17 - Alpakas fressen alle Sorgen
Brendons POV
Es kostet mich all meinen Mut, doch nach Schulschluss warte ich an dem dunkelblauen Mini, der mich an meinem ersten Tag beinahe plattgefahren hätte.
Warum?
In der Hoffnung, Noelie abzufangen, um mit ihr zu sprechen.
Ausnahmsweise geht mein Plan sogar auf, denn nach wenigen Minuten entdecke ich sie gutgelaunt auf dem Pausenhof. Ihre blauen Augen glitzern und ein fröhliches Lachen umspielt ihre Lippen.
Neben Noelie läuft ein Mädchen mit feuerroten Haaren her. Sie trägt ein enganliegendes Top, einen kurzen Rock und Stiefeletten mit Absatz. Ihr Gesicht ist so stark geschminkt, dass es mir schwerfällt, ihre echten Emotionen zu erkennen.
Cleo Mullington.
Wir besuchen zwar vier Kurse zusammen, aber ein Wort haben wir noch nicht miteinander gewechselt. Ich weiß, dass ich nicht vorschnell urteilen sollte, doch auf mich wirkt sie recht kühl, unnahbar und arrogant. Wenn ich so recht darüber nachdenke, habe ich sie auch noch nie lachen gesehen. Nur jetzt gerade mit Noelie.
Na ja, oft kann der erste Eindruck täuschen. Außerdem bin ich bereit, jedem Menschen eine Chance zu geben, mir seinen wahren Charakter zu zeigen.
Je näher mir die beiden Mädels kommen, umso kräftiger schlägt mein Herz. Kurz überlege ich, doch noch das Weite zu suchen, aber als ich mich umdrehen möchte, ist es bereits zu spät.
„Brendon?!", ruft Noelie überrascht meinen Namen aus der Ferne. Sie löst sich von ihrer Freundin und beschleunigt ihre Schritte.
Cleo folgt ihr. Allerdings mit deutlich weniger Elan. Und natürlich mit ihrem Pokerface.
„H-Hey", stammele ich verunsichert, sobald Noelie vor mir zum Stehen kommt.
„Hey", erwidert sie. „Ist alles in Ordnung?"
Ich nicke. Weiter komme ich nicht, denn Cleo taucht neben Noelie auf und stützt sich keuchend auf ihrer Schulter ab. „Habe ich schon mal erwähnt, dass ich Sport hasse?", schnauft sie atemlos.
„Jetzt übertreib mal nicht!", lacht Noelie. „Das waren höchstens zwanzig Meter Powerwalking."
„Zwanzig Meter zu viel ..." Obwohl es kalt ist und die Temperaturen heute beinahe an der Fünf-Grad-Marke kratzen, fächelt sich Cleo mit der Hand Luft zu.
Wahrscheinlich klingt es albern, aber sie sammelt gerade mächtig Pluspunkte bei mir. Einfach, weil ich genauso ein Sportmuffel bin, wie sie.
„Brendon?" Noelie wartet, bis ich unsere Blicke miteinander verwebe. „Das ist übrigens Cleo." Sie deutet auf ihre Freundin. Dann fügt sie hinzu: „Cleo? Brendon."
Mein Herz schlägt schneller und das Unbehagen in meiner Brust wächst.
„H-Hi", krächze ich überfordert an Cleo gewandt. „Wir ... Wir haben ein paar Kurse zusammen." Ich bemühe mich um ein freundliches Lächeln, aber es sieht wahrscheinlich wie eine gruselige Fratze aus.
„Stimmt", bestätigt Cleo. „Und überall bist du der Lehrerliebling." Sie schaut mich zwar an, doch sie verzieht keine Miene. Ihr undurchdringlicher Gesichtsausdruck macht es mir unmöglich, ihre Gedanken oder Gefühle zu lesen.
Und ja, das verunsichert mich extrem!
„Entspann dich, Brendon!" Tatsächlich macht sich nun der Anflug eines Grinsens auf Cleos Lippen breit, während sie mir sanft gegen den Oberarm boxt. „Ich komme gut mit Lehrerlieblingen klar." Ihre Augen richten sich auf Noelie. „Hier ist schließlich noch so ein Exemplar."
„Nur keinen Neid, Cleo", erwidert Noelie. „Wärst du nicht so faul, könntest du auch bessere Noten haben."
