Kapitel 3
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[Wahre Begebenheit Teil 3]
Es ist schwierig in Worte zu fassen, was es mit einem macht, wenn ein geliebter Mensch geht - sei es innerhalb einer Beziehung, Freundschaft oder sogar durch den Tod. Im Endeffekt fühlen wir uns verlassen, egal auf welche Art und Weise der Mensch gegangen ist. Für mich ist es eine Mischung aus Sehnsucht und Trauer. Sehnsucht nach dem Menschen, den man über alles liebt. Trauer, weil dieser Mensch gegangen ist. Der Liam, den ich geliebt habe, ist gegangen. Er ist gestorben, in dem Moment als ich davon erfuhr, dass er fremdgegangen war.
Chester Bennington singt in dem Song „Lost" irgendetwas von „I'm lost in these memories. Living behind my own illusion" - ich würde es genauso unterschreiben. Liebe empfindet man oft für eine Illusion. Eine selbstkreierte Illusion eines Menschen. Doch manchmal ist es an der Zeit diese zu beerdigen und nicht in ihr zu leben.
»Brauchst du vielleicht Hilfe?«
Ja, aber nicht von dir. »Nein.«
»Doch brauchst du. Warte, ich helfe dir.«
Ich fühle mich hilflos und mein Körper wird zu Eis. Ich rede mir ein, ich würde Liam für den Moment einfach nur ausnutzen. Also lasse ich ihn die Kartons zurecht falten. Die nächsten Minuten verlaufen stumm. Ich folge ihm sogar hinauf in unser altes Zimmer, welches seine Eltern extra für uns hergerichtet hatten bis zu unserem Auszug.
Ich packe ein paar Klamotten zusammen, doch die Worte in meinem Kopf erschlagen mich: »Es war nicht nur einmal.«
»Was?«
»Ich habe nachgedacht. Jetzt ergibt alles Sinn. Die Überstunden, diese spontanen Übernachtungen bei deinen Arbeitskollegen. Da war doch erst dieser Geburtstag letzten Dienstag? Letzte Woche die defekte Autobatterie deiner Fahrgemeinschaft?«
»Was würde es mir bringen dich jetzt noch zu belügen?«
»Weil du gerne lügst? Du konntest nicht mal in dem Moment ehrlich sein, als du es unbedingt sein wolltest!«
»Es war nur dieses eine Mal.«
Ich hasse mich dafür, dass ich ihm glauben will. Auch jetzt in diesem Moment, während alle Zeiger auf ‚rot' stehen.
»Ich weiß ganz genau was ich an dir habe. Ich weiß wie es dir gerade geht.«
»Weißt du überhaupt nicht!« krächze ich und es endet in einem wilden Schluchzen.
»Komm' her!« er zieht mich zu sich, danach fallen wir auf das Bett.
Ich sinke auf seine Brust, ertrinke in einem bekannten Geruch. Einem Geruch, den ich liebe.
Ich hasse mich dafür.
Ich hasse meine Schwäche.
Ich hasse ihn.
Ich hasse dieses Leben.
Ich hasse, hasse, hasse es.
Ich heule ununterbrochen. Genieße und verabscheue, was ich gerade tue.
Irgendwann habe ich mich etwas gefangen: „Ab jetzt wären es nur noch zwei Wochen gewesen. In zwei Wochen wären wir in die renovierte Wohnung gezogen. Und du hast gesagt, dass im Januar schon für dich feststand, dass wir beide niemals zusammen einziehen werden?«
»Nein, so war das nicht gemeint.«
»So in etwa hattest du es aber gesagt: Wir haben keine Zukunft. Und du weißt nicht, ob du Gefühle für mich hast? Wie kann man das nicht wissen?«
»Ich weiß, ich weiß. Es ist nicht so, als würde ich nichts fühlen.«
»Wenn du nicht weißt was du fühlst, warum hast du nicht Schluss gemacht?«
»Ich konnte es nicht über's Herz bringen. Weißt du, es ist das erste Mal seit langer Zeit, dass ich endlich wieder auf eigenen Beinen stehe. Für mich ist es wichtig erstmal alleine zu wohnen.«
»Du hast mich im Januar betrogen. Im Januar haben wir uns gemeinsam um die Renovierung der Wohnung gekümmert, haben Möbel gekauft. Wir haben gemeinsam alles vorbereitet. Vor einer Woche haben wir noch zusammen die Fliesen gewischt, damit unsere Küche dort stehen kann, wo sie jetzt steht. Ich verstehe es also nicht. Wenn wir in deinen Augen keine Zukunft hatten, warum sollte ich dann noch so lange bleiben?«
Der Ekel überkommt mich, als der Gedanke mich wie ein Stromschlag durchfährt: Es muss ihn mega angeturnt haben zwei Frauen noch am selben Tag berühren zu können.
