt mich Taya überrascht, nachdem sie mich entdeckt hat. Noch in derselben Sekunde hastet sie zu der kleinen, roten Box, die auf dem Boden steht, und pausiert die Musik. „Seit wann machst du vor der ersten Stunde die Sporthalle unsicher? Gibt's ein neues Morgenritual, von dem ich nichts weiß?"
Bei dem breiten Grinsen, das ihre Lippen umspielt, wird mir speiübel.
Ist Taya wirklich diejenige, die einen Keil zwischen Brendon und mich getrieben hat? Mein Herz weigert sich, das zu glauben, doch mein Kopf ist fest von ihrer Schuld überzeugt.
„Dein Timing ist echt grandios!" Taya hüpft aufgeregt von dem rechten Fuß auf den linken. Ihre Augen sprühen Funken, als sie hinzufügt: „Ich habe es endlich geschafft, den Standing Back Handspring perfekt durchzuführen! Willst du mal sehen?"
„Sag jetzt bloß nicht Nein", rät mit Emmett lachend. „Sonst waren meine ganzen, grauen Stresshaare, die ich beim Üben bekommen habe, umsonst."
„Üben?", wiederholt Taya misstrauisch. „Du hast doch einfach nur zugeguckt und zwischendurch ein paar unqualifizierte Kommentare abgegeben."
„Stimmt gar nicht!"
„Wohl!", beteuert Taya. „Zum Glück bist du mein Freund und nicht mein Trainer."
Apropos Freund ... Das ist mein Stichwort.
Ich räuspere mich, um die Aufmerksamkeit der beiden Turteltäubchen auf mich zu ziehen, und verschränke gleichzeitig die Arme vor der Brust. Einerseits habe ich Angst, Taya und Emmett nach Brendon auszufragen, andererseits sehne ich mich nach Gewissheit.
„Ist, ähm ..." Taya, die meinen Stimmungswechsel bemerkt hat, runzelt verwirrt die Stirn. „Ist alles okay, Ella?"
„Keine Ahnung." Es fällt mir schwer, mich nicht dem Wirbelsturm aus Gedanken und Gefühlen hinzugeben, der durch meinen Körper fegt. „Habt ihr zwei etwas damit zu tun, dass sich Brendon seit letztem Dienstag von mir fernhält und mich ignoriert? Angeblich hat er mit Fletcher Irwin gesprochen ..."
Taya und Emmett schweigen.
Erst sind es nur ein paar Sekunden, die in unerträgliche Stille getaucht werden, doch aus den Sekunden werden Minuten. Die beiden schaffen es nicht, mir in die Augen zu schauen und mustern lieber den dreckigen Hallenboden.
Das ist Antwort genug.
„Also ja", stelle ich krächzend fest.
Innerlich rechne ich damit, jeden Moment vor lauter Wut zu explodieren, aber stattdessen ist da nur diese Leere, die mein Inneres ausfüllt.
Die Enttäuschung fühlt sich schwer und drückend an. Als hätten Taya und Emmett einen kalten Stein auf meine Brust gelegt. In meinem Bauch breitet sich ein unangenehmes Stechen aus und in meinem Hals formt sich ein Kloß.
„Was ... Was habt ihr mit Brendon gemacht?"
Taya öffnet ihren Mund, schließt ihn allerdings sofort wieder. Ich kann sehen, wie sich ein Feuer aus Schuldgefühlen in ihren Pupillen entzündet und sie verkrampft auf ihre Unterlippe beißt. Wenn mich nicht alles täuscht, bilden sich sogar vereinzelte Tränen hinter ihren Lidern.
Auch Emmett sieht wie ein Häufchen Elend aus. Die Gewissensbisse sind ihm wie ein Kunstwerk ins Gesicht gemeißelt.
„Verdammt!" Ich stampfe wütend auf den Boden. „Sagt mir jetzt sofort, was passiert ist!"
Sie zucken zusammen, doch mein Mitleid hält sich in Grenzen. Alles, woran ich denken kann, ist Brendon.
„Wir wollten nur dein Bestes, Noelie! Wirklich!"