Daraufhin verdreht Cleo ihre Augen. „TikTok ist einfach spannender als der Unterricht", behauptet sie grinsend. „Ich warte im Auto." Zu meiner großen Überraschung winkt sie mir sogar zum Abschied zu, bevor sie die Fahrertür öffnet und im Inneren des dunkelblauen Minis verschwindet.
Erleichtert atme ich die angehaltene Luft aus. Außerdem lockern sich meine angespannten Muskeln, da ich nun allein mit Noelie bin. Sie schaut mich bereits erwartungsvoll und neugierig aus ihren großen Kulleraugen an, als ich sie frage: „Hast du eventuell ein paar Minuten Zeit für mich? Ich-"
Noelie fällt mir euphorisch ins Wort. „Natürlich habe ich Zeit. Wollen wir wieder einen Kakao im Sip Happens trinken?"
Um ehrlich zu sein bin ich überrascht von ihrem Vorschlag. Trotzdem überwiegt die Freude. „Gerne!", stimme ich ihr zu. „Aber nur, wenn es dir wirklich passt. Nicht, dass du eigentlich mit Cleo verabredet bist oder so ..."
„Nein, nein!", beteuert sie. „Ich gehöre ganz dir, Brendon!"
🍂🍂🍂
Anders als bei unserem letzten Besuch setzen wir uns nicht sofort in das Café, sondern statten den Alpakas einen Besuch ab. Sie sehen flauschig und weich aus mit ihren Fellmänteln, die in verschiedenen Tönen von Weiß, Braun und Grau schimmern.
Einige Tiere stehen unbeeindruckt auf der Wiese und kauen Gras, während andere neugierig ihre Köpfe heben und Noelie und mich aus großen Augen beobachten. Ein besonders mutiges Alpaka tritt sogar zu uns an den Zaun, schnuppert an Noelies ausgestreckter Hand und wackelt dabei verspielt mit den Ohren.
Es ist beeindruckend, wie freundlich und entspannt die Fellnasen wirken.
„Worüber wolltest du mit mir sprechen?", erkundigt sich Noelie bei mir, nachdem sich das mutige Alpaka von ihr abgewendet hat und sich stattdessen ein saftiges Grasbüschel auf der Wiese sucht.
Ich schlucke schwer, denn plötzlich kommt mir mein Anliegen total dämlich vor.
„Ach weißt du ..." Ich mache eine wegwerfende Handbewegung und lache gekünstelt. „... ist gar nicht mehr so wichtig."
Noelie legt ihren Kopf schief. Für ein paar Sekunden mustert sie mich stumm, ehe sie ihre Hand vorsichtig auf meine Schulter legt. „Du kannst mir alles sagen", murmelt sie einfühlsam. „Egal wie wichtig oder unwichtig es dir erscheint."
Ich senke den Blick. Ohne es verhindern zu können, finden meine Finger den Weg zum Saum meiner Jacke und nesteln dort nervös herum. Eine blöde Angewohnheit, die ich einfach nicht mehr loswerde.
„Spuck's aus, Brendon!", fordert mich Noelie auf. „Ansonsten bestelle ich dir gleich einen Cozy Pumpkin Sip."
Auch wenn ich mir sicher bin, dass sie ihre Drohung nicht ernstmeint, dreht sich mein Magen einmal um. Wie schon gesagt: Kürbisse und ich sind nicht unbedingt die besten Freunde.
„Na schön", gebe ich seufzend nach. „Ich, ähm ... Ich habe mich gefragt, wie schwierig die Klausuren an der Raven High sind." Ich spreche so schnell und undeutlich, dass sich meine Stimme überschlägt.
„Wie bitte?"
Ein weiterer Seufzer entflieht meinen Lippen. „Am Montag schreibe ich meine allererste Klausur. Und dann am Dienstag und Donnerstag." Bei dem Gedanken daran, mein Wissen unter Beweis stellen zu müssen, wird mein Körper von einem nervösen Kribbeln geflutet. „In Kingston Valley hatte ich immer sehr gute Noten. Ich habe Angst, in Ravenvale zu versagen und schlecht abzuschneiden."
Dass Noelie nicht mit diesem Thema gerechnet hat, zeigt das überraschte Funkeln in ihren Pupillen. „Darüber wolltest du also sprechen?", vergewissert sie sich bei mir. „Über die Prüfungen an der Raven High?"