Doch wenn es stimmt, was er sagt und es wirklich nur bei diesem einen Mal geblieben war?
»Hast du dich in Kim verliebt?«
»Nein, wir sind nur Freunde.« Das macht gar keinen Sinn.
»Aber ihr schreibt miteinander, habt ständig Kontakt.« Ich meine, der Verdacht er wäre fremdgegangen kam nicht von ungefähr. Ich hatte ihn beim Schreiben erwischt.
»Das stimmt.«
»Dann lass' mich euren Chatverlauf lesen.«
»Nein. Das würde dich nur noch mehr verletzen.« Diese Reaktion übergießt mich mit unsichtbarem Eiswasser.
Was tue ich hier überhaupt? Allein der Gedanke mit diesem Menschen weiterhin zusammen sein zu wollen, würde bedeuten sich selbst zu belügen. Also stehe ich auf und entkomme meinen Fesseln.
»Ich packe dir die Kartons in den Kofferraum.«
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»Bis dann, Harald,« ich versuche eine ruhige Stimme zu bewahren. Doch der Mann Mitte fünfzig macht es mir echt schwer.
In seinen Augen spiegelt sich verdächtig meine Silhouette und noch bevor sie sich verflüssigen kann, dreht er mir den Rücken zu. »Herrgott. Das ist zu viel für mein Herz.«
»Und wie war das Gespräch?« hechtet Jessica dazwischen. Liam ist draußen und lädt tatsächlich meine Kartons in den Kofferraum.
»So etwas wie ein „gut" kann es in dieser Situation glaube ich gar nicht mehr geben. Er hat mehrmals betont es sei wirklich nur bei diesem einen Mal geblieben.«
Sie drückt meinen Arm. »Ach' Spätzchen, es war sicherlich nicht nur dieses eine Mal.«
»Ich weiß.«
»Der Schock sitzt tief, das wissen wir. Uns geht es genauso. Wir haben dich in unsere Familie und in unser Herz geschlossen, dich wie eine Tochter behandelt. Dieses wundervolle Jahr zusammen lässt sich nicht so einfach auslöschen. Und ich weiß, zwei Jahre Beziehung lassen sich für dich noch viel weniger verdrängen. Doch du sollst wissen: Wir lieben dich und wir lieben natürlich auch Liam. Und es tut uns im Herzen weh so etwas sagen zu müssen, aber - scheiss' auf unseren Sohn! Das hast du echt nicht verdient.«
Ihre Worte berühren mich, überkommen mich fast wie eine Flut. »Es ist so schwer, Jess...«
Sie berührt meine Wange. »Denke nicht daran wie schön es war. Denke daran, was dir angetan wurde. Du schaffst das, Spätzchen. Und wo wirst du jetzt hingehen?«
»Zurück zu meiner Mom,« meine Antwort ist nur gepresst und wir wissen warum.
»Okay. Du weißt, du kannst dich immer bei uns melden, wenn du etwas brauchst, Liebes.«
»Alles klar, das mache ich.«
»So. Alles ist drin,« Liam steht plötzlich im Türrahmen.
Ich falle noch einmal in eine tiefe Umarmung und beteuere seinen Eltern bald wieder zurück zu sein, denn es waren noch lange nicht alle Sachen gepackt.
In der Kühle der Abendluft, fühlt sich mein Kopf plötzlich an als hätte er Fieber. Liam folgt mir nur kurz über den letzten Absatz der Stufen. Ich möchte mich nicht umdrehen, doch tue es trotzdem. Dann nimmt er mein Gesicht in seine Hände, während mein Körper nicht anders kann als sich zu ergeben. Heiße Tränen laufen mir über die Wangen und er gibt mir einen letzten Kuss auf die Stirn.
Ich fühle mich als würde ich nur außerhalb meines Körpers schweben. Dann höre ich mich folgende Worte sagen und sie sind wirklich ernst gemeint: »Liam, ich wünsche dir von Herzen wirklich alles Glück der Welt.«
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