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Vermutlich sollte hier so etwas wie Liebes Tagebuch stehen, doch mir ist nicht der Sinn danach. Dieser Notizblock soll lediglich dazu dienen, meine Gedanken einmal zu Papier zu bringen. Denn was hier geschieht, ist nicht mehr normal.
Mein Name ist Melissa Kenfree und ich lebe in einer Stadt, die weder besonders klein noch groß ist. Hier erwartet man nicht, seltsame Briefe von einem anonymen Absender zu erhalten. Aber mir ist es eben doch passiert. Was ich davon halten soll, ist mir unklar. Irgendwie ist es aufregend, aber gleichzeitig sollte es besorgniserregend sein. Ich weiß nicht.
Ich möchte ihn nur irgendwo mit meinen Gedanken festhalten, daher habe ich mir den Notizblock meines Vaters geschnappt, der schon seit einem halben Jahr auf seinem Schreibtisch verstaubt. Er ist weggezogen, als er sich von meiner Mutter trennte, aber den Block hat er nicht mitgenommen. Das passt mir gerade ganz gut.
Und das ist der Brief, den ich heute morgen in der Schule zwischen meinen Heften fand:
***
Melissa,
Zuerst einmal sollten wir uns über deinen Namen unterhalten. Me - Lis - Sa. Drei Silben. Viel zu lang. Ich werde dich einfach Mel nennen.
Schon viel besser. Also ... Meinen Namen werde ich dir wohl nicht verraten. Noch nicht. Wo wäre denn da der Spaß? Für dich bin ich einfach dein Herzblatt. Viel Spaß schonmal, wenn du mich in deinen Fantasien bei diesem Namen nennst ...
Nun gut, du fragst dich sicher, weshalb ich dir diesen Brief schreibe. Und eine Antwort wäre, dass ich es selbst nicht weiß. Doch damit würdest du dich nicht zufriedengeben. Du bist ein kluges Köpfchen, das weiß ich. Deshalb gebe ich dir einen kleinen Tipp. Oder dachtest du, ich würde dir sofort alles verraten? Sicher nicht. Du bist doch schlau, also bitte geh meinem Rätsel auf den Grund. Ich freue mich darauf.
Hier also meine erste Frage, die dich der Lösung näher bringen wird:
Ich bin immer da, aber du kannst mich nicht immer sehen. Du denkst, ich bewege mich, dabei bist du es. Du brauchst mich, aber pass auf, sonst verbrenne ich dich. Wer bin ich?
Über die Frage darfst du ein bisschen grübeln. Und bevor du denkst, dass du mich einfach so wieder los wirst ... Das kannst du vergessen. Mich wirst du nicht wieder los, also versuch gar nicht erst meine Briefe zu ignorieren. Das wäre besser für uns beide.
Zu guter Letzt möchte ich dir noch mitgeben, wie du mich kontaktieren kannst. Schließlich willst du mein Rätsel doch so schnell lösen, wie du kannst, nicht wahr? Wenn du einen Brief für mich hast, leg ihn einfach zwischen die Astgabeln des verdorrten Baumes im Stadtpark. Du weißt, welchen Baum ich meine, schließlich bist du hier aufgewachsen. Vielleicht hinterlasse ich dir dort auch mal einen Brief, aber das überlege ich mir erst, wenn ich auch sicher bin, dass du ihn suchen wirst. Denn ich weiß, Mel, du wirst dich davor drücken, mit mir zu kommunizieren, aber das werde ich nicht zulassen.
Dein Herzblatt
***
Was soll ich zu diesem Brief sagen? Soll ich einfach die dumme Frage beantworten? Wohl eher nicht. Aber was soll schon passieren, wenn ich es tue? Eine lächerliche Frage zu beantworten ist nicht zu privat und es ist irgendwie aufregend. Außerdem möchte mein Ego dem Vollidioten hinter diesem Brief zeigen, dass ich nicht so dumm bin wie er denkt. Und erst recht kein ängstliches Täubchen.
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