Es sind sieben Worte. Sieben vermeintlich harmlose Worte. Dass sie die Kraft haben, mich in einen Strudel aus Fassungslosigkeit zu ziehen und zwei Freundschaften zu zerstören, erfahre ich erst ein paar Minuten später.
🍂🍂🍂
Zusammengekauert hocke ich zwischen den Müllcontainern, die sich hinter der Sporthalle befinden. Verdorbenes Essen und der Geruch von frisch gemähtem Rasen wehen mir um die Nase. Es ist kalt und windig. Außerdem bin ich furchtbar aufgeregt.
Warum?
Weil ich heute Morgen eine Nachricht von Taya erhalten habe.
Brendon ist wieder in der Schule. Wir reden mit ihm und Fletcher. Versprochen🤞 In der Mittagspause hinter der Sporthalle. Versteck dich zwischen den Mülltonnen, dann kannst du zuhören.
Obwohl ihr Geständnis schon zwei Tage in der Vergangenheit zurückliegt, wird mein Herz noch immer hinter Gitterstäben der Enttäuschung gefangen gehalten.
Wie konnte sie mir bloß so dermaßen in den Rücken fallen? Das habe ich nicht erwartet. Echt nicht!
Mit einem hastigen Kopfschütteln verbanne ich Taya aus meinem Oberstübchen. Stattdessen konzentriere ich mich auf die Schritte, die sich schlurfend den Müllcontainern nähern. Automatisch schlägt mein Herz schneller und wechselt in den Takt der Angst.
Ob das Taya, Emmett, Brendon und Fletcher sind?
Vorsichtig lehne ich mich ein Stück nach vorne und luge um die Ecke. Vier Paar Schuhe stehen dicht beieinander. Ohne es kontrollieren zu können, bleibt mein Blick direkt an den dunkelblauen Winterschuhen mit der abgewetzten Sohle hängen.
Brendon!
Ein schwaches Lächeln huscht über meine Lippen. Am liebsten würde ich auf der Stelle mein Versteck verlassen und ihm vor lauter Sehnsucht um den Hals fallen, aber ich bezweifele, dass er sich über meine Anwesenheit freuen würde.
Ich muss darauf vertrauen, dass Taya und Emmett ihr Versprechen halten und die Sache mit den Fake-Briefen aufklären.
Als hätte Emmett die Superkraft, meine Gedanken zu lesen, murmelt er nun: „Hier können wir ungestört reden."
„Worüber denn?", hakt eine fremde Jungenstimme nach. Vermutlich Fletcher. „Ist euch eine gute Date-Idee eingefallen?"
Was?
Meine Finger sind um den kalten Rand des Containers geklammert, während ich mich weiter nach vorne beuge. Dieses Mal erkenne ich den grauen Stoff von Brendons Hose und den Saum seiner Jacke, der leicht zerknittert ist.
„Wir ..." Es ist Taya, die sich verlegen räuspert. „Wir müssen euch etwas sagen."
„Bitte lasst uns ausreden und hört uns zu, okay?", schiebt Emmett hinterher.
Ich kann beiden anhören, wie unwohl sie sich fühlen. Natürlich haben sie schon zigmal versucht, sich bei mir zu entschuldigen, doch so ein schwerwiegender Vertrauensmissbrauch ist nicht leicht zu verzeihen.
Ich brauche Zeit.
Und viel wichtiger: Ich brauche Brendon!
„Macht es doch nicht so spannend", lacht Fletcher. Tatsächlich hört er sich sehr sympathisch an. Und auch ein kleines bisschen aufgeregt. „Brendon und ich sitzen schon auf heißen Kohlen."
„O-Okay." Taya holt tief Luft. Zu gerne würde ich ihr Gesicht sehen, aber stattdessen muss ich mit ihren Schuhen Vorlieb nehmen, die nervös auf der Stelle trippeln. „N-Noelie ist eine gute Freundin von uns, die immer nur an andere denkt und sich selbst oft vergisst."
Ernsthaft? Sie soll endlich ihre Lügen aufdecken und nicht unnötig um den heißen Brei herumquatschen!
„Genau", pflichtet Emmett seiner Freundin bei. „Wir, na ja, wir wollten Noelie was Gutes tun und sie mit jemandem verkuppeln, der ihr die Welt zu Füßen legt. Einfach, weil sie es verdient hat, glücklich zu sein."