Vermutlich ist es nicht ihre Absicht, aber sofort fühle ich mich dumm.
„Ich habe ja gesagt, dass es nicht so wichtig ist und-"
„Nein! So war das nicht gemeint!", unterbricht mich Noelie sofort. „Ich bin nur etwas überrascht, dass du dir so viele Sorgen über die Klausuren machst. Ich habe nämlich von Cleo und Smash, äh, ich meine Theo, gehört, dass du nicht nur Lehrerliebling, sondern auch total schlau bist."
„Echt?"
„Ja", bestätigt Noelie. „Wenn du dich gut vorbereitest und dir alle Unterrichtsinhalte nochmal anschaust, wirst du die Klausuren mit links schaffen."
„Aber ich bin erst mitten im Schuljahr dazugestoßen und muss mehr lernen als die anderen."
„Das schaffst du, Brendon." Noelie greift nach meiner Hand und verflechtet vorsichtig unsere Finger miteinander. Dann malt sie in sanften Berührungen kleine Kreise auf meine Haut. „Wenn du möchtest, können wir auch gerne zusammen lernen."
„Aber ... Aber du besuchst doch ganz andere Kurse als ich."
„Na und?" Noelie zuckt mit den Schultern. „Ich mag es, neue Sachen zu lernen. Wie Cleo schon gesagt hat: Du bist nicht der einzige Lehrerliebling an der Raven High."
Eigentlich sollte es mich nicht überraschen, dass sie eine gute Schülerin ist, aber irgendwie tut es das trotzdem. Wahrscheinlich, weil Schüler mit guten Noten an meiner alten High School sofort als Streber abgestempelt und aussortiert wurden. Noelie hingegen scheint sehr beliebt zu sein.
„Was hältst du davon, wenn wir die nächsten Tage zusammen nach der Schule lernen?", bietet sie mir nun erneut ihre Unterstützung an. „Ich kann dich abfragen und dir helfen, wenn du etwas nicht verstehst."
„Das würdest du wirklich tun?", frage ich sie verunsichert.
„Natürlich!" Sie lacht. „Sonst hätte ich es ja nicht vorgeschlagen." Im Einklang mit ihrem letzten Wort taucht wieder das mutige Alpaka auf. Es hat karamellfarbenes Fell, das in alle Richtungen absteht, und dunkle Knopfaugen, die neugierig blitzen. Vorsichtig streckt Noelie ihre Hand aus und streichelt das runde Köpfchen des Alpakas. „Aber ich fordere eine Gegenleistung."
Nicht nur die Fellnase spitzt die Ohren, auch ich werde hellhörig. „Und welche?", hake ich nach. „Dass ich dir ganz viele Kürbis-Kakaos bezahle?"
Noelie schmunzelt. „Klingt verlockend, aber nein." Kurz ist sie abgelenkt, weil sich das Alpaka enger an ihre Hand schmiegt, doch sie findet schnell den Faden wieder. „Lova hat am Samstagnachmittag einen wichtigen Wettkampf. Ihr fehlen nur noch acht Hundertstel, um sich für die U23 WM nächstes Jahr zu qualifizieren."
Es dauert einen kurzen Moment, bis mir wieder einfällt, dass Lova Sprinterin ist. Zwar kenne ich mich in diesem Bereich überhaupt nicht aus, aber fast für die Teilnahme einer WM berechtigt zu sein, verbuche ich als großen Erfolg. Lova muss also echt gut sein.
„Samstag ist ihre letzte Chance, um die Norm zu unterbieten", erklärt mir Noelie. Sie nimmt ihre Augen von dem Alpaka und sucht stattdessen meinen Blick. „Hilfst du mir, Lova anzufeuern?"
Da muss ich gar nicht lange überlegen. „Klar. Ich bin dabei."
„Sehr schön." Noelie lächelt zufrieden. „Dann können wir uns jetzt unseren wohlverdienten Kakao holen, oder?"
Als würde das Alpaka jedes ihrer Worte verstehen, schnaubt es einmal zustimmend. Automatisch müssen Noelie und ich lachen.
„Na klasse, jetzt will das Alpaka auch noch mitkommen. Hoffentlich steht es nicht auf Kürbiskakao!"
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