Mit einem großen Kloß im Hals beobachte ich, wie Brendons Finger den Weg zum Saum seiner Jacke finden. Dass er sich unwohl fühlt, ist nicht zu übersehen.
„Da bist du dann ins Spiel gekommen, Fletcher", fährt Taya fort. „Unserer Meinung nach würdest du perfekt zu Noelie passen. Deshalb haben wir angefangen, dir Briefe zu schreiben. In Noelies Namen. Wir-"
„Was?!", unterbricht Fletcher sie entsetzt. Vermutlich sind seine Augen so groß wie Untertassen, als er nachhakt: „Willst du mir gerade ernsthaft verklickern, dass die Briefe von euch und nicht von Noelie waren?"
Ich kann seinen Herzschlag bis hier hin hören. Wie er sich mit meinem eigenen vermengt.
„Also ... Wir ...", verhaspelt sich Taya überfordert.
Wie immer, wenn sie in der Klemme steckt, eilt ihr Emmett zur Hilfe. „Wir hatten keine bösen Absichten, Fletcher!", behauptet er. „Obwohl wir Noelie von dir erzählt haben, hatte sie kein Interesse daran, dich kennenzulernen. Wir dachten, dass sie bloß etwas mehr Zeit bräuchte und-"
„Und was?!" Fletcher klingt verärgert. Und verletzt. „Ist euch eigentlich klar, was ihr getan habt?!" Seine Stimme ist so laut, dass ich zusammenzucke. „Ihr habt verdammt nochmal mit meinen Gefühlen gespielt! Ich habe private Dinge, die sonst niemand weiß, in diesen Briefen festgehalten. Scheiße!" Er läuft unruhig von rechts nach links. „Deshalb also das Versteck unter dem Apfelbaum und nicht Noelies Spind ... Weil sie nichts von den Briefen wusste ..."
Ich schlucke schwer und versuche die Gänsehaut, die über meine Arme krabbelt, zu ignorieren.
Zwar kenne ich Fletcher nicht, doch er tut mir unfassbar leid. Scheinbar hat er nicht nur Gefühle entwickelt, sondern auch Sachen über sich preisgegeben, die er nicht jedem erzählt.
„Warum sollte ich dann überhaupt zu Brendon gehen und ihn nach einer Date-Idee fragen, hm?", hakt Fletcher nun verständnislos nach. „Spätestens wenn ich Noelie um ein Date gebeten hätte, wäre eure Lüge mit den Briefen aufgeflogen."
Taya und Emmett lassen seine Frage unbeantwortet.
Doch ich kenne die Antwort: Sie wollten Brendon extra in dem Glauben lassen, ich sei in Fletcher verliebt, weil sie finden, dass Brendon und ich nicht gut miteinander harmonieren und kein schönes Pärchen abgeben würden.
„Gott, ich weiß echt nicht, was ich noch dazu sagen soll!" Fletchers Stimme bebt. Nur zwei Sekunden später folgt ein leises, verletztes Schluchzen.
Sofort wird mein Herz schwer wie Blei.
Diesen Kummer und Schmerz hat er nicht verdient.
„Fletcher, wir-", setzt Taya hilflos an.
„Nein!", erwidert er wütend. „Lasst mich verdammt nochmal in Ruhe!" Im Einklang mit seinem letzten Wort entfernt er sich von den Müllcontainern.
„Hey, warte!", ruft Emmett ihm nach.
Statt sich nun bei Brendon zu entschuldigen, entscheidet sich Emmett dafür, Fletcher hinterher zu laufen. Auch Taya wählt die Flucht.
Noch immer lodert ein Feuer der Enttäuschung und Wut in meinem Herzen. Dass die beiden in meinem Namen Briefe geschrieben haben, um mich mit einem Jungen zu verkuppeln, den ich überhaupt nicht kenne, geht gar nicht! Vielleicht haben sie es wirklich nur gutgemeint, doch mein Vertrauen ist zerbrochen.
Eilig wische ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel.
Taya und Emmett gehören vorerst meiner Vergangenheit an. Jetzt gerade zählt nur der Mensch, der mein Herz berührt, ohne mich anzufassen: Brendon!
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